Grams' Sprechstunde: Wer heilt, hat nicht zwingend recht
Das Ziel war, sich vitaler zu fühlen, die Kopfschmerzen loszuwerden und unbeschwert verdauen zu können oder die quälende Übelkeit endlich abzumildern. Ist das erreicht, ist letztlich egal, was genau dazu geführt hat. Es mag der Heilpraktiker mit seiner Sauerstoffmehrschrittherapie, Ohr-Akupunktur und Colon-Hydro-Therapie gewesen sein. Oder die Onkologin, die dem Betroffenen ein Zusatzpräparat zur Chemotherapie gegeben hat – Hauptsache, es hat funktioniert.
»Wer heilt, hat recht«, heißt es deshalb gern. Dass ehemalige Patientinnen und Patienten so denken, ist absolut nachvollziehbar. Gegner der evidenzbasierten Medizin führen den Satz zudem häufig als vermeintliches Argument für ihre Methoden an. Das Problem: Die Aussage kann stimmen. Muss aber nicht.
Mit dem Satz »Wer heilt, hat recht« schauen wir von der Besserung auf die Krankheit. Das ist eine riskante Perspektive. Statt die Suche nach den Ursachen zu eröffnen, ist sie bereits für beendet erklärt. Dabei ist es äußerst wichtig zu fragen, wer oder was im betreffenden Fall tatsächlich für Besserung gesorgt hat.
Experimente am lebenden Menschen
Denn was wäre, wenn wir in der Medizin immer nur von einer stattgefundenen Besserung auf das dafür verantwortlich geglaubte Mittel rückschließen würden? Was, wenn wir nicht verlässlich sagen könnten, was überhaupt ein Potenzial hat, zu wirken, zu verzögern, zu lindern oder zu heilen? Dann wäre jede Behandlung ein Experiment am lebenden Objekt mit zweifelhaftem Ausgang.
Nehmen wir an, jemand hat soeben die Diagnose »Bluthochdruck« bekommen. Der Betroffene möchte in solch einer Situation wissen, was helfen kann, was die Risiken der Behandlung sind und wie lange sie dauern wird, statt auf gut Glück etwas einzuwerfen. Und ist es nicht in diesem Fall besonders beruhigend zu wissen, dass die Behandlung zunächst meist nicht in einer Medikamentengabe besteht, sondern in Lebens- und Ernährungsumstellung, wir hier also quasi selbst wirksam werden können?
Ich meine, ja – und deswegen sehe ich den so oft zu hörenden Satz »Wer heilt, hat recht« so kritisch. Wenn es darum geht, eine Therapie zu wählen, nützt es nun einmal genau gar nichts, wenn sich diese erst im Nachhinein beurteilen lässt. Nur wer nachweisen kann, tatsächlich für den verbesserten Gesundheitszustand verantwortlich zu sein, darf behaupten, Recht zu haben.
Patientinnen sollten Beweise für Versprechen fordern
Anders ausgedrückt: Rechtfertigen muss sich immer derjenige, der eine Behauptung in den Raum stellt. Das gilt für Vertreter der Pharmaindustrie, die neue Medikamente anpreisen, ebenso wie für Homöopathen, Ärzte und Naturheilkundler. Niemand von ihnen sollte Prophezeiungen anbieten, die sich mit Glück im Nachhinein bestätigen und sich deshalb wie ein Beweis anfühlen. Und Patienten sollten sich damit erst recht nicht zufriedengeben, sondern belastbare Belege einfordern.
Was keine Belege liefern kann, kann nicht als Alternative zur normalen Medizin gelten. Schließlich geht es letztlich nicht darum, als Einzelner oder Einzelne Recht zu haben. Es geht um verlässliche, allgemein gültige Aussagen zur Gesundheit, zu potenziellen Risiken, zu Nebenwirkungen von Medikamenten und Methoden sowie um die Prognose, die der Behandler stellen kann.
Sicherlich: In seltenen Fällen sind Mittel in der breiten Anwendung doch nicht so sicher wie gedacht, andere vermögen die Krankheit im Einzelfall nicht zu heilen. Auch wird allzu oft übersehen, was unser Körper selbst leistet. Bis zu 80 Prozent aller spontan auftretenden Beschwerden vergehen von allein, davon gehen manche Selbstheilungsforscher heute aus.
Deshalb möchte ich das geflügelte Wort ein wenig abwandeln: »Wer nachweisen kann, dass er ursächlich geheilt hat, hat recht.« Und wohl dem, der die Selbstheilungskräfte nicht einfach auf dem Konto seiner persönlich bevorzugten Heilmethode verbucht, sondern ehrlich darauf schaut, was der Körper schafft und wo er Hilfe durch wirklich wirksame Medizin braucht.
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