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Futur III: Sie haben Aliens im Haus?

Eine Kurzgeschichte von Laura Pearlman.
Mehrere grob untertassenförmige Objekte vor einem bläulichen, grob sternförmigen Objekt

Die beste Strategie ist natürlich immer: sie gar nicht erst hereinzulassen. Aber vielleicht haben Sie Ihren Schornstein nicht abgedichtet oder ein Loch im Fliegengitter übersehen, und jetzt flitzt ein winziges Raumschiff der Außerirdischen in Ihrem Wohnzimmer oder in Ihrer Küche herum oder jagt unter Ihrem Esstisch durch. Es hat dann wirklich keinen Sinn, sich selbst die Schuld zu geben oder darüber zu spekulieren, welches Ihrer Kinder vielleicht die Eingangstür offen gelassen hat, während sie alle nach den Feiertagen ihre Autos vollpackten, um Sie dann wieder einmal in Ihrem leeren Nest zurückzulassen.

Jedenfalls sind Sie jetzt allein im Haus mit Ihren zwei Katzen und etwas, das aussieht wie ein kleiner fliegender Saugroboter in leuchtendem Pink. Das Erste, was Sie tun müssen, ist dreimal ruhig und tief Luft holen – außer natürlich, Ihre Katze macht einen seltsamen Trillerton, wie ihn diese Tiere beim Anblick eines Vogels gern ausstoßen. In dem Fall müssen Sie zuallererst Ihren Stubentiger schleunigst aus dem Zimmer schaffen, bevor er hochzuspringen versucht und die Außerirdischen ihn deshalb mit einer ihrer Energiekanonen zerfetzen.

Lassen Sie zu, dass die Außerirdischen mit­nehmen, was immer sie haben wollen

Nachdem Sie Ihre Katze sicher in einen anderen Raum gesperrt haben – vielleicht ins Schlafzimmer, wo Ihre zweite Katze bereits ängstlich unterm Bett kauert – und nachdem Sie etwaige Kratzer medizinisch versorgt haben, die Sie sich dabei zuzogen, können Sie zu Stufe eins zurückkehren. Wie gesagt: Holen Sie dreimal tief Luft. Und machen Sie sich bewusst, dass die allermeisten Menschen solche Begegnungen überleben, in der Regel sogar ohne allzu schwere Verletzungen.

Versuchen Sie den Aliens nicht im Weg zu stehen. Las­sen Sie zu, dass sie mitnehmen, was immer sie haben wollen. Niemand weiß wirklich über ihre Motive Bescheid, aber die vorherrschende Theorie besagt, dass sie auf einer Art Schnitzeljagd sind und ein scheinbar zufälliges Mischmasch von Gegenständen sammeln wie Gummiringe, Erdnüsse, Buntstifte, Lippenstifte, Zehennägelschnipsel, Blutproben und Tränen.

Verfallen Sie dabei nicht in paranoide Spekulationen darüber, was die Aliens mit diesen Dingen anfangen werden. Das sind schließlich keine Hexen, sondern bloß Außerirdische.

Falls aus Ihrem Schlafzimmer Jaulen oder Fauchen dringt, könnte es sein, dass Sie anfangen zu bedauern, dass Sie die aufgeregte Katze mit der verschreckten Artgenossin in einen Raum gesperrt haben und damit den gesamten Fortschritt aufs Spiel setzen, den die zwei Tiere in den letzten drei Jahren gemacht haben, indem sie mühsam lernten, miteinander auszukommen. Vergessen Sie’s! Hier gilt nur eine Regel: Sie müssen sich auf die Außerirdischen konzentrieren.

Beobachten Sie das Raumschiff und finden Sie heraus, was es will. Wenn es wiederholt gegen eine Zimmertür, einen Schrank oder eine Schublade stößt, dann möchte es haben, was darin ist. Am besten öffnen Sie die Tür oder die Lade oder was auch immer, bevor die Aliens ungeduldig werden und Ihre Sammlung von Stielgläsern in einen Tümpel aus geschmolzenem Glas verwandeln, inklusive womöglich der hübschen Champagnerflöten, die noch vom Fest auf der Anrichte herumstehen.

Wenn Sie einen Feuerlöscher besitzen, behalten Sie ihn am besten bei sich, während Sie den Besuchern durch das ganze Haus folgen.

Falls das Raumschiff in der Nähe Ihrer Augen schwebt, entfernen Sie sofort Ihre Kontaktlinsen und platzieren Sie sie auf der nächsten Tischplatte oder Ablage. Unbedingt. Sie wollen doch nicht, dass die Aliens sie selbst herausnehmen, oder? Wenn das Schiff knapp vor irgendeinem anderen Teil Ihres Körpers verharrt, halten Sie still und lassen es jede gewünschte Gewebeprobe entnehmen. In der Regel wird es etwas Kleines, nicht allzu Wichtiges sein.

Drücken Sie danach fest auf die Schnittstelle(n). Falls die Blutung mehr als fünf Minuten andauert, wählen Sie den Notruf 112, und ein Rettungswagen wird sich auf den Weg machen. Erwähnen Sie dabei unbedingt, dass Aliens im Haus sind, und bleiben Sie am Telefon, bis sie wieder abfliegen. Die Außerirdischen werden jeden einäschern, der versucht, einzudringen oder sich zu entfernen; deshalb ist es wichtig, dass die Sanitäter draußen warten, bis die Aliens fort sind.

In diesem Zusammenhang sei betont: Alle Außentüren und Fenster müssen fest verschlossen bleiben.

Wenn das Raumschiff irgendwann auch in den Raum eindringen will, in den Sie Ihre Haustiere gesperrt haben, bleibt Ihnen gar keine Wahl, als es zuzulassen. Ihre Katzen dürften inzwischen so sehr in Panik sein, dass sie den Aliens aus dem Weg gehen, und solange sie das tun, geschieht ihnen nichts. Die Außerirdischen scheinen sich für Katzen überhaupt nicht zu interessieren – woran man im Übrigen auch sieht, dass es sich um Aliens handelt.

Schließlich wird das Schiff zur Eingangstür schweben oder zu einem Fenster. Das bedeutet, dass die Aliens alles gesammelt haben, was sie wollten, und an diesem Punkt bleibt Ihnen nichts mehr zu tun, als sie hinauszulassen.

Glückwunsch! Sie haben Ihre erste Begegnung mit Außerirdischen überlebt. Löschen Sie jetzt sämtliche Schwelbrände. Falls Sie 112 gewählt haben, teilen Sie mit, dass die Sanitäter nun gefahrlos hereinkommen können. Geben Sie Ihren Katzen etwas Leckeres, vielleicht beruhigt es sie. Reiben Sie mit einem sauberen, trockenen Tuch über alle Blutflecken auf dem Teppich, geben Sie dann ein wenig Sprudelwasser drauf und wischen Sie noch einmal nach. Unter Umständen würde sich dort ja etwa eine Brücke oder ein Läufer gar nicht schlecht machen. Senden Sie Ihren Freunden, die Sie eigentlich gerade hatten treffen wollen, eine bedauernde Nachricht, und laufen Sie zum Getränkeshop, um sich zur Belohnung eine Flasche Champagner zu kaufen. Auch wenn die Champagnerflöten nicht überlebt haben sollten.

Vergessen Sie aber auf gar keinen Fall, beim Hinausgehen die Haustür hinter sich zu schließen.

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