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Leseprobe »Liebe, die immer noch schöner wird«: Warum Paare ihr Potenzial nicht ausschöpfen

Partnerschaften können immer tiefer, schöner und aufregender werden. Doch das geschieht nicht automatisch, und viele Paare nutzen nur einen Bruchteil ihres Liebespotenzials. Ob die Liebe wächst oder welkt, hängt von den Bedingungen ab, die in einer Paarbeziehung vorherrschen. Die meisten Paare haben die Fähigkeit, selbst gute Bedingungen zu schaffen, auch wenn sie nicht in eine Paarberatung oder Paartherapie gehen. Eine Leseprobe.
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»Liebe beginnt mit dem Gipfelerlebnis des Verliebtseins. Dann geht es langsam bergab. Manche stürzen dabei und ihre Liebe zerbricht. Andere retten sich auf die Ebene des Alltags, die zwar wenig leidenschaftlich ist, aber doch zufrieden macht.«

So fassen vielen Menschen zusammen, was sie in der Liebe erlebt haben und was sie bei anderen Paaren beobachten. Auch manche Befunde der Paarforschung belegen eine Abwärtsbewegung bei Liebenden. Doch dies ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Jede Liebesbeziehung trägt ein Potenzial in sich, das schier unausschöpflich ist. Paare müssen es nur entdecken. Von diesem Potenzial handelt dieses Buch.

In vielen Lebensbereichen haben wir es mit einem Gefälle zu tun, einer natürlichen Entwicklung zum Schlechteren: Ein Neuwagen verschleißt und würde irgendwann stehen bleiben. Unser Körper altert. Er entwickelt Gebrechen, die unser Leben einschränken. Auch unser Job verliert irgendwann seine Faszination und kann sogar zu einer Last werden. Doch in keinem dieser Lebensbereiche akzeptieren wir die Abwärtsbewegung. Wir nutzen unsere Möglichkeiten und setzen dem Verfall etwas entgegen. Unser Auto lassen wir regelmäßig warten oder rüsten es sogar mit Zubehör auf, die dem Fahren neuen Spaß verleihen. Dem körperlichen Verfall setzen wir eine gute Ernährung und Bewegung entgegen, so dass manche 60-Jährige fitter sind, als sie es mit 40 Jahren waren. Wenn unser Job zur Routine wird, bilden wir uns fort und suchen neue Herausforderungen. Viele steigern ihre Berufszufriedenheit mit den Jahren sogar. Sollte nicht auch für die Liebe gelten, was in anderen Bereichen unseres Lebens selbstverständlich ist? Auch in der Liebe ist eine Aufwärtsbewegung möglich. Das zeigen viele Studien, die ich in diesem Buch zusammengetragen habe. Sie weisen Ihnen den Weg, auf dem Sie das Potenzial Ihrer Paarbeziehung ausschöpfen.

Die Fülle der Erkenntnisse und Anregungen, die sich aus der Paarpsychologie ableiten, könnte Sie vielleicht unter Druck setzen: Müssen wir das alles umsetzen, um glücklich zu sein und glücklich zu bleiben? Natürlich nicht. Dieses Buch will Ihnen vielmehr Vorfreude machen auf die vielen Jahre, die Sie in Ihrer Liebesbeziehung noch vor sich haben. Sie werden vielleicht nur ein oder zwei Bereiche auswählen, in denen Sie Ihr Potenzial neu entdecken und Ihre Beziehung leichter, schöner und aufregender machen. Andere Bereiche sind später dran.

Paarpsychologische Studien zeigen das Potenzial, das in unseren Liebesbeziehungen liegt. Besonders eindrücklich demonstriert das eine Studie, die indische Psychologen 1982 veröffentlicht haben (Gupta und Singh 1982). In Indien gab und gibt es zwei gegensätzliche Formen von Paarbeziehungen. Viele junge Menschen heiraten den Partner, den die Eltern aussuchen. Andere lösen sich aus dieser Tradition und heiraten einen Partner ihrer Wahl. Eine einzigartige Situation für die Feldforschung: Wer ist nun glücklicher – Paare, die sich der Wahl ihrer Eltern fügen, oder Paare, die die Liebe zueinander führt?

