Leseprobe »Rätselhafte Himmelsobjekte«: Überraschungen am Gammastrahlenhimmel

1.1 Gammablitze
Der Kalte Krieg war auf einem seiner Höhepunkte und Tests von Kernwaffen waren nahezu an der Tagesordnung. Das Ausmaß der Verstrahlung der Erde hatte mittlerweile besorgniserregende Größen erreicht. Daher einigte man sich im Jahre 1963 auf einen Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser. Um zu überprüfen, ob sich die Gegenseite an diesen Vertrag hielt, wurden spezielle Spionagesatelliten in den Orbit gebracht. Auf amerikanischer Seite suchten die Vela-Satelliten nach Gammablitzen, die die Explosion von Kernwaffen anzeigen würden. Die Vela-Satelliten fanden tatsächlich mehrere derartige Ereignisse, jedoch stellte sich heraus, dass diese Gammablitze (englisch Gamma-Ray Bursts) ihren Ursprung nicht auf der Erde hatten, sondern sich irgendwo im Weltraum ereigneten [1].
Über viele Jahre war weder der Ursprung noch die Entfernung zu diesen Gammablitzen bekannt [2]. Die Entfernung war sogar derart unbestimmt, dass deren Abschätzungen von der Nachbarschaft des Sonnensystems bis zum Rand des beobachtbaren Universums variierten. Als Vergleich kann man sich hier vorstellen, dass man einen Lichtblitz beobachtet und nicht weiß, ob er seinen Ursprung im Nachbarhaus oder auf einem anderen Kontinent hat. Als Ursprung dieser Gammablitze wurden so unterschiedliche Szenarien genannt, wie Helligkeitsausbrüche auf Zwergsternen oder Vernichtung von Antimaterie [3]. Manche, vermutlich vom Zeitgeist getriebene Spekulationen, erstreckten sich sogar auf die Beobachtung eines interstellaren Krieges zwischen fortgeschrittenen extraterrestrischen Zivilisationen. Die meisten der vorgeschlagenen Erklärungsversuche brachten Gammablitze jedoch zumindest mit irgendeiner Form von energiereichen Explosionen in Verbindung.
Wenn durch Explosionen ausgestoßene, extrem schnelle Materieauswürfe auf das umgebende Gas treffen, werden sie von diesem abgebremst. Dieser Prozess kann auch ein sogenanntes Nachleuchten in anderen Wellenlängenbereichen hervorrufen. Etwa 30 Jahre nach der Beobachtung des ersten Gammablitzes konnte tatsächlich das Nachleuchten dieser Ereignisse in anderen Wellenlängenbereichen gemessen werden. Die Beobachtung des Nachleuchtens von Gammablitzen war zentral für das Verständnis ihres Ursprungs. Zwei Eigenschaften des Nachleuchtens waren hier besonders vorteilhaft. Erstens wird das Nachleuchten mit typischen Emissionsphasen von Stunden bis Tagen über sehr viel längere Zeit abgestrahlt als der Gammablitz selbst. Das erlaubt auch eine Nachbeobachtung des Gammablitzes lange nachdem dieser schon erloschen ist. Und zweitens erfolgt das Nachleuchten vom Röntgen- über den optischen bis in den Radiobereich. In diesen Wellenlängenbereichen können aber Teleskope den Ursprung der Strahlung viel genauer am Himmel lokalisieren als im Gammalicht. Mithilfe dieses Nachleuchtens konnten dann die Gammablitze mit weit entfernten Galaxien in Verbindung gebracht werden [5,6]. Schließlich konnte man also zeigen, dass die höchste abgeschätzte Entfernungsskala die korrekte war, Gammablitze ereigneten sich tatsächlich im weit entfernten Universum. Da sie von der Erde aus immer noch sehr energiereich erscheinen, man erinnere sich hier, dass sie auf der Suche nach Kernwaffentests gefunden wurden, müssen sie in den kurzen Phasen ihres Aufleuchtens, die leuchtkräftigsten Quellen im gesamten beobachtbaren Universum sein.
