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Mäders Moralfragen: Wer marschiert noch für die Wissenschaft?

Nach Trumps Wahl wollten viele ein Zeichen gegen alternative Fakten setzen. Doch der Elan ist verschwunden. Schade eigentlich, denn es geht weiterhin um viel.
Bis zu 2000 Teilnehmer waren beim March for Science Heidelberg - hier bei der Abschlusskundgebung am Universitätsplatz.

Vor einem Jahr sind in Deutschland rund 37 000 Menschen im »March for Science« für die Wissenschaft auf die Straße gegangen. Ich war damals in Bonn dabei und habe erlebt, wie sich Studierende und Forscher für den rationalen Diskurs stark machten. Wir standen damals alle unter dem Eindruck der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl und die meisten Redner wandten sich gegen den damals neuen Begriff der alternativen Fakten. 37 000 Menschen sind zwar nicht viel, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland 240 000 Wissenschaftler und 2 800 000 Studierende gibt. Aber es war ein vernehmbares Signal.

Kommenden Samstag, am 14. April 2018, soll der Marsch wiederholt werden, doch die Erwartungen sind in diesem Jahr gedämpft. Christine Prußky hat für die Volkswagen-Stiftung mit den Organisatoren in Deutschland gesprochen. Sie sagen, der Schock sei nicht mehr so frisch. Ähnliches berichtet die Redaktion des Wissenschaftsmagazins »Science« in einem globalen Überblick. Es kann natürlich sein, dass wir uns bereits an den neuen wissenschaftskritischen Diskussionsstil gewöhnt haben, aber auch die Funktionäre halten sich zurück. Die Allianz der deutschen Forschungsorganisationen wollte Prußky nicht erläutern, wie sie zum »March for Science« steht. Das muss nicht heißen, dass die Allianz dagegen ist. Ich vermute eher, dass sich die Wissenschaftler nicht einig sind, wofür sie auf die Straße gehen sollen (und vielleicht auch, ob sich Kundgebungen überhaupt für sie ziemen).

Gründe für Selbstkritik

Ich fände es schade, wenn diese Initiative im Sande verlaufen würde. Sie bietet der Wissenschaft eine Chance, ihre Relevanz für die Gesellschaft herauszustreichen. Ich bin zwar nicht der Meinung, dass alle Wissenschaftler den Dialog mit den Laien suchen müssen. Das ist nicht ihr Job. Die beste Art, sich für die öffentliche Finanzierung zu bedanken, ist gute Arbeit zu leisten. Aber sich zu wehren, wenn man angegriffen wird – das zeigt, dass einem nicht egal ist, was die Gesellschaft von einem hält.

Doch in einem Punkt kann ich die Bedenken verstehen: Wissenschaft ist ein selbstkritisches Unterfangen, und im vergangenen Jahr wurde bei den Demonstrationen die wissenschaftliche Erkenntnis in den Himmel gelobt. »Fakten sind nicht verhandelbar«, stand zum Beispiel auf einigen Plakaten. Damit war sicher gemeint, dass es nur eine Realität gibt, die man nicht uminterpretieren darf, bloß weil es einem gerade passt. Doch diesen Slogan kann man auch anders verstehen: nämlich so, dass man gegen wissenschaftlich etablierte Fakten nichts sagen dürfe. Dabei besteht das wissenschaftliche Geschäft zu einem guten Teil darin, mit Argumenten auszuhandeln, was als Fakt gelten darf. Der »Scilogs«-Blogger Martin Ballaschk hat im vergangenen Jahr zudem einige Gründe zusammengestellt, warum die Wissenschaft ruhig etwas selbstkritischer sein dürfte.

Hehre Prinzipien

Auf der Website des deutschen »March for Science« steht nichts von Fakten. Dort wird vielmehr ein »gleichberechtigter Dialog« von Forschern mit der Öffentlichkeit beschworen – ein hohes Ziel. Denn »gleichberechtigt« bedeutet, dass sich Wissenschaftler auch etwas sagen lassen und auf Anregungen und Einwände der Laien reagieren. Was diese Bereitschaft zum Dialog umfasst, ist noch ziemlich ungeklärt. Außerdem fordern die Organisatoren des Protests, dass politische Entscheidungen »auf der Grundlage der besten verfügbaren Informationen gefällt werden« sollen, »sprich, auf der Grundlage wissenschaftlicher Evidenz«. Das wiederum ist zwar nirgends festgeschrieben. Laut Grundgesetz sind die Abgeordneten nur ihrem Gewissen verpflichtet, nicht aber ihrem Wissen – und schon gar nicht dem Stand der Wissenschaft. Aber es wäre wünschenswert, wenn die Politik Evidenz ernster nähme.

Zumindest sollte sie die Möglichkeit dazu haben: In einer Demokratie sollten sich alle über den aktuellen Wissensstand informieren können, um sich fundiert eine Meinung zu bilden. Hier greife ich eine Analyse des Philosophen Torsten Wilholt auf, der in seinem Buch »Die Freiheit der Forschung« untersucht, wie man die im Grundgesetz verankerte Forschungsfreiheit begründen kann. Eine Option nennt er die politische Begründung: Wissenschaftler müssen in ihrer Arbeit frei sein, damit die Mächtigen ihre Sicht der Dinge nicht unwidersprochen verbreiten können – Bürger oder Verbände können sie mit Verweis auf die Wissenschaft kritisieren. Daraus ergibt sich aus meiner Sicht ein Grund, auf die Straße zu gehen: Der Staat sollte die evidenzbasierte Kritik ermöglichen, anstatt Zweifel an der Verlässlichkeit der Wissenschaft zu verbreiten.

Die Moral von der Geschichte: Niemand muss auf die Wissenschaft hören, aber der Staat sollte sie nicht diskreditieren.

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