Freistetters Formelwelt: Wie lässt sich die Energie unseres Körpers nutzen?

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Zugegeben, das Wort »Schuhenergie« habe ich mir ausgedacht. Im Energiemix der Welt spielt sie keine Rolle. Man kann aber zumindest ausrechnen, wie viel Energie durch unsere Bewegung aus den Schuhen zu gewinnen ist, zum Beispiel mit dieser Formel:
Sie stammt aus der Arbeit »Human Generated Power for Mobile Electronics«, auf die ich durch Zufall gestoßen bin. Sie ist mehr als 20 Jahre alt; was man auch gleich direkt an der Einleitung merkt: »Tragbare digitale Musikplayer haben Kassetten- und CD-basierte Systeme ersetzt, und diese ›MP3-Player‹ entwickeln sich zu mobilen Speichern für Musikvideos, Filme, Fotos und persönliche Informationen wie E-Mails.« Diese »MP3-Player« haben mittlerweile schon wieder aufgehört zu existieren und sind durch Smartphones ersetzt worden.
Das grundlegende Problem, mit dem sich die Arbeit damals beschäftigte, bleibt allerdings: Unsere tragbaren elektronischen Geräte benötigen jede Menge Energie und müssen ständig geladen werden. Und warum – so die These der Forscher aus den USA – soll man dafür nicht die Energie verwenden, die unser Körper bereitstellt? Sie berechnen auf 30 Seiten, wie viel Energie aus der Körperwärme gewonnen werden könnte, aus der Bewegung, die beim Atmen entsteht, und untersuchen sogar, ob sich eventuell der Blutdruck als Energiequelle eignet.
Am faszinierendsten ist jedoch der Abschnitt mit dem Titel »March of Dynes: Power from Walking«. Mit piezoelektrischen Schuheinlagen könnten wir mit jedem Schritt Energie generieren. Dazu bräuchte es zuerst ein passendes piezoelektrisches Material: eines, das elektrische Spannung erzeugt, wenn es mechanischen Belastungen ausgesetzt ist. Dafür eignet sich, so die Arbeit, zum Beispiel Polyvinylidenfluorid, das sich in Schuhsohlen oder Einlagen einbauen ließe. Wie viel Energie man damit erzeugen kann, lässt sich mit der obigen Formel berechnen. Sie hängt von jeder Menge Materialkonstanten und der Größe der Einlage ab. Am Ende ergibt sie unter optimalen Bedingungen ein Ergebnis von 2,5 Watt. Das klingt viel versprechend. Leider ist die Theorie allerdings nie so gut wie die Praxis. Experimente mit echten Piezoschuhen haben eine deutlich niedrigere Energiemenge geliefert – zu wenig, um damit ein Smartphone oder auch nur einen alten MP3-Player zu laden.
In der Praxis schwierig
Die Arbeit der Forscher ist dennoch eine faszinierende Lektüre. Man sieht dort zum Beispiel die Abbildung eines am MIT entwickelten Prototyps, der an einem Schuh montiert werden kann, um die vertikale Bewegung der Ferse beim Gehen in eine Drehbewegung umzuwandeln, aus der ein Generator Energie gewinnt. Die Beschreibung von pneumatischen und hydraulischen Systemen ist nicht mit Abbildungen versehen, was ich sehr schade finde. Immerhin wird dort ein System beschrieben, das die DARPA, die Forschungsbehörde der US-Streitkräfte, untersucht hat: Bei jedem Kontakt der Ferse mit dem Boden wird eine hydraulische Blase zusammengedrückt. Die Veränderung des Drucks wird dann so durch ein Ventilsystem geleitet, dass ein Stück Blei-Zirkonat-Titanat mit einer ganz bestimmten Frequenz angeregt wird. Durch den Piezoeffekt wird dabei Strom erzeugt. Immerhin drei Watt lassen sich auf diese Weise mit einem Kubikzentimeter Blei-Zirkonat-Titanat pro Schuh erzeugen.
Trotzdem hat sich keines der Konzepte durchgesetzt, der E-Schuh bleibt in den Forschungseinrichtungen und ist nicht in den Geschäften zu finden. Vermutlich wäre es aber auch nicht sonderlich attraktiv, wenn man regelmäßig die Schuhe ausziehen müsste, um das Handy daran anstecken zu können.
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