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Freistetters Formelwelt: Wie der Saros-Zyklus die Zukunft prophezeit

Am Himmel steht tatsächlich die Zukunft geschrieben – allerdings nicht unser Schicksal. Dafür sind die Vorhersagen der Astronomie äußerst präzise.
Korona der Sonnenfinsternis

Der Jahresanfang ist stets auch die Hochzeit der Astrologie. Es ist für mich als Astronom eher unverständlich, wieso hier immer noch so viele Menschen auf die »Vorhersagen« der Astrologie vertrauen. Deren Prognosen sind entweder so vage, dass sie komplett beliebig sind. Oder schlicht und einfach falsch.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Es gibt zudem weder Belege noch einen wissenschaftlichen Grund für die Annahme, dass man aus der Position der Planeten am Himmel irgendwelche relevanten Erkenntnisse über unsere eigene Zukunft ableiten kann. Was auch immer die Astrologie für das Jahr 2021 prophezeien mag, ist daher – zurückhaltend formuliert – mit Vorsicht zu genießen. Das durchaus bemerkenswerte Pandemiejahr 2020 haben die Sterne ja auch irgendwie übersehen.

Mit absoluter Sicherheit kann dafür aber die Naturwissenschaft Vorhersagen machen. Zum Beispiel mit folgender Formel:

Aus dieser Gleichung kann ich ableiten, dass am 10. Juni 2021 eine Sonnenfinsternis stattfinden wird. Und so wie die Astrologie ist auch diese Formel »altes Wissen«. Es handelt sich dabei um eine Möglichkeit, den so genannten »Saros-Zyklus« zu beschreiben. Der war schon im Altertum bekannt und führt auf, wie sich Sonnen- oder Mondfinsternisse wiederholen.

Damit es zu einer Sonnenfinsternis kommen kann, muss der Mond zwischen Sonne und Erde stehen. Es muss demnach zwingend Neumond sein – und darauf bezieht sich ms in der Formel. Damit ist der »synodische Monat« gemeint, also die Zeitspanne, die zwischen zwei aufeinanderfolgenden gleichen relativen Stellungen von Sonne, Erde und Mond vergeht. Oder anders gesagt: die Zeit, die zwischen zwei Neumonden (oder Vollmonden) vergeht. Sie beträgt 29,5306 Tage.

Die Entstehung der Saros-Zyklen

Wir können aber nicht alle knapp 30 Tage eine Sonnenfinsternis beobachten. Das passiert nur, wenn Sonne, Mond und Erde auch (fast) exakt in einer Linie stehen. Die meiste Zeit über steht der Mond zu hoch oder zu tief über der Ebene der Erdbahn, um die Sonne zu verfinstern. Das kann nur passieren, wenn er in einem der »Mondknoten« steht (oder in unmittelbarer Nähe davon) – also in einem der beiden Schnittpunkte zwischen Mondbahn und Erdbahn.

Die Zeit, die zwischen zwei Durchgängen des Mondes durch denselben Mondknoten vergeht, heißt »drakonitischer Monat« und wird in der Formel mit md angegeben. Diese Zeitspanne ist mit 27,21222 Tagen um 2,3 Tage kürzer als der synodische Monat, und das ist relevant, wenn man die Zukunft vorhersagen will.

Findet an einem bestimmten Tag eine Sonnenfinsternis statt, dann muss der Mond zu diesem Zeitpunkt in einem Knoten stehen und es muss gleichzeitig Neumond herrschen. Wenn knapp 29,5 Tage später der nächste Neumond stattfindet, hat der Mond den Knotenpunkt jedoch schon längst passiert, nämlich 2,3 Tage zuvor. Der Unterschied wächst im Lauf der Zeit immer weiter an. Aber spätestens 18 Jahre und 11 Tage nach der ersten Finsternis wird es eine zweite geben. Genau das folgt aus der Formel, denn die stimmt für s = 233 und d = 242.

Fast exakt wenigstens, denn 223 synodische Monate sind 6585,3238 Tage, und 242 drakonitische Monate ergeben 6585,3572 Tage. Also in beiden Fällen ein Zeitraum von 18,03 Jahren. Ebendies ist der Saros-Zyklus, laut dem sich eine bestimmte Finsternis nach dieser Zeit wiederholen wird. Da die Übereinstimmung der Perioden nicht exakt ist, läuft so ein Zyklus nicht für immer. Der Mond wandert in den Knotenpunkt hinein und durch die Abweichungen in den Perioden irgendwann auch wieder hinaus. Zu einem Saros-Zyklus gehören typischerweise knapp über 70 in jenem Abstand aufeinanderfolgende Finsternisse; es sind aber stets gleichzeitig mehrere dieser Zyklen aktiv.

Die Finsternis im Juni 2021 gehört zum Zyklus mit der fortlaufenden Nummer 147. Dessen erstes Ereignis war eine partielle Verfinsterung der Sonne am 12. Oktober 1624; er wird am 22. Januar 2995 mit einer weiteren partiellen Finsternis auslaufen. Diese exakten Vorhersagen soll uns die Astrologie erst einmal nachmachen.

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