Futur III: Zorn und rohe Gewalt

Normalerweise kann ich in den Augen von Big Steel Jim gar nichts lesen – vor allem nicht, seit die Firma sie verchromt hat. An diesem Abend drückte jedoch sein stierer Blick ganz eindeutig Mord und Totschlag aus. Sichtlich versuchte er, sich notdürftig zusammenzureißen, aber die Art, wie er die Tür zu meinem Büro aufstieß, sprach Bände. Und als ich den Vorschlaghammer in seiner Faust sah, wusste ich, was es geschlagen hatte.
»Muss auf der Stelle den Vorarbeiter sprechen«, stieß Jim zwischen seinen zusammengebissenen Metallzähnen hervor.
Ich versuchte auszusehen, als wäre ich die Ruhe selbst. »Worum geht's denn diesmal, Jim?«
»Muss ein ernstes Wort mit ihm reden. Geh mir aus dem Weg.«
Der Koloss beugte sich drohend über meinen Schreibtisch. Seit dem letzten Upgrade war er noch größer geworden – wie nach jeder Aufstockung. Es fiel mir schwer, nicht vor Furcht zu zittern.
»Brauchst du denn wirklich diesen dicken Hammer, um ein zivilisiertes Gespräch zu führen?« Ich deutete auf das Werkzeug in Jims Riesenhand, die eisern das Ende des langen Stiels umklammerte.
»Lass mich zu ihm«, forderte Jim erneut. Sein Atem pfiff durch die Ventile in seiner Kinnlade. »Oder ich schlag hier alles kurz und klein.«
Er konnte seine Drohung ohne Weiteres wahrmachen. Big Steel Jim war fähig, einen Berghang mit den bloßen Fäusten einzureißen. Zu diesem Zweck war er gebaut worden. Er wäre im Stande gewesen, mich auf meinem Sessel zu zerquetschen wie ein lästiges Insekt. Verflixt, wahrscheinlich benötigte er nicht einmal die Kombination meines Sicherheitssystems. Das Büro des Vorarbeiters war durch eine massive Stahltür geschützt – aber ich hätte meinen monatlichen Erzanteil darauf verwettet, dass Jim die Tür einfach aus der Wand reißen konnte, wenn er sich das in den Kopf gesetzt hatte.
Immerhin, bisher hatte Jim nichts dergleichen getan. Daraus schloss ich, dass ich noch eine Chance hatte, ihm die närrischen Ideen auszureden, die in den Prozessoren seines Metallschädels umhergeisterten.
Big Steel Jim wäre im Stande gewesen, mich auf meinem Sessel zu zerquetschen wie ein lästiges Insekt
»Die Spätschicht ist schon fast vorbei, Jim«, gab ich lässig zu bedenken, als wäre für uns gleich Feierabend. »Der Vorarbeiter wird heute keine Zeit mehr für dich haben. Ich mach dir einen Vorschlag. Was hältst du davon: Wir verpflanzen uns in die Firmenkneipe, und du kannst mir in aller Ruhe erzählen, was du auf dem Herzen hast. Ich geb einen aus.«
Das war ein Angebot, das mich teuer zu stehen kommen könnte. Trinken war die einzige Tätigkeit, die Big Steel Jim ebenso gut beherrschte wie Steinebrechen. Aber es käme billiger als alles, was er möglicherweise anstellte, sobald er mit dem schweren Hammer in der Hand dem Vorarbeiter leibhaftig gegenüberstand.
»Mach die verfluchte Tür auf! Ich sag es nicht noch einmal.« Der dicke Griff des Hammers verbog sich in Jims geballter Faust.
»Also gut, ganz wie du willst.« Ich scheute keine Mühe, die Lage zu entschärfen. »Warum erzählst du nicht zuerst einmal mir, worum es eigentlich geht? Wir sind doch Kollegen. Vielleicht kann ich dir helfen.«
Ich konnte sehen, wie es in Jim arbeitete: Sollte er anfangen zu reden, oder sollte er lieber den Hammer schwingen? Als Stellvertreter des Vorarbeiters war ich zwar ein Erfüllungsgehilfe der Firma – aber Jim erinnerte sich hoffentlich noch an die Zeit, als wir einst Schulter an Schulter vor der Halde standen und einträchtig als Steinklopfer schufteten.
Jim brauchte quälend lange, um mit sich ins Reine zu kommen. Eine Entscheidung zu treffen, fiel ihm schwer – vor allem, seitdem man wieder einmal seine Prozessoren ausgewechselt hatte. Den Steinklopfern werden die billigsten Chips eingebaut, die es gibt. Durch die trägen Prozessoren verwandelt sich das Denken aus einem Spaziergang über freies Feld in ein mühseliges Waten durch zähen Sumpf.
»Wir reservieren unsere Investitionen für Upgrades von Muskeln und Skelett«, hatte der Vorarbeiter mir erklärt. »Es macht doch gar keinen Sinn, gutes Geld für schnelle Gehirne zu verschwenden. Die optimalen Steinklopfer sind diejenigen, die einen schwachen Geist besitzen, aber dafür einen starken Rücken.«
Der Vorarbeiter ist wirklich ein Schuft.
