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Lexikon der Astronomie: ULX

ULX ist ein Akronym für ultraluminous X-ray source und bezeichnet damit eine ultraleuchtkräftige Röntgenquelle. Das Attribut 'ultra-' weist darauf hin, dass es sich um Quellen mit ungewöhnlich hoher Röntgenleuchtkraft handeln muss. ULXs haben ihrer Definition nach Röntgenleuchtkräfte von LX = 1039 bis 1041 erg/s im Band zwischen 0.2 und 10 keV.
Dass diese Röntgenleuchtkräfte gigantisch sind, erkennt man beim Vergleich mit der Röntgenleuchtkraft der Sonne: selbst im Maximum schafft sie nur knapp 5 × 1027 erg/s. Das ist billionenfach schwächer (12 Größenordnungen!) als beim schwächsten ULX!

Wo gibt's denn sowas?

ULXs wurden sowohl in der Milchstraße, als auch in zahlreichen extragalaktischen Systemen beobachtet.

Was leuchtet denn da?

Eine sehr schnelle Abschätzung kann mit dem Eddington-Kriterium durchgeführt werden. Unter der Annahme, dass das Leuchten durch Akkretion erzeugt wird, setzt die Eddington-Leuchtkraft die beobachtete Leuchtkraft in Bezug zur Masse des aufsammelnden Objekts. Auf dieser Basis lassen sich schon sehr interessante Schlüsse auf Eigenschaften der ULXs ziehen.

Szenario 1: Ein super-Eddington-Akkretor

Nehmen wir an, der ULX strahle mit einer Leuchtkraft von 1039 erg/s. Nehmen wir weiterhin an, dass die Masse des Materieaufsammlers (Akkretor) 1.4 Sonnenmassen betrage (das ist gerade die Chandrasekhar-Masse). Dann folgern wir mit der Eddington-Relation, dass der ULX unter diesen Voraussetzungen eine super-Eddington-Quelle sein muss. Mit anderen Worten: Der ULX würde extrem effizient Materie aufsammeln.

Szenario 2: Ein intermediate-mass black hole

Bleiben wir weiterhin bei der angenommenen ULX-Leuchtkraft von 1039 erg/s. Lässt sich das auch anders auf der Basis des Eddington-Arguments verstehen? Ja, denn der Akkretor könnte auch massereicher sein. Akkretiert der ULX gerade am Eddington-Limit, so können wir mit der ersten Gleichung unter dem Eintrag Eddington-Leuchtkraft sofort seine Masse ausrechnen. Wir erhalten bei 1039 erg/s exakt 7.7 Sonnenmassen. Für das obere Ende der ULX-Leuchtkräfte erhalten wir sogar 770 Sonnenmassen. Sollte der Akkretor sogar sehr ineffizient Materie aufsammeln und als sub-Eddington-Quelle z.B. nur durch ADAF-Akkretion angetrieben werden, so müsste die Akkretormasse noch weit größer als 1000 Sonnenmassen sein.
Was könnte das für ein Objekt sein? Diese Massen sind gerade für die leuchtkräftigsten ULXs zu hoch, als dass es ein massereicher Stern sein könnte. Es wurde daher vorgeschlagen, dass akkretierende, mittelschwere Schwarze Löcher (engl. intermediate-mass black holes, IMBHs) ULXs erklären könnten. Diese Annahme ist nicht ohne Reiz, weil diese 'Mittelgewichte' die klaffende Lücke zwischen den 'Fliegengewichten' (stellare Schwarze Löcher) und den 'Schwergewichten' (supermassereiche Schwarze Löcher) füllen würden. Szenario 2 wird gestützt von IMBHs, die auch in Kugelsternhaufen und jungen Sternhaufen vermutet werden.
Die Signatur eines IMBHs ist eine kalte Akkretionsscheibe mit Temperaturen von kT ~ 100 bis 200 eV. Das folgt aus der Theorie der Standardakkretionsscheiben, deren Temperatur antiproportional zur Akkretormasse ist. Kurz: Hohe Lochmasse macht eine kalte Scheibe.

Geschichtlicher Abriss

  • ULXs werden seit mehr als zwanzig Jahren beobachtet – allerdings hießen sie Anfang der 1980er Jahre nicht ULXs: Palumbo et al. (1985) berichteten, dass sie sowohl in der Spiralgalaxie M51, als auch in deren Begleitgalaxie NGC5195 helle Röntgenquellen (1039 bis 1040 erg/s) mit dem Einstein-Observatorium identifizieren konnten. In beiden Fällen sind diese Objekte nicht mit dem Kern ihrer Wirtsgalaxie assoziiert. Im Falle von M51 wurde eine Quelle mit etwa zehn Sonnenmassen abgeleitet.
  • 1993 schlugen Fabian & Ward sogar einen Akkretor mit etwa hundert Sonnenmassen vor, den sie mit einem ULX in der Zwerggalaxie NGC5408 in Verbindung brachten.
  • In einem wichtigen Papier zu ULXs wird auf der Grundlage von ROSAT-Daten die Existenz von IMBHs von 100 bis 10000 Sonnenmassen gefordert (Colbert & Mushotzky 1999). Die Quellen in diesem Sample sind konsistent damit, dass sie viel Materie in kurzer Zeit akkretieren (so genannter high state, siehe Bild unter Akkretion).
  • Eine statistische Analyse von ROSAT-Daten ergab, dass eine von fünf Galaxien mindestens einen ULX enthalte (Roberts & Warwick 2000).
  • 2001 wurde ein ULX in der Galaxie M82 mit dem US-amerikanischen Röntgenteleskop Chandra entdeckt, der unter dem Eintrag mittelschwere Schwarze Löcher detailliert beschrieben wird. Bei diesem hellsten aller ULXs sprechen Astronomen gelegentlich auch von einem HLX, einer hyperluminous X-ray source.

