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Lexikon der Biochemie: NMR-Spektroskopie

NMR-Spektroskopie (engl. nuclear magnetic resonance spectroscopy), kernmagnetische Resonanzspektroskopie, eine Technik mit atomarer Auflösung, die zur Strukturbestimmung von Molekülen herangezogen wird. Das Phänomen der NMR wurde erstmals 1946 beobachtet und die NMR-Spektroskopie wird seit 1960 von organischen Chemikern routinemäßig verwendet. Mit der Entwicklung immer stärkerer Geräte und der Computertechnik konnten immer größere Moleküle erfolgreich untersucht werden. Heute kann die NMR-Spektroskopie auch von Biochemikern und Molekularbiologen zur Strukturbestimmung kleiner Proteine (Mr <25kDa) und anderer Biopolymere genutzt werden. Die atomaren Strukturinformationen, die mit Hilfe von NMR-Spektren (die von Verbindungen aufgenommen werden, die sich in Lösung befinden) gewonnen werden, ergänzen die durch Röntgenstrukturanalyse (die das Vorhandensein eines Kristallgitters voraussetzt) gewonnenen. Die Anwendung beider Techniken auf identische Proteine hat gezeigt, dass die Proteine im Allgemeinen in Lösung die gleiche 3D-Struktur einnehmen wie im kristallinen Zustand.

Die Grundlage der NMR-Spektroskopie bildet die Tatsache, dass die Kerne einiger Atomspezies innerhalb eines Moleküls um eine Achse rotieren. Ein Kern mit einem Spin muss entweder eine ungerade Anzahl an Protonen oder Neutronen bzw. beides besitzen. Für Biochemiker und Molekularbiologen sind 1H (99,9844%), 13C (1,108%), 15N (0,365%), 19F (100 %) und 31P (100 %) von besonderem Interesse, die Zahlen in den Klammern geben die natürliche Häufigkeit an. 12C (98,892%) und 16O (99,759%) besitzen keinen Kernspin und zeigen keine NMR.

Der Kernspin ist mit einer Zirkulation elektrischer Ladung verbunden. Diese rührt von der Gegenwart eines oder mehrerer positiv geladener Protonen im Kern jeder Isotopenart her. Da eine zirkulierende elektrische Ladung ein magnetisches Feld erzeugt, besitzt jeder rotierende Kern auch ein magnetisches Moment. Wenn diese Kerne in ein äußeres magnetisches Feld gebracht werden, richten sie sich so aus, dass sie eine bestimmte Orientierung einnehmen, wie eine magnetische Kompassnadel im Magnetfeld der Erde. Da alle oben genannten Kerne einen Spin (I) von 1/2 besitzen, gibt es nur zwei mögliche Orientierungen: eine parallel zum externen Feld und eine entgegengerichtet dazu. Da das Magnetfeld der Kerne rotiert, richtet es sich jedoch nicht auf exakt 90 ° zu den Polen des externen Magneten aus. Der Spin des magnetischen Moments ist der Grund dafür, dass dieser sich wie ein Gyroskop verhält und um seine Achse präzessiert. Die beiden Orientierungen des magnetischen Moments – parallel und antiparallel – zum externen Feld sind in der Abb. dargestellt.

Da die Kerne dem Quantengesetz gehorchen, ist jede der beiden Orientierungen mit einer bestimmten Energie verbunden. Die parallel zum externen Magnetfeld ausgerichtete Orientierung ist energieärmer und entspricht dem Grundzustand (α), während die antiparallele Ausrichtung zum externen Magnetfeld energiereicher ist und den angeregten Zustand (β) wiedergibt. Der Unterschied zwischen diesen Energieniveaus ist sehr klein. Ein Kern kann von der energetisch niedriger liegenden Ausrichtung zu der energetisch höher liegenden Ausrichtung wechseln, indem er ein Photon einer elektromagnetischen Strahlung absorbiert, dessen Energie der Energiedifferenz (ΔE) zwischen den beiden Ausrichtungen entspricht. Da ΔE für alle Kerne, die der NMR unterliegen, klein ist, fallen die Photonen, die den Übergang vom α- zum β-Zustand vermitteln, in den Radiofrequenzbereich des elektromagnetischen Spektrums. Die Frequenz der Strahlung, die den Übergang vom α- in den β-Zustand bewirkt, ist direkt proportional zur äußeren Magnetfeldstärke, die auf den betreffenden Kern und die in Frage kommende Kernart wirkt. Die Frequenz, bei der der "α-Zustand → β-Zustand"-Übergang stattfindet, ist für verschiedene Kerne unterschiedlich. Bei einer externen Magnetfeldstärke von 2,3487T ereignet sich dieser für 1H bei 100 MHz. Da die 1H-NMR-Spektroskopie ("Protonen-NMR" oder "PMR") weit verbreitet ist, ist es im Allgemeinen üblich, sich auf NMR-Spektrometer mit einer Magnetfeldstärke von 2,3487T zu beziehen und diese als 100 MHz-Instrumente zu betrachten, ungeachtet der untersuchten Kernart.

