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Krebs verstehen: Wie hoch ist mein Krebsrisiko?

Immer mehr Websites bieten Tests an, die das persönliche Krebsrisiko berechnen. Doch wie zuverlässig können solche Onlinerechner sein? Das erklärt Marisa Kurz in »Krebs verstehen«.
Eine Gruppe von Menschen sitzt an einem Tisch im Freien und genießt ein gemeinsames Essen. Ein Mann schenkt Rotwein in ein Glas ein. Auf dem Tisch stehen verschiedene Speisen wie gegrilltes Fleisch, Salat und Brot.
Viele Einflüsse verändern das persönliche Krebsrisiko, etwa ob man Alkohol trinkt, sich gesund ernährt, übergewichtig ist, raucht oder sich ausreichend bewegt. Auch Umweltfaktoren und die genetische Veranlagung spielen eine Rolle. Obwohl man nicht alles steuern kann, helfen bewusste Entscheidungen im Alltag, das Risiko deutlich zu senken.

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Im Internet bin ich auf mehrere Websites gestoßen, die versprechen, das persönliche Krebsrisiko berechnen zu können. Die Krebsliga Schweiz bietet etwa einen »Self Check« an, die australische Organisation Cancer Council einen »Cancer Risk Calculator«. Ein paar Fragen beantworten – und schon kennt man sein Krebsrisiko! Aber geht das wirklich so einfach?

Genau das habe ich getestet: Ich sollte Angaben zu Alter, Geschlecht sowie Gewicht machen und Fragen zu vermeidbaren Risikofaktoren beantworten. Rauche ich aktiv? Habe ich früher geraucht oder nie eine Zigarette oder Vapes angerührt? Wie oft bin ich Passivrauch oder der Sonne ausgesetzt? Nutze ich Sonnencreme, Sonnenbrille, Hut, Kleidung und lege mich in den Schatten? Oder bräune ich mich gezielt in der Sonne? Wie viel Obst, Gemüse, Vollkorn, rotes und verarbeitetes Fleisch esse ich? Wie oft trinke ich Alkohol in der Woche? Treibe ich Sport und wenn ja, wie intensiv? Gehe ich zur Krebsfrüherkennungsuntersuchung?

All diese Faktoren beeinflussen tatsächlich das persönliche Krebsrisiko. Ich hatte also erwartet, dass am Ende der Befragung eine Prozentzahl vor mir erscheint, daneben die Worte »Ihr Krebsrisiko beträgt x Prozent«. Stattdessen erhielt ich eine Bewertung meiner Gewohnheiten. Positiv: Ich rauche nicht, trinke keinen Alkohol und esse als Vegetarierin kein rotes und verarbeitetes Fleisch. Zudem bin ich normalgewichtig und nehme alle für mich empfohlenen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen wahr.

Welche Faktoren das Krebsrisiko senken

Einen exakten Risikowert erhielt ich nicht – und das ist in meinen Augen richtig. Das individuelle Krebsrisiko lässt sich nicht präzise berechnen. Krebs entsteht durch ein Zusammenspiel aus genetischen Anlagen, äußeren Einflüssen und zufälligen Zellveränderungen. Risikorechner erfassen vor allem die wichtigsten vermeidbaren Risikofaktoren für Krebs wie Rauchen, Übergewicht und Alkohol. Auch rotes und verarbeitetes Fleisch stuft die Internationale Agentur für Krebsforschung als krebserregend ein. Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Vollkorn sowie regelmäßige Bewegung können das Risiko hingegen senken.

Laut wissenschaftlichen Schätzungen gehen mehr als 40 Prozent der weltweiten Krebserkrankungen und mehr als 40 Prozent der dadurch verursachten Todesfälle auf vermeidbare Risikofaktoren zurück.

Die Rechner haben mir auch gezeigt, wie ich mein Krebsrisiko noch weiter senken könnte: Ich bewege mich zu wenig, weil ich in der Klinik viel am Computer sitze und am Wochenende an Kolumnenbeiträgen wie diesem sitze. Außerdem esse ich zu wenig Obst und Vollkornprodukte und könnte mich noch besser vor der Sonne schützen. Zwar nutze ich immer Sonnencreme und Sonnenbrille, aber ich könnte mehr auf Sonnenschutzkleidung achten.

