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Kommentar: Wissenschaftskommunikation als Sackgasse

Das Forschungsministerium möchte, dass Wissenschaftler künftig mehr mit der Öffentlichkeit kommunizieren. Das ist keine gute Idee. Denn die Öffentlichkeit braucht Orientierungswissen und nicht noch mehr Lautsprecher. Ein Kommentar.
Wer laut schreit, hat nicht zwangsläufig recht

Die Wissenschaft, sagt Anja Karliczek, muss mehr mit der Öffentlichkeit kommunizieren. Wie das praktisch aussehen kann, ließ die perfekt choreographierte PR-Kampagne rund um das neue Kredo der Ministerin für Wissenschaft und Forschung bereits erahnen: Das Bundesforschungsministerium (BMBF) veröffentlichte in der vergangenen Woche ein neues Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation. Die zuständige Ministerin erklärte im social-media-tauglichen Video und im Interview, was die Kernbotschaften des Papiers sind. Gleichzeitig räumte die Wochenzeitung »Die Zeit« der Ministerin eigens Platz ein, damit sie das unwidersprochen und von niemandem befragt noch einmal erzählen konnte.

Wer trotz dieses kaum übersehbaren Aufschlags von diesem neuen Ton in der Wissenschaftskommunikation nichts mitbekommen hatte, der bekam noch von der Kommunikationsplattform Wissenschaft im Dialog (WiD) erläutert, warum das Grundsatzpapier richtig, wichtig und rundum positiv zu bewerten ist. Eine Woche später schloss sich dann der Kreis. WiD veröffentlichte die neuesten Zahlen des Wissenschaftsbarometers, die wie der sprichwörtliche Deckel auf den Grundsatzpapiertopf passen. Drei von vier Deutschen, erfahren wir dort, wünschen sich von der Wissenschaft eine Einmischung in öffentliche Debatten.

Kommunikationsoffensive in der Kritik

Was könnte man angesichts dieser Faktenlage noch einwenden gegen Anja Karliczeks mit Verve vertretenes Diktum, dass in die Wissenschaftskommunikation ein »grundlegende(r) Kulturwandel« Einzug halten müsse, wie sie unlängst in einem Interview beschwor? Was soll schon schlecht am Plan der Ministerin sein, dass BMBF-Forschungsgelder künftig nur noch jene Wissenschaftler erhalten, die über ihre Forschung twittern, bloggen, slamen, youtuben oder sich bei langen Wissenschaftsnächten und Tagen der offenen Tür dem Publikum präsentieren?

Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung

Dass es auch eine andere Lesart gibt, legte die Welle der Kritik nahe, die dem Vorstoß seitens mancher Medien entgegenschlug: Die »FAZ« handelte Karliczeks Ambitionen unter der wenig schmeichelhaften Überschrift »Karliczek will Wissenschaftler zur Kommunikation zwingen« ab. Das mag man noch als weiteren Beleg der Skepsis deuten, die die »FAZ« der Ministerin immer wieder entgegengebracht hat. Doch auch auf Seiten der Kommunikationswissenschaft wie auch von Seiten des Wissenschaftsjournalismus gab es kritische Anmerkungen zu der Kommunikationsoffensive.

Es mag zunächst erstaunen, dass ein derart schmales Grundsatzpapier, das überdies in weiten Teilen Altbekanntes referiert, überhaupt so viele Reaktionen auslöst. Das mag auch daran liegen, dass es gemeinsam mit Karliczeks Äußerungen eine klare Strategie und Anspruchshaltung erkennen lässt, die alles andere als harmlos ist. Das Forschungsministerium will Forschern durch Ressourcensteuerung quasi eine Kommunikationspflicht auferlegen. Mehr noch: Es will das Wissenschaftssystem in die Verantwortung dafür nehmen, Fake News zu bekämpfen, der Vertrauenserosion gegenüber staatlichen Institutionen entgegenzuwirken und Wissenschaftsskeptiker zu bekehren.

Mit einem Drehen am Lautstärkeregler lässt sich die Akzeptanz der Wissenschaft nicht steigern

Es ist ja nicht so, als hätte die Wissenschaft in der Vergangenheit öffentlich vor allem geschwiegen. Die leidgeprüfte Wahrnehmung der Wissenschaftsjournalistin Kathrin Zinkant dürfte die Erfahrung vieler Kollegen widerspiegeln: Die Wissenschaftsorganisationen kommunizieren, was das Zeug hält und fluten Internet und E-Mail-Postfächer tagtäglich in einer Weise, die niemand mehr verarbeiten kann.

Warum dann noch mehr davon? Weil sich nur so, wie WiD-Geschäftsführer Markus Weißkopf erläutert, die »Grundlagen für eine wissenschaftsmündige Gesellschaft legen« lassen? Je mehr die Wissenschaft also über sich selbst redet, desto mündiger wird der Bürger?

Erhebliche Zweifel an dieser Theorie sind angebracht. Das Gegenteil könnte stimmen. Denn wer den Bürger kommunikativ überwältigt und mit Ich-Botschaften auf allen Kanälen flutet, dem geht es nicht primär um mündige Bürger, sondern um Präsenz in einem von immer mehr lauten Akteuren bespielten, von sozialen Medien revolutionierten öffentlichen Raum.

Dass das BMBF auf diese dramatisch veränderten, kompetitiven Kommunikationsräume in erster Linie mit einem kräftigen Drehen am Lautstärkeregler der Wissenschafts-PR antwortet, zeigt, wie unterkomplex die Wirklichkeitsanalyse an dieser Stelle ausfällt. Und dass Teile der Wissenschaftskommunikation das Aufstellen weiterer Lautsprecher durch das BMBF gar kritiklos begrüßt, zeugt von einer bedenklichen Entwicklung: Die Szene scheint sich im Dunstkreis einer Politik, die Wissenschaft zunehmend Verwertungslogiken von Märkten unterwirft, von der Frage entkoppelt zu haben, welchen Beitrag eine freie und unabhängige Wissenschaft für den öffentlichen Diskurs tatsächlich leisten kann.

