Direkt zum Inhalt

Lobes Digitalfabrik: Zurück zur Tugend

Ein Start-up hat ein Armband entwickelt, das den Träger mit Stromschlägen traktiert, wenn dieser vom Fitnessplan abweicht. Das kommt einer Selbstinhaftierung gleich.
Sprinter

Der Mensch ist ein lasterhaftes Wesen. Er gibt im Kaufrausch zu viel Geld aus, gönnt sich trotz Diät einen Burger und trinkt hin und wieder ein Glas zu viel. Nudging-Versuche, also der verhaltenspsychologische Ansatz, den Menschen unter Ausnutzung psychologischer Schwächen einen Schubs in die "richtige" Richtung zu geben, haben ihn nicht auf den Pfad der Tugend zurückgebracht.

Das Start-up Pavlok versucht es mit einer rabiateren Methode: Es hat ein Fitness-Armband entwickelt, das dem Träger Elektroschocks verpasst, wenn er sich nicht an den Fitnessplan hält. Wer zur Pralinenschachtel greift, statt zu joggen, kann sich per Knopfdruck auf das Armband oder sein Smartphone einen Stromschlag von bis zu 255 Volt verpassen.

Das Unternehmen lässt auf seiner Website Menschen zu Wort kommen, die positive Erfahrungen mit dem Armband gemacht haben wollen. Da ist zum Beispiel ein Mann, der stolz erzählt, dass er durch die Elektroschocks das Rauchen aufgegeben habe. Eine Dame mittleren Alters, die nicht mehr auf ihren Nägeln kaut. Oder eine junge Frau, die keine Süßigkeiten mehr nascht.

Wenn Menschen behaupten, sie bräuchten Stromschläge, ist das eine Bankrotterklärung

Pavloks Werbeslogan lautet: "Break Bad Habits", durchbreche schlechte Angewohnheiten. Der Kunde solle stattdessen Verantwortung für sein Verhalten übernehmen. Ihm wird also suggeriert, dass er durch das Armband wieder die Kontrolle über seinen Körper erlangt – Selbstdisziplin per Elektroschock. Die Idee hinter dem Gerät scheint auf einem eher kruden Menschenbild zu fußen, in dem triebhafte, geradezu animalische Laster regelmäßig die Vernunft aushebeln.

Tatsächlich ist der Name der Vorrichtung an ein berühmtes Experiment der Psychologiegeschichte angelehnt: Der russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow bewies zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass Hunde schon beim Ertönen einer Glocke sabberten – noch bevor sie den Pfleger mit dem Futter sehen oder riechen konnten. Als Verfechter des Behaviorismus bezeichnete Pawlow den Speichelfluss als eine "konditionierte Reaktion", die wie durch ein Naturgesetz mit der läutenden Glocke verknüpft ist.

Einen ähnlich starken Gewöhnungseffekt soll das Pavlok-Armband bei Menschen hervorrufen. Damit gleicht es im Grunde einer Selbstinhaftierung: Der Anwender legt sich freiwillig eine elektronische Fuß- beziehungsweise Handfessel an, weil er es als Befreiung von der Last der Triebhaftigkeit empfindet. Doch objektiv gesehen beraubt er sich eines Stücks seiner Freiheit, schließlich macht er sich zu einem pawlowschen Hund, der nach seinem Fitness-Plan lechzt.

Psychologische Tricks sind in der digitalen Welt natürlich nichts Neues: Onlinegames wie Zynga geben mit fortlaufender Dauer immer weniger Belohnungsreize aus, um Spieler möglichst lange bei der Stange zu halten. Mit elektrischen Impulsen kann man den Nutzer aber noch viel besser lenken. Doch sind wir wirklich schon so sehr Geiseln der Konsumindustrie, dass wir mangelnde Selbstdisziplin mit Elektroschocks sanktionieren? Haben wir so wenig Vertrauen in die eigene Selbstdisziplin, dass wir uns einer digitalen Nanny unterwerfen?

Wenn Menschen behaupten, sie bräuchten Stromschläge, um von ihrer Facebook-, Süßigkeiten- oder Tabaksucht loszukommen, ist das eine Bankrotterklärung. Es ist auch eine bizarre Form der Tugendwächterei, die alles Lasterhafte aus der Welt verbannen will – schon Pawlow verfolgte eine "Wissenschaft zur Entwicklung eines verbesserten menschlichen Typs". Dabei ist man wohl nur dann wirklich frei, wenn man auf Stromschläge verzichtet und selbst entscheidet, ob das Weißbier im Kühlschrank bleiben soll – oder ob ein Glas mehr noch in Ordnung geht.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.