Gammablitze zeigen teils dramatische Helligkeitsschwankungen in ihren Lichtkurven. Die Zeitskalen dieser Helligkeitsveränderungen können dabei bis in den Millisekundenbereich reichen. Diese sehr schnellen Helligkeitsänderungen schränken aber die Größe der Region, die für die Abstrahlung des Gammalichts verantwortlich ist, dramatisch ein. Um eine koordinierte Helligkeitsveränderung hervorrufen zu können, muss das gesamte Emissionsvolumen wirkungsmäßig verbunden sein. Das bedeutet, dass die Ränder dieses Bereichs nicht weiter voneinander entfernt sein können als die Reichweite des schnellstmöglichen Informationsaustausches zwischen ihnen. Da die Lichtgeschwindigkeit die schnellstmögliche Geschwindigkeit ist, können die Abstrahlungsvolumina daher nicht größer sein, als das Licht braucht, um es auf der kürzesten beobachteten Helligkeitsschwankung zu durchqueren. Für Gammablitze bedeutet das aber, dass deren Strahlungserzeugungsbereiche nicht größer sein können als ein kleines Land hier auf der Erde. Durch diese überraschende Tatsache gelangt man also zu einer erstaunlichen Schlussfolgerung: Die energiereichsten Explosionen im Universum ereignen sich in Bereichen, die nicht größer sind als die vertraute Umgebung in unserem eigenen Umfeld.
1.2 Geminga
Der Gammastrahlenhimmel ist auch im Bereich der kontinuierlich strahlenden Quellen für Überraschungen gut. Sehr bald nach der Entdeckung der ersten kosmischen Gammastrahler zeigte sich, dass es Himmelsobjekte gibt, die den Hauptteil ihrer elektromagnetischen Abstrahlung in dem – zum Vergleich mit anderen elektromagnetischen Fenstern – sehr energiereichen Gammastrahlenbereich abstrahlen.
Um kosmische Gammastrahler überhaupt beobachten zu können, müssen dabei Lösungen für die spezifischen Herausforderungen der Gammaastronomie gefunden werden. Da die Erdatmosphäre für Gammastrahlung nicht durchlässig ist, wurden historisch betrachtet, die ersten Quellen in diesem Energiebereich mittels hoch fliegender Ballons und Satelliten detektiert. Eine überraschende Entdeckung gelang dabei Anfang der 1970er Jahre mit dem Small Astronomy Sattelite 2 (SAS-2). In Richtung des Sternbildes Zwilling (lateinisch Gemini) wurde eine helle Quelle mit unbekannter Natur beobachtet [7]. Die Quelle bekam nach ihrer Entdeckung den Namen Geminga. Der Name leitet sich einerseits von der Bezeichnung Gemini Gamma-ray source ab, wurde jedoch anderseits von einer phonetisch ähnlichen Bezeichnung im Mailänder Dialekt der Entdecker inspiriert, die in etwa bedeutet »Dort ist nichts«. Mit dem zweiten Ursprung des Namens Geminga wird Bezug darauf genommen, dass an der Stelle der Quelle anfänglich kein auffälliges astronomisches Objekt gefunden werden konnte. Dieser Beobachtungsbefund war sehr überraschend, da man davon ausging, dass nur die energiereichsten Objekte überhaupt Gammastrahlung erzeugen können. Geminga war damit die erste Quelle die durch ihre vergleichsweise sehr intensive Abstrahlung im Gammalicht in eben diesem Beobachtungsfenster entdeckt wurde.
Ein Problem bei der Identifizierung des Ursprungs von Geminga war die Menge an gewonnen Daten. Die Menge an beobachteten Gammaphotonen ist im Wesentlichen durch zwei Effekte begrenzt. Erstens haben Gammaphotonen typischerweise Millionen bis Milliarden mal höhere Energien als optische Photonen. Das bedeutet, dass bei gleicher Leuchtkraft im optischen Bereich und im Gammalicht, eine Quelle im Gammabereich nur eine zur Photonenenergie umgekehrt proportional geringere Anzahl an Photonen abstrahlt als im optischen Bereich. Gammaphotonen sind energetisch sehr kostspielig und daher werden nur wenige abgestrahlt. Zweitens haben Satelliten eine sehr begrenzte Oberfläche, wodurch die Anzahl und Richtungsgenauigkeit der aufgefangenen Gammaphotonen limitiert ist. Im Fall von Geminga wurden bei der Entdeckung lediglich knapp über 100 Photonen aufgefangen und die Position der Quelle konnte nur mit einer Ungenauigkeit von etwa 4 Grad bestimmt werden. Zum Vergleich: diese Positionsungenauigkeit entspricht etwa dem achtfachen des scheinbaren Durchmessers des Erdmondes am Himmel. Um die Natur von Geminga zu klären, wurde dieser relativ große Unsicherheitsbereich der Position systematisch mit Röntgenteleskopen abgesucht, und etwa 10 Jahre nach der Entdeckung der Quelle konnte so ein Röntgenstrahler identifiziert werden, der möglicherweise mit Geminga in Verbindung stehen könnte.