Anja Karliczek ordnet Wissenschaft dem Zweck unter, die Innovationspipeline zu befüllen, an der unsere Volkswirtschaft hängt. Damit stellt sie auch die Kommunikation über Wissenschaft mittelbar unter die Kommandostrukturen eines Politikansatzes, der glaubt, die öffentliche Akzeptanz der Wissenschaft am Grad ihrer öffentlich dargelegten Nützlichkeit ausrichten zu können. Vor dieser Anspruchshaltung müsste gute Wissenschaftskommunikation die Wissenschaft eigentlich schützen, statt sich einseitig darüber zu freuen, dass das BMBF nun die Bedeutung der Wissenschaftskommunikation erkannt hat.

Der mündige Bürger möchte sicherlich nicht nur übersetzt bekommen, sondern erwartet auch Einordnung

Dazu passt, dass die Ministerin ihre Offensive letzten Endes auch als konstruktiven Beitrag des BMBF zu einer Gesellschaft zu verstehen scheint, die künftig ohne Wissenschaftsjournalismus und damit ohne seine kritische Einordnungsfunktion auskommen wird. Im Grunde antizipiert das Grundsatzpapier bereits die postjournalistische Gesellschaft. Für Karliczek ist Wissenschaftsjournalismus primär die »täglich große Übersetzungsleistung von der und für die Wissenschaft in die Gesellschaft«, wie sie in einem Interview sagte. Und wenn der Übersetzer bald nicht mehr übersetzen kann, dann ersetzt ihn eben die umfassend geförderte, selbst vermittelte Wissenschaftskommunikation im Dienste des Bürgers.

Der wahrhaft mündige Bürger freilich möchte sicherlich nicht nur übersetzt bekommen, sondern erwartet auch Einordnung: Wie bedeutend sind einzelne Neuigkeiten aus den Forschungslaboren wirklich? Welche Fehlentwicklungen gibt es? Welche Herausforderungen und Risiken bringt der wissenschaftliche Fortschritt mit sich? Und welche Reibungspunkte ergeben sich, wenn wissenschaftliche Evidenz andere Lösungen für gesellschaftspolitische Herausforderungen nahe legt, als die Politik zu akzeptieren bereit ist?

Da kann die Wissenschaftskommunikation noch so laut senden, noch so viele Wissenschaftsjahre und Bürgerdialoge initiieren: Sie wird aus systemimmanenten Gründen für diese Bruchlinien zwischen den divergierenden Systemlogiken einer Gesellschaft kein Sensorium entwickeln können. Dafür braucht es einen funktionsfähigen, unabhängigen Wissenschaftsjournalismus, der funktional durch niemanden ersetzt werden kann.

Dieser Wissenschaftsjournalismus aber ist, wie Anja Karliczek nach eigenem Bekunden auch weiß, in seiner Existenz bedroht. Ihre Antwort auf diese Bedrohung ist, ihn perspektivisch durch eine ausgeweitete Wissenschaftskommunikation zu kompensieren.

Wachsende Orientierungslosigkeit

Doch das wird lediglich ein weiterer Beitrag dazu sein, jene Probleme noch zu verschärfen, zu deren Bekämpfung das BMBF die Wissenschaft vorgeblich kommunikativ aufrüsten will: Wenn die Wissenschaft in erster Linie selbst kommuniziert, nach Logiken des von der Politik gewollten Wettbewerbs zwischen Forschungseinrichtungen, dann wird sie zunehmend als eine von vielen Parteien im öffentlichen Diskurs wahrgenommen werden, die in erster Linie ihre Partikularinteressen durchsetzen will.

Bezahlen wird all das am Ende der mündige Bürger – mit wachsender Orientierungslosigkeit. Er wird sich künftig in einem öffentlichen Kommunikationsraum bewegen, in dem er heillos umzingelt ist von Lautsprechern, die ihm Botschaften zurufen. Das wird die integre Wissenschaft ebenso tun wie die weniger integre – der Fall des Lungenarztes Dieter Köhler oder des angeblichen Krebsbluttestdurchbruchs an der Uniklinik in Heidelberg sind Vorboten dessen.

Aber auch Parteien, NGOs und Influencer aller Schattierungen werden ihre Megafone auspacken. Ebenso wie jene Demagogen, die öffentliche Kommunikation vor allem als Medium sehen, um Verunsicherung und Zweifel an allem zu säen, was nicht in ihr Konzept passt.

Nicht zuletzt wird dadurch auch die Wissenschaft selbst in die Schusslinie geraten – vom »Staatsfunk«-Vorwurf wird es für manche nur ein kleiner Schritt hin zur »Staatswissenschaft«-Anschuldigung sein. In einem solchen Raum kann man nicht obsiegen durch Lautstärke und Omnipräsenz, sondern durch Stärkung jener Kräfte außerhalb des eigenen Systems, denen mündige Bürger vertrauen, wenn sie sich unabhängig über die wissenschaftliche Evidenz in einem Thema informieren wollen. Allen voran ist das der unabhängige Wissenschaftsjournalismus.

Offenlegung: Spektrum der Wissenschaft ist Mitglied im Kuratorium des WPK-Berufsverbands. Die vom Autor vertretene Meinung entspricht jedoch nicht zwangsläufig der der Redaktion.

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