Die indischen Eheforscher begleiteten 50 Ehepaare bis zu zehn Jahre lang. Deren Glück wurde regelmäßig mit einer Liebesskala gemessen, die auf neun Fragen beruht. Das Ergebnis der Studie verblüfft westlich geprägte Menschen. In den ersten Ehejahren fühlten sich die Paare mit Liebesheirat glücklicher. Allerdings holten die Paare in arrangierten Ehen Jahr für Jahr auf, ihre Werte auf der Liebesskala stiegen. Schon im fünften Jahr drehte sich das Verhältnis um. Nun waren Paare in arrangierten Ehen glücklicher als Paare, die einander frei gewählt hatten. In den nachfolgenden Jahren verstärkte sich die Liebe in arrangierten Ehen noch, während sie bei den Paaren mit Liebesheirat weiter abnahm. Auch neuere Studien zeigen, dass die Liebesheirat der arrangierten Ehe auf Dauer nicht überlegen ist (Schindler et al. 2006).

Solche Studien stellen unser Bild von der Liebe auf den Kopf: Was die Liebe gelingen lässt, muss etwas anderes sein als Verliebtheit, erotische Anziehung und gutes Zusammenpassen. Vermutlich haben die Paare in arrangierten Ehen realistischere Vorstellungen von der Liebe. Sie rechnen mit den Mühen, den kleinen Kränkungen und Frustrationen, die einem der Alltag der Liebe zumutet. Sie sind nicht überrascht, wenn die Liebe ihnen Geduld, Anpassung und Aufbauarbeit abverlangt. Dafür werden sie mit einer über die Jahre wachsenden Liebe belohnt. Aber was geschieht, wenn wir die positiven Effekte beider Gruppen mitnehmen? Wenn wir einen Partner wählen, der zu uns passt, mit dem wir in wichtigen Dingen übereinstimmen und der uns doch auf wunderbare Weise ergänzt? Und wenn wir darüber hinaus so geduldig in ein weiteres Kennenlernen investieren wie die indischen Paare in den arrangierten Ehen? Dann erst schöpfen wir unser volles Potenzial aus.

Ein Befund aus der Kommunikationsforschung weist in die gleiche Richtung: Wenn in einer Liebesbeziehung fünf positive Verhaltensweisen eine negative aufwerten aufwiegen, dann sind Paare glücklich. Negativ könnte zum Beispiel ein Kritikpunkt sein, positiv ein Lob, ein aufmerksames Zuhören oder eine liebevolle Berührung. Aber was geschieht, wenn wir unsere Fehler und Unaufmerksamkeiten nicht nur aufwiegen? Sondern wenn wir unseren Partner in einen Strom liebevoller Verhaltensweisen tauchen, die uns nicht mehr anstrengen, weil sie uns durch Gewohnheit zur Natur geworden sind? Kostenlos und ohne nennenswerten Zeitaufwand können wir dann die Quote der Glücksformel 1 : 5 auf auch auf 1 : 10, 1 : 50 oder 1 : 100 steigern. Glück ist nach oben offen.

Aber wie sieht es aus, wenn Paare ihr Potenzial ausschöpfen? Sind sie bis ins Alter verliebt und leidenschaftlich? Kein Paar kann sich über Jahre von einem Gipfelerlebnis zum anderen hangeln. Paare, die ihr Potenzial ausschöpfen, erleben vielmehr eine Liebe, die immer tiefer wird, eine tägliche Dankbarkeit für den anderen, ein Sich-zuhause-Fühlen beim anderen und eine neugierige Offenheit, die sich leicht für Momente der Freude, Innigkeit und Lust entzünden lässt. Verhandlungen und Streit sind von einem Grundvertrauen getragen. Paare vergeben einander schnell. Unlösbare Probleme, die es hier und da durchaus geben mag, kann ein Paar dann mit Humor nehmen und darauf vertrauen, dass sich irgendwie ein Weg mit ihnen findet.

