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Warkus‘ Welt: Wie Sprachenvielfalt die Philosophie beflügelt

Jede Sprache hat ihre ganz eigenen Besonderheiten. Die Philosophie kann deshalb davon profitieren, wenn nicht alles nur in Englisch ist, findet unser Kolumnist Matthias Warkus.
Lupe mit Buchstaben

Philosophie hat viel mit Sprache zu tun: Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist sie eines der beliebtesten Themen von Philosophinnen und Philosophen, aber wichtig war sie natürlich auch schon vorher. Denn ganz gleich wie viel man denkt, ohne Sprache kann man die Gedanken nicht austauschen und mit anderen diskutieren. Irgendeine Sprache muss man haben. Das gilt für jede Wissenschaft, aber für die Philosophie scheint es intuitiv noch mal etwas wichtiger zu sein. Immerhin redet man tendenziell nicht über Laboraufbauten und Protokolldaten, sondern über so etwas wie moralische Gesetze, die Gewissheit, einmal sterben zu müssen, oder über die Bedeutung abstrakter Kunst.

Nun gibt es schon in der Umgangssprache die Vorstellung, manche Wörter seien bestimmten Sprachen eigen und nicht so richtig in andere übersetzbar. Im Deutschen hält sich diese Idee unter anderem bei Gemütlichkeit, Geborgenheit oder Heimat. Manche Ausdrücke wie Zeitgeist oder Weltschmerz sind als Lehnwörter in manche Fremdsprachen übernommen worden. Da ab dem 18. Jahrhundert rund 200 Jahre lang außergewöhnlich viele bedeutende philosophische Werke im deutschen Sprachraum erschienen, ist es auch kein Wunder, dass es viele zuweilen schwer zu übersetzende Nuancen in der deutschen philosophischen Fachsprache gibt. Geist lässt sich etwa im Englischen nicht 100-prozentig als »mind« wiedergeben, den Unterschied zwischen Erfahrung und Erlebnis zu erhalten, ist ebenfalls schwer.

Dass aber Menschen, die in verschiedenen Sprachen zu Hause sind, irgendwie inkompatibel denken würden, gilt als widerlegt. Wenn man in verschiedenen Sprachen anscheinend unterschiedlich philosophiert, dann liegt dies nicht daran, dass in den Köpfen grundlegend Unterschiedliches vorginge. Dennoch bemüht man sich in der nicht englischsprachigen Philosophie (oder zumindest in großen Teilen davon), sich die jeweils eigene Sprache zu erhalten und den Philosophiebetrieb nicht völlig zu anglisieren. Man ist sich also weitgehend einig, dass es keine philosophischen Inhalte gibt, die sich nicht genauso – gegebenenfalls mit entsprechendem Aufwand – in einer beliebigen Fremdsprache ausdrücken lassen, aber zugleich auch, dass es ein großer Verlust wäre, Philosophie nur noch in einer einzigen Sprache zu treiben. Wie passt das zusammen?

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Ein Grund ist sicher schlicht die Arbeitsökonomie. Wenn man sich mit Klassikern beschäftigt, von denen nun einmal viele in deutscher Sprache verfasst wurden, ist es natürlich einfacher, sie im Original zu lesen und in derselben Arbeitssprache zu schreiben. Auch die Präzision des Redens über einen Text, der viele der genannten schwer übersetzbaren Nuancen enthält, ist sicherlich größer, wenn es in derselben Sprache erfolgt wie der Text.

In der Philosophie redet man gerne über Sprache

Ein weiterer Grund ist, dass Philosophie sich eben auch thematisch viel mit Sprache beschäftigt. Die moderne, vor allem von britischen und amerikanischen Klassikern begründete Sprachphilosophie hat in großen Teilen den Ruf, dass sie gerne über Sprache im Allgemeinen redet und sich dabei immer nur ans Englische hält. Man gewinnt sicher mehr und bessere Erkenntnis über Sprache, wenn darüber hinaus noch andere Sprachen im Spiel sind (insbesondere solche wie Chinesisch oder Arabisch, die mit dem Englischen nicht so eng verwandt sind wie Deutsch oder Französisch).

Man gewinnt sicher mehr und bessere Erkenntnis über Sprache, wenn über Englisch hinaus noch andere Sprachen im Spiel sind

Der letzte Weltkongress der Philosophie, 2018 in Peking abgehalten, hatte als offizielle Sprachen Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Russisch und Chinesisch, und der nächste Kongress 2024 in Rom wird vermutlich ähnlich viele Arbeitssprachen haben. Auf der anderen Seite veröffentlichen eigentlich alle international rezipierten Philosophie-Fachzeitschriften überwiegend englischsprachige Aufsätze. Die philosophische Sprachkultur ist also in Bewegung und es ist schwer zu sagen, welche Rolle die Sprachvielfalt in ihr in Zukunft noch haben wird.

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