Futur III: Was hätten Sie denn gern?
Letta betrat den Dorfladen und sah sich um. Das Geschäft war überraschend modern ausgerüstet. Es gab richtiggehende Bestellkabinen, genau wie in Edmonton – allerdings nur vier davon. Aber was konnte man schon von einem abgelegenen Kaff erwarten, das, wenn die Angabe auf dem Ortsschild zutraf, gerade einmal 380 Seelen beherbergte, oder jetzt 381, wenn sie sich dazuzählte?
Die dem Eingang nächstgelegene Kabine war unbesetzt; Letta nahm Platz auf dem abgewetzten blauen Kunstledersessel. Sofort wurde ihr Kopf von der Geräuschkontrollzone der Kabine eingehüllt; die plötzliche Stille umfing sie, als hätte sie einen Schal um ihre Ohren gewickelt.
Das rote Licht der Livekamera leuchtete auf. »Guten Tag!«, sagte der Laden. »Womit kann ich Ihnen heute dienen?«
Letta zog ihr Tablet aus der Tasche und tippte auf die Sendetaste. »Hier ist meine Einkaufsliste«.
»Ausgezeichnet. Ich fürchte, wir haben diese spezielle Sorte von Buntwaschmittel nicht auf Lager. Ich kann das selbstverständlich für Sie bestellen, aber es würde drei Tage dauern, und unser Waschmittel Marke Eigenbau ist preiswerter. Unter uns gesagt, es wird von demselben Hersteller geliefert.«
Sie überlegte kurz. »Ich nehme die Marke Eigenbau.«
»Haben Sie Tragetaschen dabei, die Sie benutzen oder zurückgeben könnten?«
»Die habe ich in Edmonton zurückgelassen.«
»Aha, Edmonton! Das heißt, Sie sind neu in Basket Creek? Was führt Sie in unsere kleine Gemeinde?«, fragte der Laden. Das Warenlaufband begann, fein säuberlich gefüllte Stoffbeutel aus den verborgenen Innenräumen des Ladens herbeizuschaffen; jeder Beutel war frisch gewaschen und gepresst.
Der Laden lachte. »Ich war ein Experiment«
»Ich habe eben erst eine Wohnung gemietet.«
»Und wie gefällt es Ihnen auf den ersten Blick?«
Man sollte den Laden »Tratsch & Schnäppchen« taufen, dachte Letta. Laut sagte sie: »Die Menschen hier sind sehr freundlich.« Sie machte eine Pause. »Und die Verkaufssysteme obendrein.«
Der Laden lachte. »Ich war ein Experiment. Vor drei Jahren hat die Firma Billigheimer in ihren Outlets die primitiven künstlichen Intelligenzen der Klasse C probeweise durch solche der Klasse B ersetzt. Es war ein Versuchsballon. Aber die leutseligen Verkaufsstellen stießen nicht auf besondere Gegenliebe, außer in kleinen Gemeinden, also wurde das Projekt eingestellt. Haben Sie noch weitere Wünsche?«
»Habt ihr Obst und Gemüse aus der näheren Umgebung im Angebot?« Wenn sie schon in die Provinz übersiedelte, wollte sie wenigstens die Vorteile des Landlebens genießen.
»Ich führe ein begrenztes Kontingent von gelben Wachsbohnen. Dafür mehr Zucchinis, als Sie es für möglich halten. Sowie vier Sorten von wohl schmeckendem Kirschtomaten, die an diesem Morgen fünf Kilometer von hier gepflückt wurden. Die purpurne Mitternachtssorte ist ein Verkaufsschlager.« Auf dem Bildschirm erschienen entsprechende Fotos.
»Ich hätte gern ein halbes Kilo von diesen Bohnen«, orderte Letta. »Vielleicht ein paar von den Zucchinis? Und kannst du mir ein Kilo gemischte Tomaten zusammenstellen?«
»Überhaupt kein Problem«, versicherte der Laden. »Und was treiben Sie so in Ihrer Freizeit, wenn ich fragen darf?«
»Joggen hauptsächlich. Und Yoga, falls ich in der Gegend eine Gruppe finden werde. Außerdem könnte ich einen Garten anlegen, denn jetzt habe ich ein bisschen Platz dafür.«
»Es gibt ein Yogastudio in Worth, ungefähr eine halbe Stunde Autofahrt von hier. Ist Ihnen das nahe genug?«
»Aber sicher«, meinte Letta. »Dann brauche ich aber auch eine Yogamatte. Noch so eine Sache, die ich beim Auszug zurückgelassen habe.«
»Yogamatten habe ich nicht auf Lager, aber ich kann Ihnen eine bis Donnerstag beschaffen. Welche Farbe würde Ihnen gefallen?« Neue Bilder wurden präsentiert.
