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Leseprobe »Farben«: Farbpsychologie und Symbolik

Was wäre die Welt ohne Farben? Langweilig. Grau. Farben bestimmen unseren Alltag und vermitteln uns Informationen. Doch wie funktioniert unsere Farbwahrnehmung? Warum »sehen wir rot«? Eine Leseprobe
Gesichtsprofil in bunten Farben

Farben in der Psychologie

In alten Kulturen wussten weise Frauen und Männer um die Bedeutung der Farben und um ihren Einfluss auf seelische und körperliche Vorgänge. Moderne Psychologen und Farbtherapeuten behaupten, dass sich niemand der Wirkung von Farben entziehen kann, ja dass der Mensch auf sie angewiesen ist, mit Ausnahme von Farbenblinden und Menschen, die von Geburt an blind sind. Offenbar besitzen Farben Kräfte, mit denen wir Menschen in positiver oder in negativer Weise in Beziehung stehen. Der Beobachter verbindet Farben mit bestimmten Empfindungen und Eigenschaften, diese Zuordnung erfolgt nach Ansicht einiger Psychologen nach einem allen Menschen innewohnenden kollektiven Muster. So soll die Farbe Rot bei Menschen unterschiedlicher Ethnien gleichermaßen erregend wirken und ähnliche Impulse und Begehren auslösen, weil sie die Puls- und Atemfrequenz sowie den Blutdruck erhöht.

Auf die psychologische Wirkung farbiger Gläser beim Betrachten einer Landschaft geht Marcel Minnaert in seinem Buch »Licht und Farben in der Natur« ein und zitiert darin Goethes Farbenlehre: Gelb soll eine heitere und warme Stimmung erzeugen, Blau hingegen Trauer. Rot wird als »furchtbares Licht« bezeichnet und mit dem Jüngsten Gericht assoziiert, was leicht nachvollziehbar ist, wenn man sich einen blutroten Himmel vorstellt. Unter grünem Licht sieht die Landschaft unnatürlich aus, was darauf zurückgeführt wird, dass der Himmel unter natürlichen Bedingungen niemals grün erscheint. Wer das alles selbst ausprobieren will, dem sei eine Reise zum Rheinfall in Schaffhausen empfohlen: dort findet man nach einem Bootsausflug durch die Gischt ein Aussichtstürmchen mit bunten Scheiben. Durch sie kann man die eindrucksvolle Rheinlandschaft auf sich wirken lassen.

Schon in alter Zeit wurde die Wirkung von Farben auf das seelische und körperliche Befinden in der Heilkunde zur Bekämpfung von Gebrechen, in religiösen Ritualen (Farbsymbolik in den Kulturen, Seite 16; Farbe in der Religion, Seite 22) und in der Kunst eingesetzt. Die moderne Psychologie greift diese Vorstellungen zum Teil wieder auf. Vor allem aber geht es der modernen Psychologie darum, möglichst eindeutige Beziehungen zwischen den Farben als physiologische Erscheinungen und den davon ausgehenden psychischen Verhaltenweisen im Denken, Fühlen und Handeln der Menschen herauszuarbeiten.

Auf den französischen Psychologen Charles Féré gehen Ende des 19. Jahrhunderts meist ergebnislose Versuche zurück, mit Variationen der Strahlenenergie von farbigen Lichtern die menschlichen Körperfunktionen zu beeinflussen. Violettes Licht stufte er als beruhigend ein. Aus Überlieferungen der chinesischen Medizin und aus diesen Ansätzen entwickelte sich um die Wende 19./20. Jahrhunderts vor allem in Europa als alternative Heilmethode die sogenannte Chromotherapie. Diese Methode beruht auf der Annahme, dass die Anwendung von Farben harmonisierend, stimulierend und heilend auf den Körper und die Psyche einwirken kann. Dabei werden Patienten mit farbigem Licht bestrahlt, die bekannte Rotlichtbestrahlung, in farbige Tücher gehüllt oder ihnen werden farbige Edelsteine aufgelegt. Insbesondere der ersten und letzten Methode liegt die Erkenntnis zugrunde, dass jede Farbe eine eigene Schwingungsfrequenz besitzt. Bei der Chromotherapie müssen Farben nicht unbedingt über die Augen aufgenommen werden, sondern sollen auf chemischem und physikalischem Wege in den Körper eindringen. Der medizinisch und wissenschaftlich umstrittene amerikanische Heiler Dinash P. Ghadiali hat eine Chromotherapie auf der Basis von zwölf Grundfarben entwickelt, (u. a. himmelblau, türkis, grün, gelb, orange, rot, lila, violett), bei der jede Farbe entsprechend der ermittelten Wellenlänge auf die zu behandelnde Krankheit abgestimmt sein soll. Nennenswerte Heilungserfolge hat die bizarre Therapie allerdings nicht erzielt.

