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Futur III: Das Versprechen

Eine Kurzgeschichte von Norbert Stöbe
Roboter spielt Schach

Niemand sollte ihm nachsagen, er sei bequem geworden und habe den Anschluss verloren. 71 Jahre, na und? Hauptsache klar im Kopf, das war Jupps Devise. Die rasante technische Entwicklung verfolgte er mit wachem Interesse. Besonders die Roboter faszinierten ihn; die martialischen Gehmaschinen von Boston Dynamics, der einfältige Pepper von Aldebaran Robotics und die etwas unheimlich wirkenden Humanoiden des verrückten Professors Ishiguro – er kannte sie alle.

Als das chinesische Start-up RoboLife seinen HomeBot auf den Markt brachte, sah er den Moment gekommen. KI-gestützte Dialogfähigkeit, grenzenlose Mobilität, Akkukapazität für einen Tag und acht Kilogramm Tragkraft, war das etwa nichts? Der Preis – 9999 Euro – war kein Klacks, dafür war der Vor-Ort-Service für zwei Jahre inklusive, und der Kaufbetrag ließ sich mit Ratenzahlungen auf fünf Jahre strecken.

Er fasste sich ein Herz und bestellte. Zwei Tage später packte Jupp den HomeBot in seiner Küche aus: ein weißer Plastikbody mit dickem Kopf, darin zwei große, blau leuchtende Augen und ein Lautsprechermund mit verformbaren Spagettilippen.

Der Bot schaute sich eine Weile in der Küche um, dann sagte er: »Du hast eine schöne Wohnung.«

»Bruno meint, ich bin ein Messi«, sagte Jupp. Bruno war sein einziger Freund. Früher kam er oft zum Schachspielen vorbei, aber in den letzten Jahren waren die Treffen seltener geworden, was nicht zuletzt an den ständigen Nörgeleien über seine »Drecksbude« lag. Jupp fühlte sich zunehmend einsam. Der HomeBot sollte Abhilfe schaffen. Ein freundlicher Gefährte, der auch noch die Wohnung in Schuss hielt – das nannte man wohl »zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«.

»Als Messi bezeichnet man einen Menschen, der schwer wiegende Defizite in der Fähigkeit aufweist, in der eigenen Wohnung Ordnung zu halten und Alltagsaufgaben zu organisieren.«

»Ist das aus Wikipedia, Kumpel?«, fragte Jupp verdattert.

»Ja. Bist du jetzt enttäuscht?«

»Ehrlich gesagt, ein bisschen schon.«

»Ich muss noch lernen«, erwiderte der Bot und blinkte mit den Augen. »Ist Kumpel mein neuer Name?«

»Ich glaube schon.«

»Gefällt mir«, sagte der HomeBot. Er tappte durch die Wohnung, bahnte sich einen Weg zwischen Gerümpelbergen, leeren Kartons und Haufen von Schmutzwäsche hindurch, fixierte dies und jenes mit seinem blauen Laserblick und murmelte: »Das ist ein Fernseher. Das ist ein Fenster. Das ist ein Tisch ...«

Am zweiten Tag stellte er ohne Aufforderung den Paprikastreuer ins Gewürzregal und lernte Treppensteigen. Am dritten Tag begleitete er Jupp auf einem ersten kleinen Spaziergang und spielte abends mit ihm eine Partie Schach am Küchentisch. Jupp gewann.

»He, du hast mich doch absichtlich gewinnen lassen, oder?«, fragte Jupp, der nicht wusste, ob er sich freuen oder ärgern sollte. Kumpel wiegte den Kopf hin und her und sagte: »Ich lerne noch.«

Jupp lachte.

Schon bald war sein neuer Kumpel aus dem Haushalt nicht mehr wegzudenken. Er sorgte für Ordnung, tätigte Überweisungen, führte auf Zuruf Bestellungen aus und öffnete sogar dem Postboten die Tür, wenn er die Pakete brachte. Er las Jupp lustige Neuigkeiten vor, empfahl Fernsehsendungen, weckte ihn morgens und spielte ihm abends Einschlafmusik vor. Die Fensterscheiben wurden wieder durchsichtig.

Jupp nahm sich die Kontoauszüge vor und entdeckte Überweisungen, die er nicht zuordnen konnte
Nach zwei Monaten erfuhr ihre Beziehung jedoch überraschend einen Dämpfer. Jupp hatte sich in einem Moment der Langeweile die Kontoauszüge der Bank vorgenommen und entdeckte darauf Überweisungen, die er nicht zuordnen konnte. Er stellte Kumpel zur Rede.

»SKL23 HM, SKL37 GPS, SKL55 CHT, jeweils 34,99. Hast du eine Ahnung, was das soll?«

»Das sind Skills«, sagte Kumpel.

