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In Bestform: Ist Sport bei Kälte gefährlich?

»Auch im Winter ist praktisch alles möglich«, sagt Christine Joisten von der Sporthochschule Köln. Allerdings sollte man bei Minusgraden ein paar Dinge beachten, wie die Medizinerin in diesem Interview erklärt.
Eine Joggerin dehnt sich auf einem verschneiten Weg

Schon beim Türöffnen schlägt einem ein eiskalter Wind entgegen. Schnell wieder aufs Sofa? Oder trotzdem loslaufen? Im Winter fällt es vielen Menschen schwerer als sonst, sich zum Sport zu motivieren. Eine Ausrede ist schnell gefunden: Es ist einfach zu kalt. Aber ist es tatsächlich ungesund, bei Minusgraden zu trainieren? Kann sich unser Körper daran gewöhnen? Und worauf sollte man achten, wenn man im Winter draußen trainiert? Christine Joisten von der Sporthochschule Köln weiß Rat.

»Spektrum.de«: Frau Professor Joisten, bis zu welcher Temperatur kann man bedenkenlos draußen laufen gehen?

Das ist schwer zu sagen. Ab unter 10 Grad Celsius spürt man die Windgeschwindigkeit. Von da an ist also die Frage: Wie stark bläst der Wind, und wie empfinde ich die Temperatur auf der Haut? Das kann von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich sein, sollte aber immer mit berücksichtigt werden. Das macht es so schwierig, da eine genaue Gradzahl anzugeben. Allgemein gilt: Je niedriger die Lufttemperatur, desto größer ist der Unterschied zur Atemtemperatur – und damit die Anstrengung für den Körper. In der Literatur wird meist empfohlen, bei unter minus 10 Grad Celsius nicht mehr draußen zu trainieren. Unter minus 20 Grad Celsius sollen auch keine Wettkämpfe mehr ausgetragen werden. So kalt ist es bei uns ja sehr selten, darum würde ich sagen: Auch im Winter ist praktisch alles möglich. Wenn man sich zum Beispiel Polarforscher anschaut, wird deutlich, wie viel unser Körper aushalten kann.

Welche Faktoren bestimmen mit, wie gut man mit der Kälte klarkommt?

Christine Joisten | Die Sportmedizinerin leitet die Abteilung für Bewegungs- und Gesundheitsförderung am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft an der Sporthochschule Köln. Außerdem ist sie Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP).

Letztlich hängt das stark vom Gesundheits- und Trainingszustand einer Person ab. Auch die Körperkomposition spielt eine Rolle: Wer mehr Fett hat, spürt die Kälte weniger. Generell kann man sich an ein Training bei sehr niedrigen Temperaturen gewöhnen, aber man sollte sich langsam herantasten. Wie das genau aussehen sollte, ist bisher leider kaum untersucht worden. Ein Positionspapier der amerikanischen Gesellschaft für Sportmedizin (American College of Sports Medicine) von 2006 fasst die damalige Forschungslage recht gut zusammen. Dort steht zum Beispiel, dass die Wärmeregulation ab einem Alter von 60 Jahren deutlich schwieriger wird. Auch Schlafmangel kann die Fähigkeit, die Körpertemperatur aufrechtzuerhalten, beeinträchtigen. Die Autoren weisen außerdem darauf hin, wie wichtig es ist, sich gut aufzuwärmen, um Verletzungen zu vermeiden.

Um welche Verletzungen geht es hier?

Im Wesentlichen werden Zerrungen und Verstauchungen genannt.

Und was ist mit der Lunge?

Durch die Kälte kühlen die Bronchien aus und ziehen sich zusammen. Vor allem bei Asthmatikern kann das zu einer so genannten belastungsinduzierten Bronchokonstriktion führen. Untersuchungen belegen, dass nordische Profisportler und -sportlerinnen, etwa in Skandinavien, häufiger von Belastungsasthma betroffen sind. Sie absolvieren natürlich auch enorme Intensitäten und Trainingsumfänge. Aber auch Menschen, die moderat trainieren, verspüren mitunter einen Hustenreiz, wenn sie die kalte Winterluft einatmen.

