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Faszination Amazonas: Der Regenwald

Die tropischen Tiefland-Regenwälder im Amazonas-Becken gehören mit rund 50 Millionen Jahren zu den ältesten Wäldern der Erde. Es gab lediglich längere Phasen von Trockenzeiten, die vorübergehend die üppige Vegetation beeinträchtigt haben. Die Pflanzen des tropischen Regenwaldes sind vor allem auf drei Faktoren angewiesen: Licht, Wärme, Feuchtigkeit. Je günstiger diese Bedingungen sind, umso üppiger ist ihr Wachstum umso vielfältiger ihr Artenspektrum.
Juruá

5.1 Größte Vielfalt an Pflanzenarten

Das auffälligste Merkmal des amazonischen Regenwaldes ist seine Vielfalt an Pflanzenarten. Er ist ein Primärwald oder Urwald, das heißt ein ursprünglicher, vom Menschen unbeeinflusster Wald im End- beziehungsweise Reifestadium (Klimaxstadium), das nach etwa 200 bis 400 Jahren erreicht ist. Ein intakter Urwald ist ein hochkomplexes Ökosystem mit vielen wechselnden Abhängigkeiten und schließt alle Entwicklungsstadien ein, die der Wald im Verlaufe der Zeit durchlaufen hat. So finden sich in diesem Wald

  • zum einen Pioniergehölze,
  • des Weiteren die in der langen Phase des sukzessionalen Wandels mit zunehmendem Schatten nachfolgenden Baumarten von mittlerer Höhe und mäßigem Dickenwachstum
  • und schließlich auch die hohen Harthölzer der Klimaxarten.

Während der ablaufenden Sukzession – der Abfolge unterschiedlicher Pflanzengruppen oder Pflanzengesellschaften – nehmen auf dem langen Weg zum Klimaxstadium die Stattlichkeit, Artenvielfalt und vertikale Komplexität des Regenwaldes ständig zu. So beherbergt zum Beispiel ein 100 bis 150 Jahre alter Wald erst halb so viele Vögel, Säugetiere und Bäume wie ein Wald im Reifestadium. Der Urwald befindet sich am Ende dieser Entwicklung in einem dynamischen, sich selbst regulierenden Gleichgewicht von Nahrungsketten und Nahrungsnetzen, in dem zum Beispiel Lücken, die durch sterbende Bäume oder durch einen Gewittersturm in den Wald gerissen werden, schnell wieder durch Jungbäume aus der Gruppe der Pioniergehölze, die viele Jahre in »Wartestellung« ausharrten, geschlossen werden. Der Urwald im Klimaxstadium setzt sich zusammen aus einem Mosaik mikrosukzessionaler Flecken verschiedenen Alters. Dies alles kann man sehr schön beobachten, wenn man aufmerksam durch den Regenwald streift.

Wie sich die Artenvielfalt vom ersten Pionierstadium über die Abfolge verschiedener Sukzessionsstadien bis hin zum reifen Regenwald nach bis zu 400 Jahren entwickelt, gibt die nachfolgende Zusammenstellung sehr gut wieder, die das Ergebnis vieljähriger Forschungsarbeiten darstellt, die mir vom Nationalen Institut der Amazonas-Forschung INPA in Manaus zur Verfügung gestellt wurden (Tab. 5.1).

Tab. 5.1: Entwicklung der Artenvielfalt auf einer Schwemmlandfläche von 5000 m2 (0,5 ha) im Amazonas (Baumarten mit mindestens zehn Zentimeter Durchmesser in Brusthöhe)

 Pionierstadium (nach 3–5 Jahren)Frühes Sukzessionsstadium (nach 30–50 Jahren)Spätes Sukzessionsstadium (nach 100–150 Jahren)Reifer Wald (Klimaxstadium) (nach >300 Jahren)
Vögel2149127236
Primaten02–66–88–12
Bäume193350112

Damit wird immer deutlicher, dass Diversifikation – also Vielfalt – geradezu als Schlüsselwort zum Verständnis dieses Waldes gilt: Von den etwas mehr als 60 000 weltweit bestimmten Baumarten (Stand 2017) sind allein im Amazonas-Regenwald 6727 (Stand 2017) identifiziert. Die meisten von ihnen gehören zu der Familie der Leguminosen (Hülsenfrüchtler). Den enormen Artenreichtum kann man auch so ausdrücken: Auf einem Hektar Regenwald nahe Manaus – das sind 100 mal 100 m – wurden 476 verschiedene Baumarten nachgewiesen; hinzu kommen noch viele Epiphyten- und Lianenarten. In Deutschland mit 387 000 km2 gibt es demgegenüber nur deutlich unter 100 verschiedene Baumarten, das bedeutet: In Amazonien gibt es auf einen Hektar mehr Baumarten als in ganz Europa! Diese enorme Artenfülle hat zur Folge, dass nur wenige Individuen vorkommen – oft nur ein Exemplar einer einzigen Art im weiten Umkreis. Das zweite auffällige Merkmal des amazonischen Regenwaldes ist damit die geringe Siedlungsdichte einzelner Arten.

