Futur III: Die fleißige Putzfrau
Als das Bodenteam von der morgendlichen Aufklärungsmission zurückkehrte, wirkte es ungewöhnlich nervös. Viele tuschelten aufgeregt oder grinsten verschwörerisch. Oto verdrehte die Augen, als Chauncy, der Exkursionsleiter, die eingesammelten Proben eigens in der besonderen Rühr-mich-nicht-an-Kiste verstaute. Er machte sogar ein großes Theater daraus, den Deckel mit einem grellrosa Streifen Isolierband zu versiegeln. Dann trappelte die Gruppe wie eine Herde bärtiger Wasserbüffel hinter Direktorin Rosen in deren Büro. Man verschloss die Tür und stellte die Fenster auf undurchsichtig.
Zwei Stunden später marschierte die Truppe einer hinter dem anderen wieder heraus, ohne auch nur den kleinsten Seitenblick in Otos Richtung zu werfen. Wahrscheinlich waren sie unterwegs zur Kantine.
»Ach nein, danke, ich bin ja gar nicht hungrig«, sagte Oto zu den Aufzugstüren, die sich gerade vor ihrer Nase schlossen. Anscheinend nahmen alle an, sie würde in der Zwischenzeit brav die Stellung halten – also allein in dem technisch raffinierten Geheimlabor ausharren, das sich tief unter der Oberfläche von Planet 45BR3 verbarg.
»Ich habe ohnedies wichtigere Sachen zu erledigen«, murmelte sie und spazierte am Lift vorbei. »Punkt eins auf der Liste: Überprüfe die Rühr-mich-nicht-an-Kiste und finde heraus, was die ganze Heimlichtuerei eigentlich soll.«
Oto zog das Isolierband ab, öffnete einen in der Kiste befindlichen Sammelcontainer und entnahm eine winzige Probe des darin aufbewahrten schmierigen Schleims. Sie kehrte zu ihrem Arbeitsplatz zurück, platzierte ein Tröpfchen zwischen zwei Objektträgern, schaltete ihr Mikroskop ein und variierte den Brennpunkt, bis das Bild scharf wurde. Sie verstärkte die Helligkeit, und schon zeigte sich ein unscheinbares, blassgrünes, zigarrenförmiges Gebilde mit einem langen, peitschenförmigen Flagellum.
LANGWEILIG!
Das Exemplar zuckte und krümmte sich zu einem C. Das verblüffte Oto, denn sie hatte die Probe mit einem großzügigen Tropfen Betäubungsflüssigkeit getränkt. Erneut wand sich das Wesen; es schien ihr geradewegs ins Auge springen zu wollen.
»Na du bist mir aber ein ausgelassener kleiner Kerl«, murmelte Oto und lehnte sich vom Mikroskop zurück. Sie war enttäuscht, dass die ganze Aufregung sich um nichts weiter drehte als eine gewöhnliche winzige Kreatur, wie man sie auch in jedem irdischen Tümpel finden könnte.
Da hörte sie ein schwaches Klirren, etwa so, als würden kleine Eiszapfen splittern. Oto wischte sich mit der Spitze ihres Schwanzes die plötzlich ausbrechenden Schweißperlen von der Stirn. Sie beugte sich vor, spähte durch das Okular und schnappte nach Luft.
Die Objektträger waren gesprungen. Sonst war nichts mehr zu sehen.
Oto war nicht so anfällig für Viren und Bakterien wie die Menschen
»Wow!« Oto richtete sich auf und musterte ihren Arbeitsbereich. Direkt neben dem Mikroskop lag ein halb verzehrtes Schinkensandwich. Der übrige Tisch war bedeckt mit Schokoriegel-Verpackungen, einer Zange zum Trimmen der Hufe, Dosen mit Pfefferminzdragees gegen Mundgeruch und Papierknäueln. Die Direktorin hatte immer wieder Otos Verhalten am Arbeitsplatz angesprochen und sich besorgt über Kreuzkontamination geäußert. Aber Oto war nicht so anfällig für Viren und Bakterien wie die Menschen; ihr Körper fraß die Erreger einfach sofort auf. Dennoch ging sie immer – also gut, für gewöhnlich – sehr sorgsam mit Proben um, um die überempfindlichen menschlichen Kollegen nicht zu gefährden.
Na, und wenn schon. Also hat sich der kleine Tümpelbewohner selbstständig gemacht. Immer mit der Ruhe. So etwas kann doch einmal passieren.
Zugegeben, bisher war so etwas noch nie passiert.
Oto seufzte. Sie hatte wahrscheinlich rund 20 Minuten Zeit für eine desinfizierende Grundreinigung, bevor die Mannschaft vom Mittagessen zurückkam. Jetzt hieß es, sich zu beeilen.
