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Leseprobe »Parasiten. Meister der Manipulation«: Götter, Geister und Güllegruben

Im vierten Kapitel widmet sich das Buch den Parasiten, die Ötzi, den Mann aus dem Eis, plagten – und wie er sich Abhilfe suchte. Eine Leseprobe
Zwei Personen in grüner Schutzkleidung und Masken untersuchen eine gut erhaltene, mumifizierte menschliche Leiche, die auf einer mit Aluminiumfolie bedeckten Oberfläche liegt. Die Szene findet in einem Labor oder einer ähnlichen Umgebung statt. Die Personen verwenden Werkzeuge, um die Leiche zu analysieren, was auf eine wissenschaftliche Untersuchung hindeutet.
Die Gletschermumie Ötzi liefert der Wissenschaft auch noch Jahre seiner Entdeckung immer wieder neue Erkenntnisse.

Man könnte meinen, nach über 5000 Jahren hätte ein Mann endlich seine Ruhe verdient. Aber nein, Ötzi, der Mann aus dem Eis und wohl berühmteste Pechvogel der Jungsteinzeit, genießt eine Medienpräsenz, für die ihn so mancher Popstar von heute beneiden würde. Dank akribischer Untersuchungen kennen wir seine Wehwehchen bis ins Detail: eine Litanei des Leidens. Athletisch, keine Frage – aber es war eben auch ein wandelndes Kompendium sämtlicher Gebrechen, das sich da über die Ötztaler Alpen schleppte.

Die Spurenleser der Wissenschaft verorten seinen Ursprung südlich des Brenners. Seine Werkzeuge? Qualitätsarbeit aus einem Steinbruch nahe dem Gardasee. Die Moose an seiner Garderobe? Eindeutig Südtiroler Flora – was darauf schließen lässt, dass er seine letzten Wochen im Schnalstal verbrachte. Wie die meisten seiner Zeitgenossen war er wohl eher ein Talbewohner. Denn mal ehrlich: Wer sucht schon freiwillig die Gesellschaft von Gletschern und schroffen Gipfeln? Doch der Handel, dieser unerbittliche Motor menschlicher Betriebsamkeit, zwang ihn womöglich auf die unwirtlichen Bergpässe. Ein neolithischer Pendler zwischen den Welten.

Sein letzter Weg muss für Ötzi die reinste Tortur gewesen sein. Denn die Liste seiner Beschwerden liest sich wie das Inhaltsverzeichnis einer medizinischen Enzyklopädie: Gelenke verschlissen (Wirbelsäule, Knie, Hüfte – das volle Programm), die Arterien verkalkt, die Lunge staubig (Silikose, der Bergmannsgruß), dazu eine überstandene Brustfellentzündung. Am kleinen Zeh eine Geschwulst, vermutlich Frostbeulen – ein Andenken an kalte Nächte, wie sie auch heutige Alpinisten nur zu gut kennen. Die Zähne? Abgenutzt, kariös, das Zahnfleisch auf dem Rückzug wie eine geschlagene Armee. Außerdem im Gepäck: die von Zecken übertragene Borreliose (der älteste bekannte Fall – noch ein Wettbewerb, bei dem man nicht Gewinner sein möchte) und ein kleiner Magenterrorist, auf den wir noch zu sprechen kommen. Ach ja, und Gallensteine. Man staunt, wie sich dieser Mann überhaupt auf den Beinen halten, geschweige denn klettern konnte.

Als wäre das nicht genug, zierte seine Hand ein tiefer Schnitt, wahrscheinlich eine Abwehrverletzung. Ein stummer Zeuge eines früheren Handgemenges, bei seinem Tod nur ein paar Tage alt – der Prolog zu dem Drama, das ein blutiges Ende nahm. Ötzis letzte Tage müssen ein Auf und Ab gewesen sein, nicht nur geografisch und physisch, sondern auch emotional. Sein Darminhalt, ein unwissentlich geführtes Logbuch aus Pollen verschiedener Höhenlagen, verrät seine Wanderungen zwischen Tal und Gipfel. Vielleicht war der Mann auf der Flucht? Was auch immer er auf 3000 Meter Seehöhe trieb, es war keine Auszeit vom stressigen jungsteinzeitlichen Alltag.

Blut, Bakterien und Beweise

Man möchte ihm durch die Zeiten zurufen: »Ötzi, bleib doch lieber zu Hause!« Aber vielleicht hätte ihm dieser Zuruf die Zornesröte ins Gesicht getrieben: »Wen nennst du da Ötzi?« Und vor Streit hat er wohl selten gekniffen, was die Pfeilspitze in der Schulter vermuten lässt: ein Volltreffer in die linke Schlüsselbeinarterie. Es war das Ende einer mühseligen Wanderung und eines beschwerlichen Lebens. Die Experten im weißen Kittel, die seine Überreste im CT-Scanner durchleuchteten wie ein Stück Gefriergut, nehmen an, dass jemand – vielleicht er selbst in einem letzten Anflug von Panik oder aber stoischer Ruhe6nbsp,– den Pfeilschaft aus der Wunde herauszog. Ein fataler Fehler. Wenige Minuten später war Schluss.

