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Lexikon der Astronomie: Phantom-Energie

Es lohnt sich, in der Klärung des Begriffs Phantom-Energie etwas weiter auszuholen und diese Form einer Dunklen Energie in einem allgemeineren Kontext zu beschreiben.

Erfindung, Niedergang und Renaissance von Λ

Die moderne Kosmologie ist ein besonders aufregender Forschungszweig der Astronomie. Das Universum als Ganzes konnte erst mit den mathematischen Werkzeugen der Allgemeinen Relativitätstheorie seit 1916 befriedigend beschrieben werden. Ein zunächst fixer Parameter, die kosmologische Konstante Λ, wurde von Albert Einstein 1917 eingeführt, um die Palette von Modell-Universen zu erweitern und insbesondere sein favorisiertes statisches Universum theoretisch erklären zu können. Nach der experimentellen Entdeckung der Kosmodynamik durch Edwin Hubble wurde die Lambda-Kosmologie zunächst verworfen. Die dynamischen Friedmann-Weltmodelle erlebten fortan eine Blütezeit. Im Zuge neuer Beobachtungsdaten, die 1998 eine beschleunigte Expansion des Universums belegten, bekam die Lambda-Kosmologie wieder Zulauf. Mehr noch: der Λ-Term wurde ein freier Parameter und 'kosmische Stellschraube' für die Kosmologie.

Zoo Dunkler Energien

Warum war jedoch die Energiedichte der kosmologischen Konstante gerade vergleichbar groß, wie diejenige der Materie? Um dieses Koinzidenz-Problem der Kosmologie zu lösen, wurden neue Formen Dunkler Energie erfunden. Im Zuge moderner Entwicklungen verlor die kosmologische Konstante ihre Konstanz. Die Stringtheorien stellten dazu weitere Methoden zur Verfügung, um mithilfe von Extradimensionen und Branenwelten eine zeitlich veränderliche Dunkle Energie zu etablieren.
Wichtig ist, dass es oft Dunkle Energie genannt wird, aber durch verschiedene physikalische Mechanismen generiert wird. Mit ΛCDM meinen die Forscher eine Λ-Kosmologie (Λ), die neben einer Dunklen Energie ohne zeitliche Veränderlichkeit auch einen signifikanten Anteil kalter Dunkler Materie (cold dark matter, CDM) enthält. Der w-Parameter bei ΛCDM ist exakt w = -1.
Eine zeitlich veränderliche Dunkle Energie nennen die Kosmologen Quintessenz. Oft hört man hier das Akronym QCDM, das sich auf ein Quintessenz-Modell (Q) ebenfalls mit Beimischung kalter Dunkler Materie bezieht (engl. Quintessence Cold Dark Matter Cosmology). Der w-Parameter bei QCDM ist exakt w = -1/3.
Gewöhnliche baryonische Materie hat in beiden Kosmologien keine Bedeutung für die Dynamik des Universums! Das belegen die Beobachtungsdaten mit ganz verschiedenen, sogar unabhängigen Methoden.

