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Leseprobe »Auch alte Bäume wachsen noch«: Alte Bäume können gedeihen – Altern aus verschiedenen Perspektiven

Egal, wie alt ein Baum aussieht und egal, wie alt er tatsächlich ist, er kann immer noch aus seinem alten Holz neu austreiben. Genauso hat es jeder auch im höheren Lebensalter selbst in der Hand, Neues zu lernen und so zu trainieren, dass die geistigen Reserven möglichst lange erhalten und genutzt werden können. Eine Leseprobe
Riesenmammutbäume
Je älter ein Baum ist, desto mehr sieht man ihm sein Alter an. Seine Rinde ist nicht mehr so glatt, sondern sie ist faltig und rissig. Fäulnispilze machen ihm zu schaffen. Auch der Stamm kann sich krümmen. Er verliert Zweige und Äste. Dies ist seine biologische Art zu altern. Andererseits aktiviert er sich selbst, indem er zum Beispiel versucht, Verlorenes oder Verkümmertes zumindest teilweise zu ersetzen. Er wird keine starken Zweige austreiben wie früher. Die dünneren helfen ihm aber auch, seine Funktionen in abgeschwächter Form zu erfüllen und für sich und seine Umwelt relativ gesund weiter zu wirken.

Jeder Mensch altert. Seit jeher versucht man, diesen doch etwas unheimlichen Prozess zu erklären. Damit verbunden war auch immer die Hoffnung, vielleicht Möglichkeiten zu finden, Einfluss auf diesen Prozess zu nehmen.

»Alt werden ist immer noch die einzige Möglichkeit, lange zu leben.«
Hugo von Hofmannsthal

Es gab schon immer Überlegungen, wie man ihn aufhalten oder gar rückgängig machen kann. Eine Wunschvorstellung findet sich im sogenannten Jungbrunnen. Lucas Cranach der Ältere hat in seinem Bild »Der Jungbrunnen« diese Idee (übrigens im Alter von 74 Jahren) aufgegriffen. Er hat dargestellt, wie alte gebrechliche Frauen herangekarrt oder hingetragen wurden, um nach einem Bad im Jungbrunnen in jugendlicher Schönheit zu erstrahlen.

Wussten Sie schon, dass zwischen Rügen und Alpen mehr als jede vierte Person (etwa 27%) das Alter von 65 Jahren erreicht hat?

Dieser Wunschgedanke orientiert auf einen außerhalb der Person befindlichen verjüngenden Einflussfaktor. Auch in der Gegenwart ist diese Idee noch höchst aktuell und bringt auch vielen Industriezweigen mit ihren Anti-Aging-Produkten hohe Gewinne.

Theorien über das Altern versuchen, Alternsprozesse aus unterschiedlicher Perspektive zu erklären. Es gibt nicht »die« Theorie, die die ganze Komplexität des Alterns erfassen könnte.

Wir altern ein Leben lang.

So existiert eine Vielzahl von Vorstellungen und Erklärungsversuchen. Dabei sind einige mehr biologisch orientiert, während andere mehr die psychologische und soziale Seite des Alterns berücksichtigen. Im Folgenden stellen wir einige ausgewählte Ideen zum Altern vor.

Biologische Theorien über das Altern basieren auf physiologisch-körperlichen Vorgängen: Wachstum und Reifung (Kindes- und Jugendalter), Stabilität und Reproduktion (Erwachsenenalter), Abbau und Verlust und die damit verbundenen Funktionseinbußen (höheres Lebensalter). Eine Gruppe von Theorien kann man als genetische oder Programmtheorien bezeichnen. Sie gehen davon aus, dass Alterungsprozesse genetisch gesteuert ablaufen. Man kann sich dies als eine biologische Lebensuhr vorstellen, die nach einer vorprogrammierten Zeit abgelaufen ist. Etwa 120 Lebensjahre werden für den Menschen als maximale Lebensspanne angenommen.

Wussten Sie schon, dass die Französin Jeanne Calment (1875–1997) der älteste Mensch ist, dessen Lebensalter dokumentiert wurde? Sie wurde 122 Jahre und 164 Tage alt.