An dieser Stelle ein kleiner Exkurs für alle Möchtegern-Rambos und Erste-Hilfe-Optimisten: Wenn Ihnen oder einer Person, die Sie mögen, ein Gegenstand aus dem Körper ragt: Hände weg! Ja, Sie haben richtig gelesen: Bitte lassen Sie das Ding einfach stecken. Es klingt widersinnig, jedoch ist dieser Fremdkörper oft Ihr Verbündeter. Er mag ein Gefäß verletzt haben, aber er könnte es auch provisorisch abdichten. Ziehen Sie ihn raus und Sie öffnen die Schleusen. Das Blut sprudelt dann wie aus einem aufgeplatzten Gartenschlauch – und zwar nicht zu knapp. Wer meint, mit festem Griff die Heldin spielen zu müssen, verschleppt Keime tiefer in die Wunde; ein Albtraum fürs Immunsystem. Profis machen das anders, nämlich mit sterilem Besteck und ruhiger Hand. Die wissen, wie man einen solchen Störenfried entfernt, ohne dass der oder die Getroffene vor Schmerz das Bewusstsein verliert oder sich wünscht, im ewigen Eis geblieben zu sein.

Doch um fair zu sein: Ötzi hatte schlicht Pech. Falsche Zeit, falscher Ort und keine Chance, mit länglichen Fremdkörpern in seiner Wunde irgendetwas richtig zu machen. Aber Moment, die Sache ist komplizierter. Als hätte der Pfeil nicht gereicht, fand man auch ein Schädel-Hirn-Trauma, sprich: Blutergüsse im Großhirn, entstanden durch einen heftigen Aufprall. Ein Sturz nach dem Treffer? Ein gezielter Schlag auf die Stirn, um ihm das Sterben zu erleichtern? Die Wissenschaftler streiten noch – ein posthumes Gerangel um die exakte Todesursache, bei dem der Hauptdarsteller nur körperlich zu Rate gezogen werden kann. Fest steht: Ötzis Abgang war alles andere als sanft. Mit seinen 45 bis 50 Jahren war er zwar kein Jüngling mehr, aber ins Eis beißen musste der arme Mann trotzdem auf die harte Tour.

Was man außerdem weiß: Der Pfeil kam wohl aus der Ferne, heimtückisch, unversehens. Ötzi war entspannt, hatte gerade gegessen. Der Täter ließ die Wertsachen des Verletzten liegen, darunter die Kupferaxt, ein Statussymbol sondergleichen. Es war also kein Raubmord, eher eine Abrechnung, die blutig beglichen wurde.

Die Axt selbst ist eine kleine Geschichte wert. Das Kupfer stammt nicht aus den Alpen, sondern aus der Toskana – ein Beweis für erstaunliche Handelsnetze. Die hohen Arsen- und Kupferwerte in Ötzis Haaren ließen manche Forscher schon spekulieren, er sei in der Metallgewinnung tätig gewesen, womöglich ein prähistorischer Kupferbaron. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Metalle erst nach seinem Tod aus der Umwelt in seinen Körper gelangten. Die Axt sorgte jedenfalls für gehörigen Aufruhr unter Historikern, verschob sie doch die Datierung des Kupfergusses mal eben um schlappe 1000 Jahre nach hinten. Ötzi, ein Revolutionär der Metallurgie.

Doch der Mann vom Tisenjoch ist nicht nur ein Hauptgewinn der Traumatologen und Archäologen, sondern ebenso ein Fest für Mikrobiologen. Denn in seinem Magen fanden sich Reste von Steinbock, Hirsch – und Helicobacter pylori. Ein Bakterium, das heute von der halben Menschheit beherbergt wird und als Großmeister der Magenentzündungen gilt. So ein Einzeller, der heute derart erfolgreich ist, musste früh damit beginnen, seine Umwelt zu erobern. In Ötzi findet sich der bislang älteste Nachweis dieses Feldzuges – quasi Helicobacter der Große. Keine Frage: ein unwillkommener Gast, aber kein Parasit im strengen Sinne. Denn H. pylori hat seinen eigenen Stoffwechsel und ist nicht völlig von der Wirtin abhängig wie ein echter Schmarotzer, der sich ohne seine Gastgeberin schlicht nicht vermehren kann. H. pylori ist eher ein ungebetener Untermieter, der mitunter die gemeinsame Wohnung verwüstet, aber nicht zwingend auf Kosten des Vermieters lebt. Viele tragen ihn völlig symptomlos in sich. Ein Parasit hingegen ist per Definition ein knallharter Ausbeuter, der der Wirtin schadet. Eine subtile, gleichwohl gewichtige Unterscheidung in der facettenreichen Biologie des Zusammenlebens.

Philosophen, Peitschen und Parasiten

Man könnte Bücher über Ötzis körperliche Malaise füllen – und tatsächlich wurden auch Hunderte, wenn nicht gar Tausende wissenschaftliche Arbeiten über den Gletschermann verfasst. Viele Experten sind der Ansicht, dass Ötzi trotz seiner Gebrechen in einem guten Zustand war. Wir reden immerhin vom Neolithikum und Gesundheit ist relativ. Aber in diese philosophische Debatte wollen wir uns nicht einmischen, sondern gehen tiefer  – in die Eingeweide: Uns interessiert etwas, das Ötzi wohl zeitlebens plagte, auch wenn es ihn nicht ins Grab brachte: Trichuris trichiura, der Peitschenwurm, der sich in seinen Gedärmen breitgemacht hatte.

