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Springers Einwürfe: Immer Ärger mit den Quanten

Der Streit um die Deutung der Quantenphysik nimmt kein Ende. Ein neues Gedankenexperiment scheint zu beweisen, dass die Theorie sich manchmal selbst widerspricht.
Katze vor Mauseloch

Wer sich für Quantentheorie interessiert, kennt die von Erwin Schrödinger 1935 erdachte Katze. Sie steckt in einer Kiste, wo sie ein Quantenmechanismus in eine Zustandsüberlagerung von Leben und Tod versetzt. In dem gespenstischen Zwischenreich verharrt sie, bis ein Beobachter die Kiste öffnet und den Quantenzustand misst. Erst jetzt ist sie entweder lebendig oder tot. Das Gedankenexperiment spitzt die umstrittene Frage zu, wie aus einer quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitsverteilung ein klassisches Messresultat hervorgehen kann.

Um das Problem noch zu verschärfen, setzte der Theoretiker Eugene Paul Wigner 1961 zusätzlich zur Katze einen menschlichen Beobachter in die Kiste, der bald »Wigners Freund« genannt wurde. Während dieser stets unmittelbar erkennt, ob das Tier lebt oder tot ist, herrscht für einen äußeren Beobachter, solange die Kiste nicht geöffnet wird, drinnen eine zweideutige Zustandsüberlagerung von Wigners Freund und Schrödingers Quantenkatze. Scheinbar kommen beide Beobachter zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen.

Heute argumentieren die Physiker gegen solche Gedankenspiele mit dem Begriff der Dekohärenz, den Heinz-Dieter Zeh 1970 eingeführt hat. Infolge der Wechselwirkung der Quantenkatze mit den Luftatomen in der Kiste kollabiert der »kohärente« Überlagerungszustand von Leben und Tod fast augenblicklich zum Entweder-oder. Die Dekohärenz erzwingt, ganz unabhängig davon, ob ein Mensch den Zustand misst oder nicht, sofort ein eindeutiges Resultat, das daher von draußen nicht anders aussieht als für Wigners Freund drinnen. Das Öffnen der Kiste macht keinen Unterschied.

Doch nun haben Daniela Frauchiger und Renato Renner von der ETH Zürich ein Gedankenexperiment ausgeheckt, das gleich zwei Kisten mit Wigners Freunden vorsieht, zwischen denen ein gewisser Informationsaustausch stattfinden darf. Durch eine sehr komplizierte Argumentation behaupten die Theoretiker daraus herleiten zu können, dass in diesem Fall zwei äußere Beobachter zu gegensätzlichen Aussagen kämen – und somit wäre die Quantenphysik in sich widersprüchlich (Nature Communications, 3711, 2018).

Die gewundene Beweisführung lässt sich freilich nur sehr mühsam verfolgen. Immerhin hat die Arbeit unter Grundlagenforschern für einige Unruhe gesorgt und zu Versuchen geführt, den Autoren Denkfehler nachzuweisen – was aber anscheinend bisher nicht gelungen ist.

Praktizierende Physiker werden sich davon ohnehin kaum aus der Ruhe bringen lassen. Sie könnten auf dem Standpunkt stehen, eigentlich gereiche es der Quantenmechanik sogar zur Ehre, dass sie sich nur mit so extrem umständlichen Tricks zu Widersprüchen verleiten lässt.

Dennoch zeigt der umstrittene Artikel möglicherweise ein echtes Problem auf, das künftig praktische Konsequenzen haben könnte. Die Autoren betonen nämlich, ihre Beweisführung träfe genauso zu, wenn man an die Stelle der menschlichen Beobachter lauter Quantencomputer setzte. Dann aber dürften solche Maschinen, falls sie eines Tages tatsächlich in größerem Stil zum Einsatz kämen, nicht ohne Weiteres miteinander vernetzt werden. Ob man sie nun in Serie schalten würde oder parallel arbeiten ließe, jedenfalls entstünden komplexe Verbände von Schrödinger-Katzen und Wigner-Freunden – und ob solche Quantencomputercluster überhaupt widerspruchsfreie Rechenresultate auswerfen können, erscheint im Licht des neuen Gedankenexperiments als eine berechtigte Frage.

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  • Quellen

Frauchiger, D., Renner, R.: Quantum Theory Cannot Consistently Describe the Use of Itself. In: Nature Communications 9, 3711, 2018

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