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Storks Spezialfutter: Wildnis gerne, aber doch nicht bei uns!

Kritik an Ländern wie Brasilien ist leicht, selbst etwas für die unberührte Natur zu tun, eher nicht so: Das selbst gesteckte Ziel, mehr Wildnis zu schaffen, hat die deutsche Umweltpolitik gerade krachend verfehlt.
Nase eines Nutrias

In Brasilien hat wieder einmal der Urwald gebrannt. Das tut er schon seit Jahrzehnten. Aber lange war es nicht mehr so schlimm wie im Jahr 2019. Präsident Jair Bolsonaro verhält sich wie die Axt im Walde. Seit seinem Amtsantritt im Januar 2018 beschleunigt sich die Zerstörung des Amazonas. Allein im August 2019 wurden dreimal so viele Bäume abgeholzt und verbrannt wie im selben Monat des Vorjahres. Auf den abgebrannten Flächen werden wahrscheinlich bald Rinder weiden. Damit lässt sich auf dem Weltmarkt deutlich mehr Geld verdienen als mit einem intakten Urwald.

Die internationale Gemeinschaft hat also alles Recht dazu, besorgt zu sein und den Präsidenten an seine Verantwortung für das Weltklima zu erinnern. Dass der zurückkeilt und den Europäern empfiehlt, doch bitte schön ihre Länder erst einmal selbst wieder aufzuforsten – geschenkt. Für die Populisten dieser Welt ist Angriff immer die beste Verteidigung, egal wie hanebüchen die Argumente sind. Die Zustände Deutschlands lassen sich natürlich kaum mit denen am Amazonas vergleichen. Die ersten Rodungen fanden bei uns bereits vor Tausenden von Jahren statt. Das ganze Land ist schon lange flächendeckend besiedelt, die Einwohnerdichte fast zehnmal so hoch. In unserer durchgeformten Kulturlandschaft müssten wir die Wildnis erst einmal schaffen, bevor wir sie abholzen könnten.

Apropos – war da nicht mal was? Hatte Deutschland sich nicht dazu verpflichtet, die wilden Flecken wachsen zu lassen? In der »Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt« hatte die Bundesrepublik 2007 die Zielmarke von zwei Prozent Wildnisfläche bis zum Jahr 2020 ausgegeben. Außerdem sollten sich fünf Prozent der Wälder natürlich entwickeln können. Passiert ist seitdem kaum etwas: Nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz liegt der Wildnisanteil in Deutschland aktuell bei etwa 0,6 Prozent der Landesfläche. Das sind gerade einmal 30 Prozent der angepeilten Fläche, es fehlen etwa 700 000 Hektar. Ähnlich wie beim Klimaschutz oder dem in der Wasserrahmenrichtlinie verankerten Gewässerschutz werden die selbst gesteckten Ziele also krachend verfehlt.

Das Wildnisgebiet in Deutschland müsste sich verdreifachen

Das liegt zum einen daran, dass die Ausweisung von Naturschutzflächen Ländersache ist: Der Bund hat ein Ziel ausgegeben, dessen Erreichen nur zum Teil in seinen Händen liegt. Vor allem aber geht es wie immer ums Geld. »Die Umweltverbände setzen sich schon lange für die Schaffung eines Wildnisfonds ein. In diesem Jahr hat es endlich geklappt«, sagt Till Hopf, Leiter des Teams Naturschutz und Landnutzung beim Naturschutzbund NABU. Erstmalig stellt der Bund zehn Millionen Euro für den Erwerb von Wildnisflächen zur Verfügung. Bis auf Weiteres soll das Geld jedes Jahr ausgezahlt werden.

Ob es verfällt, wenn es in einem Jahr nicht abgerufen werden kann, weil nicht genügend Flächen zum Verkauf stehen, ist unklar. Außerdem wird es mit nur zehn Millionen Euro pro Jahr sehr lange dauern, bis überhaupt genügend Wildnisflächen gekauft sind, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Auch deshalb hatten die Naturschutzverbände auf die Zahlung eines einmaligen Betrags in Höhe von etwa 500 Millionen Euro gehofft. Ziemlich viel Geld einerseits. Andererseits genau der Betrag, den Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf dem jüngsten Waldgipfel als Soforthilfe für den gestressten Wald aus dem Ärmel geschüttelt hat. Eine wichtige Investition, auch zur Anpassung an den Klimawandel, aber ebenso eine ordentliche Finanzspritze für den Wirtschaftswald. Genau wie in Brasilien haben die Interessen der Land- und Waldbesitzer hier deutlich mehr Gewicht als der Naturschutz.

Die zwei Prozent Wildnis in Deutschland werden irgendwann kommen. Nicht 2020, wahrscheinlich noch nicht einmal 2030. Sie werden sich aus den Kernzonen der Nationalparks, aus ehemaligen Truppenübungsplätzen, Bergbaufolgelandschaften und großen Waldgebieten im Besitz des Bundes und der Länder zusammensetzen. Anders als der Amazonasregenwald können die Flächen die Klimaerwärmung nicht wirklich beeinflussen. Und doch sollte Deutschland seine eigenen Vorgaben endlich einmal erfüllen. Denn mit welchem Recht können wir von Brasilien den Schutz des Regenwaldes fordern, wenn wir es in unserem Wohlstandsland noch nicht einmal hinbekommen, für ein bisschen Geld eine winzige Landesfläche für die Natur zu erhalten?

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