Die Lösung des Rätsels um Geminga brachte schließlich eine neue Generation von sowohl Gammateleskopen als auch Röntgenteleskopen, die etwa 20 Jahre nach der Entdeckung in Betrieb genommen wurden. Mit der Detektion von mehreren tausend Röntgenphotonen konnte dabei dann die Variabilität der Quelle mit hoher Präzision untersucht werden. Im Zuge dieser Beobachtungen stellte sich heraus, dass die Intensität von Geminga mit einer Periode von 237 Millisekunden schwankt. Diese Periode wurde nach ihrer Entdeckung im Röntgenbereich dann auch im Gammastrahlenbereich gefunden. Damit war dann klar, dass die Röntgenquelle und die Gammaquellen miteinander korreliert sind. Die sehr kurze Periode von 237 Millisekunden bedeutet aber auch, dass das Objekt, das die Strahlung von Geminga erzeugt, lediglich maximal etwa die Größe eines Planeten haben kann.
Wie die Beispiele der Gammablitze und Gemingas zeigen, müssen meist mehrere Fenster mit unterschiedlicher Energie im elektromagnetischen Spektrum genutzt werden, um exotische Himmelsobjekte zu verstehen. Daher wollen wir uns als nächstes dem elektromagnetischen Spektrum und dort speziell dem Bereich des Gammalichtes zuwenden.
1.3 Das elektromagnetische Spektrum
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stehen sehr viele unterschiedliche Kanäle zur Verfügung, um astronomische Objekte zu studieren. In den meisten Fällen benutzen sie hierfür den Bereich der elektromagnetischen Strahlung. Sichtbares Licht ist ein kleiner Teil dieses elektromagnetischen Spektrums.
Beim sichtbaren Licht hat ein blaues Photon ungefähr doppelt so viel Energie wie ein rotes Photon. Das beobachtete elektromagnetische Spektrum erstreckt sich jedoch über einen sehr viel weiteren Bereich in Energie. Am unteren Ende des Spektrums astronomischer Objekte befindet sich die Radiostrahlung. Deren Photonen können nur ein Milliardstel der Energie besitzen, wie die Photonen des sichtbaren Lichts. Höherenergetisch als das sichtbare Licht ist hingegen die Röntgenstrahlung. Ihre Photonen haben typischerweise tausendmal mehr Energie als die sichtbaren Signalübermittler. Am oberen Ende des elektromagnetischen Spektrums befindet sich die Gammastrahlung. In extremen Fällen können deren Photonen eine Energie aufweisen, die jene des sichtbaren Lichts um das Millionen mal Milliardenfache (eine Eins mit 12 Nullen) übertrifft. Jeder Bereich des elektromagnetischen Spektrums weist seine eigenen Mechanismen zu Erzeugung der entsprechenden Strahlung auf. Wie wir bereits gesehen haben, bedarf es daher für ein umfassendes Verständnis des betreffenden Himmelsobjekts in der Regel einer Zusammenschau über möglichst viele Bereiche des gesamten elektromagnetischen Spektrums.
In diesem Buch werden wir mehrmals auf astronomische Gammastrahlenquellen zu sprechen kommen. Der Gammastrahlenbereich selbst erstreckt sich auch über mehr als sechs Größenordnungen in Energie. Für die Zwecke dieses Buches werde ich ihn in drei Unterbereiche einteilen, einen unteren, mittleren und oberen Bereich. Bestimmte exotische Himmelsobjekte können bevorzugt in entsprechenden Energiebereichen des Gammalichts detektiert werden. So sind Gammablitze typische Quellen im unteren Energiebereich. Geminga ist eine sehr prominente Quelle im mittleren Energiebereich. Und die Dunklen Beschleuniger des nächsten Kapitels sind Vertreter des hochenergetischen Gammalichts.
Als nächstes wollen wir uns der Natur der Objekte zuwenden, die für die beobachtete Strahlung von Geminga und den Gammablitzen verantwortlich sind. Dazu müssen wir uns die Entwicklung von sehr massereichen Sternen ansehen.
