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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn politische Korrektheit wissenschaftsfeindlich wäre?

»Do the right thing« ist ein ungeschriebenes Gesetz in den USA. Und auch hier zu Lande wird die »Political Correctness« immer wichtiger. Doch ist das immer nur von Vorteil?
Was darf man denn heute noch sagen?

In dem Hollywood-Blockbuster »Illuminati« gibt es eine attraktive Teilchenphysikerin, die am CERN so viel Antimaterie erzeugt, dass man damit ganze Großstädte auslöschen kann. Wissenschaftlich gesehen ist das natürlich Quatsch. Ich habe zwölf Semester Physik studiert, aber noch nie eine so attraktive Teilchenphysikerin gesehen.

Wenn ich diesen Scherz in meinen deutschen Shows erzähle, lachen die meisten Zuschauer. Derzeit verbringe ich ein Jahr in New York und muss erkennen: In den USA ist das anders. Wenn ich dort Vorträge an Unis oder öffentlichen Einrichtungen halte, bekomme ich regelmäßig ein paar Tage vorher einen Anruf von der jeweiligen Gleichstellungsbeauftragten, die mich dann höflich auffordert, alle »sexistischen und diskriminierenden« Passagen in meinem Programm zu streichen.

Wenn man länger in den USA lebt, realisiert man, wie durchdrungen dieses Land von politischer Korrektheit ist. An den Universitäten ist das extrem ausgeprägt. Inzwischen darf sogar an manchen Hochschulen das Buch »Huckleberry Finn« nicht mehr behandelt werden, weil Mark Twain das Wort »Negro« benutzt hat. Ein Literaturwissenschaftler aus Alabama hat eine bereinigte Fassung erstellt, in der alle »Negros« und »Nigger« gestrichen waren. Das ist zwar politisch korrekt, unglücklicherweise versteht nun auch keiner mehr, worum es in dem Buch geht. Selbst das Wort »black« ist in den USA heikel. Wenn Sie in der Uni-Mensa gefragt werden, wie Sie Ihren Kaffee wollen, dann sagen Sie am besten: »African American«.

Gegen stockkonservative Kräfte

Entstanden ist die Political Correctness in den 1980er Jahren. Damals bildete sich an amerikanischen Universitäten eine Bewegung, die forderte, Menschen nicht auf Grund ihrer Hautfarbe, einer Behinderung oder einer bestimmten sexuellen Orientierung zu diskriminieren. Die Studenten schufen so genannte speech codes, die auch die weibliche Sprachform oder Minderheiten einbezogen. Zu diesem Zeitpunkt bestand in dieser Hinsicht großer Handlungsbedarf. Stockkonservative Kräfte bestimmten damals die Debatten, und offene Intoleranz gegenüber Minderheiten war gesellschaftlich akzeptiert.

Eine untragbare Situation, die sich glücklicherweise über die letzten Jahrzehnte zum Guten verändert hat. Auch wenn natürlich vieles noch nicht perfekt ist, müsste die amerikanische Gesellschaft eigentlich froh über diese positive Entwicklung sein. Paradoxerweise passiert genau das Gegenteil. Inzwischen wird die vollkommen unbedachte Frage »Wo kommst du her?« an manchen amerikanischen Unis als Diskriminierung gesehen. Denn dadurch könnten pauschale, ethnische Vorurteile hochkommen.

Der Satz »I believe the most qualified person should get the job« steht bei kalifornischen Unis ebenso auf dem Index wie »America is the land of opportunity«. Immerhin könnte Letzteres andeuten, dass, wer seine Chance nicht ergreift, selbst schuld sei.

In Harvard verlangen Jurastudentinnen, dass das Thema Vergewaltigung aus dem Lehrplan gestrichen wird, weil es Traumata wiederbeleben könnte. Texte müssen mit Trigger-Warnungen versehen werden, wenn eine literarische Passage von sexuellen Übergriffen (Ovids »Metamorphosen«) oder Antisemitismus (Shakespeares »Der Kaufmann von Venedig«) handelt.

Alles, was »nicht willkommen« ist

Im Jahr 2013 hat das US-Department of Justice and Education die Antidiskriminierungsstatuten erweitert und dafür gesorgt, dass schon jede Ausdrucksweise, die »nicht willkommen« ist, unter sexuelle Belästigung fällt. Mit anderen Worten: Jeder kann heute seine subjektiven Gefühle als objektiven Grund für eine Belästigungsklage ins Feld führen.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Natürlich ist jede Form von Diskriminierung inakzeptabel. Doch darum geht es den Tugendwächtern der amerikanischen Hochschulen immer weniger. Inzwischen diskutiert man sogar ernsthaft darüber, ob man in Anwesenheit einer Frau das Wort »Brüste« in den Mund nehmen darf. Wohlgemerkt nur das Wort.

Und je länger dieser Zinnober andauert, desto sicherer zerstört man die größte Errungenschaft der abendländischen Kultur: sagen zu dürfen, was man denkt. Auch wenn es dumm, falsch, beleidigend und unerträglich ist. Mit Sprachregelungen und Redeverboten ändert man die Welt nicht. Denn politisch unkorrekte Meinungen verschwinden ja nicht, nur weil man sie nicht mehr aussprechen darf. Ganz im Gegenteil.

Nicht alle politisch unkorrekten Ideen sind automatisch klug

Dazu kommt, dass viele wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zeitpunkt ihrer Entstehung ebenfalls politisch völlig unkorrekt waren. Haben Affen und Menschen gemeinsame Vorfahren? Wird Kindbettfieber durch Ärzte ausgelöst, die sich nicht die Hände gewaschen haben? Sind Frauen genauso klug wie Männer?

Für die meisten Akademiker waren das damals vollkommen unverschämte Fragen. Aber in der Wissenschaft geht es nicht darum, Gefühle von anderen nicht zu verletzen. Wissenschaft versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Und dabei findet sie immer wieder Sachen heraus, die den Leuten nicht passen. Das heißt natürlich nicht, dass alle politisch unkorrekten Ideen automatisch klug sind. Aber wenn wir keine dummen Ideen zulassen, kriegen wir die klugen eben auch nicht mit.

2018 gründete eine Reihe von Akademikern das »Journal of Controversial Ideas«. Darin können Wissenschaftler anonym publizieren, wenn sie fürchten, ihre Ideen und Hypothesen könnten Empörung oder Aggression auslösen. Eine bedenkliche Entwicklung.

Schon längst ist die politische Korrektheit der amerikanischen Universitäten auch zu uns nach Deutschland übergeschwappt.

Mehr über den Kabarettisten, Autor, Moderator und Physiker unter www.vince-ebert.de

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