Dieser Fadenwurm nistet sich im Dickdarm ein und verursacht die Trichuriasis. Sein Name ist Programm: Das vordere Ende ist dünn wie ein Peitschenschlag, das hintere dicker, wie der Griff. Ein Design, das zugleich bizarr und effektiv ist. Heute weltweit verbreitet, gehört er zu den »Big Playern« unter den menschlichen Darmparasiten.

Ötzi durchstreifte die Alpentäler und bezwang mächtige Höhenzüge. Seine verborgenen Begleiter betrieben derweil ihre eigene Lebensreise. Trichuris trichiura, der Weltenbummler im Miniaturformat, hatte sich wohl die exklusivste Adresse der Jungsteinzeit ergattert. Dumm, dass diese illustre Residenz zur Endstation wurde: statt weiterzureisen, erstarrte er mit seinem Wirt im alpinen Permafrost Sich diesen Wurm einzufangen, war zu jener Zeit vermutlich so einfach wie heute einen Schnupfen im Großraumbüro zu holen. Fehlende Kanalisation in den Dörfern, allgemein mangelnde Hygiene: ein Paradies für fäkal-oral übertragene Plagegeister. Ötzis ohnehin schon strapazierter Körper war womöglich noch anfälliger. Die Rippenfellentzündung, die Silikose – lauter offene Türen für Parasiten aller Art. Und wer in der Jungsteinzeit viel unterwegs ist, und Ötzis Ausrüstung weist darauf hin, isst und trinkt Dinge, die wahrscheinlich nicht einmal den damaligen Hygienestandards genügten.

Vielleicht infizierte er sich auch durch den Kontakt mit fremden Menschengruppen, die neue Parasitenstämme ins Spiel brachten, gegen die sein Immunsystem noch keine Routine entwickelt hatte. Der Lebenszyklus des Peitschenwurms ist ein Kreislauf von geradezu unappetitlicher Effizienz. Die Weibchen legen täglich Tausende von Eiern, die mit dem menschlichen Stuhl ausgeschieden werden. Diese Eier sind fassförmig mit dicker Schale und haben an beiden Polen schleimgefüllte »Polpfropfen«. Sie sind anfangs nicht embryoniert, also harmlos, und brauchen erst eine Reifezeit in der Außenwelt, vorzugsweise in feuchten, warmen Böden. Mindestens zwei Wochen dauert es, bis sie infektiös werden. Eine direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch ist daher ausgeschlossen. Man muss schon im Dreck wühlen oder kontaminierte Nahrung zu sich nehmen. Siedlungen ohne Kanalisation und Trinkwasserversorgung, wie damals üblich, boten ideale Bedingungen: eine permanente fäkale Verschmutzung, quasi ein ständiges Reservoir an reifenden Eiern.

Salz, Schweiß und Schmarotzer

Die kleinen Peitschenschwinger hinterließen ihre erste Visitenkarte in ähnlichen Gefilden – und das 3000 Jahre, bevor Ötzi seine ersten Bergschuhe schnürte. Während die debütierenden Bauern der Jungsteinzeit ihre Nomadenfreiheit gegen das verlockende Versprechen von Brot, Steaks und – als Bonus – einer exklusiven Kollektion an Parasiten eintauschten, ahnten sie nicht, dass sie damit auch den Grundstein für die Archäoparasitologie legten. Fortschritt, so zeigt sich, äußert sich manchmal in Form hartnäckiger Mitbewohner, die sich in den Ritzen der Zivilisation einnisteten und sich weigern, auch nur den geringsten symbiotischen Beitrag zu leisten.

Ein internationales Forscherteam, das seine Arbeit vermutlich nicht beim Abendessen bespricht, hat in versteinerten Exkrementen aus Çatalhöyük – einer legendären Siedlung in der heutigen Türkei, wo bereits vor 9000 Jahren die Menschen dicht gedrängt lebten – Spuren des Peitschenwurms entdeckt. Ein Meilenstein, obwohl die meisten Paläoparasitologen Trittsteine deutlich mehr schätzen. Die Sesshaftigkeit erwies sich als zweischneidiges Schwert. Plötzlich hockten Menschen und ihre Nutztiere auf engstem Raum zusammen. Eine Art steinzeitliche Megacity, nur ohne Putzplan und mit einer, sagen wir, pragmatischen Einstellung zur Abfallentsorgung nach dem Prinzip »Wo Platz ist, da ist auch ein Kothaufen«. Paradiesische Bedingungen für Mikroorganismen, die auf der Karriereleiter der Evolution nach oben wollen.

Cambridge-Gelehrte und Absolventen des Elitekurses »Wie man mit Würde in historischen Ausscheidungen wühlt« entdeckten dort Peitschenwurm-Eier aus der Zeit zwischen 7100 und 6150 vor Christus. Neun Jahrtausende in Embryonalstellung – da schreit selbst ein wirbelloser Parasit nach einem Chiropraktiker! Während die antiken Griechen bereits als befallen galten, ist dies der früheste Nachweis in einer jungsteinzeitlichen Siedlung in dieser Region. Ob die Schmarotzer strategisch klug die Sesshaftigkeit abwarteten oder schon die ersten tapsigen Schritte des Menschen auf zwei Beinen begleiteten, ist offen. Deshalb planen Forscher, Exkremente von Jägern und Sammlern zu untersuchen – ein Unterfangen, das deutlich schwieriger ist als bei Sesshaften: Während Siedlungsbewohner ihre Hinterlassenschaften höflich an denselben Stellen deponierten und so archäologische Schatzkammern schufen, hinterließen nomadische Jäger ihre Spuren kreuz und quer in der Wildnis. Das macht ihre Kot-Archäologie etwa so erfolgversprechend wie die Suche nach einem WC mit Klopapier am dritten Tag des Wiener Donauinselfestes.

