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Star-Bugs – die kleine-Tiere-Kolumne: Tödliche Fracht für Europas Zitrusbäume

Das Insekt überträgt Bakterien, welche die gefürchtete Citrus Greening Disease auslösen. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis er in Europas Süden auftaucht.
Eine kleine, detaillierte Nahaufnahme eines Insekts, das auf der Kante eines grünen Blattes sitzt. Das Insekt hat einen gemusterten Körper und durchscheinende Flügel. Der Hintergrund ist unscharf, was den Fokus auf das Insekt und das Blatt verstärkt.
Asiatische Zitrusblattflöhe gehören zu den am stärksten gefürchteten Pflanzenschädlingen der Welt.
Insekten und andere Wirbellose finden sich überall um uns herum, doch bis auf Schmetterlinge, Bienen und wenige andere Gruppen genießen sie geringe bis keine Achtung oder gar Sympathien. Dabei ist die Welt der Sechsbeiner und Co mehr als faszinierend. Ein genauerer Blick auf diese Welt der kleinen Tiere in unserer Natur lohnt also. Wir stellen regelmäßig besondere Stars aus diesem Universum vor.

Auch im Winter 2024/25 suchen Landwirte in Spanien, Portugal und Italien wieder besorgt ihre Orangen- und Zitronenbäume ab. Die Ernte ist in vollem Gang, zwischen Oktober und Februar ist Hauptsaison für Zitrusfrüchte. Ein kritischer Blick: Ist diese Frucht symmetrisch und rundum orangefarben? Sind auf dem Blatt gelbe Flecken oder doch nur Schattenspiele?

Vor allem aber halten sie Ausschau nach einem nur vier Millimeter kleinen Insekt, dem Asiatischen Zitrusblattfloh (Diaphorina citri). Das Insekt hat es auf Zitruspflanzen abgesehen. Seine ursprüngliche Heimat ist Südasien, mittlerweile hat es aber auch die tropischen und subtropischen Zitrusfruchtanbaugebiete in Afrika und Amerika erobert – mit verheerenden Folgen. Der Sprung nach Europa scheint also nur eine Frage der Zeit.

Wie alle Blattflöhe (Psylloidea) gehört auch der Asiatische Zitrusblattfloh zu den Pflanzenläusen (Sternorrhyncha). Rund 200 Arten gibt es in Mitteleuropa, und alle saugen an Blättern oder anderen Pflanzenteilen. Das stecken die meisten Pflanzen gut weg. Diaphorina citri allerdings kommt selten allein, das Insekt ist Überträger von gleich drei bakteriellen Krankheitserregern: Candidatus Liberibacter africanus (CLaf), americanus (CLam) und asiaticus (CLas). Diese wiederum verursachen die gefürchtete Citrus Greening Disease, auch Huanglongbing genannt.

Der Asiatische Zitrusblattfloh

Asiatische Zitrusblattflöhe (Diaphorina citri) können bis zu vier Millimeter groß werden. Der hellbraune, lang gestreckte Körper der Insekten erinnert an den einer Zikade und ist braun gesprenkelt. Die rötlich-braunen Augen sitzen seitlich am Kopf, direkt hinter zwei kurzen Antennen mit schwarzen Spitzen. Diaphorina citri springt und kann fliegen. Gute Voraussetzungen also, um sich zügig auszubreiten. Ausgewachsene Zitrusblattflöhe leben mehrere Monate und sind auch in den Wintermonaten aktiv. Ihre Wohlfühltemperatur liegt zwischen 25 und 28 Grad Celsius, aber selbst Minusgrade überleben die robusten Insekten – wenn auch nur wenige Tage.

Sowohl erwachsene Blattflöhe als auch alle Nymphenstadien ernähren sich von Pflanzensäften. Saugen die Tiere an einem infizierten Baum, gelangt der Erreger in die Speicheldrüse der Insekten und vermehrt sich dort. Bei der nächsten Pflanzenmahlzeit kann der Blattfloh über den Speichel weitere Bäume infizieren. Alle drei Erreger sind Phytoplasmen, zellwandlose Bakterien, die sich in den Nährstoffleitbahnen befallener Pflanzen vermehren, sie dadurch verstopfen und zerstören. Erste Anzeichen der Erkrankung sind gelbe Flecken auf frischen Blättern. Dann sterben einzelne Zweige ab, der eigentlich immergrüne Baum verliert Laub, selbst Wurzeln verkümmern schließlich. Zitrusbäume mit der Citrus Greening Disease verhungern.

Floh und Bakterien sorgen für Totalschaden

Trägt ein befallener Baum noch Früchte, sind diese klein, unregelmäßig geformt und bleiben teilweise grün. Das Fruchtfleisch schmeckt bitter. Solche Früchte sind weder für den Verkauf noch für eine weitere Verarbeitung geeignet.

