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Lexikon der Biochemie: Alzheimersche Krankheit

Alzheimersche Krankheit, Morbus Alzheimer, Alzheimersche Demenz, eine progrediente Erkrankung des Gehirns mit irreversiblen morphologischen und biochemischen Veränderungen von Gehirnarealen, besonders im Bereich des Hippocampus und des Assoziationscortex. Sie wurde erstmals im Jahre 1907 von dem Neurologen A. Alzheimer beschrieben. Schätzungen zufolge leiden 5-6% der über 65jährigen Personen an einer mäßigen bis schweren Demenz, wobei zumindest in Europa ca. 60 % davon Alzheimer-Erkrankungen sind. Die Pathogenese gliedert sich in drei Phasen: 1) Gedächtnisschwund und vermindertes Lernvermögen; 2) Sprachstörungen, Sinnestäuschungen und Orientierungslosigkeit; 3) vollständiger Verlust der Sprache, des Gedächtnisses und der Körperkontrolle. Symptomatisch gleicht die A. K. anderen Demenzen, wie z.B. der Multiinfarkt-Demenz. Diese unspezifische Symptomatik verhindert eine frühe und sichere Diagnostik, welche am Lebenden nur durch Ausschlussverfahren möglich ist. Dazu zählen Computertomographie, Encephalographie, Wahrnehmungs- und Lerntests, Hirnbiopsie sowie Untersuchungen der Cerebrospinalflüssigkeit. Zwischen dem Auftreten der ersten Zeichen der Erkrankung und dem Tod liegen meist 8-15 Jahre; eine sichere Diagnose ist jedoch erst nach dem Tod durch morphologische und biochemische Methoden möglich. So zeigen die Gehirne der Erkrankten eine ungewöhnliche Degeneration von Hirnarealen sowie die Einlagerung von Plaques und veränderte Neurofibrillen. Als Ursachen für die pathologischen Veränderungen wurden u.a. diskutiert: 1) Ein noch unbekanntes slow-Virus wie bei der Kuru-Krankheit auf Neuguinea und der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (Prion), bei denen ebenfalls Plaques und veränderte Neurofibrillen kennzeichnend sind; 2) Gehirnverletzungen; 3) Störungen im Hirnstoffwechsel, wobei durch Glucosemangel eine verstärkte Degeneration von Hirnzellen auftritt. Einige weitere Vorstellungen über die Genese der Krankheit haben sich inzwischen als hinfällig erwiesen. So lässt sich die Hypothese von einer Aluminium-Intoxikation nicht mehr aufrechterhalten.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass ein vermehrtes Vorkommen von Apolipoprotein E4 (apo E4) mit dem Auftreten der A. K. in Zusammenhang steht. Apolipoproteine E kommen in drei Isoformen vor (E2, E3 und E4); diese entsprechen drei Allelen eines Gens auf dem Chromosom 19. Bei der erblichen Form der Alzheimerschen Krankheit, der Spätform der Krankheit, ist das Gen für das apo E4 häufig defekt. Zudem kommt das Gen mit dem Allel für die E4-Isoform bei der erblichen Form oft doppelt vor. Es wird vermutet, dass zwischen dem bei der Alzheimerschen Krankheit im Gehirn übermäßig gebildeten β-A4-Protein und dem apo E4 ein Zusammenhang besteht. Beide Moleküle bilden im Liquor cerebrospinalis zeitweise Komplexe. Eine Möglichkeit wäre, dass das apo E4 die Faltung des β-A4-Proteins beeinflusst. Eine andere Annahme ist, dass sich das apo E4 fest an die Oberfläche des β-A4-Proteins bindet, wodurch dieses unlöslich wird und sich an den Nervenzellen absetzt. Inwieweit ein kausaler Zusammenhang zwischen dem apo E4 und der Alzheimerschen Krankheit besteht, ist noch nicht geklärt, denn die Krankheit kann auch Menschen befallen, die nicht Träger des E4-Allels sind. Für die Frühform der Krankheit werden eher Defekte des APP-Gens (Amyloid Precursor Protein) auf dem Chromosom 21 und/oder Defekte auf dem Chromosom 14 verantwortlich gemacht.
