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Klimawandel: Wie viel Klimaschutz braucht der Mensch?

Nicht mehr als 2 Grad Celsius sollen die Temperaturen steigen, hat die Weltgemeinschaft auf der Klimaschutzkonferenz beschlossen. Worauf basiert diese Grenze?
Schützenswerter Planet
Spätestens seit der 15. Internationalen Klimakonferenz (Conference of the Parties, COP15) in Cancún im Dezember 2010 gibt es eine offizielle Antwort auf die Frage, wie viel Klimaschutz die Menschheit brauchen könnte: Die zukünftige Erderwärmung soll im globalen Mittel einen Betrag von 2 Grad Celsius (verglichen mit der Zeit vor der Industrialisierung ab 1880) nicht überschreiten, um einen gefährlichen Einfluss des Menschen auf das Erdklima zu vermeiden. Wie aber kommt diese konkrete Wert zu Stande – und was ist eigentlich unter "gefährlich" zu verstehen?

Bei näherer Betrachtung ist dieser Schwellenwert jedenfalls nicht willkürlich, seine Entstehung muss jedoch kritisch hinterfragt werden. Er basiert auf einer wissenschaftlichen und einer politischen, wenn nicht sogar psychologischen Grundlage: Auf der einen Seite legen Klima- und Gletschermodelle nahe, dass bei einer Erwärmung bis maximal 2 Grad Celsius im weltweiten Durchschnitt der grönländische Eisschild langfristig stabil bleibt. Ein vollständiges Abschmelzen des grönländischen Eisschilds ginge dagegen mit einem Meeresspiegelanstieg von zirka sieben Metern einher, was es auf Grund der dichten Besiedlung der Küstenregionen auf unserem Planeten unbedingt zu verhindern gilt.

Auf der anderen Seite argumentieren verschiedene Energie- und Agrarexperten, dass wir das 2-Grad-Ziel mit vertretbaren Kosten und ohne empfindliche sozioökonomische Einschnitte auch rechtzeitig erreichen könnten, wenn wir nur wollten. Damit ist das Nichtüberschreiten dieses Schwellenwerts zwar eine große gesellschaftspolitische Herausforderung, aber prinzipiell realisierbar. Es wird sozusagen unser Sportsgeist angesprochen.

Reaktionen auf den Klimawandel | Nicht stärker als 2 Grad Celsius sollen die Temperaturen durch den Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten steigen – eine Zahl, die recht willkürlich festgelegt wurde: Sie basiert auf der Stabilität des grönländischen Eisschilds. Andere Natur- und Wirtschaftskomponenten reagieren bereits früher auf steigende Temperaturen.
Während es grundsätzlich vernünftig ist, sich nur realisierbare Ziele zu stecken, muss das 2-Grad-Ziel aus wissenschaftlicher Sicht allerdings kritisch hinterfragt werden. Zunächst bezieht sich dieser Schwellenwert nur auf die Stabilität des grönländischen Eisschilds: Er zielt also darauf ab, den Meeresspiegelanstieg einzudämmen. Daneben existieren aber noch viele weitere Ausprägungen des Klimawandels, etwa beim Niederschlag oder bei extremen Wetterereignissen. Sie führen bereits bei deutlich geringeren globalen Temperaturerhöhungen zu dramatischen ökologischen und gesellschaftlichen Veränderungen und schränken auf regionaler Ebene die Lebensbedingungen nachhaltig ein (siehe Grafik).

Dies gilt beispielsweise für die Artenvielfalt auf der Erde, die schon auf Erwärmungsraten unterhalb von einem Grad Celsius empfindlich reagiert – ein Prozess, der angesichts der bereits eingetretenen Erwärmung von etwa 0,8 Grad Celsius gegenüber 1880 in vollem Gange ist. Der Festlegung eines Temperaturschwellenwerts wohnt also eine sehr einseitige Betrachtung des mehrdimensionalen Klimasystems inne.

Zudem basiert das 2-Grad-Ziel auf der Annahme, dass die heutigen Klimamodelle die Sensitivität des grönländischen Eisschilds korrekt abbilden. Nun stellen solche Modelle aber nur ein vereinfachtes Abbild der Realität dar. Einige Prozesse im Klimasystem sind noch nicht vollständig verstanden wie beispielsweise die diversen positiven (destabilisierenden) und negativen (stabilisierenden) Rückkopplungen zwischen Atmosphäre, Ozean, Eis und Biosphäre. Mit zunehmender Berücksichtigung dieser Rückkopplungen könnte es sich zumindest im Modell ergeben, dass bereits eine geringere Erwärmung als um 2 Grad Celsius mit einem Abschmelzen des grönländischen Eisschilds einhergeht.

Und schließlich tragen Klimamodelle auch noch nicht allen Komponenten der menschlichen Klimabeeinflussung Rechnung. Beispiele sind die weit reichenden Landnutzungsänderungen in den niederen Breiten und die Aerosole wie Ruß, die bei unsauberen Verbrennungsvorgängen entstehen und mancherorts größere Klimaänderungen auslösen können als steigende Treibhausgaskonzentrationen.

Unter Annahme der so genannten Klimasensitivität – sie beschreibt den Zusammenhang zwischen atmosphärischer Treibhausgaskonzentration und Temperaturanstieg und kann ebenfalls nur mit einer gewissen Unsicherheit aus Modellen abgeleitet werden – lassen sich die Konzentrations- und Emissionsverläufe für das 21. Jahrhundert berechnen, die zur Erreichung des 2-Grad-Ziels bestenfalls erlaubt sind: Die entsprechenden Emissionsmengen pro Kopf müssten demnach bis 2020 um 36 Prozent, bis 2050 um 73 Prozent und bis 2100 um 90 Prozent gegenüber dem Referenzwert von 1990 reduziert werden.

Diese Zielvorgaben stellen uns vor immense gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und technologische Herausforderungen. Und selbst dann könnten wir den 2-Grad-Schwellenwert überschreiten. Wir müssen uns also mit dem umfassenden gesellschaftlichen Paradigmenwechsel zu Gunsten des Klimaschutzes beeilen, sonst bleibt uns nur noch die Anpassung – ein Prozess, der im Fluss der Evolution viele Verlierer kennt.

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