»Ein gesunder Lebensstil kann das Krebsrisiko zwar senken, garantiert aber leider nicht, dass es einen niemals erwischt«

Schließlich fand ich doch einen Rechner, der mir genau angab, wie hoch mein Krebsrisiko sein soll: 30,6 Prozent stand da. In Deutschland erkrankt statistisch gesehen mehr als jede dritte Person im Lauf ihres Lebens an Krebs. Mein Ergebnis liegt also im erwartbaren Bereich. Anscheinend wurden mir ein paar Prozentpunkte abgezogen, da ich nicht rauche, trinke oder übergewichtig bin.

Menschen ein Gefühl dafür zu vermitteln, ob ihr Lebensstil ihr Krebsrisiko eher erhöht oder senkt, finde ich sinnvoll. Doch ich halte es für problematisch, einen konkreten Prozentwert anzugeben. Das individuelle Krebsrisiko hängt von so vielen Faktoren ab, die wir nicht einmal alle im Detail überblicken, und lässt sich nicht exakt beziffern.

Familiäre Vorbelastung als wichtiger Hinweis auf erhöhtes Krebsrisiko

Was mir an den Rechnern sofort auffällt: Zwei Drittel fragen zwar nach äußeren Risikofaktoren, aber selten, ob gehäuft Krebserkrankungen in der Familie vorkommen. Dabei kann dies auf ein erblich erhöhtes Krebsrisiko hinweisen.

Nur zwei englischsprachige Risikorechner für medizinisches Personal enthielten Fragen zur familiären Vorbelastung. Der Brustkrebsrisikorechner des National Cancer Institute etwa berücksichtigte zahlreiche Faktoren: Abgefragt wurden neben der Ethnizität auch bereits diagnostizierte Krebsvorstufen der Brust, frühere Brustbiopsien, erfolgte Bestrahlungen im Bereich des Brustkorbs, bekannte BRCA-Mutationen, Brustkrebsfälle von Verwandten ersten Grades, das Alter bei der ersten Regelblutung (je jünger, desto höher das Krebsrisiko) und das Alter bei der ersten Geburt (geringeres Brustkrebsrisiko bei früheren Geburten).

Am Ende habe ich erfahren, dass 12,5 Prozent aller weißen Frauen in den USA im Lauf ihres Lebens an Brustkrebs erkranken. Verglichen damit habe ich ein leicht reduziertes Risiko von 11,2 Prozent – vermutlich weil ich normalgewichtig bin und es in meiner Familie keine Brustkrebsfälle gibt. Auch dass ich weiß bin, spielt eine Rolle, denn das Krebsrisiko variiert zwischen unterschiedlichen Ethnien. Die Zahlen sind mit denen aus Deutschland vergleichbar: Brustkrebs ist hierzulande die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Etwa jede achte Frau erkrankt irgendwann einmal an Brustkrebs.

Ich habe außerdem einen Darmkrebsrisikorechner getestet – unter der Annahme, dass ich bereits 45 Jahre alt bin (der Rechner ist erst ab diesem Alter anzuwenden). Mein Lebenszeitrisiko für Darmkrebs liegt laut Rechner bei 1,5 Prozent und damit unter dem Durchschnitt einer Frau in den USA von 3,6 Prozent. Auch hier dürften sich mein Normalgewicht und die Tatsache, dass ich keine erstgradigen Verwandten mit Darmkrebs habe, positiv auswirken. In Deutschland erkranken eine von 19 Frauen und einer von 15 Männern im Lauf des Lebens an Darmkrebs.

Rechner zeigen auf, wie man das individuelle Krebsrisiko senken kann

Ein wichtiger Aspekt fehlt mir bei allen diesen Rechnern allerdings: die Frage nach Impfungen. Dabei kann die HPV-Impfung nachweislich das Risiko für Krebs an Gebärmutterhals, Vagina, Vulva, Penis, Anus und Rachen senken. Auch die Hepatitis B-Impfung schützt indirekt vor Krebs, denn wird die Infektion chronisch, erhöht sich das Risiko für Leberkrebs.

Insgesamt finde ich die Rechner hilfreich, um die eigenen Gewohnheiten zu reflektieren und Ansatzpunkte zu bekommen, wie man sein individuelles Krebsrisiko senken kann. Sein Risiko zu minimieren, lohnt sich in jedem Fall. Wichtig ist mir allerdings: Ein gesunder Lebensstil kann das Krebsrisiko zwar senken, garantiert aber leider nicht, dass es einen niemals erwischt. Es gibt Menschen, die trotz ungesunder Gewohnheiten nie an Krebs erkranken, und andere, die sich an jede Gesundheitsempfehlung halten und ihn dennoch bekommen. Schuld daran ist niemand, das ist eben das Lotto des Lebens. 

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