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Freistetters Formelwelt: Wie viel Schrott macht dieser Satellit?

Das Müllproblem reicht bis in die Erdumlaufbahn. Doch wie viel ein einzelner Satellit dazu beiträgt, ist sehr unterschiedlich. Doch man kann es berechnen.
Links die Erde, angeschnitten, rechts haufenweise Trümmerstücke, von denen hier unrealistisch viele auf unrealistisch engem Raum durch den Weltraum schweben.

Als Astronom mache ich mir Sorgen um die Lichtverschmutzung. Aber auch als Mensch finde ich es eine Schande, dass wir den Himmel nicht mehr so sehen können, wie er eigentlich ist. Über Jahrtausende hinweg hat uns der nächtliche Anblick von Sternen und Milchstraße inspiriert und beeinflusst. Unsere Mythen, unsere Religionen, Kunst, Kultur und Wissenschaft: All das verdanken wir zum Teil dem Himmel, den wir nun kaum noch sehen können. Das verwaschene Grau mit der Hand voll an Lichtpunkten, das wir von den dicht besiedelten Gebieten der Erde aus beobachten können, hat nichts mit dem atemberaubenden Sternenhimmel zu tun, der die Menschheit von Anfang an begleitet hat.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Verantwortlich für die Lichtverschmutzung ist das Licht, das wir hier unten auf der Erde produzieren und sinnlos in den Himmel strahlen, anstatt das zu beleuchten, was eigentlich beleuchtet werden soll. Eine Studie vom Mai 2021 hat aber festgestellt, dass auch Lichtreflexionen an Satelliten und Weltraumschrott dazu beitragen, den Nachthimmel aufzuhellen. Es ist ein Teufelskreis: Je mehr künstliche Himmelskörper wir in eine Erdumlaufbahn schicken, desto mehr Müll entsteht dort auch. Mittlerweile wird intensiv daran geforscht, wie man den Schrott wieder loswerden kann. Um dieses Problem sichtbarer zu machen, haben Forscherinnen und Forscher 2018 diese Formel entworfen:

Es handelt sich um den Vorschlag für einen »Debris Index«, also eine Kennzahl, mit der man beschreiben kann, wie groß das Schrottpotenzial künstlicher Himmelskörper im Weltall ist. Als Vergleich hat man in der Arbeit die Energieeffizienzklassen für Elektrogeräte gewählt, die wir mittlerweile alle gut aus dem Alltag kennen. Je nach Energieverbrauch wird einem Gerät eine Klasse zwischen »A« (grün, sehr effizient) und »G« (rot, wenig effizient) zugewiesen.

Wie viel Schrott pro Satellit?

Im Fall der Satelliten geht es aber nicht so sehr um den Energieverbrauch, sondern um die Frage, ob und wie viel Weltraumschrott sie unter Umständen produzieren können. Der entsteht vor allem dann, wenn der Satellit (oder das Raumfahrzeug) explodiert oder mit einem anderen Objekt kollidiert. Die Wahrscheinlichkeiten dafür sind in der Formel mit pe und pc angegeben; der Effekt des jeweiligen Ereignisses wird mit ee und ec beziffert.

Die Details sind naturgemäß komplex. Ob und in wie viele Teile ein Satellit etwa bei einer Kollision auseinanderbricht, hängt nicht nur von den Umlaufbahnen der beteiligten Objekte und der Geschwindigkeit des Zusammenstoßes ab, sondern vor allem davon, wie und woraus er konstruiert worden ist. Eine Rakete wird eher explodieren als die ausgesetzte Nutzlast, und die Chance auf eine Explosion sinkt, je länger sich ein Objekt schon im All befindet. Die Bewegung von Satelliten und damit die Wahrscheinlichkeit für eine Kollision kann von Sonnenstürmen beeinflusst werden oder von nicht gravitativen Kräften wie dem Strahlungsdruck.

Die konkrete Berechnung des »Debris Index« ist also unter Umständen schwer durchführbar. Aber dass es eine neue Sicht auf die Vorgänge im erdnahen Weltraum braucht, ist unbestritten. Private Firmen sind derzeit dabei, »Megakonstellationen« aufzubauen, die aus mehreren zehntausend Satelliten bestehen sollen. Das wird nicht nur die wissenschaftlichen Beobachtungen stören, sondern auch Auswirkungen auf das Problem des Weltraummülls haben.

Auf der Erde haben wir uns weitestgehend darauf geeinigt, nicht alles zu machen, was gemacht werden kann, und nicht alle Ressourcen auszubeuten, die man ausbeuten könnte. Auch der Weltraum ist eine Ressource. Für die Wirtschaft ebenso wie für die Inspiration und Träume der Menschen. Wir sollten uns gut überlegen, was wir damit anstellen, bevor wir den Anblick des Nachthimmels unwiderruflich zerstören.

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