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Lexikon der Astronomie: ADAF

Das Akronym ADAF steht für advection-dominated accretion flow, was man gleichwohl als advektionsdominierter Akkretionsfluss übersetzen kann. Vereinfacht gesagt, verbirgt sich hinter ADAF eine aufgeblähte Materieströmung aus heißem, dünnem Gas, die eine etwa kugelige Gestalt um das Materie aufsammelnde Zentralobjekt annimmt. Die Astronomie ist auf die Existenz solch heißer Akkretionsflüsse um kosmische Objekte wie Neutronensternen oder Schwarzer Löcher angewiesen, um erklären zu können, wie die hochenergetischen Röntgenspektren zustande kommen.

Beschreibung der Akkretionslösung

Zunächst soll es jedoch um die Charakterisierung des ADAFs gehen, auch wenn die Beschreibungen recht technisch sind: Ein ADAF ist eine spezielle, analytische Lösung, die sehr bekannt in der Akkretionsphysik ist. Es ist eine selbstähnliche Akkretionslösung, die auf dem theoretischen Zweig der dissipativen Hydrodynamik beruht. Der ADAF wurde 1994 entdeckt (Narayan & Yi 1994) und weist ein paar klare Unterschiede zur Standardscheibe (SSD), einer anderen, berühmten Akkretionslösung, auf. Im Wesentlichen liegt das darin begründet, dass die akkretierte Materie nicht effizient durch Strahlung gekühlt wird. Das ist eine so markante Eigenschaft, dass sich für solche Akkretionsflüsse der Oberbegriff RIAF für radiatively-inefficient accretion flow (dt.: durch Strahlung ineffizient gekühlter Akkretionsfluss) etabliert hat. Jeder ADAF ist demnach ein RIAF – aber nicht umgekehrt! Das Unterbleiben der Kühlung führt zur Aufheizung des Akkretionsflusses: Wie kochendes Wasser in einem Topf dehnt sich der heiße Fluss aus. Dabei wird der Akkretionsfluss ausgedünnt, das Gas wird demnach weniger dicht. Ein dünnes Gas kann durch Strahlung kaum gekühlt werden, weil es kaum Wechselwirkungen zwischen Gas und Strahlung gibt. Die mittlere, freie Weglänge ist recht groß. Im Gegensatz zur Standardscheibe wird die thermische Energie nicht als elektromagnetische Wellen abgestrahlt, sondern im Gas als innere Energie und Entropie gespeichert. Der radiale Entropiegradient ist eine geeignete Größe, um den Unterschied der beiden wichtigsten analytischen Akkretionslösungen zu beschreiben: Der Entropiegradient verschwindet bei SSDs und nicht bei ADAFs. Die somit im ADAF gespeicherte Energie verschwindet im aufsammelnden Objekt – dem so genannten Akkretor. Die Akkretionsphysiker sagen: Die Energie wird advektiert. Die Bezeichnung advektions-dominiert bezieht sich nun darauf, dass die Kühlung sehr ineffizient ist.

Teilchenbewegungen im ADAF

Das Geschwindigkeitsfeld im ADAF ist sub-Keplersch, d.h. dass bei einem vorgegebenen Radius die Rotation nur etwa 40% der Keplerschen Umlaufgeschwindigkeit an diesem Radius ist. Die radiale Geschwindigkeit, also die Einfallgeschwindigkeit in Richtung auf das Zentralobjekt ist vergleichbar mit dieser sub-Keplerschen Rotationsgeschwindigkeit. ADAFs bilden sich typischerweise bei kleinen Akkretionsraten aus. Pro Zeiteinheit fällt verhältnismäßig wenig Materie auf den Akkretor. Bei hohen Akkretionsraten dominieren andere Akkretionslösungen, wie die Standardscheibe oder die so genannten schlanke Scheiben (engl. slim disks).

Warum ist der ADAF von allgemeiner Bedeutung?

Im Gegensatz zum ADAF findet man die Standardscheibe in unterschiedlicher Ausprägung in allen Akkretionsflüssen – unabhängig von der Akkretionsrate. Diese Aussage deutet sich zumindest in einem vereinheitlichenden Akkretionsmodell (engl. accretion unification scheme) an, das unter dem Lexikoneintrag Akkretion illustriert ist. In der folgenden Abbildung ist der Schnitt durch einen Akkretionsfluss (hier ein SSD-ADAF-Übergang) entlang der Symmetrieachse dargestellt. Schematisch sind die Unterschiede von kalter, geometrisch dünner, optisch dicker Standardscheibe und heißem, geometrisch dickem, optisch dünnem ADAF illustriert; als Akkretor wurde ein Schwarzes Loch angenommen, was jedoch nicht zwingend ist.

Schema eines Akkretionsflusses aus Standardscheibe und ADAF

Das heiße Material im ADAF ist so heiß, dass die Plancksche Strahlungsverteilung viel Intensität im Röntgenbereich abgibt. Außerdem wird im heißen, optisch dünnen Gas die energiearme Strahlung Comptonisiert. Beide Komponenten zusammen – thermische Röntgenstrahlung und Comptonisierter Teil – erklären sehr gut die beobachteten Röntgenspektren von Akkretoren, in denen man den ADAF vermutet.

Das ausgedünnte Material des ADAF bietet gute Transparenzeigenschaften (auch Transmissionseigenschaften genannt) für elektromagnetische Wellen. Die Akkretionsphysiker sagen, ein ADAF sei optisch dünn (siehe dazu optische Tiefe). Die dominierende Strahlungsform, die zur Kühlung ausgedünnter Gase beiträgt, ist Bremsstrahlung. Der Energieverlust von Bremsstrahlung skaliert mit dem Quadrat der Dichte und der Wurzel der Gastemperatur, so dass extrem ausgedünntes Material kaum effizient durch Emission von Bremsstrahlung abkühlt.

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  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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