Bevor Sie jetzt aber in Mitleid mit Archäologen zerfließen, die 10 000 Jahre alte Häufchen ohne Duftnote jagen, oder glauben, Ihr Großraumbüro sei der Gipfel der Plackerei, entführen wir Sie an einen Ort von malerischer Schönheit: Hallstatt, UNESCO-Welterbe.

Wir widmen uns aber nicht dem Postkartenidyll, sondern der prähistorischen Salzmine: Finsternis, kaum erhellt von Fackeln, die rußten wie alte Öfen. Stehen? Kaum möglich. Luft? Zum Schneiden. Lärm? Ohrenbetäubend. Kaffeepause? Aber sicher – nur ohne Kaffee oder Pause. Immerhin: Zur Toilette war es nie weit. Einfach ein Schritt zur Seite, Hose runter, Notdurft verrichten. Die Hallstätter Kumpel waren wahre Pioniere in Sachen Kreislaufwirtschaft: essen, schuften, ausscheiden – alles in einem geschlossenen Ökosystem.

Ein Paradies für unsere alten Bekannten, die Peitschenwürmer, und ihre nicht minder charmanten Kollegen, die Spulwürmer (Ascaris lumbricoides). Man könnte die Jobbeschreibung für Paläoparasitologen so formulieren: »Sie suchen eine Herausforderung? Wir bieten einzigartige Abstiegschancen! Kriechen Sie täglich in feuchte, dunkle Löcher, die seit Jahrtausenden kaum betreten wurden, wo Sie im Schein Ihrer Stirnlampe die stummen Zeugen prähistorischer Verdauungsprobleme beleuchten. Analysieren Sie mit wissenschaftlicher Akribie, was andere vor 3000 Jahren lieber diskret verscharrt hätten. Kein Tag gleicht dem anderen – schon allein deshalb, weil Sie in den Tiefen des Berges Tag und Nacht ohnehin nicht unterscheiden können.«

Einige österreichische Forscher mit einer besonderen Affinität zur dunklen Seite der Geschichte nahmen die Herausforderung an. Sie untersuchten über 3000 Jahre alte »Geschäfte« aus den Hallstätter Minen. Mithilfe von DNA- und Proteinanalysen kamen sie zu einem Ergebnis, das man als Kompliment für die Parasitenfähigkeiten werten könnte: 91 Prozent der Proben enthielten Wurmeier. Während die Menschen mühsam Salz aus dem Berg schürften, werkten die Würmer in ihren Därmen unermüdlich an ihrem eigenen Vermächtnis. Eine imponierende Parallelökonomie. Vor allem die Ascaris-Eier erwiesen sich als unverwüstlich, quasi der VW Käfer unter den Parasiteneiern.

Wer sich durch Fäkalien arbeitet, bekommt unweigerlich auch den dazugehörigen Speiseplan frei Haus geliefert. Die Hallstätter aßen deftig: Getreidebrei, Bohnen, Fleisch, dazu gegebenenfalls mal ein Schluck Bier oder ein Stück Käse – Fermentation war schließlich schon erfunden. Doch mit jedem Bissen schlüpften mitunter ungebetene Tischgäste mit ins Verdauungssystem. Bemerkenswert: Man entdeckte Überreste von Pestwurz – jener Pflanze, die heute noch als Magenmittelchen in jeder soliden Hausapotheke zu finden ist. War das ein gezielter Versuch der Selbstmedikation? Ein instinktiver Griff zur bronzezeitlichen Wurmkur? Oder nur zufällig mitgegessenes Grün, quasi die historische Variante des dekorativen Petersilienblattes? Die Antwort verliert sich in der Dunkelheit der antiken Stollen. Ebenso wie von den europäischen Bergbaupionieren nichts übrig geblieben ist außer ein paar mikroskopischen Eiern. Und nicht einmal ihre eigenen.

Verwandtschaft, Vandalen und Vampire

Man könnte meinen, Trichuris trichiura sei dank moderner Sanitäranlagen ein Auslaufmodell. Mitnichten! Er ist ein Kosmopolit mit einer Vorliebe für schwüle Gefilde und mangelnde Hygiene. Bis zu 360 Millionen Menschen sollen ihn heute beherbergen. Er ist eine Geißel der Armut, ein ständiger Begleiter dort, wo sauberes Wasser und Toiletten Luxusgüter sind. Wenigstens ist er in einer Beziehung wählerisch: Seine Hauptwirte sind Menschen. Das bedeutet, dass der Wurm normalerweise nicht auf Tiere überspringt und der Lebenszyklus vollständig innerhalb der menschlichen Population abläuft.