Ein weiterer, wichtiger Kontaktbereich zwischen Farben und Psychologie ist die Ermittlung von psychischen Zuständen anhand von Lieblingsfarben. Basis für die Feststellung von Farbpräferenzen sind verschiedene Farbtests. Problematisch und umstritten bei diesen Tests sind die Wahl der Testfarben und die großzügige Verallgemeinerung einiger Testergebnisse. Zu den bekannten bis heute durchgeführten Tests gehört der »Lüscher-Test«, benannt nach dem Schweizer Psychologen und Farbdiagnostiker Max Lüscher (*1923). Während seiner Studien erkannte Lüscher, dass die physiologische Wahrnehmung von Farben objektiv und universal, die Bevorzugung von Farben jedoch subjektiv ist. Testpersonen müssen ausgewählte Farbkärtchen nach persönlichen Präferenzen sortieren, angefangen von ihrer Lieblingsfarbe bis zu der Farbe, die sie am wenigsten schätzen. Anhand der dargelegten Farbfolge soll sich der seelisch-körperliche Zustand der betreffenden Testperson feststellen lassen, denn nach Erkenntnissen Lüschers wird die Farbwahl unbewusst gesteuert. In seiner ersten Fassung aus den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts arbeitete der Farbdiagnostiker noch mit 73 bunten Farbkärtchen, die er den Testpersonen zur Auswahl vorlegte. Die moderne Version stützt sich auf insgesamt 23 Farben: Im Mittelpunkt stehen die vier Farben Grün, Blau, Rot und Gelb, die auf psychologischer Basis in selbstbewusst (autonom) und unbewusst (heteronom) gesteuertes Verhalten gegenüber den Farben weiter unterteilt werden. Das Verhältnis zwischen autonomen und heteronomen Verhalten kann aktiv oder passiv sein, sodass sich entsprechend den Farbtönen jeweils vier Paare ergeben. Als Beispiel soll Blau dienen: Das heteronome, aktive Blau ist das Cyan(blau) des Sommerhimmels, es steht für Befreiung und Freiheit; das autonome, aktive Blau ist Ultramarin mit Rotanteilen, das Macht und Autorität widerspiegelt. Das Türkis(blau) ist das autonome, passive Blau aufgrund seines Grünanteils steht es für Lebensqualität; das Blau des mitternächtlichen Himmels vertritt das heteronome, passive Blau und steht für Traum phantasien. Hinzu kommen noch Braun und Violett sowie fünf neutrale Farben. Anhand der Farbwahl aus diesen 23 Farben lässt sich mit Hilfe des »Lüscher-Tests« ein Persönlichkeitsprofil erstellen, das Rückschlüsse auf die Belastbarkeit, sowie die Leistungs- und Kommunikationsfähigkeit der betreffenden Person ermöglichen soll. Dieser Test wird in der ethnologischen Forschung, in der medizinischen Diagnosis und Therapie, in der Gerontologie, bei der Eheberatung und bei der Personalauswahl eingesetzt.

Lüscher hat aus den Bevorzugungen der vier Hauptfarben, auch im Rückgriff auf deren antike Zuordnungen zu den vier Elementen, den »4-Farben-Menschen« mit einem zugeordneten 4-Farben-Selbstwertgefühl und einem 4-Farben-Denktyp abgeleitet: Eine Person mit der Vorzugsfarbe Gelb besitzt demnach die innere Freiheit zur Selbstentfaltung, sie gehört zum rezeptiven Denktyp; zugeordnet ist das Symbolelement Luft. Eine Person mit der Vorzugfarbe Rot besitzt eine Selbst-Erregungsaktivität, die zu Selbstvertrauen führt; sie gehört zum provokativen Denktyp; zugeordnet ist das Element Feuer. Eine Person mit der Vorzugsfarbe Blau zeigt Ruhe und Zufriedenheit, die zur Einordnung führen; sie gehört zum reflexiven Denkertyp; zugeordnet ist das Element Wasser. Eine Person mit der Vorzugsfarbe Grün leitet aus der Selbstfestigkeit und Beharrung eine Selbstachtung ab; sie gehört zum objektiven Denkertyp; zugeordnet ist das Element Erde. Ein Idealtyp würde alle vier Selbstwerte zeigen.

Die besonders in Deutschland verbreitete Kurzversion, der sogenannte »Lüscher-Schnelltest«, wird wegen seiner Beschränkung auf die Farben dunkelblau, blaugrün, orangerot, leuchtendgelb, violett, braun, schwarz und grau kritisiert, deshalb, weil diese wenigen Farbalternativen vielen Testpersonen nicht erlauben, ihren speziellen Farbton auszuwählen. Des weiteren wird bemängelt, dass der Inhalt des Farbtestes zu dogmatisch ist und ein einheitlicher Standard von Farbbeispielen fehlt.