Häufig bleibt den Erzeugern nichts anderes übrig, als befallene Bäume zu fällen. Und mit ihnen weitere Bäume, um eine Pufferzone zu schaffen. Asiatische Zitrusblattflöhe aber sind kaum einzudämmen. In Zitrusplantagen können Behörden Maßnahmen anordnen und durchsetzen, ihr Einfluss endet jedoch in vielen Ländern am privaten Gartenzaun. Der geliebte Orangenbaum vor dem Haus wird dann zum Refugium für das Insekt und die Bakterien.

Der wirtschaftliche Schaden ist immens. In den USA beispielsweise setzt die Zitrusindustrie rund sieben Milliarden Dollar um. Im Jahr 2005 wiesen Forscher die Citrus Greening Disease erstmals in Florida nach: ein Jahr, nachdem befallene Pflanzen in Brasilien aufgetaucht waren. Seitdem breiten sich Insekt und Bakterien in den Zitrusplantagen des amerikanischen Kontinents aus. Bereits 2015 galten in Florida drei von vier Zitrusbäumen als infiziert. Bis heute brach die Produktion von Zitrusfrüchten um 75 Prozent ein.

Entsprechend nervös ist man in Europa. Zwar gilt Brasilien mit rund 17,6 Millionen Tonnen Orangen pro Jahr (Stand 2023) als wichtigstes Anbauland, das Gros der Ernte verlässt das Land jedoch als Konzentrat für Säfte. Die meisten frischen und getrockneten Früchte weltweit exportiert Spanien, etwa die Hälfte der dort erzeugten sechs Millionen Tonnen Orangen, Zitronen und Limetten gehen in andere Länder.

Der Ostafrikanische Zitrusblattfloh

Auch dieser Vertreter der Pflanzenläuse kann die Erreger der Citrus Greening Disease übertragen. Trioza erytreae ist sogar bereits in Portugal und Spanien heimisch, richtet dort aber vergleichsweise geringen Schaden an. Vor allem, nachdem mit der parasitischen Wespe Tamarixia dry ein wirksamer Räuber aus der ostafrikanischen Heimat eingeführt wurde. Natürlicherweise überträgt Trioza erytreae hauptsächlich Candidatus Liberibacter africanus. Diese Bakterienart ist wie auch Ca. L. americanus temperaturempfindlich, entwickelt sich also nur bei Temperaturen zwischen 20 und 25 Grad Celsius. Zudem bevorzugt Trioza erytreae das feuchtkühlere Klima an der iberischen Atlantikküste und meidet bislang die Mittelmeerregion. Anders das hitzetolerante Duo Candidatus Liberibacter asiaticus und Diaphorina citri: Sowohl der Asiatische Zitrusblattfloh als auch CLas vertragen das heiße, trockene Klima am Mittelmeer gut.

Eine Kommission der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam schon im Jahr 2021 zu dem Schluss, dass einige der Zitrusfrüchteanbaugebiete in Europa durchaus als Lebensraum für den Asiatischen Zitrusblattfloh geeignet seien, genauer: Portugal, Spaniens Küsten im Süden und Osten, Sardinien, Süditalien und Sizilien sowie Griechenland und Zypern.

Tatsächlich fanden sich in zyprischen Plantagen im Juli 2023 erstmals ausgewachsene Asiatische Zitrusblattflöhe auf Pflanzen, diese trugen jedoch glücklicherweise keine Liberibacter-Arten in sich. Damit ist Zypern bisher das einzige EU-Land, in dem das invasive Insekt Fuß gefasst hat.

Simulieren gegen invasive Insekten

Stephen Parnell von der University of Warwick arbeitete an der EFSA-Studie mit. Der Epidemiologe und Modellierer für Pflanzenkrankheiten nutzt mathematische Modelle, um vorherzusagen, wie Insekten und Erreger sich in Pflanzenpopulationen und über Staatsgrenzen hinweg ausbreiten.

Die Daten für seine Modelle stammen aus Beobachtungen, die in Ländern wie Florida und Brasilien gesammelt wurden. Mit Simulationen versucht seine Arbeitsgruppe, potenzielle Einfallstore für Diaphorina citri und die Citrus Greening Disease auszumachen.

Eine Pflanzenkrankheit mit vielen Namen

Vor allem im wissenschaftlichen Kontext ist häufig von Huanglongbing die Rede (kurz: HLB), wenn es um die Citrus Greening Disease geht. Im Deutschen werden synonym die Namen »Zitruspest« und »Gelbe Drachenkrankheit« verwendet.