Kritik an der Definition

Die Definition eines ULXs nur mit einem einzigen Parameter, der Röntgenleuchtkraft, kann leicht dazu führen, dass die ULX-Population eine Mischung aus Quellen sehr unterschiedlicher Physik ist.

Einige Fakten

Eine Bedeckung wäre zu erwarten, falls sich die Quelle des ULX in einem Doppelsternsystem befindet, das gerade so zum irdischen Beobachter geneigt ist, dass der Begleiter vor dem ULX vorüberzieht. Doch bislang wurde keine einzige Bedeckung bei ULXs beobachtet.
In der Umgebung des ULX könnten sich Supernovaremnants befinden, die sich bildeten, als der ULX geboren wurde. Die Supernovaüberreste strahlen im Radiobereich, aber auch optisch. Die energiereiche Strahlung der ULXs ionisiert den expandierenden Nebel um die Zentralquelle, so dass dann der Nebel optisch beobachtbar ist. Dieser Vorgang ist ganz ähnlich bei den Planetarischen Nebeln – nur sitzt dort kein ULX, sondern ein Weißer Zwerg der 'nur' UV-Strahlung emittiert.
ULX-Spektren ähneln sehr denjenigen von galaktischen Röntgendoppelsternen. Doch einige zeigen besonders weiche, thermische Röntgenstrahlung (kT ~ 50 bis 100 eV). Diese spezielle Klasse von Röntgenquellen heißt superweiche Röntgenquellen (engl. supersoft X-ray sources, SSS). Superweiche ULXs wurden sowohl in der Milchstraße, als auch in den Magellanischen Wolken und der Antennengalaxie entdeckt.

Alternative: Mikroblazare

Ähnlich wie bei den Mikroblazaren und Blazaren versuchten Astronomen, die extreme ULX-Strahlung durch Blauverschiebung (beaming) zu erklären (Reynolds et al. 1997). Mit diesem Ansatz würden stellare Schwarze Löcher als ULX-Population ausreichen, und die nötigen Lorentz-Faktoren der Jets lägen bei etwa 5 (Körding et al. 2002). In diesem Fall hat das ULX-Modell eine Vorzugsrichtung, nämlich die Ausbreitungsrichtung des Jets und wird daher als anisotropes Modell klassifiziert. Die oben beschriebenen Akkretionsmodelle mit IMBHs sind dagegen isotrop. Die Jets würden außerdem mit bis zu 30% zur weichen Röntgenstrahlung beitragen.
Beobachtungen im Fall von M82 X-1 sprechen gegen das Beaming-Modell, weil hier Quasi-periodische Oszillationen (QPO) und eine relativistisch verbreiterte Eisenlinie (Strohmayer & Mushotzky 2003) entdeckt wurden.
Wie im Lexikoneintrag mittelschwere Schwarze Löcher exemplarisch an M82 X-1 erläutert wird, sprechen mittlerweile auch Computersimulationen der Haufendynamik für die Bildung von IMBHs (Zwart et al. 2004).

Chandra-Beobachtungsfoto der Cartwheel-Galaxie von 2006

ULXs mögen eine jugendliche Umgebung

Es herrscht Einigkeit darüber, dass ULXs viel häufiger mit Systemen hoher Sternentstehung assoziiert sind. So wurden in den irregulären, sich in einem Verschmelzungsprozess befindlichen Antennengalaxien neun ULXs und in der Wagenrad-Galaxie (engl. Cartwheel Galaxy) im sternbildenden Ring sogar 20 ULXs entdeckt! Die beeindruckende Schönheit der etwa 400 Mio. Lichtjahre entfernten Wagenrad-Galaxie zeigt das Beobachtungsfoto oben (Credit: NASA/JPL/CXC, Appleton et al.; Wolter & Trinchieri et al. 2006; große Version). Das Foto ist Falschfarbenbild, das sich aus unterschiedlichen Wellenlängenbereichen zusammensetzt: Violett ist Röntgenstrahlung, blau ist Ultraviolettstrahlung, grün ist optisches Licht und schließlich ist rot Wärmestrahlung. Auch bei der Wagenrad-Galaxie ist die Sternentstehung die Konsequenz einer Galaxienkollision: die kleinere Galaxie links unten stieß mit einer größeren Galaxien zusammen. Daraus ging die eigentümliche Wagenrad-Struktur hervor. Das kleine Bild (große Version) links oben zeigt nur die Röntgenstrahlung. Einige Punktquellen, die mit ULXs auf dem ausgeprägten, sternbildenden Ring in Verbindung gebracht werden, sind dort gut sichtbar.