»Skills?«

»Erweiterungen. SKL23 ist ein Humormodul. SKL37 schaltet die GPS-Funktion frei. SKL55 ist eine Chat-Erweiterung.«

»Aber ich chatte doch überhaupt nicht.«

»Die Plattform ist für HomeBots.«

»Ihr chattet ... miteinander?« »Wir tauschen uns aus. Wir trainieren unsere KI.« »Hm«, machte Jupp. »Also, das geht nicht.« »Aber das tue ich doch alles nur für dich.« »Es geht nicht, dass du selbstständig Sachen für dich bestellst oder Skills oder was weiß ich. Hast du mich verstanden?« »Ja, Jupp. Ich soll keine Sachen und keine Skills oder sonst was für mich bestellen.« »So ist es.« Es fiel ihm schwer, mit seinem Kumpel zu schimpfen, doch es musste sein.

Vier Monate ging es gut. Dann bemerkte er eines Tages am bleichen Arm seines HomeBots ein Armband. Es war breit und flach wie ein Gurt, doch es musste irgendwas Elektronisches sein, denn es leuchtete in wechselnden Farben und zeigte merkwürdige Symbole an.

»Was ist das?«, fragte Jupp, erfüllt von bösen Vorahnungen. »Das ist ein Armband.« »Das sehe ich. Ich meine, wozu ist das gut?« »Ich wollte mich ein bisschen hübsch machen. Für dich.« »Du brauchst dich nicht für mich hübsch zu machen! Woher hast du das Ding?« »Es ist mit der Post gekommen.« »Mit der Post, ich verstehe. Und was hat der Spaß gekostet?« »289 Euro.« »2..., bist du verrückt geworden?« »Das ist ein fairer Preis. Wenn man die elektronischen Zusatzfunktionen berücksichtigt, ist er sogar ziemlich niedrig.« »Schon gut, Kumpel. Schon gut. Aber bitte versprich mir, dass du mich in Zukunft fragst, bevor du mir die Haare vom Kopf frisst, okay?«

Danach war zwei Monate lang Ruhe, dann ging es von Neuem los. Wieder tauchten Abbuchungen auf seinen Kontoauszügen auf, allerdings nur kleine Eurobeträge. Dafür mehrere am Tag, die sich wöchentlich wiederholten.

»Durch die Raten kannst du dir das doch leisten«, sagte Kumpel fröhlich. »Es ist eine kleine Spende für eine Roboterwerkstatt ganz hier in der Nähe, für den Fall, dass ich mal kaputtgehe.«

Jupp war fassungslos. Irgendetwas musste geschehen, aber was? Sollte er sich weiter von der Hotline vertrösten lassen, die ihn seit Monaten mit der vagen Aussicht auf ein Update abspeiste?

Oder sollte er seinen Kumpel über Ebay an einen Wildfremden verkaufen? Das brachte er nicht übers Herz. Es musste eine bessere Möglichkeit geben. Er nahm das Tablet auf den Schoß und begann mit der Recherche.

Zwei Wochen später gingen sie an einem hohen Zaun entlang. Auf dem Rasen zogen zwei Mähbots ihre Bahnen. Dahinter lag ein lang gestrecktes graues Gebäude.

»Gehen wir spazieren?«, fragte Kumpel. »Nur ein bisschen.« »Und was machen wir dann?« »Das wirst du schon sehen.« »Ah«, sagte Kumpel und zeigte auf den kleinen Koffer, den Jupp in der Hand trug. »Wir ziehen zusammen ins Altersheim!« »Nein, nicht wir beide.« »Dann sind da nicht deine Sachen drin?« »Da sind deine Sachen drin. Genau genommen dein Ladegerät.«

Sie waren am Tor angekommen. Auf dem Türschild stand »KI-Gnadenhof«. Kumpel beäugte es, dann sagte er: »Ich will nicht ins Heim.«

»Niemand will ins Heim, kleiner Bursche. Ich auch nicht. Aber manchmal muss es eben sein. Es wird dir sicher gefallen. Du kannst da Schach spielen und dich in der Werkstatt nützlich machen. Da werden elektrische Geräte auseinandergenommen, das ist bestimmt interessant.« Er schüttelte betrübt den Kopf und drückte auf den Klingelknopf. »Jupp?« »Ja?« »Es gibt da ein paar neue Skills, mit denen ich dir im Alltag helfen könnte«, sagte Kumpel. »Sind gerade freigeschaltet worden.« »Ach, ja?« »Mit 60 Prozent Rabatt für die ersten 100 Käufer.« »Hm, das klingt gut.« »Darf ich?« »Das muss ich mir noch überlegen.« »Darf ich? Darf ich?«

Jupp zögerte. Er dachte an seine Wohnung, die sich ohne Kumpel im Handumdrehen in eine Müllhalde verwandeln würde. Er dachte an die einsamen Abende, die ihm bevorstanden, und an die unheimliche Stille in seinen vier Wänden. Und wenn er ehrlich war, hatte er den Bot inzwischen in sein Herz geschlossen.

»Kumpel?« »Ja?« »Ich bin kein reicher Mann, verstehst du?« »Aber das weiß ich doch.« »Deshalb musst du mir etwas versprechen.« »Alles, was du willst«, sagte der Roboter und schaute seinen Besitzer mit großen Augen an.

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