Im Folgenden stelle ich Ihnen vor, wo genau die Potenziale Ihrer Liebesbeziehung liegen und wie Sie diese erschließen können.

1.1 Die Potenziale der Liebe

Zu den Spannungsfeldern der Liebe gehören Kommunikation, Gefühle, Bindung und Intimität, das Geben und Nehmen sowie die Lebensgestaltung eines Paares. Jedes dieser Spannungsfelder hat zwei Pole. Mann kann sie sich wie das elektrische Potenzial einer Batterie vorstellen, das zwischen dem Pluspol und dem Minuspol entsteht. In unseren gegensätzlichen Möglichkeiten liegt eine Spannung, aber auch eine Kraft:

  • Kommunikation: Verstehen und Widerspruch
  • Emotionen: Gefühle kontrollieren und Gefühle zulassen
  • Intimität: Einswerden und Selbstbewahrung
  • Austausch: Geben und Nehmen
  • Bindung: Bindung aufbauen und Freiheit bewahren
  • Sicherheit: Selbstschutz und Leidensfähigkeit

Diese polare Struktur entspricht genau den Konflikten, die sich in Paarbeziehungen entzünden. Einerseits sind es innere Konflikte: »Ich wünsche mir eine feste Bindung, will aber dabei so frei wie möglich bleiben.« Andererseits sind es Konflikte zwischen den Partnern, wenn etwa ein Mann die Auffassung vertritt: »Du klammerst!« Und seine Partnerin dagegen hält: »Du entziehst dich!«

Glückliche Paare finden ein dynamisches Gleichgewicht zwischen den Polen. Für das Thema der Kommunikation hieße das zum Beispiel: »Wir verstehen uns, aber wir können auch streiten und mit unterschiedlichen Sichtweisen umgehen.« Unglückliche Paare ertragen die Spannung nicht, lösen die Spannung einseitig auf und sitzen dann auf einem Pol fest. Am Harmoniepol verharren Paare, die zwar nie streiten, aber unzufrieden sind. Am entgegengesetzten Pol haften Paare, die viel und heftig streiten, weil jeder glaubt, Verständnis würde den Partner in seinem falschen Verhalten nur bestärken. Nur Beweglichkeit sorgt für ein Gleichgewicht, so wie wir uns in einer scharfen Kurve unwillkürlich zur Seite lehnen, um unser Gleichgewicht zu halten. In einer Partnerschaft bedeutet das zum Beispiel die Fähigkeit, in manchen Situationen ganz zum Pol des Verstehens zu gehen, in anderen aber ganz zum Pol des Widerspruchs, je nachdem, was die spezielle Situation erfordert.

Mit einem solchen dynamischen Gleichgewicht kommt man in der Liebe schon sehr weit. Es gibt jedoch Ausnahmesituationen, die noch mehr erfordern, nämlich die polare Integration gegensätzlicher Verhaltensweisen. Paare nutzen dabei die ganze Energie des Spannungsfeldes. Dies ist ein etwas komplizierter, aber sehr bedeutsamer Gedanke, auf den ich in diesem Buch immer wieder zurückkomme. Die Denkfigur dazu hat der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel ausgearbeitet (s. Box 1.1). Sie ist inzwischen in die psychologische Theoriebildung eingegangen und trägt Früchte in der psychotherapeutischen Praxis.

