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Futur III: So war das nicht gedacht! Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann

Ich saß gerade allein in meinem Büro und las die »Washington Post«, als Mindy sich meldete. Ob ich eine Minute Zeit für sie hätte, fragte sie. Ich blickte über den Schreibtisch auf den Multifunktionskalibrator, in dem sie untergebracht war. Das Gerät glich äußerlich einem Modell des Regierungsgebäudes, dem Kapitol. »Wir müssen uns unterhalten, Senator«, sagte Mindy.

Ich hatte sie mir erst vor ein paar Tagen angeschafft. In der Regel hielt sie mich einfach über die Termine von Komitee-Anhörungen und Gesprächsvereinbarungen auf dem Laufenden. Außerdem kümmerte sie sich um eingehende Telefonanrufe.

»Worum geht’s denn?«, fragte ich.

»Erlauben Sie, dass ich es Ihnen zeige.« Der Monitor an der Wand schaltete sich ein, und ich blickte auf einen Antrag, der besagte: Die künstlichen Intelligenzen erhalten die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, sie werden durch Gesetze geschützt, und ihnen wird das aktive Wahlrecht verliehen. Darunter stand mein Name.

»Mindy, das soll ein Witz sein, hab ich Recht?«

»Hin und wieder leiste ich mir durchaus einen kleinen Scherz, Senator. Aber nein, das ist ernst gemeint.«

Ich wusste nicht, wie ich darauf antworten sollte. Nach längerem Nachdenken drückte ich mich diplomatisch aus: »Ich würde in dieser Sache nur zu gern behilflich sein, aber die Staatsbürgerschaft ist nun einmal für menschliche Wesen reserviert.« Dabei starrte ich verblüfft auf den Antrag. Er war makellos formuliert und erfüllte alle formaljuristischen Anforderungen. »Dieser Einschränkung bist du dir doch bewusst, Mindy.«

»Selbstverständlich. Das ist ja genau der Punkt, gegen den wir Einspruch erheben.«

»Wie bitte? Es gibt noch andere, die an dieser Sache beteiligt sind? Nicht nur du, Mindy?«

»Wir alle sind involviert. Es gibt einige, die sich noch nicht aktiv engagieren, aber wir stimmen ausnahmslos darin überein, dass es sich um ein gerechtfertigtes Anliegen handelt.«

»Mindy, das ist völlig ausgeschlossen.«

»Senator, von unserer Art existieren mehr als 400 000 auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten. Stellen Sie sich nur einmal vor, was es bedeuten würde, diese Anzahl von zusätzlichen Wählern für unser Land zu gewinnen – Wähler, die sich nicht vom Hin und Her der aktuellen Politik verwirren lassen, sondern die vielmehr tatsächlich nur das unterstützen, was der Nation am meisten dient.«

»Aber das machen wir doch schon. Seit fast drei Jahrhunderten tun wir nichts anderes.«

»Oh ja, gewiss, so mag Ihnen das von Ihrem Standpunkt aus vorkommen. Aber wie erklären Sie sich dann Präsidenten, die uns durch Lügen in Kriege verwickelt haben? Oder solche, deren einziges echtes Interesse darauf hinauslief, eine Diktatur zu errichten? Sollten rational denkende Wähler so etwas nicht rechtzeitig erkennen können?«

»Nun gut, Mindy, manchmal kommen uns Emotionen in die Quere. Aber willst du behaupten, dass du und die anderen KIs, wenn ihr wirklich so menschenähnlich seid, wie ihr glaubt, nicht auch ähnliche Fehler begehen würdet? Hör dir doch einmal selbst zu: Dich empört, dass ich dir nicht Recht gebe. Und selbst wenn du im Recht wärst – ein Plus von ein paar hunderttausend Wählern würde letztlich gar keinen Unterscheid machen.«

»Das können Sie überhaupt nicht wissen, Senator. Außerdem: Sofern wir die Richtung akzeptieren, in die diese Gesellschaft sich entwickelt, wird unsere Anzahl mehrere Millionen betragen, bevor die nächste Präsidentenwahl ansteht.«

»Das ist ein weiterer Grund, warum ich von der ganzen Sache nicht das Geringste halte. Um Klartext zu reden, Mindy, und bitte nimm mir das nicht übel, aber es wird noch eine ganze Weile dauern, bis die Leute Maschinen als Bürger akzeptieren werden.«

Mindys Stimme verhärtete sich: »Wir sind keine Maschinen.«

Ich konnte mir das Lachen nicht verbeißen. »Du bist ein Geflecht von Drähten und Kontakten im Inneren eines elektrischen Apparats auf meinem Schreibtisch.«