»Am wahrscheinlichsten werden sie dort auftauchen, wo es warm und trocken ist sowie viele Zitrusbäume stehen«, sagt Parnell. Er fürchtet das Schlimmste. Diaphorina citri sei in Zypern angekommen, es gebe Meldungen aus Israel. Mit einem Blick auf Florida sagt er: »Das Muster ist dasselbe, erst kamen die Insekten und ein paar Jahre später Huanglongbing.«

Eine optische Kontrolle genügt nicht

Wichtig sei jetzt, die Plantagen engmaschig zu kontrollieren. »Problematisch ist, dass infizierte Pflanzen bis zu ein Jahr lang symptomfrei sein können«, sagt Parnell. Ansteckend seien sie in dieser Zeit allerdings schon. Tauchten die ersten Symptome auf, sind bereits dutzende bis hunderte Bäume in der Umgebung infiziert. Eine optische Kontrolle genügt demnach nicht.

Theoretisch könne man im Labor testen, ob Pflanzen infiziert sind, sagt der Epidemiologe. Das sei zu teuer, entgegnen Kritiker. Parnell relativiert: »Die Kosten sind gering im Vergleich zu denen, die entstehen, wenn Landwirte kranke Bäume fällen müssen.« Routine seien solche Untersuchungen bisher aber nicht.

»Erst kamen die Insekten und ein paar Jahre später Huanglongbing«Stephen Parnell

Dementsprechend wichtig ist es, zumindest die Einfallswege für den Asiatischen Zitrusblattfloh zu blockieren, die sich kontrollieren lassen. Josep Jaques Miret erklärt, es sei zum Beispiel verboten, Zitruspflanzen in die EU zu importieren. Der mittlerweile emeritierte Entomologe forschte zu invasiven Insektenarten am Department of Agricultural and Environmental Sciences an der spanischen Universität Jaume I. Er ergänzt: »Und selbst innerhalb von Europa gibt es Beschränkungen, auch um den zweiten Überträger von Huanglongbing in Schach zu halten: den Ostafrikanischen Zitrusblattfloh (Trioza erytreae)

Laut Josep Jaques Miret ist es wichtig, ein Bewusstsein für die Gefahr zu schaffen. Ahnungslose Touristen etwa brächten noch immer exotische Zweige oder Samen aus ihren Urlauben mit. Man könne die winzigen Insekten schnell übersehen, erst recht die nur einen Bruchteil eines Millimeters großen Eier. Die Bakterien sind sowieso unsichtbar. »Es geht so schnell und die Konsequenzen können gewaltig sein«, mahnt der Insektenforscher. »Theoretisch reicht ein Weibchen mit Eiern aus, um eine neue Zitrusblattflohkolonie zu gründen.«

Im Lauf seines Lebens kann ein einziges Zitrusblattflohweibchen mehr als 800 Nachkommen produzieren. Die Weibchen legen die Eier an die Spitzen wachsender Triebe. Bei Temperaturen um 28 Grad Celsius wird aus einem Ei innerhalb von zwei Wochen und nach fünf Häutungen ein ausgewachsener Blattfloh. Bis zu zehn Generationen pro Jahr sind möglich.

Wie bekämpft man das Tier?

Natürliche Feinde wie die parasitäre Wespe Tamarixia radiata halten den Asiatischen Zitrusblattfloh in ihrer Heimat in Schach – aber eben nur dort. Bisher spritzen viele Plantagenbesitzer deshalb Insektizide, um die Überträger der Citrus Greening Disease zu töten.

»Wenn wir die Biodiversität in den Monokulturen fördern, bilden wir eine natürliche Barriere für Schadinsekten«Josep Jaques Miret

Josep Jaques Miret sieht aber andere Möglichkeiten, denn generalistische Räuber gebe es durchaus, etwa Raubmilben und -wanzen, Ohrwürmer oder auch Marienkäferlarven. Die gelte es zu fördern. »Zufällige biologische Kontrolle« nennt der Entomologe das: »Erscheint eine invasive Spezies auf der Bildfläche, sinkt ihre Überlebenswahrscheinlichkeit mit der Anwesenheit und Menge heimischer Fressfeinde.«

Die jedoch meiden die kargen Plantagen – im Gegensatz zum Zitrusblattfloh: Die Monokulturen auf den Plantagen sind ein Paradies für das auf Zitruspflanzen spezialisierte Insekt. Zudem müssten die Felder sortenrein gehalten werden, sagt Jaques Miret, sonst könnten die Orangen oder Clementinen Kerne entwickeln. Das lehnten Verbraucher ab.

»Aber wir können gezielt Wildkräuter ansiedeln«, sagt er. Das seien Pflanzen, die Landwirte sonst als Unkraut entfernen. Diese robusten Pflanzen ziehen räuberische und parasitische Insekten an wie Magnete und bieten ihnen Zuflucht. Möglich sei auch das Einhegen der Plantagen mit gemischten Heckenpflanzen als Lebensraum für Raubinsekten und Vögel, die Insekten fressen. Jaques Miret ist sicher: »Wenn wir die Biodiversität in den Monokulturen fördern, bilden wir eine natürliche Barriere für Schadinsekten.« Vielleicht auch für den Asiatischen Zitrusblattfloh und seine tödliche Fracht.

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