Zu Beginn der Plaque-Bildung (diffuse plaques) werden lösliche Substanzen wie Glucosaminglycane und das Vorläuferprotein (APP) des β-A4-Proteins (das später die Hauptmasse des sogenannten Amyloids ausmacht) im Bereich der späteren fibrillären ("primitiven") Plaques angehäuft. Sie stammen aus der extrazellulären Matrix. Der Übergang von "diffusen" zu "primitiven" Plaques ist durch eine Ablagerung von β-A4-Amyloidfasern aus dem löslichen APP gekennzeichnet. Zur gleichen Zeit beginnt die Neurodegeneration und markiert damit den Beginn der Demenz. Im Normalfall wird das APP nach intrazellulärer Synthese zur Membran transportiert und als Transmembranprotein dort eingebaut, wobei die 40-42 Aminosäuren umfassende β-A4-Sequenz des APP von der Membranmitte nach außerhalb der Zelle zeigt. Nach dem Einbau in die Membran kann eine proteolytische Sekretase, die als Cathepsin B identifiziert wurde, das APP-Molekül innerhalb der β-A4-Sequenz spalten und damit das lange N-terminale Ende des APP aus der Zelle entlassen. Die physiologische Funktion von APP ist immer noch nicht geklärt. Es gibt aber Befunde, die auf eine Interaktion mit dem Nervenwachstumsfaktor (NGF, engl. nerve growth factor) schließen lassen: APP-Antikörper vermindern spezifisch den Effekt von NGF auf Wachstum und Verzweigung der Neuronen.
Neuerdings werden die A. K. und ihre Ursachen mit immunologischen Vorgängen, die durch Stress ausgelöst werden, in Verbindung gebracht. In Alzheimer-Gehirnen findet man eine erhöhte Konzentration des Cytokins Interleukin 6 (Il-6), das zusammen mit anderen Cytokinen eine Akutphasenreaktion auslösen kann. Innerhalb der Plaques von Alzheimer-Kranken (es gibt auch Plaques bei Gesunden) wurden erhöhte Konzentrationen von Akutphasenproteinen gefunden. Nach den gegenwärtigen Vorstellungen synthetisieren Mikroglia und Astrocyten, die immunkompetenten Zellen des Gehirns, Akute-Phasen-Proteine, unter anderem Proteasehemmer der APP-Sekretase. Dies führt letztendlich zu einer Anreicherung des pathogenen Abbauprodukts von APP, des β-A4-Proteins. Da bei anderen chronischen Krankheiten wie der rheumatoiden Arthritis oder der Psoriasis, bei denen eine unkontrollierte Il-6-Produktion vorliegt, psychosomatische Komponenten eine wesentliche Rolle spielen, wird ein Zusammenhang zwischen psycho-physischem Stress und der gesteigerten Il-6-Produktion vermutet. In Tierexperimenten wurde dies bereits nachgewiesen. Bei Studien mit Alzheimer-Patienten, die vor dem 65. Lebensjahr erkrankten, war ein Großteil der Patienten lang anhaltenden Stressepisoden ausgesetzt, bevor die ersten Symptome der Krankheit auftraten. In einer Placebo-kontrollierten Studie mit Indometacin, einem Antiphlogistikum, konnten das Fortschreiten der Krankheit im Anfangsstadium gestoppt bzw. die Symptome leicht gemindert werden.
Eine zweite Gruppe von Alzheimer-charakteristischen Gehirnstrukturveränderungen, die neurofibrillären Bündel, konnte ebenfalls näher analysiert werden. In der Hauptsache bestehen die Fibrillen der neurofibrillären Bündel aus τ-Protein. τ-Proteine sind normalerweise für die Stabilität von Mikrotubuli verantwortlich. Die Stärke der Bindung derartiger Proteine an die Mikrotubuli wird durch Kinasen-katalysierte Phosphorylierungen geregelt. Das τ-Protein der neurofibrillären Bündel ist abnormal phosphoryliert, was ihm eine besondere Festigkeit verleiht. Hierfür ist eine spezifische MAP-Kinase verantwortlich gemacht worden.
Die Annahmen über die Ursachen der Alzheimerschen Krankheit besitzen noch hypothetischen Charakter und sind Gegenstand aktueller Forschung.

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