Wir wissen, dass sich der menschliche Körper im Laufe seines Lebens immer wieder erneuert. Zellen sterben ab und werden durch neue ersetzt. Dies trifft aber für Nervenzellen so nicht zu, denn die Fähigkeit des Körpers Nervenzellen neu zu bilden, ist begrenzt.

Eine schon ältere Hypothese (Hayflick und Moorhead 1961) geht davon aus, dass nur eine bestimmte Anzahl der Zellteilungen bei Körperzellen möglich ist. Ausnahmen bilden Knochenmarksstamm- und Krebszellen. Sie können sich immer wieder teilen. Der Chromosomensatz mit seiner Erbinformation in jeder Zelle muss geschützt werden, damit sich die Zelle korrekt teilen kann. Dabei übernehmen die Enden der Chromosomen, die sogenannten Telomere, diese Schutzfunktion. Die Telomere haben die Aufgabe zu verhindern, dass die Chromosomen mit den Erbinformationen bei der Zellteilung verkleben bzw. fusionieren. Man kann es sich wie bei einem Schürsenkel vorstellen, der an seinen Enden eine Umhüllung besitzt, die vor einem Ausfransen schützt. In der Telomerhypothese geht man nun davon aus, dass sich die Schutzkappen (Telomere) an den Enden der Chromosomen bei jeder Replikation verkürzen. Schließlich sind sie soweit verkürzt, dass sie die Chromosomen nicht mehr schützen können. Die nun ungeschützten Chromosomenenden senden Signale aus, die dafür sorgen, dass sich die Zelle nicht mehr teilt. Nach ca. 50 bis 60 Zellteilungen sind die Telomere so weit verkürzt, dass sie ihre Schutzfunktion nicht mehr erfüllen können. Diese sogenannte Hayflick-Grenze variiert von Spezies zu Spezies und bedingt so wahrscheinlich unterschiedliche Lebenserwartungen (Balk et al. 2013).

Wussten Sie schon, dass ein Elefant etwa 70 Jahre, ein Haushund etwa 15 bis 20 Jahre, eine Hausmaus etwa 2 Jahre, ein Uhu etwa 70 bis 100 Jahre, eine Riesenschildkröte etwa 100 Jahre und eine Wespe etwa 8 Monate alt werden kann?

Für die Nervenzellen spielt diese Grenze keine Rolle, denn Nervenzellen erneuern sich nicht ständig wie das bei Körperzellen der Fall ist. Sie sind aber damit ständig allen Einflüssen, natürlich auch den negativen, über die Lebensspanne ausgesetzt, was die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigt und sie absterben lassen kann – außer im Hippocampus. Hier können sogar auch im höheren Lebensalter neue Nervenzellen gebildet werden. Dies erscheint insofern sehr bedeutsam, da der Hippocampus für das Lernen und das Gedächtnis eine besondere Rolle spielt (Godde et al. 2016).

Die Schutzfunktion der Telomere kann aber auch durch Einflüsse wie Stress, Ernährung oder Rauchen beeinträchtigt werden (Valdes et al. 2005). Damit hat aber jeder doch einen gewissen Spielraum durch eine gesunde Lebensführung Risikofaktoren, die einen negativen Einfluss auf die Telomere haben, auszuschließen. Blackburn hat ein Enzym, die Telomerase, entdeckt, das in der Lage ist, die Telomere zu regenerieren. Chronischer negativer Stress, der sogenannte Disstress, verringert die Telomerase und belastet damit die Telomere. Große Mengen des Stresshormons Cortisol haben also einen negativen Einfluss auf die Telomere. Eine gute soziale Einbettung, aber auch Entspannungstechniken und eine gesunde Ernährung (Telomere hassen Würstchen) wirken sich positiv auf die Telomere aus. Die Botschaft von Blackburn und Epel (2012): Wir haben Kontrolle darüber, wie wir altern, sogar bis tief hinein in unsere Zellen.

