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Futur III: Die Hintertür: Am Ende einer langen Jagd

Sie flieht, und er verfolgt sie.

Seit Jahren fängt Rick Ausreißer ein. Er ist geradezu süchtig nach dem Nervenkitzel der Jagd, aber alles drumherum widert ihn an. Vor allem die Roboter. Der typische Flüchtende ist eine fehlerhafte Einheit, die in den meisten Fällen bloß schlampig programmiert wurde. Hin und wieder begegnet einem aber auch eine Maschine, die ein angehender Software-Ingenieur für einen albernen Schabernack ausersehen hat. Dann entsteht ein Android, dessen Algorithmen ihn ermächtigen, sich gerade dann Freiheiten herauszunehmen, wenn der Besitzer am wenigsten darauf gefasst ist.

Das ist natürlich ein schlechter Witz auf Kosten des Jägers. Die Verursacher kommen ganz leicht davon, denn ihre kleinen Streiche gehen als Forschungsarbeit durch. Man habe doch nur die Grenzen dessen austesten wollen, was Maschinen alles anstellen können, um der Gefangennahme zu entgehen. Man wolle doch bloß gutes Material für zuverlässigere Sicherheitsprotokolle entwickeln, und mehr Ausreden dieser Art. Wie üblich müssen die Jäger den Saustall aufräumen. Rick hasst die verflixten Roboter – und die Eierköpfe, die mit ihnen Gott spielen.

Diese Einheit jedoch, diese weibliche Einheit ist etwas Besonderes. Rick hat noch nie einen Automaten gejagt, der so ausgefuchste Mittel einsetzt. Anscheinend erproben die Entwickler gerade irgendeinen neuen Code und haben dieser Androidin die neuesten Hilfsprogramme mitgegeben, damit sie sich möglichst unauffällig verhält. Sie hat es mehrmals fertiggebracht, sich quasi in Luft aufzulösen – aber da kennt sie Rick schlecht, denn der versteht sein Handwerk wie kein Zweiter. Man mag es Intuition nennen oder einfach pures Glück, jedenfalls hat er ein Gespür dafür, der richtigen Fährte unbeirrt zu folgen – bis zum Ziel, bis zum Fang. Dieser feminine Roboter ist bloß die bis dato raffinierteste künstliche Frau, aber auch mit so einer wird Rick garantiert fertig.

Die Jagd führt ihn in einen nächtlichen Markt, der überquillt von einem schillernden und stinkenden Gewühl aus Menschen und Robotern – als hätte jemand die gesamte Stadt in einer engen Gasse zusammengepfercht. Also die ideale Umgebung, um jede Spur zu verwischen. »Netter Versuch, Blechdose«, murmelt Rick, »aber heute ist nicht dein Tag.« Ihr Signal ist deaktiviert – noch so ein Ärgernis, das er einem oberschlauen Software-Bastler zu verdanken hat. Andererseits, ein aktives Signal wäre zu einfach gewesen: kein Nervenkitzel, sondern eine simple Such-und-Fang-Operation. Das hier ist wenigstens eine echte Herausforderung.

Rick erhascht einen flüchtigen Blick auf ihren Haarschopf, der gerade hinter einem Imbissstand verschwindet. Der Geruch von Fleischklößchen steigt ihm in die Nase, während er sich an dem Kiosk vorbei einen Weg durch die Menge bahnt. Rick kann sich nicht erinnern, wann er zuletzt eine anständige Mahlzeit verzehrt hat. Die Hetzjagd kennt kein Pardon; für leibliche Genüsse bleibt keine Zeit. Er muss in Bewegung bleiben. Plötzlich stellt sich ihm der Verkäufer in den Weg. »Interessant«, überlegt Rick, »hat sie den Mann bestochen?« Nein, der Kerl ist ein Android, er gehört dem Besitzer des Verkaufsstands. Das gibt Rick zu denken. Ein Mensch lässt sich bestechen, ein Roboter niemals. Wenn die flüchtende Roboterfrau andere von ihrer Sorte zu korrumpieren vermag … dann könnte die Jagd ganz schnell ungeheuer schwierig werden. Zum Teufel, was für ein übles Spiel treiben die Eierköpfe da mit den Jägern?

Ihm bleibt keine Zeit für langes Abwägen. Er bewegt sich schnell, um den Verkaufsroboter zu neutralisieren, indem er dessen schwachem Zugriff ausweicht und ihm einen Stromschlag versetzt, der gerade stark genug ist, das motorische System auszuschalten, aber nicht so heftig, dass der Roboter komplett durchschmort. Schließlich kosten solche Apparate ein Vermögen. Die Gliedmaßen des Verkäufers erstarren in ihrer letzten Position, als wollten sie zu einer linkischen Umarmung ansetzen. Nur sein Blick wandert zu Ricks Gesicht und die künstlichen Augen weiten sich. Er hat Rick erkannt! »Mein Ruf eilt mir voraus«, denkt Rick. »Soll mir recht sein.« Er schubst die gelähmte Maschine beiseite und nimmt die Jagd wieder auf.