1.4 Sternentwicklung
Sterne entstehen aus interstellaren Gaswolken durch Fragmentierung und nachfolgendem Kollaps der einzelnen Fragmente. Dabei variiert typischerweise die Masse der einzelnen sich formenden Klumpen. Protosterne mit großen Massen entstehen dabei selten, ihre Geschwister mit geringeren Massen entstehen dagegen relativ häufig. Der Massenbereich dieser Protosterne erstreckt sich von Riesen mit über hundertmal mehr Masse als die Sonne bis zu Zwergen mit lediglich etwa einem hundertstel der Sonnenmasse. Der weitere Lebensweg der Sterne wird nun entscheidend von deren Anfangsmasse bestimmt. Für den Kontext dieses Kapitels besonders relevant ist die Entwicklung und das dramatische Ende von sehr massereichen Sternen. Diese Himmelsobjekte explodieren am Ende ihres Sternenlebens als spektakuläre Supernova (siehe Abb. 1.1, in dieser Leseprobe nicht enthalten, kann aber hier abgerufen werden: https://de.wikipedia.org/wiki/Stern#/media/Datei:Sternentwicklung.png).
Supernovaexplosion folgen auf die Ereignisse, die sich in den Kernen von sehr massereichen Sternen am Ende ihres Lebens abspielen. Sterne beziehen ihre Energie aus Kernfusionsprozessen, wobei in ihren Kernen aus leichteren Elementen schwerere Elemente entstehen. Bei massereichen Sternen wird dabei ab einem gewissen Stadium Eisen gebildet. Jetzt ist es aber so, dass durch Kernfusion aus Eisen zu noch schwereren Elementen keine Energie mehr gewonnen wird. Wenn genug Eisen im Kern eines Sternes erzeugt wurde, erlischt dadurch quasi der Ofen des Sternes. Dadurch wird auch kein thermischer Druck und keine Strahlung mehr erzeugt, welche der Gravitationswirkung der darüber liegenden Sternschichten entgegenwirken kann und der Kern des Sternes kollabiert. Dieser Kollaps des Sternes wird erst gestoppt, wenn er die Dichte eines Atomkerns erreicht hat. Ein Teelöffel der Materie des Sternkerns wiegt dann in etwa so viel wie ein ganzer Berg auf der Erde. Ein sogenannter Neutronenstern ist entstanden. Die höherliegenden Schichten des Sterns stürzen dann auf diesen superkompakten Kern und werden wieder mit sehr hoher Geschwindigkeit nach außen reflektiert. Bei der Bildung des Neutronensternes entstehet eine riesige Menge einer bestimmten Art von Elementarteilchen, die Neutrinos. Auch diese Neutrinos werden nach außen abgestrahlt und beschleunigen die expandierenden Sternschichten. Der Stern explodiert als Supernova. Die genauen Mechanismen hinter der Explosion sind natürlich deutlich komplexer als dieser kurze Abriss, aber als Resultat dieser Ereignisse expandieren Teile des Sterns mit Geschwindigkeiten von mehreren tausend Kilometern pro Sekunde. Im Zuge dieser Explosion steigt die Helligkeit des Sterns für einige Wochen um viele Größenordnungen an und wenn er sich in der Milchstraße befindet, kann er kurzzeitig zu einem der hellsten Objekte am Nachthimmel werden. Beispielsweise erstrahlte im Jahr 1054 im Sternbild Stier eine Supernova, die den Planeten Venus an Helligkeit übertraf.
Kernkollaps-Supernovaexplosion hinterlassen also eine ultrakompakte Sternleiche. Diese Neutronensterne haben etwa 40 % mehr Masse als die Sonne, erstrecken sich jedoch nur über eine Größe einer irdischen Stadt. Bei der Bildung des Neutronensterns bleibt das Magnetfeld und der Drehimpuls des Ursprungssterns in der super-kompakte Sternleiche erhalten. Dabei wird das Magnetfeld extrem verstärkt und der Neutronenstern dreht sich beschleunigt analog zu einer Eiskunstläuferin oder einem Eiskunstläufer bei einer Pirouette. Bei seiner Geburt kann der Neutronenstern so eine Drehgeschwindigkeit um seine eigene Achse von mehreren hundertmal pro Sekunde erreichen.