Eine andere Gruppe biologischer Alternstheorien sind die Schadens- oder Schädigungstheorien. Sie sehen das Altern als Folge von Abbau- und Schädigungsprozessen und gehen davon aus, dass durch den Gebrauch bzw. durch verschiedene innere oder äußere Faktoren eine Art Verschleiß auftritt. Man kann sich diesen Prozess wie bei einer Maschine vorstellen, die sich durch Gebrauch immer weiter abnutzt, was bis zur Funktionsunfähigkeit führen kann. Ein bekanntes Beispiel ist die Arthrose, von der viele ältere Menschen betroffen sind. Zunächst können Reparaturmechanismen eingreifen. Wenn sie aber nicht mehr ausreichen, kann es zu Störungen in verschiedenen Körperfunktionen und schließlich zum Tod kommen.

Wussten Sie schon, dass der Herzmuskel beim Menschen wesentlich weniger Verschleiß aufweist als andere Organe des Körpers und dies bei etwa 3 Milliarden Herzschlägen im Verlauf eines 75-jährigen Menschenlebens? Das Herz pumpt dabei 250 Millionen Liter Blut durch den Kreislauf.

Die Homöostasistheorie gehört ebenfalls zu den Schadenstheorien. Die Homöostasis beschreibt ein dynamisches Gleichgewicht physiologischer Vorgänge im Körper, wobei auftretende Abweichungen korrigiert werden. In dieser Theorie wird für das Alter angenommen, dass gehäuft Veränderungen auftreten und das Potenzial zur Anpassung oder zum Ausgleich sich verringert. Das heißt, dass physiologische Mechanismen zur Aufrechterhaltung des inneren Milieus nicht mehr mit genügender Schnelligkeit und Präzision ablaufen. Die Homöostasis ist gestört und die Korrekturmechanismen können die Abweichungen von der Norm nicht mehr ausgleichen, so dass es zu bleibenden Schädigungen kommt (Godde et al. 2016). Solch eine Homöostasis stellt sich zum Beispiel bei der Regulierung des Flüssigkeitshaushalts beim Menschen ein.

Sie besteht in der Aufrechterhaltung des Wasser- und Elektrolytgleichgewichts (s. Abb. 2.1, in dieser Leseprobe nicht enthalten). Das Durstgefühl signalisiert den Bedarf an Wasser. Das Durstgefühl nimmt aber nun im höheren Lebensalter ab. Bei dieser sogenannten Hypodipsie (altersphysiologisches Durstdefizit) ist der Informationsfluss von den Darmschleimhäuten an das Gehirn gestört. Dadurch bemerkt der alternde Mensch den zu geringen „Wasserstand“ nicht (Wedding et al. 2007).

Wenn Sie älter sind als 60, trinken Sie ruhig einen »über den Durst«.

Dies kann bedrohliche Ausmaße annehmen wie Thrombosen, Krampfanfälle, Kreislauf- und Nierenversagen, aber auch zur eingeschränkten Wahrnehmung, Beeinträchtigung des Gedächtnisses und Denkens führen. Vergessen Sie also auch bei der Lektüre dieses Buches das Trinken nicht.

Wussten Sie schon, dass Menschen über 65 einen Gesamtflüssigkeitsbedarf pro Tag von etwa 2250 ml haben? Davon werden etwa 700 ml mit der festen Nahrung aufgenommen. Das heißt, dass etwa 1300 ml pro Tag getrunken werden müssen. Dies entspricht dem Inhalt von sechs bis sieben mittelgroßen Tassen bzw. Trinkgläsern (Bischoff 2012).

Wenden wir uns nun einigen psychologischen Theorien über das Altern zu. Auch hier gibt es verschiedene Ansichten, wobei keine das Altern vollständig abbildet. Überlegen Sie selbst, welche von den folgenden Vorstellungen zum Alter Sie favorisieren, welche also für Ihr Älterwerden besonders zutreffend sind. Vielleicht ziehen Sie dann auch persönliche Schlussfolgerungen für die noch verbleibende Zeit.

