Freistetters Formelwelt: Wie Teilchen aus dem Nichts entstehen
Es gibt eine mathematische Formel, die vermutlich die meisten Menschen kennen. Sie hat sich mittlerweile fast schon zum Archetyp einer wissenschaftlichen Gleichung entwickelt: Albert Einsteins berühmte Erkenntnis, dass Masse und Energie nur zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen desselben Phänomens sind, ausgedrückt durch die Symbole E = mc2.
Im Gegensatz dazu wird die folgende Formel vermutlich nicht so schnell in einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden, obwohl sie mit einem ähnlichen Phänomen zu tun hat:
Sie stammt von dem US-amerikanischen Physiker Julian Seymour Schwinger, der sie 1951 aufgestellt hat. Schwinger war einer der führenden Forscher in der Quantenmechanik; für seine Arbeit auf dem Gebiet der Quantenelektrodynamik hat er 1965 gemeinsam mit Richard Feynman und Shin'ichirō Tomonaga den Nobelpreis für Physik erhalten. In ihrer Forschung widmeten sie sich der Frage, wie Licht und Materie miteinander wechselwirken. Und hier stießen die Physiker auf die obige Formel.
Es geht dabei um die Erzeugung von »Schwinger-Paaren«, also Paaren aus Elektronen und Positronen (den Antiteilchen der Elektronen). Materie und Antimaterie können sich gegenseitig auslöschen, wodurch nur Strahlung mit einer Energie entsteht, die der Masse der beiden Teilchen entspricht. Umgekehrt ist es aber auch möglich, dass Energie direkt in Masse umgewandelt wird, dass also ein Teilchen und sein Antiteilchen aus einem Photon mit ausreichend viel Energie entstehen. Diese »Paarbildung«, deren grundlegende Physik aus Einsteins Formel E = mc2 folgt, ist bei Experimenten schon oft beobachtet worden. Etwas anders sieht es bei dem Phänomen aus, das durch Schwingers Formel beschrieben wird.
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Es geht dabei um die spontane Erzeugung von Elektronen und Positronen in Anwesenheit eines elektrischen Feldes. Vereinfacht gesagt: Ist die elektrische Feldstärke groß genug, dann entstehen Elektronen und Positronen quasi aus dem Nichts. Die Naturgesetze werden trotzdem eingehalten. Die Energie, die zur Erzeugung des Teilchenpaares nötig ist, stammt aus dem elektrischen Feld, das dadurch geschwächt wird. Auch die anderen Erhaltungssätze der Physik werden durch den Prozess nicht verletzt.
In der Formel beschreibt Γ die Erzeugungsrate von Schwinger-Paaren pro Volumeneinheit. Sie hängt von diversen Naturkonstanten ab und natürlich von der elektrischen Feldstärke E. Die ist auch das zentrale Problem an der ganzen Angelegenheit. Julian Schwinger hat die mathematische Beschreibung des Phänomens 1951 geliefert, der österreichische Physiker Fritz Sauter hatte aber schon 1931 die Idee zu diesem Effekt. Dazwischen und danach ist immer wieder probiert worden, die spontane Entstehung von Materie aus einem elektrischen Feld nachzuweisen.
Ein Blick in den Himmel
Die Formel zeigt, dass die Erzeugungsrate exponentiell abnimmt, wenn die Feldstärke unterhalb einer gewissen Grenze liegt. Diese »Schwinger-Grenze« beträgt m2c3/eħ (mit der Elektronenmasse m) und entspricht einer Feldstärke von etwa 1000 Petavolt pro Meter. Das liegt außerhalb unserer technischen Möglichkeiten und deswegen ist ein direkter Nachweis der Bildung von Schwinger-Paaren in einem elektrischen Feld noch nicht geglückt.
Aber vielleicht klappt es indirekt: Der Schwinger-Effekt spielt auf den großen Skalen der Astronomie eine Rolle, zum Beispiel, wenn ein Schwarzes Loch entsteht und dabei ein Gammablitz frei wird. Könnte man diese Phänomene ausreichend genau beobachten, ließe sich vielleicht auch die Schwinger-Paarbildung nachweisen – und wir kämen der Antwort auf die Frage nach der Entstehung aus dem Nichts ein kleines bisschen näher.
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