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Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen: Industriedrogen

Industriedrogen

Götz Harnischfeger

Pharmazeutisch bedeutsame Pflanzenteile (Drogen) sind die industriellen Ausgangsstoffe für die Herstellung von Phytopharmaka bzw. zur Isolierung therapeutisch wichtiger Inhaltsstoffe. Dabei müssen sie als Rohstoffe definierten Ansprüchen an Qualität, die sich im einzelnen aus dem therapeutischen Zweck des Endprodukts ableiten lassen, und an technische Verarbeitbarkeit, die sich aus dem individuellen Herstellungsprozeß ergibt, genügen.

Ansprüche an die Qualität

Generell stellen die Kriterien der Arzneibuchmonographien lediglich Mindestanforderungen dar. Deren Einhaltung ist nur für Arzneitees bzw. Teemischungen lt. Gesetz zwingend erforderlich. In allen anderen Fällen ist ein Anlehnen an Arzneibuchkriterien zwar anzuraten, ihre Notwendigkeit wird jedoch durch die Fertigungsprozesse u. U. stark relativiert, da die Schwerpunkte anders verteilt sind.

Es liegt in der Natur der als industrielle Ausgangsstoffe verwendeten Pflanzen oder Pflanzenteilen begründet, daß der Gehalt an indikationsspezifisch relevanten Wirkkomponenten schwankt und diese selbst in einem meist komplexen Gemisch mit anderen Substanzen, zum Teil sehr ähnlicher Struktur, vorliegen. Daher ist die Erstellung eines auf den individuellen Anwendungszweck des zu fertigenden Phytopharmakons zugeschnittenen, individuellen Anforderungsprofils zwingend notwendig.

Schema 1: Vorgaben

Indikationsanspruch des Fertigarzneimittels
Liegt die Indikation durchdefiniert vor?
Worauf begründet sich die Anwendung der Droge?
Gibt es pharmakologische Daten?
Existieren pharmazeutische Daten?
Liegt die detaillierte Stellungnahme der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilungen zur therapeutischen Profilierung des Arzneimittels vor?
Technologische Gegebenheiten
Welche Inhaltstoffe (Gruppen) werden bei der Verarbeitung der Droge freigesetzt?
Welche Inhaltstoffe (Gruppen) erfahren eine Umwandlung im Prozeß?
Sind davon und, wenn ja, in welcher Größenordnung für die Indikation bekannte Wirksubstanzen betroffen?
Ist das vorgesehene oder bereits praktizierte Herstellungsverfahren adäquat?
Können relevante Wirksubstanzen (Gruppen), die auch im Fertigarzneimittel nachweisbar sind, bereits festgelegt werden?
Gegebenheiten des Ausgangsmaterials?
Welche Qualität besitzt die Handelsdroge im langjährigen Mittel?
(Verfälschungen, Verunreinigungen, Mikrofauna und -flora, Verarbeitung, Lagerungseinflüsse)
Ist die geforderte Qualität vom Drogenmarkt in der notwendigen Menge zu beschaffen?

Ausgangspunkt für einen solchen spezifischen Anforderungskatalog an das Ausgangsmaterial Droge ist immer das zu fertigende Endprodukt "Arzneimittel" mit seinen therapeutisch/medizinischen Zielsetzungen. Er wird zweckmäßigerweise anhand der in Schema 1 dargestellten Fragen erarbeitet. Ohne befriedigende Antwort der in Block 1 zusammengefaßten Fragen ist eine sinnvolle Erarbeitung der sich aus Block 2 ergebenden Prozeßanforderungen nicht möglich, aus denen dann im 3. Block die Kriterien für das zu verwendende Drogenmaterial sich ableiten lassen.

Der in den Arzneibüchern festgelegte Standard für eine dort beschriebene Droge stellt in vielen Fällen lediglich eine Mindestanforderung dar (s.o.). Für eine über viele Ansatzchargen gleichmäßige Qualität des Endproduktes ist jedoch für den Gehalt an wirksamkeitsbestimmenden bzw. -mitbestimmenden Komponenten nicht nur der im Arzneibuch festgelegte Mindestgehalt sondern auch eine vom Hersteller festzulegende Obergrenze notwendig. Die für den Prozess erforderliche Gehaltsbreite ergibt sich aus den Anforderungen in Schema 1. Ähnliches gilt für Angaben zum Extraktivstoffgehalt und, hier nur als oberes Limit, für alle Verunreinigungen.

Technische Anforderungen

Der Herstellungsprozeß von Phytopharmaka ist in der Regel eine genau festgelegte Folge von Fertigungsschritten, die in ihrer Führung durch Einflußgrößen wie Temperatur, Mengenfluß etc. eng definiert sind, um so ein konstantes Produkt auch über längere Zeiträume zu gewährleisten. Innerhalb der Fertigung ist eine Anpassung oder ein Variieren der Steuerungsbedingungen nur in einem sehr begrenzten Rahmen möglich, so daß der Konstanz des Ausgangsmaterials Droge andererseits sehr große Bedeutung zukommt. Die individuelle, schrittweise Erarbeitung der Anforderungen an die Droge und die zu berücksichtigenden Wechselbeziehungen sind aus Schema 2 ableitbar.