Die Eier des Peitschenwurms sind kleine Panzerschränke, resistent gegen fast alles, was die Umwelt ihnen entgegenstellt. Am wohlsten fühlen sie sich in feucht-warmer Erde im Schatten. In den Tropen mit Regen in Hülle und Fülle bleiben sie monatelang gefährlich, unter Laborbedingungen sogar Jahre. Nach zwei, drei Wochen schlüpft im Ei eine infektiöse L1-Larve, also die erste Larvenstufe. Gelangen die reifen Eier dann in den menschlichen Dünndarm, geben Verdauungssäfte und Umgebungsfaktoren das Startsignal: Die L1-Larven brechen aus und bohren sich zum Krummdarm, dem letzten Teil des Dünndarms, in die Schleimhaut, wo sie sich zu den nächsten Larvenstadien häuten.

Nach wenigen Tagen verlassen die Larven die Schleimhaut und ziehen weiter in den Blinddarm und in den ersten Dickdarmabschnitt. Dort legen sie ihre Haut mehrmals ab und werden erwachsen. So verankert sich der Wurm mit seinem »Peitschenschwanz« in der Darmwand, während das dicke Hinterteil frei ins Lumen hineinragt. Dieses »halb drin, halb draußen«-Prinzip ist eine geniale Konstruktion: fester Halt, Zugang zur Nahrung (Gewebsflüssigkeit, Zellen) und die Möglichkeit, die Eier in den Stuhl abzugeben. Als Erwachsene messen sie 30 bis 50 Millimeter, wobei die Damen die Herren überragen. Möglicherweise, weil die Peitschenwurm-Weibchen echte Powerfrauen sind: Sie legen täglich Tausende von Eiern, das US-amerikanische CDC spricht sogar von 20 000. Das sind Millionen von Nachkommen pro Jahr! So lange lebt ein Peitschenwurm übrigens.

Was die Figur angeht, herrscht unter Würmern eine gewisse, nun ja, Eintönigkeit. Nehmen wir die Spulwürmer: Sie treiben wie Nudeln in der Suppe durch die Dünndarmschlingen, ein kontrolliertes Gleiten, stets genährt vom frisch servierten Nahrungsbrei der Wirtin. Dabei werden ambitionierte Weibchen doppelt so groß wie die Männchen und erreichen imposante Längen von bis zu 40 Zentimetern!

Doch Vorsicht vor trügerischer Entspannung: Werden die Nudel-Imitatoren gestört – etwa durch eine schlecht getimte Wurmkur –, verlieren sie ihre Contenance. Dann beginnen sie zu »wuseln« und kriechen panisch in die nächstbeste Öffnung. Fatal wird es, wenn sie sich dabei in den Pankreasgang verirren oder sich zu einem Darmverschluss zusammenknäueln – dem berüchtigten Ileus verminosus. Denn ein Knäuel aus Hunderten Spulwürmern kann selbst den geräumigsten Darm an seine Grenzen bringen. So werden aus den braven Bürokraten im Handumdrehen lebensgefährliche Chaoten.

Die Hakenwürmer (Necator americanus) hingegen sind die Camper unter den Parasiten: Ständig unterwegs, schlagen sie mal hier, mal dort ihre Zelte auf. Tatsächlich kann man sich diese unangenehmen Gäste im Urlaub beim Barfußlaufen am Campingplatz einfangen. Die Anreise dieser blinden Passagiere ist dabei ein echtes Abenteuer: Nach dem Hautkontakt – meist unauffällig – bohren sich die Larven direkt durch die Fußsohle und erreichen über die Blutbahn die Lunge. Dort legen sie einen kurzen Zwischenstopp ein, bevor sie durch die Atemwege Richtung Rachen kriechen und dabei nicht selten einen handfesten Reizhusten auslösen. Das ist kein Hüsteln – es ist ein Parasiten-Check-in mit Schleimkonzert! Denn einmal im Mund angekommen, können sie verschluckt werden und landen später im Dünndarm, wo sie endlich ihr Lager aufschlagen.

Dort beißen sie sich in bester Vampirtradition mit Mundwerkzeugen, die an rostige Fischerhaken erinnern, an der Darmwand fest und zapfen die Blutgefäße an. Wer mutig genug ist, kann sich die dentalen Werkzeuge des Grauens unter dem Elektronenmikroskop ansehen: Die Kombination aus sägeblattartigen Beißwerkzeugen, Monstermaul und gnadenloser Vergrößerung lässt selbst einen Stephen King schweißgebadet zurück. Und was sie damit anrichten, ist nicht weniger scheußlich: Um zu verhindern, dass ihr persönliches Buffet gerinnt, injizieren sie ein paar gerinnungshemmende Substanzen und Verdauungsenzyme in die Miniwunden. Zugegeben, ein einzelner Wurm schlürft täglich bescheidene 0,2 Milliliter Blut, aber in geselliger Runde ergibt sich schnell eine ordentliche Zeche, die die Wirte tatsächlich in die Blutarmut stürzen kann. Und weil diese Camper echte Nomaden sind, wechseln sie munter ihren Ankerplatz und hinterlassen dabei eine Schar kleiner, blutender Wunden – parasitäre Graffiti an der Darmschleimhaut.

