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Lexikon der Biochemie: Abscisinsäure

Abscisinsäure, Abscisin, Dormin, ABA (engl. abscisic acid), (S)-(+)-5-(1'-Hydroxy-4'-oxo-2',6',6'-trimethyl-2-cyclohexen-1-yl)-3-methyl-cis,trans-2,4-pentadionsäure, ein Sesquiterpen-Phytohormon, das in höheren Pflanzen allgegenwärtig ist. Es kommt auch in Bryophyta vor, nach älteren Untersuchungen jedoch nicht in Lebermoosen. Es wurde angenommen, dass dort die Lunularsäure (ein Dihydro-Stilben) die gleiche Funktion ausübt. A. wurde jedoch in dem Gametophyten des Lebermooses Marchantia polymorpha – in ähnlichen Konzentrationen wie in höheren Pflanzen – eindeutig identifiziert. Möglicherweise fungiert A. hier ebenfalls als Hormon [Xiaoye Li et al. Phytochemistry 37 (1994) 625-637].
In Abhängigkeit davon, ob die Δ2,3-Doppelbindung cis oder trans orientiert ist, sind zwei Stereoisomere möglich. Das cis-Isomer überwiegt in allen Pflanzen. Das trans-Isomer wird gelegentlich in geringen Mengen gefunden, scheint aber nicht biologisch aktiv zu sein. Nur die (+)-Form kommt natürlich vor. Ihre Konzentration hängt vom Pflanzenorgan und seinem Entwicklungsstadium ab (durchschnittlich 100 μg/kg Frischgewicht). Relativ große Mengen sind in Früchten, ruhenden Samen, Knospen und verwelkten Blättern vorhanden.
A. wirkt als Antagonist von Auxin, Gibberellinsäure und Cytokininen. Im Zusammenwirken mit diesen anderen Phytohormonen ist A. an der Regulation wichtiger Wachstums- und Entwicklungsprozesse – wie z.B. Samen- und Knospenruhe, Stomaatmung, Blühen, Keimen und Altern – beteiligt. Sie spielt bei der Anpassung der Pflanzen an Umweltveränderungen eine Rolle. So kommt sie im Xylemsaft vor, wo sie als chemisches Signal zwischen Wurzel und Trieb dient [A. Bano et al. Aust. J. Plant Physiol. 20 (1993) 109-115; A. Bano et al. Phytochemistry 37 (1994) 345-347]. Wasserstress (Wasserknappheit oder Überschwemmung) wird zuerst durch die Wurzeln wahrgenommen. Der daraus resultierende Transport von A. zum Trieb induziert das Schließen der Stomata und manchmal auch die Synthese eines Proteins, das möglicherweise das Gewebe vor Folgen der Austrocknung bewahrt. Die Gegenwart von A. in den Pflanzen verhindert die vorzeitige Keimung der sich entwickelnden Samen und scheint die Synthese bestimmter Samenproteine zu induzieren. Die Induktion hydrolytischer Enzyme durch Gibberellinsäure in der Aleuronschicht von Getreidekörnern wird durch das Vorhandensein von A. verhindert. A. ist auch an der Reaktion der Pflanzengewebe auf physikalische Beschädigung beteiligt, möglicherweise gemeinsam mit Jasmonsäure. Das Schließen der Stomata durch A. ist hauptsächlich auf das Ausströmen von K+ zurückzuführen. A. kann entweder direkt auf die K+-Kanäle wirken, oder der Verlust an K+ kann durch einen Anstieg der Ca2+-Konzentration im schützenden Zellcytoplasma verursacht werden. Viele Gene, die für Stressproteine (bei Austrocknung, tiefer Temperatur, Verletzung usw. induzierte Proteine, Hitzeschockproteine), Speicherproteine und Toleranz gegenüber Austrocknung verleihende Proteine codieren, weisen in Gegenwart von A. eine erhöhte Expressionsrate auf. Die Promotorregionen mehrerer A.-induzierter Gene enthalten A.-Response-Elemente, z.B. wurde die Consensus-Sequenz CACGTG in Weizen-Em (early methionine labeled), Reis-Rab (responsive to A.) und Baumwolle-LEA (late embryo A.) gefunden. DNA-Bindungsproteine vom Typ des Leucin-Reißverschlusses binden an die Consensussequenz und unterstützen die Expression [A.M. Heatherington u. R.S. Quatrano New Phytol. 119 (1991) 9-32]. Die molekulare Grundlage der A.-Wirkung ist unbekannt und es wurde kein Rezeptor nachgewiesen.
A. wird hauptsächlich in den Chloroplasten der Blätter und in den Wurzeln synthetisiert. Sie ist ein echtes Terpen, das, von Mevalonsäure ausgehend, über Isopentenyl-pyrophosphat aufgebaut wird. A. wird jedoch nicht direkt über eine C15 (Sesquiterpen)-Verbindung hergestellt, sondern indirekt durch Abbau eines C40-Terpens (apo-Carotin). Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Biosynthese scheint die Umwandlung von all-trans-Violaxanthin in 9'-cis-Neoxanthin zu sein (Abb. 2). Diese Umwandlung wird durch Wassermangel gefördert. Der Syntheseweg endet mit der Oxidation von Abscisin-Aldehyd zu A. durch eine Mo-haltige Aldehyd-Oxidase [A.D. Parry u. R. Horgan Physiol. Pl. 82 (1991) 320-326]. Eine direkte Synthese von A. über Mevalonsäure, Geranyl- und Farnesylpyrophosphat findet bei den Pilzen Cercospora rosicola und C. cruenta statt. In höheren Pflanzen wird die A. von ihrem Glucoseester und ihrem O-Glucosid begleitet, die vermutlich die Transport- und Speicherformen darstellen. Sie wird durch 8'-Oxidation zu Phassäure metabolisiert und inaktiviert.



Abscisinsäure. Biosyntheseweg. Vermutlich ist all-trans-Neoxanthin eine Zwischenstufe in der gezeigten Umwandlung von all-trans-Violaxanthin in 9'-cis-Neoxanthin.

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