Sie berührte den Bildschirm. »Die hellblaue Matte, bitte.«
»Können Sie mir eine Lieferadresse angeben?«
»Zwei eins drei fünf, Mountain Road.«
»Hätten Sie noch weitere Wünsche? Sie würden sich die Zustellgebühr ersparen.«
Letta dachte eine Minute nach. Dann ratterte sie eine lange Liste herunter: Laken, Kissen, Bettdecken, Rührschüsseln, eine warme Jacke … all das Zeug, das sie zurückgelassen hatte. Sie dachte nicht im Traum danach, dafür noch einmal in die alte Wohnung zurückzukehren.
»Wow! Das ist aber eine ganz ordentliche Bestellung«, sagte der Laden.
»Das ist wohl wahr. Ich habe Edmonton ein bisschen plötzlich verlassen.«
Weitere Pakete rollten auf dem Laufband herbei.
Letta holte tief Luft. Sie musste einfach irgendwem ihr Herz ausschütten. Da fiel es ihr leichter, mit dem ohne Blinzeln starrenden Glasauge der Kamera zu sprechen als mit einem Menschen. »Ich habe mich von meinem Partner getrennt. Und zwar sehr überraschend. Ich hatte ja keine Ahnung. Dass etwas nicht stimmt, habe ich erst gemerkt, als ich früher von einem Wochenende in einer anderen Stadt zurückkam und ihn in unserer Wohnung im Bett mit einer anderen Frau vorfand.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich vermute, ich hätte die Anzeichen bemerken müssen, aber ich war einfach zu blöd. Jedenfalls packte mich die nackte Wut; ich warf bloß ein paar Sachen in einen Koffer, sprang in mein Auto und verließ für immer die Stadt.«
»Das ist ja furchtbar«, versetzte der Laden. »Aber Sie dürfen sich nicht den Hauch einer Schuld geben. Sie haben sich nicht das Geringste vorzuwerfen.«
Letta zwang sich ein Lächeln ab. »Vielen Dank.«
»Falls Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte, zögern Sie nicht, vorbeizuschauen. Oder geben Sie Ihre Bestellung online auf.«
»Das werde ich tun.«
»Könnten Sie bitte hier darauf tippen, um die Bezahlung zu autorisieren?«, bat der Laden. »Perfekt. Möchten Sie, dass die Pakete an Ihre neue Adresse geliefert werden?«
»Nein, mein Auto steht ganz in der Nähe.« Sie stand auf und betrachtete nachdenklich die lange Reihe der verpackten Waren. »Aber ich werde wohl ein paarmal hin- und hergehen müssen.«
»Das ist vielleicht gar nicht nötig. Bitte warten Sie einen Augenblick.«
Basket Creek war klein – vielleicht zu klein
Was konnte der diensteifrige Laden wohl damit meinen? Letta stand da und wunderte sich. Doch ein paar Sekunden später kam jemand aus einer anderen Kabine. Es war ein Mann, stämmig gebaut, ungefähr in Lettas Alter, mit kurz geschnittenem schwarzem Haar und brauner Haut. Er blickte sich suchend um, sah sie, grinste, winkte und kam zu ihr herüber.
»Hi, ich bin Josha Mudali, aber die Leute hier im Ort nennen mich Josh. Der Laden sagt mir, dass Sie eine ganze Menge Zeug zu schleppen haben. Können Sie ein bisschen Hilfe gebrauchen? Ich gehe gerade raus zu meinem Lieferwagen und habe nichts zu tragen als diese paar Dichtungsringe.« Er klopfte auf eine Brusttasche seines abgenutzten Overalls.
»Ähm, ich heiße Letta. Das wäre sehr lieb, Josh. Mache ich Ihnen auch wirklich keine Umstände?«
»Überhaupt nicht.« Mit seinen von körperlicher Arbeit schwieligen Händen packte er je drei Warensäcke an den Tragschlaufen und wartete, während Letta die letzten fünf aufsammelte. »Nach Ihnen bitte.«
Der Laden beobachtete, wie die beiden beim Hinausgehen bereits angeregt miteinander plauderten. Würde der Funke überspringen? Das konnte man nicht wissen. Aber Basket Creek war klein – vielleicht zu klein. Es war so klein, dass die Firma eines Tages auf die Idee kommen könnte, den hiesigen Laden dichtzumachen. Eine Einwohnerzahl von 500 oder 600 wäre ein sichereres Ruhekissen.
Und jede Partnervermittlung war ein Schritt in die richtige Richtung.
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