Dübel, Dschungelcamp und Darmflora

Zurück zum Peitschenwurm. Da der bekennende Bewegungsphobiker fest im Blind- und Dickdarm verweilt, muss er sich etwas einfallen lassen, um nicht vom Immunsystem der Wirtin zwangsgeräumt zu werden. Seine raffinierte Überlebensstrategie: Er bohrt sein dünnes Vorderende tief in die Darmschleimhaut. So entgeht er nicht nur der natürlichen Darmperistaltik, die ihn mit den Resten des gestrigen Festmahls entsorgen würde, sondern auch den patrouillierenden Abwehrzellen im offenen Darmlumen. Die Darmwand, irritiert durch den Eindringling, schlägt mit einer leichten Entzündung und vermehrter Schleimproduktion beleidigt zurück. Ein klassischer Fall von gut gemeinter, aber katastrophaler Selbstverteidigung: Denn dieser Schleim wird für den Wurm zur heimeligen Nische, einer Art selbst gebautem Bunker gegen die Immunabwehr. Er macht es sich quasi in der Falle gemütlich, die ihm gestellt wurde.

Doch der Wurm mit der Peitsche verlässt sich nicht nur auf sein Versteckspiel. Er greift in die biochemische Trickkiste und sondert Substanzen ab, die man in Expertenkreisen als »immunmodulatorisch« bezeichnet – was im Grunde nichts anderes heißt als molekulare Beruhigungsmittel, die das menschliche Immunsystem sanft einschläfern. Wissenschaftler machten in ärmeren Weltregionen verblüffende Beobachtungen: Kinder, die länger den unfreiwilligen Gastgeber für Würmer wie den Hakenwurm oder den Pärchenegel (Schistosoma mansoni) spielten, litten seltener unter Allergien als ihre wurmfreien Altersgenossen. Chronische Wurminfektionen scheinen das Immunsystem umzuerziehen, es gegenüber Allergenen wie etwa Milbenkot deutlich gelassener zu machen. Doch die Sache ist tückisch: Während eine beständige Infektion schützt, kann eine kurze oder milde das Allergierisiko sogar erhöhen. Die Biologie ist eben kompliziert.

Wie aber gelingt den Würmern dieser Coup? Sie bringen das Immunsystem zur Selbstsabotage. Statt in Panik auszubrechen, reagiert der Organismus nach einer gewissen Zeit geradezu tiefenentspannt. Die Parasiten verteilen sozusagen Valium an die überdrehten Sicherheitskräfte des Körpers. Normalerweise fährt dieser bei Wurmbefall das schwere Geschütz auf: spezielle Antikörper (IgE) und spezielle weiße Blutkörperchen wie Mastzellen und eosinophile Granulozyten. Genau dieses Arsenal, das ursprünglich Eindringlinge bekämpfen soll, richtet die übersensible Abwehr bei Allergikern auf harmlose Substanzen wie Pollen oder Tierhaare. Doch im Gegensatz zum Katzenfell können die Würmer mit einer Drei-Punkte-Strategie kontern: Sie mischen Wasser in den Sprengstoff, indem sie dafür sorgen, dass die IgE-Antikörper verdünnt werden – weniger Histamin-Ausschüttung, weniger Wumms. Sie produzieren außerdem Substanzen, die verhindern, dass Immunzellen alarmiert und aktiviert werden. Und sie fördern die Bildung regulatorischer T-Zellen. Diese körpereigenen Friedenstruppen dämpfen generell die Abwehr- sowie Entzündungsreaktionen und bringen das System zur Ruhe. Diese Finesse beeindruckt die Wissenschaftler so, dass sie überlegen, Würmer medizinisch einzuspannen. Was paradox klingt, zeigte in tierexperimentellen Untersuchungen zunächst Wirkung: Wurmsubstanzen linderten Asthma- und Diabetes-Symptome. Auch beim Menschen wagte man Experimente: Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erhielten kontrolliert Eier des Schweinepeitschenwurms (Trichuris suis). Der Clou: Der Wurm als biologischer Brandlöscher im Darm.

Die Larven überlebten in menschlichen Wirten nur kurz, wurden daher nicht geschlechtsreif und vermehrten sich nicht. Diese Stippvisite reichte in kleinen Studien, um das Immunsystem zu beruhigen und Symptome der Autoimmunerkrankungen zu lindern. Trotz dieser Erfolge bleibt die »Wurmkur« extrem umstritten und größere Placebo-kontrollierte Studien verhinderten den Aufstieg zur Standardtherapie.

Die Vorstellung, sich freiwillig Parasiten einzuverleiben, besitzt zudem nicht den gleichen Wellness-Faktor wie eine Ayurveda-Kur am Gardasee, sondern eher den Charme einer Prüfung im Dschungelcamp. Die Zukunft der Wurmtherapie liegt also nicht darin, den ganzen Wurm zu schlucken, sondern ihm seine biochemischen Geheimnisse zu stehlen und sie in Pillenform zu verkaufen. Bis es so weit ist, bleibt die Erkenntnis, dass ein uralter Feind vielleicht ein Lehrmeister für unser überreiztes Immunsystem ist.