5.2 Ein »neuer« Urwald kann nicht gepflanzt werden

An dieser Stelle wird deutlich, dass der Mensch keinen »neuen Urwald« anpflanzen kann, wenn der ursprüngliche abgeholzt oder abgebrannt wurde. Eine Neuanpflanzung kann nur ein Sekundärwald sein, der sehr deutlich artenärmer ist und sich vor allem aus wenigen, schnell wachsenden und sonnenliebenden Pioniergehölzen zusammensetzt sowie aus eingeschleppten Arten anderer Regionen. Ein Sekundärwald weist eine hohe Individuenzahl weniger Pflanzenarten auf, was natürlich viele negative Auswirkungen auf die ursprüngliche tierische Artenvielfalt hat. Neue Schätzungen gehen davon aus, dass zurzeit Jahr für Jahr eine Urwaldfläche von 30 500 km2 in Amazonien verloren geht, das entspricht der Fläche von Belgien beziehungsweise in zwölf Jahren der Fläche Deutschlands. Verlässliche Zahlen über die weltweite Regenwald-Abholzung gibt es selten. Der »Living Planet Report« der Umweltschutzorganisation WWF veröffentlichte 2018 einen Bericht, wonach seit 1990 weltweit rund 239 Mio. ha Regenwald vernichtet wurden – eine Fläche, die mehr als sechseinhalb Mal so groß ist wie Deutschland. Auf Amazonien bezogen gehen Hochrechnungen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 rund 90 % des noch bestehenden Regenwaldes verschwunden sein wird. Mit dem Urwald verschwinden auch alle Tiere, da die Nahrungsketten zusammenbrechen, sie keine Nahrung mehr finden und auch keine Versteckmöglichkeit mehr haben.

Und was für den Menschen fast noch schlimmer ist: Der sich aus der Verdunstung des Waldes selbst regenerierende Regen – das ist die Hälfte der gesamten Niederschläge – bleibt für immer aus. Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Die Ursache dafür sind die fehlenden gasförmigen Terpene, die in einem intakten Regenwald von den Urwaldbäumen mit Beginn des täglichen Sonnenaufganges in großer Zahl produziert werden. Diese Terpene – chemische Ausdünstungen der Bäume – bilden zum einen natürliche Aerosole, in der Luft schwebende Teilchen mit einem Durchmesser von etwa einem Nanometer, die sich mit dem Sauerstoff der Luft verbinden, wobei verschiedene weitere Verbindungen entstehen, sogenannte sekundäre Aerosole. Über der geschlossenen Baumkrone des gesunden Amazonas-Regenwaldes sind in jedem Liter Luft eine halbe Million Aerosole enthalten. An ihnen kondensiert die aufsteigende Feuchtigkeit der Luft zu winzigen Wassertröpfchen, die in den folgenden Stunden miteinander verschmelzen und im Verlauf des Tages immer mehr Wolken bilden, bis diese so schwer werden, dass sie auf die Erde abregnen. Ohne diese Aerosole können sich keine Regenwolken bilden.

Und noch etwas verschlimmert das Problem der Vernichtung des Regenwaldes: Die übrigen mit den Passatwinden herbei transportierten Regenmengen versickern nicht mehr vorübergehend im Urwaldboden. Sie werden demnach nicht mehr aufgehalten, sondern gelangen sofort wieder in die Flüsse, von wo aus sie ohne Nutzen Richtung Atlantik abfließen.

Für den Artenreichtum sind vor allem historische Gründe verantwortlich. Ein ökologisches Grundprinzip lautet: Je länger ein Lebensraum gleichartige Umweltbedingungen aufgewiesen hat, umso ausgeglichener und stabiler und damit umso artenreicher ist er – wie im vorliegenden Fall. Das raue, stets wechselhafte Klima mit häufig auftretenden natürlichen Katastrophen wie etwa in Mitteleuropa führt immer mal wieder zu einem hohen Artensterben, sodass nur relativ wenige verschiedene Arten übrig bleiben. Diese weisen jedoch aus »Überlebensgründen« hohe Individuenzahlen auf. Die gewaltige Artenvielzahl im Amazonas-Regenwald führt demgegenüber zu einer ständigen Konkurrenz, der nur durch eine hohe Spezialisierung begegnet werden kann. Hierbei werden im Verlauf von Jahrmillionen auch kleinste Nischen im Gesamtgefüge des Regenwaldes besetzt, wobei kaum größere Individuenzahlen erreicht werden können; so steht zum Beispiel eine Baumart mit nur einem Exemplar auf fünf bis zehn Quadratkilometern nicht selten alleine dar. Im Übrigen trägt auch die enorme Zahl von phytophagen (Pflanzen fressenden) Insekten dazu bei, dass von den einzelnen Baumarten nur wenige Nachkommen eine Chance haben, alt zu werden. Die Isoliertheit einer Pflanzenart ist demnach eine Überlebensstrategie, Fressfeinde übersehen die Pflanze in der Urwaldüppigkeit schlichtweg. Trotzdem wird an diesem Beispiel die große Zerbrechlichkeit und Gefährdung dieses Ökosystems deutlich, denn sogar durch ein Abholzen oder Abbrennen kleinerer Flächen geht bereits eine große Zahl verschiedener Arten unwiederbringlich verloren.

Tipp: Vorbereitung einer Urwaldwanderung

  • Feste, knöchelhohe Schuhe sind wichtig, denn der Boden ist uneben, Wurzeln ragen heraus und es ist meist schlammig.
  • Ein langärmeliges Hemd und lange Hosen schützen vor Blut saugenden Insekten und den langen Stacheln vieler Pflanzen.
  • Reibe Gesicht, Hals und Nacken sowie Arme und Beine mit Mückenschutz ein.
  • Nimm eine Machete mit, um Zweigen und Lianen abschlagen zu können, die den Weg versperren. So lässt sich auch die direkte Berührung mit Pflanzen vermeiden, auf denen beißende Ameisen oder Schlangen lauern können.

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