Wie lässt sich Muskelkater vermeiden? Wie viel sollten Sportler trinken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Biochemikerin Annika Röcker in ihrer Kolumne »In Bestform«. Mit Expertinnen und Experten aus der Sportmedizin diskutiert sie, was beim Sport im Körper vorgeht und wie ein gesundes Training aussieht.

Ja, das kenne ich. Wenn es sehr kalt ist, tut mir beim Laufen manchmal regelrecht die Lunge weh. Ist das schädlich?

Nicht wirklich, aber unangenehm. Um das zu vermeiden, sollte man versuchen, durch die Nase zu atmen. Dabei wird die Luft angewärmt und angefeuchtet. Klar ist: Je höher die Intensität, desto schwerer fällt es, nicht durch den Mund zu atmen. Neben der Atemtechnik sollte man daher auch die Belastung anpassen. Ein Schal oder Funktionstuch vor Mund und Nase kann ebenfalls helfen.

Wie sieht ansonsten die ideale Kleidung für den Sport im Winter aus?

Ich rate dazu, sich nach dem Zwiebelprinzip anzuziehen: lieber mehrere dünne Schichten anstatt einer dicken. Damit kann man sich besser an die Temperatur anpassen, etwa eine Schicht ablegen, wenn es zu warm wird. Starkes Schwitzen sollte man vermeiden, denn dadurch kühlt der Körper schneller aus und die Erkältungsgefahr steigt. Sehr wichtig sind außerdem Mütze und Handschuhe: Sind Kopf und Hände unbedeckt, geben wir über sie überproportional viel Körperwärme ab. In einer Studie wurde gezeigt, dass Wolle mehr Feuchtigkeit aufnimmt als Polyester und deshalb am Körper trockener bleibt. Andererseits trocknet Kleidung aus Polyester schneller, wenn sie einmal nass geworden ist. Ich würde sagen: Das ist vor allem Geschmackssache; man sollte das wählen, was angenehmer zu tragen ist. In jedem Fall sollte die Kleidung möglichst atmungsaktiv sein. Die Schuhe sollten die Füße warm und trocken halten, bequem sein und ein gutes Profil haben, so dass man nicht wegrutscht.

Sie haben vorhin schon den Faktor Luftfeuchtigkeit erwähnt. Die Winterluft ist ja meist nicht nur kalt, sondern auch sehr trocken.

Genau. Deshalb ist es sehr wichtig, dass man auch im Winter genügend trinkt. Zwar schwitzt man da naturgemäß weniger, der Flüssigkeitsverlust über die Schleimhäute wird aber oft vernachlässigt.

Und trockene Schleimhäute machen uns auch anfälliger für Krankheitserreger.

Richtig. Genau genommen ist es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die uns nach dem Sport anfälliger für Erkältungen machen, man bezeichnet das auch als »Open-Window-Effekt«. Damit wird vor allem der belastungsbedingt geringere Immunschutz beschrieben. Deshalb lautet die Devise: Nach dem Sport so schnell wie möglich ins Warme. Man kann eine warme Dusche nehmen, auch ein Saunagang wird empfohlen. Manche Experten raten deshalb von Intervalltraining ab. Wenn man kurz und intensiv trainiert, schwitzt man mehr und droht in den Pausen zwischen den Einheiten schneller auszukühlen. Sie empfehlen deshalb, lieber mehrmals über die Woche verteilt, langsamer und dafür länger zu trainieren.

Was bedeutet der Open-Window-Effekt im Sport?