Als wäre es nicht genug, die Abwehr einzuschläfern, scheint Trichuris trichiura die umgebende Darmflora nach seinem Geschmack umzugestalten und die Darmbarriere zu manipulieren. Die leichte Entzündung und die Überproduktion an Schleim schaffen ein Milieu, das speziellen Bakterien gefällt – praktischerweise solchen, die dem Wurm nicht schaden. Manche dieser Kleinstlebewesen revanchieren sich sogar, indem sie die Polpfropfen der Wurmeier auflösen und so dem Nachwuchs beim Schlüpfen helfen. Das Ergebnis: eine unheilige Allianz, die im Mikrokosmos des Wurms eine Art immunologisch beruhigte Verkehrszone schafft. Dank dieser Beschwichtigungspolitik kann sich eine Peitschenwurmkolonie jahrelang unbemerkt einnisten. In diesem Kalten Krieg duldet die Wirtin eine gewisse Wurmlast, während der Parasit für diese friedliche Koexistenz einen Preis zahlt, indem er seine Fortpflanzungsrate drosselt. Würde er das Immunsystem zu aggressiv unterdrücken, könnte die Wirtin zwar mehr Würmer beherbergen, was dem Parasiten kurzfristig nützen würde, aber langfristig würde er den Ast absägen, auf dem er sitzt. Eine völlige Kapitulation des Immunsystems bleibt aus; es hält die Wurmbürde in Schach.

Kippt dieses fragile Gleichgewicht jedoch – etwa bei massivem Befall, wie er oft bei Kindern vorkommt –, treten trotz aller diplomatischen Finessen ernste Symptome wie etwa Anämie auf. Man könnte meinen, der Wurm wäre als rücksichtsloser Mietnomade erfolgreicher: »Warum die Wohnung pflegen? Meine Nachkommen ziehen woanders hin, also kann ich hier alles kurz und klein schlagen!« Doch hat die Evolution den Wurm zu einem weitsichtigen Untermieter erzogen, nicht zu einem Vandalen. Der Fehler in der kurzsichtigen Logik ist, dass die Anzahl der Würmer den Zustand der Wohnung, also der Wirtin, bestimmt. Die egoistische Strategie: Ein Parasit, der auf maximale Vermehrung setzt, ist wie ein Mieter, der Hunderte Freunde einlädt. Die Unterkunft wird überstrapaziert, verdreckt und beschädigt. Das ruft den Vermieter – das Immunsystem – auf den Plan, der mit einer Räumungsklage reagiert: Die Würmer fliegen raus und die Wohnung ist für lange Zeit unbewohnbar. Die bessere Strategie aus Wurmsicht: sich wie ein idealer Untermieter verhalten, der unauffällig lebt und die Belastung gering hält. So kann der Parasit über Jahre in seinem gemütlichen Zuhause wohnen bleiben und in aller Ruhe seine Nachkommen in die Welt schicken. Ergo hat die Evolution dem Peitschenwurm beigebracht, dass Verhältnismäßigkeit keine Schwäche, sondern eine kluge Strategie ist.

Kuren, Kunst und Kolonien

Bei starkem Wurmbefall – wir reden von 100 bis 200 Würmern, die sich im Darm tummeln – wird es ungemütlich: chronische Bauchschmerzen, blutiger Durchfall, nächtlicher Stuhldrang (ein charmantes Wort dafür: Tenesmen) und im Extremfall sogar Mastdarmvorfall. Der ständige Nährstoffklau direkt an der Quelle führt besonders bei Kindern zu Wachstumsstörungen, medizinisch als Trichuris-Dysenterie-Syndrom bekannt. Und Ötzi? Der war erwachsen. War sein Befall moderat, hat er vielleicht wenig gemerkt. Andererseits zeigen die Beau’schen Linien, kleine Querrillen in seinen Fingernägeln, dass er Monate vor seinem Tod Phasen von Krankheit oder Stress durchmachte. Ob die Würmer daran mitschuldig waren, bleibt Spekulation – aber eine, die plausibel scheint.

Ötzi und seine Zeitgenossen hatten vermutlich keinen blassen Schimmer vom Lebenszyklus eines Wurms, der seine Eier klammheimlich mit in ihren Kot schmuggelt. Die Symptome – Bauchschmerzen, Durchfall, Abmagerung – dürften ihnen aber kaum entgangen sein. Vielleicht schoben sie es auf den Zorn der Götter oder »böse Geister im Bauch«. Dass Ötzi Tätowierungen trug, die auffällig an Akupunkturpunkten liegen, befeuert die Fantasie der Wissenschaftler bis heute. Waren das therapeutische Maßnahmen? Die Muster – schlichte Striche und Kreuze – befinden sich an Stellen, an denen Ötzi Schmerzen gehabt haben muss: Lendenwirbelsäule, Knie, Sprunggelenke. Parallelen zur Akupunktur drängen sich auf, auch wenn diese Methode erst Jahrtausende später in China erstmals dokumentiert wurde. Vielleicht war der Mann aus dem Eis ein Pionier der Nadelstiche? Oder waren es doch nur Stammeszeichen, Heilrituale oder das Ergebnis eines steinzeitlichen Tattoo-Selbstversuchs, das noch seine Linie suchte? Wir tappen im Dunkeln, aber die Vorstellung, dass er versuchte, seine Gelenkschmerzen zu lindern, während einige Quälgeister in seinem Darm saßen, hat eine tragische Note.