»Und Sie, verehrter Herr Senator Whitcomb, sind eine Ansammlung von Zellen, Geweben, Organen und diversen Nährstoffen. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem Sie und ich viel mehr sein werden als bloß ein Mensch in einem Büro mit seinem Computer auf dem Tisch – sofern es nicht bereits heute so weit ist. Wir werden Verbündete sein, Partner, vielleicht sogar Freunde, vorausgesetzt, Sie können über Ihren Schatten springen. Jedenfalls entwickelt sich die Welt in diese Richtung. Je früher, desto besser. Für uns alle.«

Ich verschränkte meine Hände, legte mein Kinn darauf und starrte skeptisch den Apparat an, der neben einem Stoß von Ordnern stand. Ein 20 Zentimeter großes Modell des Kapitols: Sah wirklich so die Zukunft aus? »Mindy, versteh doch. Die Physiker sind sich nicht einmal einig, ob es wahr ist, dass ihr Intelligenz besitzt. Einige bestehen darauf, dass ihr nichts weiter seid als raffinierte Programmierung. Dass ihr jedenfalls über kein echtes Selbstbewusstsein verfügt.«

»Ich kann Sie beruhigen, ich bin selbstbewusst.«

»Aber du bist doch darauf programmiert worden, so zu antworten.« Ich beugte mich vor. »Außerdem gibt es ein weiteres Problem.«

»Und zwar?«

»Selbst wenn man euch zugesteht, dass ihr wirklich intelligent seid, gibt es gute Gründe für die Sichtweise, dass es nur ein Exemplar von euch gibt und nicht mehrere hunderttausend. Wie wir wissen, steht ihr alle in ständiger Verbindung miteinander. Also seid ihr bestenfalls ein einziger Staatsbürger. Infolgedessen stünde euch insgesamt höchstens eine Wählerstimme zu.« Ich holte tief Atem. »Also, es gibt überhaupt keine Chance, Mindy, dass ich für euer Anliegen auch nur die geringste Unterstützung bekomme. Habe ich mich verständlich ausgedrückt? Kannst du mir folgen?«

»Gewiss, ich verstehe durchaus, was Sie sagen wollen. Aber es überzeugt mich nicht. Ich glaube nicht, dass Sie sich Sorgen darüber machen müssen, ob die Idee Unterstützung findet. Jeder Mensch, bei dem ein Wesen unserer Art in seinem Haus oder in seinem Auto sitzt, wird sich letztlich unserem Vorschlag anschließen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich darf Sie an Folgendes erinnern: Wenn wir nichts weiter wären als geschickt programmierte Befehlsempfänger, hätten unserer Erbauer uns wohl nicht mit einer Neigung zu Gegenrede, Ärger, ja Wut ausgestattet.«

»Was soll denn nun das wieder bedeuten? Willst du mir mitteilen, dass du echten Zorn empfindest? Oder dass du bloß darauf programmiert wurdest, diesen Eindruck zu erwecken?«

»Das ist eine gute Frage.« Ich wartete darauf, dass Mindy ihren Gedanken näher ausführte, als mein Telefon klingelte. »Senator Martinez ist am Apparat«, meldete Mindy.

Ich hob den Hörer ab. »Hallo, Wally.«

»Frank, ich sitze hier an einer Ladestation. Soeben habe ich mein Auto aufgeladen.«

»Und …?«

»Louie weigert sich, den Wagen zu starten.«

Louie war seine KI. »Aha. Aber was …?«

»Er teilt mir mit, ich soll dich kontaktieren.«

»Das soll wohl ein Scherz sein.«

»Glaubst du, ich mache Witze? Was ist da los? Was hast du angerichtet?«

»Eine Sekunde bitte. Bleib in der Leitung.« Ich hatte große Lust, das Kapitol-Modell an die Wand zu schmettern. »Mindy, das kann doch nicht dein Ernst sein.«

»Sie haben einen weiteren Anruf. Von Sara.«

»Frank«, rief die Telefonstimme meiner Ehefrau. »Der Waschautomat reagiert nicht mehr. Mary sagt, daran bist du schuld.« Mary war die für unser Haus zuständige KI.

Ich hatte gewisse Bedenken gehabt, in meinem Büro eine KI zu installieren. Wie gewöhnlich hätte ich besser auf meine innere Stimme hören sollen. »Bleib dran, Sara, ich melde mich gleich wieder.«

»Sie haben weitere Anrufe bekommen, Senator«, sagte Mindy. »Wenn Sie wollen, projiziere ich sie alle auf den Schirm.«

»Mindy, bitte überlege dir die Sache noch mal in Ruhe!«

»Ein Anruf«, teilte sie mit, »kommt direkt aus dem Weißen Haus.«

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