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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Das mathematische Geheimnis der Rosen

Mit Geometrie lässt sich die Form von Blütenblättern erklären – nur Rosenblüten blieben lange rätselhaft. Wie kommen sie zu ihrer unvergleichbaren Pracht? Fachleute haben nun eine Antwort gefunden.
Rosa Rosen mit roten Rändern sind gleichmäßig auf einem hellblauen Hintergrund angeordnet. Die Rosen sind in einem regelmäßigen Muster verteilt, was ein Gefühl von Symmetrie und Ordnung vermittelt. Es gibt keine zusätzlichen Texte oder Links im Bild.
Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen bis hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Auch wenn sie durchaus schön anzusehen sind, gehören Rosen nicht zu meinen Lieblingsblumen. Zu klischeehaft und romantikbehaftet. Da lobe ich mir doch einen unverwüstlichen Kaktus, eine Fleisch fressende Pflanze oder eine Hipster-Monstera, die natürlich in keiner Wohnung mit Japandi-Look fehlen darf. Aber nachdem ich von den im Mai 2025 veröffentlichten Forschungsergebnissen der Arbeitsgruppe um den Physiker Eran Sharon von der Hebräischen Universität in Jerusalem gehört habe, denke ich darüber nach, meine Einstellung zu Rosen zu ändern. Denn aus mathematischer Perspektive sind die Blumen schon ziemlich cool – zumindest ihre Blütenblätter.

Häufiger stößt man im Internet auf Videos, in denen erklärt wird, dass die Anordnung von Blütenblättern einer Pflanze mit dem goldenen Schnitt oder den Fibonacci-Zahlen zusammenhängt. Botanik und Mathe scheinen dann auf tiefster Ebene miteinander verbunden. Der Grund ist nicht, dass die Natur eine besondere Liebe für Mathematik hätte, sondern: Wenn die Blätter einen irrationalen Winkel miteinander einschließen, nehmen sie sich gegenseitig am wenigsten Sonnenlicht weg. Denn ein irrationaler Abstand garantiert, dass sich kein Blütenblatt direkt über einem anderen befindet.

Solche Erkenntnisse faszinieren Mathematikerinnen und Physiker seit Jahrzehnten, weshalb sie sich das Wachstum von Pflanzen genauer angesehen haben. Wie lässt sich beispielsweise die krause Blattform von Lollo Rossa erklären? Weshalb biegt sich eine Karotte, wenn man sie längs durchschneidet? Derartige Fragen sind ganz einfach mit ein wenig Mathematik und Physik zu beantworten. Aber die Blüten von Rosen gaben der Fachwelt lange Rätsel auf.

Unregelmäßiges Wachstum führt zu Spannung

Die Form eines Blatts wird durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst: die Geschwindigkeit des Wachstums, das Material und die Umgebung. Wächst zum Beispiel der Rand eines Blatts schneller als sein Inneres, kann das zu einer gekräuselten oder gewellten Form führen – so wie bei Lollo-Salat. Bei der Karotte ist es dagegen umgekehrt: Das Innere des Gemüses wächst schneller als das Äußere, wegen der festen Struktur behält sie aber in der Regel eine gerade Form bei. Viertelt man das Gemüse entlang der Längsachse, biegt sich dann das Innere der Stücke nach außen. Das macht den Druck sichtbar, der innerhalb der Karotte geherrscht hat.

Rosenblüten unterscheiden sich jedoch von anderen Blütenformen. Sie sind nicht einfach nur gewellt oder gekrümmt, sondern weisen schon fast dreieckige Spitzen auf. Solche nichtglatten Segmente sieht man bei Blüten sonst nicht. Und das warf in der Mathematik Fragen auf: Was unterscheidet Rosenblüten von den Sprossen anderer Pflanzen?

Rosen | Die äußeren Blütenblätter weisen teilweise mehrere Spitzen auf. Diese Form versuchen Fachleute zu erklären.

Um das herauszufinden, haben die Fachleute um Sharon Rosenblüten zerschnitten, theoretische Modelle ersonnen, Computersimulationen erstellt und Experimente mit Gummiflächen durchgeführt. Und wie sie herausfanden, hat die Blütenform bei Rosen eine völlig andere geometrische Ursache als bei anderen Pflanzen.