Von der Geburt bis zur Supernovaexplosion massereicher Sterne vergehen gerade einmal wenige 10 Mio. Jahre. Im Vergleich zum Alter der Sonne von etwa 4,5 Mrd. Jahren, ist das eine sehr kurze Zeitspanne. Kernkollaps-Supernovae betreffen also vergleichsweise sehr junge Sterne. Vollständigkeitshalber sollte man an dieser Stelle auch noch erwähnen, dass es noch weitere Arten von Supernovaexplosionen gibt. Beispielsweise können auch masseärmere Sterne in Doppelsternsystemen ausgelöst durch Massenübertrag von ihrem Begleitstern durch katastrophale Zündung von Kernfusionsprozessen als Supernova explodieren. Dieser Mechanismus ist auch für ältere Sterne relevant. Diese Art von Supernova erstrahlt in einer recht wohlbestimmbaren Leuchtkraft und sie werden oft als »Standardkerzen« für kosmische Entfernungsmessungen herangezogen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden wir uns jedoch mit den Kernkollaps-Supernovae und deren Überresten beschäftigen.
1.5 Die Natur von Geminga
Neutronensterne sind auch der Schlüssel zum Verständnis der Natur von Geminga. Junge Neutronensterne zeichnen sich durch eine ultraschnelle Rotation aus und besitzen sehr starke Magnetfelder. In Richtung der Magnetfeldachse kommt es dabei zur intensiven Abstrahlung von elektromagnetischer Strahlung. Wenn jetzt die Richtung der Magnetfeldachse von der Rotationsachse des Sterns abweicht, was typischerweise bei Neutronensternen der Fall ist, erscheint diese Sternleiche einem entfernten Beobachter wie ein Leuchtturm. Der Lichtkegel an elektromagnetischer Strahlung der Magnetfeldachse streicht hier bei jeder Umdrehung des Neutronensterns über den Beobachter. Diese Objekte nennt man auch Pulsare (siehe Abb. 1.2, in dieser Leseprobe nicht enthalten, kann aber hier abgerufen werden: https://en.wikipedia.org/wiki/Pulsar#/media/File:Pulsar_schematic.svg).
In Geminga wurde eine regelmäßige Helligkeitsvariation im Röntgen- und Gammastrahlenbereich mit einer Periode von 237 Millisekunden gemessen. Der Verdacht liegt also nahe, dass es sich dabei um einen Pulsar handelt. Im Vergleich zu der typischen Geburtsperiode von Pulsaren von mehreren hundert Rotationen pro Sekunde ist die Variation in Geminga jedoch deutlich verlangsamt. Die Vorstellung hier ist jetzt, dass es sich bei Geminga um einen älteren Pulsar handelt, dessen Rotationsperiode sich im Laufe der Zeit verringert hat. Weitere Messungen haben gezeigt, dass Geminga mit einem Abstand vergleichbar etwa dem hundertfachen Abstand der sonnennächsten Sterne einer der erdnächsten bekannten Pulsare ist. Die ursprünglich nicht identifizierte Gammastrahlenquelle ist demnach eine rotierende ultrakompakte Sternleiche, die vor einigen hundertausend Jahren in einer nahen Supernova entstanden ist [7].
1.6 Die Natur der Gammablitze
Die Beobachtung von einer Vielzahl an Gammablitzen hat gezeigt, dass es mindestens zwei verschiedene Arten von diesen Ereignissen gibt. Historisch betrachtet wurden die Gammablitze entsprechend ihrer Dauer klassifiziert. Lange Ausbrüche erstrecken sich typischerweise über mehrere 10 bis 100 s wohingegen kürzere Ausbrüche eher im Sekundenbereich und darunter aktiv sind. Interessanterweise sind zwei sehr unterschiedliche Mechanismen für das Entstehen der langen und der kurzen Blitze verantwortlich. Die Endphasen und Überbleibsel der Entwicklung von sehr massereichen Sternen sind der Schlüssel zum Verständnis beider Arten von Gammablitzen.
Lange Gammablitze ereignen sich in ihren Heimatgalaxien typischerweise in Regionen mit sehr massereichen jungen Sternen. Entsprechend wurden lange Gammablitze mit dem Tod von außergewöhnlich massereichen Sternen in Verbindung gebracht [4]. An der Position mancher dieser Ereignisse konnte nach dem Gammablitz eine sehr energiereiche Supernova detektiert werden. In deren Fall stoppt der Kollaps des Sternenkerns allerdings nicht bei einem Neutronenstern. Bei diesen extrem massereichen Sternen hat der kollabierende Kern eine zu hohe Masse, um einen Neutronenstern zu bilden. Er kollabiert daher weiter und formt ein Schwarzes Loch. Dieses neu gebildete Schwarze Loch akkretiert innerhalb kurzer Zeit große Mengen an Sternmaterie und erzeugt in diesem Prozess zwei stark gebündelte Materieauswürfe, die sich in entgegengesetzten Richtungen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aus dem Stern heraus bewegen. In diesen Jets wird auch eine gigantische Intensität an hochenergetischer elektromagnetischer Strahlung erzeugt. Wenn jetzt einer dieser Jets auf eine Beobachterin oder einen Beobachter gerichtet ist, sieht diese Beobachterin oder dieser Beobachter einen langen Gammablitz. Beobachterinnen und Beobachter außerhalb dieser Gammalichtkegel sehen diesen Gammablitz jedoch nicht (siehe Abb. 1.3, in dieser Leseprobe nicht enthalten, kann aber hier abgerufen werden: https://en.wikipedia.org/wiki/Gamma-ray_burst#/media/File:Gamma_ray_burst.jpg).