Schema 2



Kritischer Schritt in der Fertigungskette ist meist die Extraktherstellung, da der in engen Grenzen zu definierende Extrakt in seiner Gesamtheit als Wirkstoff anzusehen ist. Bei seiner Herstellung sind neben rein technisch zu sehenden Größen wie dem Verfahrenstyp, der Anlage selbst mit ihren Besonderheiten und der Kennzahlen des verwendeten Lösungsmittels (Typ, Konzentration, Menge) die folgenden Größen der bearbeiteten Droge von Bedeutung: Homogenität, Schnittgröße, Pulveranteil, Extraktivstoffgehalt und Wassergehalt. Bis auf den Extraktivstoffgehalt, der über einen Anbau nur in Grenzen steuerbar ist, sind alle übrigen technischen Parameter der zur Extraktion vorgesehenen Droge als Verarbeitungsgrößen relativ einfach einzustellen. Sie sind sogar teilweise aus dem Schema 1 vorhersehbar und müssen dann lediglich in Versuchen bestätigt werden.

Der technische Verarbeitungsprozeß wird in seinen Stellgrößen wesentlich vereinfacht, wenn ein durch obiges Anforderungsprofil festgelegtes, möglichst homogenes Drogenmaterial eingesetzt wird. Homogenes Ausgangsmaterial ist daher von vitalem Interesse für industrielle Hersteller, seine Erhältlichkeit in den notwendigen Quantitäten stellt jedoch vielfach ein Problem dar.

Wild gesammelte Drogen stehen bei einem Stamm qualifizierter Sammler zwar kurzfristig zur Verfügung, sind jedoch in ihrer Qualität, d.h. der Zusammensetzung und Quantität ihrer Inhaltsstoffe, außerordentlich heterogen. Dies ist sowohl genetisch als auch durch den Standort bedingt. Wo es aus wirtschaftlichen Gründen nur einigermaßen vertretbar ist, wird daher die Inkulturnahme und der Anbau vorgezogen. Es ist heute möglich, über züchterische Verbesserungen, Auswahl optimalen Saatguts, Wahl günstiger Standorte und entsprechende landbauliche Maßnahmen Drogen mit einheitlichem Spektrum der spezifischen sekundären Inhaltsstoffe und gleichzeitig hohem Gehalt zu erzeugen. Die Tabelle 1 faßt schlaglichtartig die verschiedenen Einflüsse auf die Erzeugung hochwertiger Drogen zusammen. Beispiele für eine solche, rationelle Gewinnung von Industrierohstoffen sind Kamille, Pfefferminze, Enzian und Melisse. Kulturen sind allerdings nur bei in großen Mengen oder zu hohen Preisen gehandelten, nach ein- bis zweijähriger Wachstumsphase zu erntenden Drogen ökonomisch vertretbar. Die meisten in Deutschland verarbeiteten Drogen werden jedoch in Mengen unter 100 Tonnen pro Jahr benötigt, so daß sich ein Anbau, selbst wenn er unter den herrschenden Klimabedingungen möglich wäre, nicht lohnt und auf Sammler zurückgegriffen werden muß. Die meisten der in Deutschland mit über 500 Tonnen pro Jahr verarbeiteten Drogen werden eingeführt bzw. können wegen ungünstiger klimatischer Verhältnisse hier nicht angebaut werden.

Tab. 1: Orientierungspunkte für eine systematische Drogengewinnung einheitlicher Qualität

Ausgangsparameter Konsequenz
genetische Variation und Vererbung der Sekundärstoffe Selektion und Züchtung
morpho- und ontogenetische Variabilität Wahl des Erntetermins, Trennung der Pflanzenteile

Umweltmodifikation  
anthropogene Einflüsse 





Wahl des Anbaustandorts, pflanzenbaul. Verfahren und Maßnahmen einschl. Düngung, Pflanzenschutz, Ernte und Aufbereitung

Einen für die Gewinnung homogenen Drogenmaterials wichtigen Schritt stellt auch die Wahl des Erntezeitpunkts dar, da das Spektrum und die Qualität der Inhaltsstoffe eng an den Entwicklungszyklus der Pflanze gekoppelt sind.

Die Verarbeitung der geernteten Droge selbst, d.h. Schneiden, Sieben etc., richtet sich dabei nach dem Drogentyp, z.B. Blattdroge, Wurzeldroge etc mit seinen unterschiedlichen Anforderungen. Hier bietet sich auch eine gute Möglichkeit, gezielt in Richtung auf eine Standardisierung einzugreifen, beispielsweise durch Mischung unterschiedlicher Herkünfte der geschnittenen Droge, da Ganzdrogen meist nicht zu notwendiger Homogenität vermischt werden können Im Einzelfall schließt sie auch Schritte zu Keimzahlverminderung etc. ein. Die Art und Weise, in der einzelne Aufbereitungsschritte Einfluß auf die Qualität der Droge nehmen können, ist in Tabelle 2 dargestellt.

Tab.2: Beeinflussung der Qualität von Drogen über die Verarbeitung

Aufbereitungsschritte Beeinflußt werden Beispiele
Ernte Wirkstoffgehalt Hyperici herba
Reinigungsverfahren Reinheit, Wassergehalt Schälen von Liquiritiae radix
Fermentation Wirkstoffe, Inhaltsstoffe Camellia sinensis
Trocknung Wassergehalt, Verderbnis
Zerkleinerung Wassergehalt, Trockenzeit, Extraktionsfähigkeit Menthae pip. folium
Lagerung Wirkstoffgehalt, Qualität Foeniculi fructus

Neben den traditionellen, heute teilweise obsoleten, Zubereitungen von Drogen wie Teemischung (Species), Abkochung (Decoctum), Aufguß (Infusum), Saft (Succus), Sirup (Sirupus), Tinctur (Tinctura) und Extrakt (Extractum) kommen typische, handelsübliche Phytopharmaka in Form von Lösungen, Kapseln, Tabletten, Dragees, Zäpfchen, Salben, Gelen und Cremes zur therapeutischen Anwendung. Bei den modernen Arzneiformen werden vorwiegend Extrakte als Wirkstoffträger eingesetzt.

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