Eine inkompatible Geometrie

Die Kräuselungen von Blütenblättern lassen sich nämlich auch mathematisch erklären: Durch das unterschiedlich schnelle Wachstum »möchte« sich ein Blütenblatt krümmen, doch äußere Faktoren lassen das nicht zu – beispielsweise, weil das Gewebe nicht elastisch genug ist. Es ist, als wollte man eine Kugeloberfläche auf einer Ebene glatt ziehen – das ist einfach nicht möglich. Eine solche »Gauß-Inkompatibilität« führt zu mechanischen Spannungen, die so gut wie alle Blütenformen hervorbringt.

Allerdings kann die Gauß-Inkompatibilität nur glatte und periodische Muster erklären; das wussten auch die Forschenden um Sharon. Die Form von Rosenblättern ist aber weder periodisch noch glatt: Es gibt vereinzelte Stellen, an denen eine Spitze entsteht. Um das zu verstehen, schnitten die Fachleute die Blütenblätter zunächst in feine Streifen – einmal entlang der horizontalen und einmal entlang der vertikalen Achse. Damit wollten sie den mechanischen Druck sichtbar machen, der auf die Blüten wirkt, ähnlich wie bei der Karotte.

Die Längsstreifen der Rosenblüten rollten sich tatsächlich auf, was darauf hindeutet, dass sich das Blütenblatt bevorzugt in diese Richtung krümmt. Entlang der waagerechten Richtung geschnitten, blieben die Blattsegmente allerdings unverändert liegen. Das heißt, das Blütenblatt besitzt eine Art kegelförmige Struktur, was mit einer flachen Geometrie kompatibel ist und daher keine inneren Spannungen erzeugen sollte. Denn: Ein ebenes Blatt Papier lässt sich problemlos zu einem Kegel oder einem Zylinder aufrollen. Ein Rosenblatt lässt sich also prinzipiell auf eine flache Oberfläche auftragen; das bestätigt, dass es nicht die Gauß-Inkompatibilität ist, welche die seltsame Blütenform verursacht. Aber was ist es dann?

In der Mechanik und bei industriellen Herstellungsprozessen widmet man sich ähnlichen Fragestellungen. Schließlich ist es wichtig zu wissen, ob ein erzeugtes Bauteil innere Spannungen aufweist und brechen könnte. Neben den Gauß-Gleichungen, die berücksichtigt werden müssen, gibt es noch weitere: die Mainardi-Codazzi-Peterson-Gleichungen. Diese besagen unter anderem, dass der Normalenvektor (der Vektor, der senkrecht auf der Oberfläche steht) eindeutig definiert sein muss. Und wie das Team um Sharon herausfand, ist das bei Rosenblüten nicht der Fall. Damit enthalten auch sie eine geometrische Inkompatibilität, allerdings eine andere als die übrige Blütenwelt.

Man kann sich das Ganze so vorstellen, als würde man ein Tortenstück aus einem Tortendiagramm herausschneiden. Diese Form entspricht grob einem Blütenblatt. Nun will sich die linke Seite des Tortenstücks aufrollen, die rechte aber auch – und zwar auf unterschiedliche Weise. Dadurch entsteht im Kreissegment eine Stelle, an der sich die Spannung sammelt. Und das führt dazu, dass sich dort eine Spitze ausbildet. Das Ganze kann sogar an mehreren Stellen passieren, wodurch mehrere Spitzen entstehen.

Diesen Mechanismus, der in der Natur zuvor noch nie beobachtet wurde, konnte die Forschungsgruppe um Sharon mit Computersimulationen und Experimenten bestätigen. Das Team kann zwar nicht ausschließen, dass es auch andere natürliche Prozesse gibt, in denen eine Mainardi-Codazzi-Peterson-Inkompatibilität auftritt. Bislang sind Rosenblüten allerdings das einzig bekannte Beispiel dafür.

Und das macht Rosen doch irgendwie einzigartig. Ich bin mir aber noch unsicher, ob das reicht, um mich von dem Gewächs zu überzeugen. Zuvor hatte ich mir noch nie die Frage gestellt, warum Blumen und insbesondere ihre Blüten so aussehen, wie sie aussehen. Somit habe ich den Rosen neue Einblicke in die Mathematik zu verdanken – und weiß sie deswegen nun etwas mehr zu schätzen. Und das sagte bereits der Physiker Richard Feynman voraus: Wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer Blüte schmälern deren Schönheit nicht, sondern vergrößern vielmehr die Freude daran.

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