Physikalische Interpretation der Dunklen Energien

  • Eine favorisierte Deutung involviert das Quantenvakuum: virtuelle Teilchenpaare dieses Vakuums sollen einen niederenergetischen, fein verteilten Untergrund beisteuern. Kosmologisch trete dieses 'Teilchengewusel' als ein konstanter Λ-Term in Erscheinung. Diese Deutung klingt viel versprechend, ist leider in einer detaillierten Rechnung problematisch.
  • Der Ansatz einer zeitlich veränderlichen kosmologischen Konstante geht bereits auf M.P. Bronstein (1933) zurück. Im Cosmon-Modell (1987) von C. Wetterich (Institut für Theoretische Physik, Universität Heidelberg) wird diese Idee wiederbelebt (Papier hep-th/9408025). Die Gravitation koppelt hier an ein Skalarfeld mit exponentiellem Potential.
  • Im Rahmen der Branenwelt wird ein Quintessenz-Szenario von Steinhardt et al. entworfen, das auf einem Skalarfeld namens Radion basiert. Das Radion führt einen dynamischen Kosmos herbei, der in einem Big Crunch endet. Die Autoren sprechen hier von einer Ekpyrosis und meinen in Anlehnung an die griechische Mythologie einen 'Weltenbrand', in dem sich die Welt reinigt und neu erschafft. Das Radionfeld erlaubt sogar, dass die Ekpyrosis wiederholt stattfindet – ein Szenario, dass Steinhardt und Kollegen Zyklisches Universum genannt haben. Die Leistung dieses Modells ist, dass es erstmals den Urknall (Big Bang) erklärte (Publikation von P.J. Steinhardt & N. Turok, 2001, hep-th/0111030). Dennoch ist es eine mögliche Spekulation von vielen, die bislang nicht durch astronomische Beobachtungen gestützt werden kann.
  • Der Erfindungsreichtum der Kosmologen ist groß: Im Spintessenz-Modell wird die Quintessenz durch ein rotierendes, komplexwertiges Skalarfeld repräsentiert. Die Rotation nimmt hier mit der Expansion ab und führt über diesen Spin-down-Mechanismus zur Abnahme der Dunklen Energie (L.A. Boyle, R.R. Caldwell & M. Kamionkowski, 2001, astro-ph/0105318).
  • S.B. Giddings deutet hingegen die Dunkle Energie als kompaktifizierte Extradimensionen, die plötzlich dekompaktifizieren könnten. Dieses Szenario würde in einer vollständigen Zerstörung unserer vierdimensionalen Welt enden. Dieses ebenfalls spekulative Modell erfordert eine höherdimensionale Welt, wie sie beispielsweise in den Stringtheorien gefordert wird, allerdings mit kosmologischer Konstante (Papier: The fate of four dimensions, 2003, hep-th/0303031).
  • Die neuste Variante stammt von R.R. Caldwell, M. Kamionkowski & N.K. Weinberg: die Phantom-Energie (Publikation: astro-ph/0302506). Der entscheidende Unterschied ist, dass die Expansionsrate des Universums in Lambda- und Quintessenz-Kosmologien konstant bleibt oder stetig abnimmt; in Phantom-Energie-Modellen nimmt sie zu! Die Folgen sind dramatisch: Weil in endlicher Zeit die Phantom-Energiedichte gegen unendlich geht, wird alles zerrissen! Diesen Big Rip kann nichts überstehen: weder Galaxienhaufen, noch Galaxien, weder die Milchstraße, noch Schwarze Löcher, das Sonnensystem oder die Erde, nicht einmal Atome, Atomkerne und Elementarteilchen überdauern dieses Ereignis. Der Grund liegt darin, dass die Phantom-Energie dann alle Naturkräfte übertrumpft. Auf der Planck-Skala mögen Effekte auftauchen, die dieses Szenario modifizieren. Bislang ist dieses weitere spekulative Modell noch konsistent mit den aktuellen Beobachtungsdaten (WMAP). Für das Verhältnis von Druck und Energiedichte der Phantom-Energie (Definition des w-Parameters) legen die Beobachtungen einen Wertebereich von -1.22 bis -0.78 nahe (Krauss et al., astro-ph/0305556). Der Big Rip würde sich bei einem angenommen w-Parameter von w = -1.2 in etwa 50 Milliarden Jahren ereignen.

Λ ja, Quintessenzen und Phantom nein

Bei aller 'Spekuliererei und Eselei': Die aktuellen Beobachtungsdaten (Februar 2004 und November 2006) des Weltraumteleskops Hubble verleihen Einsteins kosmologischer Konstante wieder hohes Gewicht. Denn die Messdaten hochrotverschobener Supernovae vom Typ Ia mit kosmologischen Rotverschiebungen zwischen 0.2 bis 1.6 belegen, dass die Dunkle Energie auf den betrachteten kosmologischen Distanzen zeitlich kaum variierte (Riess et al. 2004, astro-ph/0402512 und Riess et al. 2006, astro-ph/0611572). Sie hatte schon vor etwa neun Milliarden Jahren den heutigen Wert. Der w-Parameter liegt also sehr nahe bei -1. Das lässt nur den Schluss zu, dass, wenn überhaupt die Dunkle Energie zeitlich variiert, dann nur sehr langsam. Das macht den Big Crunch unwahrscheinlich und die ewige, beschleunigte Expansion des Universums wahrscheinlich. Wir werden also unsere Rentenprobleme in Deutschland lösen müssen.

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  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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