Diese Fehler versucht der »Frieling-Test«, benannt nach dem Farbtheoretiker und -psychologen Heinrich Frieling zu vermeiden, in dem den Testpersonen insgesamt 23 ausgesuchte Farbkärtchen vorgelegt werden. Es werden ihnen Kärtchen in zwei Blautönen, zwei Gelbtönen, zwei Rottönen, einem Orangeton, zwei Brauntönen, in je einem Schwarz-, Grau- und Weißton sowie smaragdgrüne, gelbgrüne, olivgrüne, pastellgrüne, rosa, fliederlilafarbene, violette und purpurne Kärtchen angeboten. In einem ersten Schritt werden die Farben in einer festlegten Reihenfolge angeordnet und die Testperson wird gefragt, ob ihr diese Anordnung gefällt oder missfällt. Danach sollen noch Farbkärtchen in vier harmonische Gruppen aufgeteilt werden.

Eine weiteres Testverfahren ist der sogenannte Pyramiden-Test nach Pfister-Heiss-Hiltmann. Dabei werden den Testpersonen 24 unterschiedlich farbige Kärtchen in größerer Anzahl ausgehändigt. Sie sollen diese Kärtchen in beliebiger Wiederholung in eine vorgefertigte Pyramide einsortieren. Diese Einsortierung wird mehrfach wiederholt.

Auch wenn alle Testergebnisse im Einzelnen oft erheblich voneinander abweichen, so zeigen sie doch übereinstimmend, dass Blau, Rot und Grün genau in dieser Rangfolge in allen sozialen Schichten und in allen ethnischen Gruppen als führende Vorzugsfarben eingestuft werden, wenn auch mit bestimmten regionalen Abweichungen. Das bestätigt auch eine Umfrage in der Bundesrepublik, nach der diese drei Farben in der obigen Rangfolge zusammen 70 Prozent aller Lieblingsfarben besetzen. Dagegen liegt die Ablehnungsrate dieser drei Farben bei ca. 12 Prozent, die drei unbeliebtesten Farben sind Braun mit 27 Prozent, Orange und Violett mit je 11 Prozent. Doch es gibt offensichtlich auch altersspezifische Unterschiede. Bei einer Befragung von über 1 500 Schulkindern im vorpubertären Alter nannten 75 Prozent Violett ihre Lieblingsfarbe. Diese Zuwendung nahm mit zunehmendem Alter aber rasch ab. Heranwachsende zeigen alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede bei ihren Vorzugsfarben: Gelborange, Maigrün Smaragdgrün und bis zur Pubertät Ultramarin sind die männlichen Lieblingsfarben verschiedener Altersstufen, Eisblau, Pastellblau, nach der Pubertät auch Ultramarinblau und Rosa sind die weiblichen.

Schließlich befassen sich Psychologen auch mit Eigenschaften und Symbolwerten von Farben: So gilt Orange als Farbe der Lebensfreude, der Lebensenergie, aber wegen ihrer weithin sichtbaren Leuchtkraft auch als Warnfarbe. Grün symbolisiert Wachstum, Heilung, Harmonie, auch die Wiedergeburt und die Barmherzigkeit. Ähnliche Zuordnungen gibt es für neun Hauptfarben; Genaueres dazu findet der Leser bei den nachfolgenden Seiten zu den einzelnen Farben. Die Eigenschaften von Farben und ihre Wirkungen werden in verschiedenen Lebensbereichen genutzt. Ein wichtiger Zweig ist die Werbebranche, in der Farben sowohl bei Reklame für einzelne Produkte als auch in Form von Firmenfarben für bestimmte Kaufhaus- und Tankstellenketten, Banken usw. eingesetzt werden. Ebenso wichtig sind Farben in der Mode, wo bekannte Modeschöpfer bestimmte Modefarben vorgeben. In Paris wurde beispielsweise Schwarz zur Modefarbe des Jahres 2001 kreiert. Zusätzlich haben sich Institute etabliert, die eine Farbberatung hinsichtlich Kleidungsfarbe und Schmuck, angepasst an bestimmte Haarfarben und Hauttypen, anbieten. Eine geschickte, farbliche Wohnraumgestaltung, abgestimmt auf Vorzugsfarben der dort Wohnenden, kann deren Lebensqualität und Wohlgefühl erheblich steigern. Farbpsychologen raten beispielsweise Ärzten davon ab, ihre Wartezimmer vorwiegend in Rot zu gestalten, weil diese Farbe zu stark aufregend wirkt. In lärm- und schmutzgeprägte Fabrik- und Arbeitsräume ziehen zunehmend beruhigende Farben ein, die die Arbeitsumwelt annehmbarer gestalten sollen.

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