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Freistetters Formelwelt: Wenn der Mond wackelt

Unser Kolumnist findet einen eher ungewöhnlichen Grund, warum Menschen zum Erdtrabanten zurückkehren müssen.
Alan Shepard auf dem Mond

Vor einigen Wochen wurde mir nach einer Veranstaltung zum Jubiläum der Mondlandung von einer Zuseherin eine auf den ersten Blick sehr komische Frage gestellt: »Werden Erdbeben auf dem Mond auch anhand der Richterskala gemessen?«. Um darauf zu antworten, muss man sich zuerst einmal klarmachen, wie komplex die Messung der Stärke von tektonischen Ereignissen eigentlich ist.

Die 1935 entwickelte Richterskala wird durch folgende mathematische Formel definiert:

Richterskala

Amax beschreibt dabei den maximalen Ausschlag eines standardisierten Seismometers, gemessen in Mikrometern und 100 Kilometer vom Erdbebenzentrum entfernt. Da sich aber nicht bei jedem Beben eine Messstation in genau dieser Entfernung befindet, muss die Berechnung jeweils über einen Korrekturfaktor A0 angepasst werden. Das Ergebnis der Rechnung ergibt dann die so genannte »Magnitude«, also das, was man üblicherweise als die Stärke des Bebens bezeichnet. Ein Beben der Stärke 3 bis 4 kann von Menschen noch gerade so gespürt würden; ab der Stärke 6 spricht man von schweren Beben und ein Beben der – bis jetzt noch nie gemessenen – Stärke 10 würde eine globale Katastrophe darstellen.

Wenn heutzutage in den Medien von der Richterskala gesprochen wird, ist damit jedoch meistens die »Momenten-Magnituden-Skala« gemeint, die 1977 eingeführt worden ist, um das Problem der »Sättigung« zu lösen: Bei großen Beben bildet die Richterskala die Stärke eines Bebens nicht mehr korrekt ab; wenn die freigesetzte Energie steigt, ändert sich die Magnitude nicht im gleichen Ausmaß. Deswegen nutzt die Momenten-Magnituden-Skala nicht den Ausschlag eines Seismografen, sondern das »seismische Moment«, das von den Eigenschaften des Gesteins, der Größe und der Verschiebung der beim Beben entstandenen Bruchfläche abhängt. Bei Magnituden, die kleiner als zirka 6,5 sind, stimmen Richter- und Momenten-Magnituden-Skala gut überein, bei größeren Werten ist die zweite allerdings besser geeignet, ein Beben zu beschreiben.

Unser schrumpfender Trabant

Neben diesen »Magnitudenskalen«, die die Energie beschreiben, die am Ort des Bebens selbst freigesetzt wird, gibt es auch noch »Intensitätsskalen« – sie klassifizieren, welche Auswirkungen das Ereignis an einem konkreten Punkt der Erdoberfläche hat. Ein Beben, das an einem Ort viele Häuser einstürzen lässt, bringt weiter entfernt vielleicht nur ein paar Fenster zum Klirren und wird daher auf so einer Skala je nach Ort unterschiedlichen Stärken zugeordnet.

Auf dem Mond gibt es aber keine Häuser, die einstürzen können. Die Mondbeben misst man daher auf einer der Richterskala ähnlichen Magnitudenskala. Als Grundlage dient hier die Beschleunigung, mit der sich der Mondboden bewegt, und die Messungen der während der Apollo-Missionen aufgestellten Seismometer bringen immer noch neue Ergebnisse. Im Mai 2019 konnte gezeigt werden, dass der Mond auch heute noch tektonisch aktiv ist. Sein Inneres kühlt ab, und dadurch schrumpft er, was zu Verwerfungen an der Oberfläche und damit einhergehenden Mondbeben führt. Wie dieser Prozess im Detail aussieht, muss aber noch erforscht werden.

Die letzten Daten haben die von den Apollo-Astronauten aufgestellten Geräte 1977 geliefert. Es wird also langsam wirklich Zeit, dass wir auf den Mond zurückkehren. Es gibt noch viel zu viel, was wir nicht wissen, und manche Dinge lassen sich nur vor Ort herausfinden. Wir brauchen nicht nur neue Messgeräte auf unserem Nachbarn im All, sondern auch Menschen, die spontan entscheiden können, wo und wie sie am besten eingesetzt werden müssen. Die Landungen der Apollo-Astronauten waren eine großartige Leistung. Aber der Mond ist eine eigene, komplexe Welt, die mehr Aufmerksamkeit verdient hat.

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