Wenn man intensiv trainiert, schüttet der Körper Stresshormone aus, zum Beispiel Kortisol. Das unterdrückt das Immunsystem. Krankheitserregern wie Viren und Bakterien wird damit praktisch »ein Fenster geöffnet«, sprich: Man erkältet sich leichter. Wie lange dieser Effekt anhält, hängt von der Art der Belastung ab. Üblich sind 24 bis 48 Stunden; nach besonders intensiven Einheiten wie einem Marathonlauf kann es aber bis zu zwei Wochen dauern, bis sich die Aktivität des Immunsystems wieder auf einem normalen Niveau eingependelt hat. Insgesamt hat Sport einen positiven, regulativen Effekt auf das Immunsystem: Es wird darauf trainiert, angemessen auf Reize zu reagieren und nicht gleich überzuschießen.

Was heißt »lang«? Welche Trainingsdauer würden Sie empfehlen?

Das ist extrem individuell. Ich selbst laufe jeden Tag sechs Kilometer mit meinem Hund, dafür brauchen wir eine knappe Stunde, wir sind also beide echt langsam unterwegs (lacht). Grundsätzlich kommt es darauf an, wie gut man trainiert ist. Wenn man sich nach dem Sport gut fühlt, kann man ja versuchen, beim nächsten Mal länger zu trainieren. Und umgekehrt: Wenn es einem danach nicht gut geht, war es vielleicht zu viel. So kann man sich an die optimale Dauer herantasten. Um Krankheiten vorzubeugen, wird generell empfohlen, sich an mindestens fünf Tagen die Woche 30 Minuten zu bewegen, damit kommt man auf insgesamt 150 Minuten. Das ist aber sicherlich keine Sache, die man von null auf hundert – schon gar nicht im Winter – starten sollte. Kardiologen empfehlen Menschen, die sich sehr wenig bewegen, mit zehn Minuten pro Tag zu beginnen und die Dauer langsam zu erhöhen.

Im Winter läuft einem ja öfter mal die Nase. Kann man trotzdem Sport machen, oder muss man unbedingt pausieren?

Normalerweise gilt in der Sportmedizin die Faustregel: Wenn das Nasensekret durchsichtig und flüssig ist, kann man noch leicht bis allenfalls moderat Sport machen; ist es gelb-grünlich, sollte man es lassen. Natürlich ist das auch immer eine Intensitätsfrage. Eine lockere Laufrunde oder ein Spaziergang ist vielleicht noch drin; von einem intensiven Workout würde ich abraten. Ein fiebriges Gefühl oder Halskratzen sollte aber immer ein Warnzeichen sein. Menschen, die gerne Sport treiben, neigen leider häufig dazu, so etwas zu ignorieren. Auf Grund der Corona-Pandemie sind wir nun mehr dafür sensibilisiert und bleiben eher zu Hause. Ich würde empfehlen, dies generell zu übernehmen und sich zu beobachten. Wenn man sich am nächsten Tag besser fühlt, kann man langsam wieder starten. Ist es schlechter geworden, heißt es definitiv: weiter pausieren und sich gegebenenfalls testen.

Von Sportlerin zu Sportlern

Ihr Hund motiviere sie dazu, trotz Kälte und Dunkelheit nach draußen zu gehen, sagt Christine Joisten lachend. Der müsse auch raus, wenn sie überhaupt keine Lust dazu habe. Alternativ könne es helfen, feste Zeiten einzuplanen: immer montags und mittwochs um 18 Uhr oder morgens nach dem Aufstehen. Sich alles schon zurechtzulegen oder die Sportklamotten mit zur Arbeit zu nehmen, mache es einfacher, den inneren Schweinehund zu überwinden. Auch regelmäßige Verabredungen zum Sport mit Freunden verhindern, dass man gute Vorsätze schnell wieder über Bord wirft.

Was kann passieren, wenn man sich trotzdem stark verausgabt?

Es besteht das Risiko, dass sich eine Herzmuskelentzündung entwickelt. Die wird klassischerweise durch Viren verursacht. Im schlimmsten Fall kann sie zu einer Herzschwäche oder einer Herzrhythmusstörung führen. Unter Umständen kann das sogar tödlich ausgehen.

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