In der Entwicklungspsychologie befanden sich lange Zeit Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt der Forschung. Später wurde dann auch das Erwachsenenalter und noch später das Seniorenalter intensiver beforscht.

Altern und Altsein wurde lange Zeit sowohl in der öffentlichen Meinung als auch in der Alternsforschung mit negativen Merkmalen wie geistigem Abbau, Siechtum, Gebrechlichkeit, Isolation oder Pflegebedürftigkeit belegt. Man ging von einem Defizitmodell des Alterns aus. Heute zeigen viele gerontologische Studien, dass das Defizitmodell in seiner Absolutheit nicht gilt. Altern ist mit Rückgängen in verschiedenen Funktionen verbunden, aber Altern kann auch bedeuten, mehr und reichhaltigeres Wissen zu besitzen (Kruse und Wahl 2010).

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Leider endet die Leseprobe an dieser Stelle. Das Buch bietet den Rest des Kapitels und mehr über die Kunst des Alterns.

Literatur

  • Anger S, Trahms A, Westermeier C (2018) Soziale Motive überwiegen, aber auch Geld ist wichtig. IAB-Kurzbericht 24:1–12
  • Atchley R (1989) A continuity theory of normal aging. Gerontol 29:183–190
  • Balk B, Maicher A, Dees M, Klermund J, Luke-Glaser S, Bender K, Luke B (2013) Telomeric RNA-DNA hybrids affect telomere length dynamics and senescence. Nat Struct Mol Biol.
  • Baltes PB (1997) Die unvollendete Architektur der menschlichen Ontogenese: Implikation für die Zukunft des vierten Lebensalters. Psychol Rundsch 48:191–210
  • Bischoff SC (2012) Flüssigkeitsversorgung von Senioren – eine kritische Bestandsaufnahme aktuellen Wissens und etablierter Empfehlungen (Teil 1). Aktuelle Ernährungsmed 37(02):81–90.
  • Blackburn EH, Epel ES (2012) Telomeres and adversity: too toxic to ignore. Nature:169–171.
  • Cumming E, Henry WE (1961) Growing old the process of disengagement. Basic Books, New York
  • Freund AM, Baltes PB (1999) Selection, optimization, and compensation as strategies of life management: correction to Freund and Baltes (1998). Psychol Aging 14(4):700–702
  • Freund AM, Baltes PB (2002) Life-management strategies of selection, optimization, and compensation: measurement by self-report and construct validity. J Pers Soc Psychol 82:642–662
  • Godde B, Voelcker-Rehage C, Olk B (2016) Einführung Gerontopsychologie. Reinhardt, München
  • Havighurst RJ (1948) Developmental task and education. David Mc Kay Company, New York
  • Havighurst RJ (1963) Successful aging. In: Williams R, Tibbits C, Donahue W (Hrsg) Processes of aging, Bd 1. Atherton Press, New York
  • Hayflick L, Moorhead PS (1961) The serial cultivation of human diploid cell strains. Exp Cell Res 25:585–621
  • Heckhausen J, Dixon RA, Baltes PB (1989) Gains and losses in development throughout adulthood as perceived by different adult age groups. Dev Psychol 25(1):109–121
  • Kruse A, Wahl H-W (2010) Definition von Alter(n) – Alter(n) besser kennen lernen. In: Zukunft Altern. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg
  • Levenson MR, Aldwin CA (1994) Aging, personality and adaptation. In: Ramachandran VS (Hrsg) Encyclopedia of human behavior. Academic Press, San Diego, S 47–56
  • Tartler R (1961) Das Alter in der modernen Gesellschaft. Enke, Stuttgart
  • Valdes AM, Andrew T, Gardner JP, Kimura M, Oelsner E, Cherkas LF, Aviv A, Spector TD (2005) Obesity, cigarette smoking, and telomere length in women. Lancet 366(9486):662–664
  • Wedding U, Pientka L, Höffken K, Strauß B (Hrsg) (2007) Grundwissen Medizin des Alterns und des alten Menschen. Huber, Bern

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