Die Integration der Gegensätze beim Thema Kommunikation hieße: aus dem Verstehen heraus widersprechen. Nehmen wir zum Beispiel einen Ehemann, der seine Frau über Jahre dominiert hat. Nun wehrt sich die Ehefrau, schießt aber über das Ziel hinaus. Sie tritt jetzt bei allen Abstimmungen kämpferisch auf, auch da, wo ihr Mann ihren Wünschen gerne entgegenkommen würde. Der Ehemann fühlt sich so in die Rolle eines Tyrannen gedrängt. Ein naheliegender Widerspruch würde so lauten: »Du stellst mich viel dominanter hin, als ich bin. Ich bin doch kein Tyrann. Sag mir doch ganz normal, was du willst.« Ein solcher Widerspruch hat in der geschilderten Ehesituation schlechte Chancen, die Lage zu entspannen. Wie wird die Ehefrau diesen Widerspruch verstehen? Vermutlich als einen weiteren Versuch sie zu dominieren: »Ach, du gehst also auf meine Wünsche ein? Und wie ist es mit …?« Und nun führt die Frau erneut den Beweis, dass sie in den vergangenen Jahren dominiert worden ist. Sie möchte erst einmal darin verstanden werden, dass sie lange nachgegeben hat und jetzt das Recht hat, den eigenen Wünschen mehr Nachdruck zu verschaffen. Der Ehemann kommt hier nur weiter, wenn er den Gegensatz von Verstehen und Widerspruch überbrückt. Sein Widerspruch muss ein Verständnis ausdrücken, sein Verstehen muss dem Widerspruch seine Berechtigung geben.

Ein verständnisvoller Widerspruch könnte so klingen: »Ich glaube, du bist schon stärker, als du dich fühlst. Es stimmt, dass ich dich oft dominiert habe. Aber deine Argumente überzeugen mich auch, und ich lasse mich gerne umstimmen, weil ich sehe, dass du recht hast.«

Eine solche Botschaft kann eine verhärtete Situation entspannen. Dies ist allerdings kein Psychotrick, der auf einer geschickten Formulierung beruht. Es kommt vielmehr auf die Motive an. Im ersten Widerspruch will der Ehemann nicht mehr wie ein Tyrann behandelt werden. Das ist zwar ein berechtigter Wunsch, doch die Ehefrau wird sich in ihrem Anliegen nicht verstanden fühlen. Im zweiten Widerspruch hingegen geht es dem Ehemann in erster Linie um seine Frau. Er möchte sie spüren lassen, dass er sein Fehlverhalten eingesehen hat und ihre Wünsche bereits mehr berücksichtigt, als sie glaubt. Die Ehefrau wird sich verstanden fühlen und eher bereit sein, die eigene Überreaktion zu korrigieren. Ihr Ehemann hat zwar an seinem Widerspruch keinen Abstrich gemacht, ihn aber in ein Verstehen eingebunden.

Auch für die sechs weiteren Beziehungsthemen gilt: In vielen kritischen Situationen hilft nur ein Zusammenführen der Gegensätze. Die folgenden Kapitel beschreiben daher jeweils, wie sich eine charakteristische Kluft zwischen zwei Gegensätzen überbrücken lässt.

Box 1.1 Die Idee der Dialektik

Wie fast alle grundlegenden Ideen geht auch die Idee der Dialektik auf den griechischen Philosophen Platon (ca. 428–348 v. Chr.) zurück. Für Platon war die Dialektik eine Gesprächsmethode, die zu neuen Erkenntnissen führt. Rede und Gegenrede führen zu einem Widerspruch, den man durch eine neue Erkenntnis überwinden kann. Von Platon aus tritt die Dialektik ihren Weg durch die Philosophiegeschichte an. Sie wird vielfach neu interpretiert und auf die unterschiedlichsten Inhalte angewandt, zum Beispiel auf die Frage, wie sich Geist und Materie zueinander verhalten. Heute verstehen wir unter Dialektik einen Erkenntnisweg, der auf den deutschen Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770–1831) zurückgeht: Eine Sichtweise (These) und ihr Gegenteil (Antithese) werden auf einer höheren Ebene aufgehoben (Synthese). Der Widerspruch wird auf diesem Weg zugleich bewahrt – seine Elemente gehen nicht verloren – und überwunden.

