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Lobes Digitalfabrik: Wenn der Herzschrittmacher zum Belastungszeugen wird

In den USA überführt ein Herzschrittmacher einen Versicherungsbetrüger. Das Auslesen persönlicher Daten ist jedoch aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch.
Herzschrittmacher in der Brust

In den USA ereignete sich im September 2016 ein kurioser Kriminalfall: Das Haus des 59-jährigen Ross Compton im Bundesstaat Ohio ging in Flammen auf. Compton sagte später gegenüber der Polizei aus, dass er, nachdem er das Feuer bemerkt hatte, einige Wertgegenstände in einen Koffer und Taschen packte, mit einem Stock das Fenster einschlug und aus dem Flammeninferno zu seinem Auto flüchtete. Die Ermittler wurden jedoch misstrauisch, als sie Spuren von Benzin auf Comptons Kleidung fanden. Der Mann, so der Verdacht, habe den Brand absichtlich gelegt, um die Gebäudeversicherung zu kassieren. Der Vorwurf lautete Versicherungsbetrug.

Handfeste Beweise gab es abgesehen von der Kleidung aber nicht. Der Beschuldigte beteuerte, dass das Feuer außer Kontrolle geraten sei und er kein Motiv gehabt habe, sein Wohnhaus niederzubrennen. Compton gab bei der Vernehmung an, einen smarten Herzschrittmacher zu tragen – und dieses Gerät wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Die Ermittler erwirkten einen "Durchsuchungsbefehl", der sie dazu ermächtigte, die Daten inklusive Herzfrequenz vor und nach dem Feuer aus dem elektronischen Gerät auszulesen. Die Auswertung der Daten ergab ein anderes Bild als die Aussagen des Verdächtigen. Ein Kardiologe, der die Daten analysierte, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, angesichts seines medizinischen Zustands sei es höchst unwahrscheinlich, dass der unter Herzbeschwerden leidende Mann in einer derartigen Stresssituation seine Sachen zusammenpacken und aus dem brennenden Haus flüchten konnte.

Vermutlich – und das dürfte das schwerste belastende Indiz gewesen sein – blieb Comptons Puls während des Brands erstaunlich ruhig. Die Kriminalisten schlossen daraus, dass Compton vorsätzlich gehandelt hatte, um die Versicherungssumme zu kassieren. Dem Mann wird nun der Prozess gemacht.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Ermittler Daten aus smarten Geräten als Beweismittel im Strafprozess heranziehen. In den USA entlarvte ein Fitnessarmband zum Beispiel einen Ehemann als Mörder. In dem Fall wurde eine schwangere Frau in Ellington im US-Bundesstaat Connecticut tot in ihrem Wohnhaus aufgefunden – erschossen mit der Waffe ihres Ehemanns. Der Gatte gab in den Vernehmungen zu Protokoll, dass ein maskierter Einbrecher den Schuss abgab. Er selbst habe morgens das Haus verlassen, um die Kinder zur Schule zu bringen und zur Arbeit zu fahren, während seine Frau zu einem Spinning-Kurs ging. Als seine Frau nach Hause kam, soll sie von ihrem Mörder erwartet worden sein.

Daten lügen nicht

Doch die Polizei hatte Zweifel an dieser Version. Fünf Tage nach dem Mord versuchte der Ehemann die Lebensversicherung seiner Frau in Höhe von 475 000 US-Dollar abzukassieren. Das wäre ein Motiv: Habgier. Die Ermittler konnten dem Mann aber nichts nachweisen, auch wenn sein Alibi zweifelhaft war. Doch dann gelang es den Fahndern, die Daten aus dem Fitnessarmband der getöteten Frau auszulesen. Die Fitbitdaten erzählen eine ganz andere Geschichte: Die Auswertung ergab, dass die letzten Bewegungen der Frau um 10.05 Uhr registriert wurden – eine Stunde später als der Zeitpunkt, den der Ehemann in der Vernehmung angab. Doch nicht nur das: Die schwangere Frau legte nach ihrer Rückkehr aus dem Fitnesskurs 365 Meter zurück. Auch das widerspricht der Darstellung des Mannes, sie sei sofort erschossen worden. Die Ermittler konnten mit Hilfe der Daten den Tathergang rekonstruieren. Der Hintergrund: Der Fitnesstracker ist mit einem Schrittzähler (Pedometer) ausgestattet, der jede Bewegung misst. Das Fitnessarmband hat den Ehemann als Mörder überführt. Daten lügen nicht.

Doch die strafrechtliche Auswertung personenbezogener Daten ist nicht unumstritten. Die Strafverteidigerin Stephanie Lacambra von der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation kritisierte gegenüber der AP: "Wir als Gesellschaft schätzen unser Recht, die Privatsphäre über persönliche und medizinische Daten aufrechtzuerhalten. Bürger dazu zu zwingen, geschützte Gesundheitsdaten den Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln, erodiert diese Rechte." Die Frage ist, wo der Persönlichkeitsschutz endet. Beim Körper? Sind Herzschrittmacher und Fitnesstracker nicht auch Teil des Körpers? Und konstituiert das Smartphone als externe Festplatte unseres Gehirns nicht so etwas wie eine erweiterte Persönlichkeit, deren Infiltration einen Fall von Körperverletzung darstellt? Was ist überhaupt "Ich"? Die Grenzen zwischen Person und Technologie verschwimmen immer mehr.

Im US-Bundesstaat New Jersey sollte 2013 ein Gesetz beschlossen werden, um der Polizei bei Autounfällen Zugriff auf Smartphonedaten zu erlauben. Daraus hätten die Ermittler ableiten können, ob der Unfallverursacher vorher auf seinem Handy gespielt oder getextet hat. Das Gesetzesvorhaben wurde nach heftigen Protesten von Datenschützern schließlich verworfen. Doch es zeigt, wie weit die Überwachungsfantasien gediehen sind. Smartphones, Fitnesstracker oder vernetzte Lautsprecher, die die Polizei auch schon als Zeugen befragen wollte, mutieren zu mobilen Spitzeleinheiten. Kriminalisten mögen frohlocken, dass das Aufzeichnen von Aktivitäten dabei hilft, Verbrechen aufzuklären und möglicherweise sogar präventiven Charakter hat. Doch wir alle verlieren mit dieser Überwachung ein Stück unserer Freiheit.

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