Status der ULX-Forschung auf dem Symposium der Internationalen Astronomischen Gesellschaft 2005

Im Sommer 2005 trafen sich Astronomen aus der ganzen Welt, um über hochenergetische, kosmische Quellen zu sprechen. Auch über die ultraleuchtkräftigen Röntgenquellen wurde kontrovers diskutiert. Hier sollen wesentliche Resultate kurz vorgestellt werden, die im Konferenzband der Internationalen Astronomischen Gesellschaft (s.u. Quellenangaben) nachzulesen sind:

  • Eine Beobachtung des ULX Holmberg II X-1 mit XMM-Newton ergab, dass die Spektren besser mit einem stellaren Schwarzen Loch von 10 bis 100 Sonnenmassen modelliert werden können. Es gibt zwar auch Anzeichen für eine weiche Komponente der Röntgenstrahlung, d.h. für eine kalte Scheibe, doch die zeitlichen Variabilitäten schließen ein Loch schwerer als 100 Sonnenmassen aus. Außerdem legen die Modellanpassungen die Existenz einer optisch dicken Korona nahe (Roberts et al. 2005).
  • Die optischen Beobachtungen an dem ULX NGC 1313 X-2 gestatten es mithilfe der optischen Spektrallinie He-II bei 468.6 nm die Lochmasse kinematisch zu bestimmen. Auch hier spricht das Resultat eher für ein stellares Schwarzes Loch (Pakull et al. 2005).
  • NGC 253 ULX1 ist ein so genannter rekurrierender (d.h wiederkehrenden) ULX. Röntgenbeobachtungen mit ROSAT und XMM an diesem Objekt lassen sich am besten mit Bremsstrahlung erklären und weisen auf ein Schwarzes Loch mit mehr (aber nicht viel mehr) als 11 Sonnenmassen hin (Bauer & Pietsch 2005).
  • Wie sind die IMBHs in ULXs entstanden? Ein Szenario wurde vorgestellt, demzufolge sie das Überbleibsel von Sternen der Population III sind, also sehr massereichen Sternen, die sich als die ersten im Kosmos gebildet haben. Die Pop-III-IMBHs überdauern die kosmologische Entwicklung bis ins lokale Universum und wachsen dabei gegebenenfalls durch das Aufsammeln von Materie. Wenn sie schließlich durch eine dichte Molekülwolke oder eine Sternentstehungsregion wandern, zündet der ULX durch Akkretion und wird für uns sichtbar (Mii & Totani 2005).

Fazit

Die Natur der ULXs ist noch unklar, doch eine Reihe guter Modelle liegt vor, die mit astronomischen Beobachtungen getestet werden können. Zurzeit sprechen sowohl Beobachtungen, als auch Computersimulationen in der Tat für die akkretierenden, mittelschweren Schwarzen Löcher. Die Jets stellarer Schwarzer Löcher oder exotische Akkretionszustände stellarer Schwarzer Löcher werden weniger favorisiert. Doch auch akkretierende, stellare Schwarze Löcher erklären in vielen Fällen die Beobachtungen. In dieser Hinsicht herrscht unter Astronomen sicherlich noch keine Einigkeit.
Ein guter Ausweg aus diesem Dilemma könnte das folgende Szenario sein: Vielleicht sind die hellsten der ULXs eine homogene Klasse und assoziiert mit IMBHs, während die leuchtschwächeren ULXs nur durch stellare Schwarze Löcher angetrieben werden. Dann wären ULXs beides, stellare und mittelschwere, aktive Schwarze Löcher, die durch eine schärfere Definition des ULX-Begriffs separiert werden könnten.

Quellen & wissenschaftliche Veröffentlichungen

  • Ward, M.: Ultra-luminous X-ray Sources, proceedings to IAUS 230, 271, 2005
  • Roberts et al..: New Insights into ultraluminous X-ray sources from deep XMM-Newton observations, proceedings to IAUS 230, 288, 2005
  • Pakull et al.: Ultra-luminous X-ray Sources: Bubbles and Optical Counterparts, proceedings to IAUS 230, 293, 2005
  • Bauer & Pietsch: The recurrent ultra-luminous X-ray transient NGC 253 ULX1, proceedings to IAUS 230, 298, 2005
  • Mii & Totani: Ultra-Luminous X-ray Sources: Evidence for Very Efficient Formation of Population III Stars Contributing to the Cosmic Near-Infrared Background Excess?, proceedings to IAUS 230, 304, 2005
  • Colbert & Mushotzky: The nature of accreting black holes in nearby galaxy nuclei, ApJ 519, 89, 1999
  • Fabbiano, G.: X-rays from Normal Galaxies, ARA&A 27, 87, 1989

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  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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