Aus dem Schrank mit den Putzmitteln schnappte sie sich das Reinigungsspray und besprühte, wischte und schrubbte jede erreichbare Fläche. Mit einer einzigen Armbewegung fegte sie das Sandwich, die Riegelverpackungen und die Dragees in den Papierkorb – alle bis auf eines, das sie sich in den Mund warf.
Nach einer guten Viertelstunde Putzarbeit hielt sie inne und bewunderte das Ergebnis. Das Labor glänzte nur so. Erleichtert stieß Oto einen tiefen Seufzer aus.
Doch dann sah sie eine Schleimspur, für die man kein Mikroskop brauchte – und die geradewegs zum Aufzug führte.
»Mist.« Oto packte den Alkoholreiniger und ihren Zigarettenanzünder, dessen Besitz eigentlich streng verboten war, und sprintete zum Aufzug. Ihr war vollkommen bewusst, dass ihr Plan – Vernichtung durch Verbrennung – sich als schrecklicher Fehler herausstellen könnte, aber sie sah keinen anderen Ausweg.
Ein kleiner Fleck kroch über den Boden in Richtung Aufzug
Auf der Schleimspur verlor ihr Huf den Halt, und Oto krachte gegen die Wand, wo ihre Schulter eine tiefe Delle hinterließ. Ein kleiner Fleck kroch über den Boden in Richtung Aufzug. Wie konnte etwas derart schnell wachsen? Oto war noch drei Schritte vom Aufzug entfernt, als sich die Lifttür öffnete.
Da stand die Direktorin, umringt von den Mitgliedern des Bodenteams. Vor Schreck wie gelähmt sah Oto zu, wie die geflüchtete Probe, nun schon ein beachtliches Klümpchen, durch den Spalt zwischen dem Boden und dem Aufzug schlüpfte und im Liftschacht verschwand.
»Alles in Ordnung, Oto?« Direktorin Rosen legte ihren Kopf schief, wobei ihre strahlend weiße Frisur unter dem Einfluss eines geheimnisvollen Haarpflegemittels wie ein Helm die Form behielt.
Oto grinste. »Alles bestens.« Sie ließ die Spraydose hinter ihrem Rücken verschwinden.
»Haben Sie eine Minute?«, fragte die Direktorin freundlich. »Ich würde gern kurz mit Ihnen in meinem Büro plaudern.«
Oto trappelte hinter Frau Rosen her und kam sich sehr klein vor, obwohl sie eigentlich doppelt so groß war wie die Direktorin. Frau Rosen lächelte und lud Oto mit einer Geste ein, auf der Bank vor ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen.
»Wir haben in dem heute untersuchten Quadranten der Wüste eine unglaubliche Entdeckung gemacht«, erklärte sie. »Wir sammelten eine Probe des Patras-Parasiten ein. Das ist die invasive Spezies, die sämtliche Lebensformen auf dem Planeten Devaris vernichtet hat.«
»Ein Parasit? Sind Sie sicher, dass es nicht nur irgendein Geißeltierchen ist, eine Peranema vielleicht?«
Die Direktorin schüttelte entschieden den Kopf. »Das ist ja gerade das, was den Organismus so gefährlich macht. Er imitiert andere, völlig harmlose Arten. Glücklicherweise hat Chauncy erst kürzlich einen Artikel darüber publiziert. Er konnte es mit dem Feldmikroskop sofort identifizieren.«
»Puh! Da haben wir aber Glück gehabt«, murmelte Oto.
»Wir sammelten eine kleine Probe im Ruhezustand ein und sperrten sie sorgfältig in einen sicheren Behälter. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was passieren würde, wenn das Ding mit Feuchtigkeit und Licht in Berührung käme. Angesichts seiner rapiden Wachstumsgeschwindigkeit würde es das Ende für uns alle bedeuten.«
Die Direktorin nickte zu der Flasche mit Reinigungsflüssigkeit, die Oto im Arm hielt. »Sie haben in der Zwischenzeit sauber gemacht? Bravo! Heute ist wirklich ein ganz besonderer Tag! Das bestärkt mich darin, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.«
»Entscheidung?«
»Oh ja. Sie leisten vorbildliche Arbeit, und deshalb möchte ich, dass Sie die Leitung des Teams übernehmen, das die Probe nach allen Regeln der Kunst vernichtet. Ich überlasse Ihnen alle Entscheidungen bezüglich des weiteren Vorgehens …«
Die Direktorin verstummte und bekam große Augen, als ein explosionsartiger Knall ihr abrupt das Wort abschnitt. Das unterirdische Gebäude erzitterte. Einen Augenblick später gingen die Lichter aus.
»Huh, ich frage mich, was da passiert ist«, stammelte Oto. Aber sie kannte die Antwort schon.
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