Im Gegensatz zu langen Gammablitzen können sich kurze Gammablitze auch in Regionen ihrer Heimatgalaxien ereignen, die weit ab von jungen massereichen Sternen liegen. Diese Art der Gammablitze resultieren aus ganz speziellen Entwicklungswegen von bestimmten ultrakompakten Doppelsternen. In diesem Szenario umkreisen sich zwei Neutronensterne, das Gesamtsystem verliert durch die Abstrahlung von Gravitationswellen an Energie, die beiden Partner umkreisen sich daher auf immer engeren Umlaufbahnen und verschmelzen schließlich in einem finalen Feuerwerk. Tatsächlich konnten kurze Gammablitze auf die Kollision von zwei Neutronensternen zurückgeführt werden [8]. Da der gesamte Prozess der Entwicklung dieses Doppelsterns typischerweise einige Zeit in Anspruch nimmt, können kurze Gammablitze auch in Regionen mit alten Sternen gefunden werden. Bei Kollisionen von zwei Neutronensternen bildet sich ein Schwarzes Loch und während des Prozesses des Akkretierens der übrigen Neutronensternmaterie werden ebenfalls zwei Jets ausgestoßen. Diese Jets können dann in analoger Weise wie bei den langen Blitzen bei geeignetem Sichtwinkel als Gammablitze gesehen werden. Diese Kollisionen sind auch wichtige Quellen für Gravitationswellen. Die Wucht des Zusammenpralls zweier Neutronensterne führt zum Auswurf von sehr neutronenreicher Materie. Es wird angenommen, dass dies zumindest zum Teil der Ursprung der sehr schweren Elemente wie Gold, Blei oder Uran ist (siehe Abb. 1.4, in dieser Leseprobe nicht enthalten).
Bestimmte Endphasen der Sternentwicklung sind also der Ursprung von rätselhaften Gammastrahlern. Im nächsten Kapitel wollen wir uns die Natur von Gammastrahlern im höchsten Bereich des elektromagnetischen Spektrums genauer ansehen. Gammastrahlung im oberen Energiebereich ist sehr energiereich. Ihre Energie ist vergleichbar mit der Energie von Teilchen, die mit dem größten irdischen Teilchenbeschleuniger am CERN beschleunigt wurden. Um sehr hochenergetische astronomische Gammastrahlung zu erzeugen, bedarf es also kosmischer Teilchenbeschleuniger.
Literatur
[1] Klebedasel, R. W. et al. (1973). Observations of gamma-ray bursts of cosmic origin. The Astrophysical Journal Letters, 182, L85.
[2] Meszaros, P. (2002). Theories of gamma-ray bursts. Annual Review of Astronomy and Astrophysics, 40, 137–169.
[3] Ruderman, M. (1975). Theories of gamma-ray bursts. New York Academy of Sciences, Annals, 262, 164–180.
[4] van Paradijs, J., et al. (2000). Gamma-ray burst afterglows. Annual Review of Astronomy and Astrophysics, 38, 379–425.
[5] Costa, E., et al. (1997). Discovery of an X-ray afterglow associated with the ?-ray burst of 28 February 1997. Nature, 387(6635), 783–785.
[6] Bloom, J. S., et al. (2001). The redshift and the ordinary host galaxy of GRB 970228. The Astrophysical Journal, 554, 678–683.
[7] Bignami, G. F., & Caraveo, P. A. (1996). GEMINGA: Its phenomenology, its fraternity, and its physics. Annual Review of Astronomy and Astrophysics, 34, 331–381.
[8] LIGO Scientific Collaboration, Virgo Collaboration, Fermi Gamma-Ray Burst Monitor, INTEGRAL. (2017.) Gravitational Waves and Gamma-rays from a Binary Neutron Star Merger: GW170817 and GRB 170817A. The Astrophysical Journal Letters, 848, L13
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