Endlich stieß Jim einen tiefen Seufzer aus, und wieder pfiffen die Ventile. »Die neuen Arbeitsverträge. Diese Papiere, die uns der Vorarbeiter vorige Woche zum Unterschreiben gab.« Jim hatte sich entschlossen, zu reden. »Mein Kollege Josiah sagt, die Firma wird uns die Erzanteile kürzen. Josiah meint, der Vorarbeiter hat uns reingelegt.«
Natürlich Josiah. Ich hätte selbst darauf kommen können. Wäre Josiah nicht so ein verfluchter Aufwiegler, hätte er wahrscheinlich meinen Job als stellvertretender Vorarbeiter bekommen. Vor einiger Zeit hatte er versucht, mit den anderen Steinklopfern eine Gewerkschaft zu gründen. Seitdem waren seine Chancen auf Beförderung gleich null.
»In den Arbeitsverträgen steht kein einziges Wort über Kürzungen der Erzanteile«, behauptete ich. »Mir kommt es vor, als versuchte Josiah wieder einmal, die Leute aufzuwiegeln.«
Jim zog einen zerknitterten Arbeitsvertrag aus dem Stauraum in seinem Brustkorb und knallte das Papier auf meinen Schreibtisch. Mit einem Finger so dick wie ein Wasserrohr trommelte er auf eine bestimmte Zeile. »Hier. Genau da. Josiah sagt, das bedeutet, die Chefs können uns die Erzanteile kürzen, wann immer sie wollen.«
Natürlich kannte ich die Zeile, die Jim meinte. Trotzdem beugte ich mich umständlich darüber und tat so, als läse ich sie zum ersten Mal: »Die Firma behält sich das Recht vor, Anpassungen an den Arbeitsentgelten der Beschäftigten vorzunehmen, sofern dies von den wirtschaftlichen Bedingungen erfordert wird. Durch das Leisten der Unterschrift verzichtet der Beschäftigte auf sein Einspruchsrecht oder andere gesetzliche Verfahren, die sich gegen solche Anpassungen richten.« Jim hatte das Papier mit einem X unterzeichnet. »Aber Jim! Da steht kein klitzekleines bisschen über deinen Erzanteil!«
»Behandel mich nicht wie einen Idioten!«, brüllte Jim. »Josiah hat mir alles so übersetzt, dass ich es verstehe. Er sagt, die Firma wird uns allen die Erzanteile kürzen, und hier steht klipp und klar, dass wir dagegen einen feuchten Dreck unternehmen können.«
»Aber die Firma hat doch überhaupt keine Erzanteile gestrichen, Jim.« Wie alle hieb- und stichfesten Lügen entsprach das sogar der Wahrheit. Der Aufsichtsrat hatte noch keinen Beschluss gefasst; mit anderen Worten, die Sache war noch nicht offiziell. Im Management wusste allerdings jeder, dass es so kommen würde – sogar einem so kleinen Licht auf der untersten Sprosse der Karriereleiter wie mir war das klar.
»Ich bin doch schon so nah dran.« Eine Welle der Traurigkeit schien Jim zu überwältigen. Für einen Augenblick vergaß er seinen Zorn. »Ich habe meine Anteilscheine gespart, wo es nur ging. Jetzt ist fast genug beisammen, damit ich meinen Körper abzahlen kann. Genug, um freizukommen. Wenn sie mir jetzt meine Erzanteile kürzen …« Der Gedanke war für ihn zu schrecklich, um ihn auszusprechen.
»Ach was, Josiah macht sich nur wichtig, der hat doch keine Ahnung.« Ich tätschelte Jims massiven Unterarm. »Lass dich von ihm nicht so aus der Fassung bringen. Geh doch schon vor zur Firmenkneipe, genehmige dir einen Drink auf meine Rechnung und beruhige dich. Ich komm gleich nach und werde dir Gesellschaft leisten.«
Jim nickte langsam. Er latschte aus dem Zimmer, den verbogenen Hammer noch immer in der Faust.
Kaum hatte Jim den Raum verlassen, steckte der Vorarbeiter den Kopf aus der dicken Tür zu seinem Büro. Er hatte die ganze Unterhaltung per Mikrofonverbindung mitgehört. »Gut gemacht«, lobte er und blies eine Wolke Zigarrenrauch in meine Richtung. »Erinnere mich daran, dass die Instandsetzungsabteilung seine kognitiven Fähigkeiten noch einmal um 20 Prozent oder mehr herunterschraubt.«
»Jawohl, Sir«, antwortete ich und gab mir Mühe, nicht einzuatmen.
Der Vorarbeiter zog sich in seine Festung zurück. Ich schaute auf meinen Kalender und zählte die Tage, bis ich im Stande sein würde, meinen eigenen Körper abzuzahlen. Nur noch ein paar Jahre – sofern es mir gelang, den Job im Management zu behalten.
»Beim nächsten Mal winke ich den Beschwerdeführer durch!«
Aber das sage ich mir jedes Mal.

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