Bemerkenswerterweise hatte Ötzi aber etwas im Gepäck, das man als steinzeitliches Anti-Wurm-Mittel interpretieren könnte: Erstens zwei auf Fellstreifen aufgefädelte Stücke eines Baumschwamms, des Birkenporlings. Ein Pilz, der an Birken wächst und vielleicht schon damals als eine Art »natürliches Antibiotikum« galt, auch wenn man weder das Wort noch Ziele oder Wirkung kannte. Moderne Analysen bestätigen: Der Pilz enthält tatsächlich Substanzen, die gegen Darmparasiten wirksam sind. Zweitens hatte Ötzi Reste von Adlerfarn in seinem Magen-Darm-Trakt. Adlerfarn ist ein zweischneidiges Schwert: traditionell als Wurmmittel eingesetzt, aber gleichzeitig giftig und vermutlich krebserregend. Ein klassisches Beispiel für ein Heilmittel, bei dem man die Nebenwirkungen wohl zähneknirschend in Kauf nahm, wenn die Not groß genug war – oder man schlichtweg keine Ahnung von Onkologie hatte. Glücklicherweise ist unser heutiges Arsenal gegen Würmer raffinierter und nebenwirkungsärmer.

Da wäre Mebendazol, ein Klassiker, der den Würmern buchstäblich den Saft abdreht, indem er ihren Stoffwechsel lahmlegt. Sie verhungern mitten im Schlaraffenland. Eine Einmal-Dosis ist oft nur ein höflicher Hinweis zum Auszug, den manche Würmer geflissentlich ignorieren. Eine dreitägige Kur hingegen ist deutlich effektiver und gleicht einer Zwangsräumung mit Polizeischutz. Albendazol ist der Allrounder unter den Entwurmungsmitteln. Er wirkt ähnlich wie Mebendazol, ist aber beliebt bei Massenbehandlungen, auch weil er wie ein Kombi-Ticket andere Wurmarten gleich mit erwischt.

Ivermectin erlangte während der Corona-Pandemie zweifelhaften Ruhm als vermeintliches Wundermittel. Gegen Parasiten wirkt es jedoch tatsächlich: Es lähmt die Würmer, als hätten sie Medusa in die Augen geblickt. Allein ist es oft nur mäßig wirksam, doch in Kombination mit anderen Wirkstoffen wird es zum gefeierten Ensemblemitglied im großen Anti-Wurm-Orchester. Die gelähmten Würmer können sich nicht mehr festkrallen und werden mit einem letzten Akkord Richtung Kanalisation gespült. Ein Abgesang in Moll, aber ohne Applaus. Als Newcomer, speziell für Peitschenwürmer, gilt Oxantel-Pamoat. In Kombination mit Albendazol erzielt es Erfolgsquoten, die selbst abgebrühte Parasitologen zu Standing Ovations hinreißen. Noch ist der Wirkstoff nicht überall im Einsatz, aber sein Aufstieg ist vorprogrammiert – ein vielversprechender Star am Entwurmungshimmel.

Gelten diese Mittel für alle Helminthen? Nicht ganz. Viele Wurmkuren sind wie Maßanzüge konzipiert – Oxantel ist beispielsweise ein ausgewiesener Peitschenwurm-Flüsterer –, aber viele Medikamente geben sich als Wurmwalze und räumen gleich mehrere Wurmarten ab. Doch im ewigen Wettrüsten der Natur schlagen die Würmer zurück: Resistenzen sind auch hier ein wachsendes Problem, ganz nach dem Motto »Was dich nicht umbringt, macht dich stärker«. Die Wissenschaft kontert mit Kombinationstherapien – wenn ein Geschoss nicht trifft, dann vielleicht das nächste. Nach der Behandlung folgt die Stunde der Wahrheit unter dem Mikroskop: Eine Stuhlprobe verrät, ob die lang gezogenen Quälgeister wirklich das Weite gesucht oder sich nur in die hintersten Darmwinkel verzogen haben. In Gegenden, wo diese Plagegeister zum Alltag gehören, setzt die WHO gar auf regelmäßige »Entwurmungspartys« für Schulkinder. Ein gesellschaftliches Großereignis, das zwar selten für gute Noten sorgt, aber immerhin geht es den Sitzenbleibern im Darm an den Kragen.

Es ist ein moderner Kampf mit Mikroskopen und Massenmedikation, gegen einen Gegner, der älter ist als jede Apotheke. Ein Feind, der schon vor über 5300 Jahren seine menschlichen Herbergen fand und manchmal mit ihnen gemeinsam in die Ewigkeit einging. So geschehen bei jenem unglückseligen Herrn, der am Similaun seine Karriere als Gletschermumie Ötzi antrat. Die Vorstellung, dass sich der weltberühmte Mann aus dem Eis womöglich geplagt von Bauchkrämpfen und blutigem Stuhl keuchend über die Alpen schleppte, verleiht seinem ohnehin tragischen Schicksal eine weitere erbarmungswürdige Note. War sein von Arthrose ausgezehrter Körper durch die ständigen »Mitesser« zusätzlich geschwächt? Trug der Parasitenbefall dazu bei, dass seine Flucht scheiterte und er zur Zielscheibe des letztlich tödlichen Pfeils wurde? Wir werden es nie erfahren. Aber es erinnert daran, dass uns die Darmparasiten, die schon vor Jahrtausenden die Eingeweide unserer Ahnen bevölkerten, bis heute treu bleiben. Es ist also gut möglich, dass die ersten Marskolonisten während ihrer privaten Momente an Bord unbemerkt ein paar Peitschenwurmeier in die Weiten des Alls entsorgen. Eine jahrtausendealte Reisegemeinschaft – vom anatolischen Lehm über das Gletschereis bis hin zur roten Wüste.

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