Diese Denkfigur lässt sich aus dem philosophischen Zusammenhang lösen und für die Psychologie fruchtbar machen. Konsequent hat das die amerikanische Psychotherapeutin Marsha Linehan getan, als sie die sogenannte Dialektisch-behaviorale Therapie entwickelte (Linehan 1996). Diese bietet einen Behandlungsansatz für Menschen, deren Leben sich in Extremen abspielt. Sie leiden unter starken Gefühlsschwankungen – sind himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Der dialektische Ansatz hat sich in der Behandlung extremer, stark wechselnder Gefühlszustände als Durchbruch erwiesen. Manche Menschen brauchen eine radikale Akzeptanz, um sich zu verändern, absolutes Vertrauen in ihr Potenzial, um sich aus völligem Unvermögen zu befreien, und eine respektlose Konfrontation, um sich wirklich verstanden zu fühlen. Diese Paradoxien lassen sich nur dialektisch verstehen. Auch in Paarbeziehungen finden sich viele Gegensätze. Daher ist die Denkfigur der Dialektik für Paare gerade dann hilfreich, wenn die Gegensätze unüberbrückbar scheinen.

Wie diese theoretischen Überlegungen in der Praxis umzusetzen sind, erfahren Sie jeweils am Ende der verschiedenen Kapitel.

In diesem Buch mache ich mich mit Ihnen auf die Suche, welche Erkenntnisse und praktischen Anregungen Ihnen helfen, das Potenzial Ihrer Beziehung auszuschöpfen. Wer die Theorien und Befunde zum Thema Partnerschaft vollständig darstellen wollte, müsste heute eine Enzyklopädie schreiben. Doch einige Schlüsselideen reichen aus, um zu verstehen, worauf es bei den wichtigen Beziehungsthemen ankommt. Und einige wenige Fähigkeiten entscheiden über Glück und Unglück in der Liebe. Wie sich auch die Psychologie in den letzten Jahrzehnten neue Potenziale erschlossen hat, möchte ich einführend anhand von drei Forschungsgebieten zeigen: der Kommunikationsforschung, der Bindungsforschung und der Psychotherapieforschung. Auf allen drei Gebieten sind im vergangenen Jahrhundert Durchbrüche erzielt worden, die das Verständnis von Beziehungen revolutioniert haben.

Das Nachdenken über Kommunikation hat natürlich nicht erst im 20. Jahrhundert begonnen. Aber erst zu dieser Zeit setzte sich eine beunruhigende Erkenntnis durch: Ein erheblicher Teil unserer Kommunikation geschieht unbewusst. Diese Erkenntnis verdanken wir Sigmund Freud und der psychoanalytischen Tradition. Die wissenschaftliche Psychologie hat das Unbewusste lange als spekulativ zurückgewiesen, aber irgendwann war ihre Forschungsmethodik so verfeinert, dass sich auch unbewusste Vorgänge erfassen ließen. Heute sind sie ein selbstverständlicher Bestandteil psychologischer Theorien. Ohne das Wissen um unbewusste Kommunikation kann man Paarbeziehungen kaum verstehen. Viele Paare besitzen alle Fähigkeiten, die gelingende Partnerschaften tragen: Sie können einander zuhören und Verständnis äußern. Sie sind kritikfähig und bereit, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Sie können Probleme gemeinsam angehen. Und doch gibt es Punkte, die sie immer wieder in Streit geraten lassen oder dazu führen, dass sie sich voneinander zurückziehen. Keiner von beiden kann sagen, was sich da eigentlich zwischen ihnen abspielt. Hier laufen unbewusste Prozesse ab, die eine Paarbeziehung ganz in ihre Gewalt bringen können. Doch mittlerweile verfügen wir über Schlüssel, die uns einen Zugang zu den unbewussten Vorgängen zwischen Paaren eröffnen.