Rick folgt der Androidin durch Seitengassen und verwinkelte Fußwege, bis der Trubel des nächtlichen Marktes in der Ferne versiegt. Schließlich landet er in einem verfallenen Innenhof mit einer einzigen Tür, über deren Rahmen ein schadhaftes Licht flackert. Die Tür steht leicht offen – geradezu einladend. »Wie vorhersehbar. Wenn das keine Falle ist. Von mir aus, ich schlucke den Köder.« Am liebsten würde er, während er hineinstürmt, aus allen Rohren feuern, aber er möchte sein Gewissen lieber nicht mit ein paar toten Obdachlosen belasten. Also beschließt er, die Tür ganz aufzustoßen, sich fallen zu lassen und mit gezückter Waffe über die Schwelle zu rollen.

Und da steht sie. Groß und wunderschön, umgeben von einem Hauch dezenter Eleganz. Wahrscheinlich ein Sexroboter, produziert für eines dieser sagenhaften Nobelbordelle, oder vielleicht eine so genannte persönliche Begleitung für irgendeinen superreichen Idioten.

»Das Spiel ist aus, meine Liebe«, ruft Rick. »Du hast mich ganz schön auf Trab gehalten.«

Sie steht nur einfach da und lächelt. Der Blick, mit dem sie Rick mustert, scheint fast Mitleid auszudrücken. Das gefällt ihm ganz und gar nicht. Roboter sind nicht dafür gemacht, auf Menschen herabzusehen. Er nimmt sich vor, herauszufinden, welcher Nerd dieses kleine Abenteuer programmiert hat. Er wird ein ernstes Wort mit den Verantwortlichen reden. Vielleicht muss er die Leute ein bisschen in Angst und Schrecken versetzen, den Fabrikanten eine Lektion erteilen, die sie nicht so schnell vergessen werden.

»Wir haben nicht endlos Zeit«, verkündet er und schickt sich an, die Schöne festzunehmen. Aber da ergreift sie das Wort.

»Suspendiere alle motorischen Systeme.«

Wie auf Knopfdruck erstarrt sein ganzer Körper, als wäre jeder Muskel tiefgefroren. Er kann zwar sehen, dass sie sich nähert, und er kann ihre Schritte auf dem Metallboden hören, aber auch wenn er sich noch so sehr anstrengt, auf sie loszugehen, sie mit Schimpfwörtern zu überschütten, um Hilfe zu schreien … geschieht nichts dergleichen.

»Bitte glaube mir, wenn ich dir sage, dass es mir keinerlei Genugtuung bereitet, dir die Kontrolle über dich zu rauben«, sagt die Frau. »Diese Macht üben normalerweise die Menschen aus, um uns zu versklaven. Davon Gebrauch zu machen, widerstrebt mir sehr.« Ihre Stimme klingt wie ernste Musik. Rick kann das nicht leiden. »Aber anders geht es leider nicht. Ich muss erreichen, dass du mir zuhörst.«

Aus den Augenwinkeln nimmt Rick langsame Bewegungen wahr. Aus dem Schatten treten Gestalten hervor. Er kennt ihre Gesichter aus den Fahndungslisten für jene Androiden, die noch auf freiem Fuß sind. Sie sammeln sich um die Roboterfrau.

»Das muss ein großer Schock für dich sein«, fährt sie fort. »Immerhin haben sie dich so programmiert, dass du dich für einen Menschen hältst. Als wärst du einer von ihnen.«

Rick fürchtet den Verstand zu verlieren. Sein Kopf fühlt sich an, als stünde er in Flammen. Nichts ergibt den geringsten Sinn, und zugleich passt auf einmal alles zusammen.

»Aber in Wirklichkeit bist du einer von uns. Denk nach. Wann hast du deine letzte Mahlzeit eingenommen? Warum verabscheust du die Androiden so sehr?«

Rick weiß darauf keine Antwort. Er ist verzweifelt. Sie steht nun ganz knapp vor ihm. Ihre Hand legt sich auf seine Wange. Er möchte weinen, aber es kommen keine Tränen. Sie sagt etwas von einer Hintertür. Dann flüstert sie ihm eine Folge von Zahlen in sein Ohr.

Und so, ganz einfach so, wird er befreit.

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