Während die Kommunikationsforschung das Verständnis von Beziehungen grundlegend verändert hat, hat die Bindungsforschung das Menschenbild der Psychologie neu geprägt. Der Mensch wurde lange Zeit als Wesen gesehen, das in der Kindheit lernt und geprägt wird, sich dann aber von den Eltern löst und als Erwachsener die Wandlung zu einem unabhängigen Menschen vollzieht. Die Bindungsforschung hat entdeckt, dass der Mensch ein auf Bindung angelegtes Wesen ist, und zwar von der Wiege bis zur Bahre. Natürlich löst sich ein Mensch aus der Bindung zu seinen früheren Bezugspersonen, aber nur, um als Erwachsener neue Bindungen einzugehen. Vom Vorhandensein und der Qualität dieser Bindungen hängt seine Lebensqualität als Erwachsener ab. Wer Bindungen vermeidet, verschlechtert sein seelisches Wohlbefinden, seine Gesundheit und seine Leistungsfähigkeit. Es gehört offenbar zutiefst zum Wesen des Menschen, in Bindungen zu leben.

Ein dritter großer Durchbruch glückte im vergangenen Jahrhundert der Psychotherapieforschung. Im deutschsprachigen Raum steht dafür das Buch »Psychotherapie im Wandel« des Schweizer Psychologieprofessors und Psychotherapieforschers Klaus Grawe. Es trägt den herausfordernden Untertitel: »Von der Konfession zur Profession«. Tatsächlich standen die verschiedenen Psychotherapieschulen lange wie Glaubensrichtungen nebeneinander. Jede beanspruchte für sich das richtige Verständnis von menschlicher Entwicklung und zwischenmenschlichen Beziehungen. Jede Schule sah in ihren Methoden den einzigen Weg zur Überwindung von Problemen. In dieser Situation setzte ab den Sechzigerjahren eine intensive Forschung ein, die Konzepte, Wirkweisen und Therapieerfolge systematisch überprüfte. Dabei mussten alle Therapieschulen Federn lassen: Alle sahen sich gezwungen, wesentliche Grundannahmen zu korrigieren und einzugestehen, dass sowohl ihre Konzepte als auch ihre Veränderungsansätze ergänzungsbedürftig waren. Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind bahnbrechend: Uns steht heute eine Reihe hochwirksamer Methoden zur Veränderung emotionaler Reaktions- und Beziehungsmuster zur Verfügung, und wir wissen besser, welcher Veränderungsansatz zu welchen Problemen passt.

Darüber hinaus ist klar geworden, was nicht funktioniert und was man deshalb gar nicht erst versuchen sollte. Gerade in Partnerschaften erfahren Menschen, wie schwer Veränderungen herbeizuführen sind: Seine ironischen Spitzen haben sie schon immer verletzt. Warum kann er sie nicht einfach sein lassen? Nach einem Streit darüber bemüht er sich ein paar Tage, aber lange kann er solche Bemerkungen nie unterdrücken. Ihre Neigung, Vorschriften zu machen, hat ihn schon zu Beginn der Partnerschaft in einen trotzigen Rückzug getrieben. Warum formuliert sie ihre Wünsche nicht auf Augenhöhe, statt in die Rolle einer strengen Mutter zu verfallen? Gerne würde sie das ändern, aber sie kann die Macht der Gewohnheit nicht brechen. Verhaltensänderungen sind schwierig. Wie sie dennoch gelingen, lässt sich für jedes der großen Beziehungsthemen zeigen.

Leider endet die Leseprobe an dieser Stelle. Das Buch bietet den Rest des Kapitels und mehr über Liebe, die immer noch schöner wird.

Literatur

Gupta U, Singh P (1982) An exploratory study of love and liking and type of marriages. J Appl Psychol 19(2):7–92

Schindler L, Hahlweg K, Revenstorf D (2006) Partnerschaftsprobleme: Diagnose und Therapie. Therapiemanual. Springer Medizin, Heidelberg

Linehan MM (1996) Dialektisch-Behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. CIP Medien, München

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