Die Absorption solcher Radiofrequenzen erhöht vorübergehend die Population der Kerne in der höherenergetischen Orientierung. Die Gleichgewichtsverteilung der Population wird durch Energieabgabe an die Umgebung wieder hergestellt. Hierbei laufen Prozesse ab, bei denen Strahlung abgegeben wird, deren Energie nicht im Radiofrequenzbereich liegt und die als "Relaxation" bekannt sind. Da die Kerne jedoch zwischen den α- und β-Zuständen mit Resonanzfrequenz schwingen, besteht eine Nettoenergieabsorption, die gemessen werden kann.

Das NMR-Spektrum kann auf zwei Weisen aufgenommen werden: mit der CW-Methode (engl. continuous wave) und der FT-Technik (engl. Fouriertransform). Bei der CW-Methode wird der Frequenzbereich des untersuchten Kerns kontinuierlich verändert. Dies geschieht entweder durch Änderung der Frequenz des Hochfrequenzsenders bei konstantem externen Magnetfeld oder (üblicher) durch Änderung des Magnetfelds bei konstanter Hochfrequenz und Messung der Antwort (gleichbedeutend mit Nettoenergieabsorption) mit Hilfe einer Empfangsspule. Das Spektrum der empfangenen Signale wird als Absorptionsspektrum ausgedruckt, d.h. die Absorption wird auf der Ordinate gegen die Frequenz auf der Abszisse (zunehmende Werte von rechts nach links, ähnlich wie bei der UV- und IR-Spektroskopie) aufgetragen. Bei der FT-Technik wird die Probe für eine bestimmte Zeit (5μs bei 1H und 10 μs bei 13C) einem Hochfrequenzpuls ausgesetzt, der für den untersuchten Kern charakteristisch ist. Das Antwortsignal wird während des Erfassungszeitraums (typischerweise einige Sekunden), wenn die Schwingung gegen Null geht, mit Hilfe der Empfängerspule erfasst. Dieses Signal – bekannt als freier Induktionsabfall (FID, engl. free induction decay) – besteht aus einem komplexen Wellenmuster, das durch Fourier-Transformation in ein FT-Spektrum konvertiert werden kann, das dann auf die gleiche Weise wie ein CW-Spektrum ausgedruckt wird. Der Vorteil der FT-Technik gegenüber der CW-Methode besteht in der größeren Empfindlichkeit. Dies rührt daher, dass die Daten in digitaler Form vom Computer bearbeitet werden. Sobald der FID eines Hochfrequenzpulses erfasst worden ist, kann ein weiterer, identischer Puls angewandt, dessen FID erfasst und zum ersten addiert werden. Der Zyklus aus "Puls und anschließender Erfassung" kann viele Male wiederholt und die Summe einer Fourier-Transformation unterworfen werden. Dadurch wird die Empfindlichkeit erhöht, d.h. das Absorptionssignal nimmt zu und das Rauschsignal ab. Alle Kerne sind von Elektronen umgeben. Wenn diese Elektronen einem Magnetfeld ausgesetzt werden, verhalten sie sich wie eine perfekt leitende Hülle, in der schwache elektrische Ströme induziert werden. Diese Ströme erzeugen ihrerseits ein magnetisches Feld, das dem externen Magnetfeld entgegengerichtet ist. Als Folge davon ist der Kern im Innern der Elektronenhülle einem Magnetfeld ausgesetzt, das teilweise niedriger ist als das extern angewandte. Die Elektronen schirmen den Kern zum Teil vom externen Magnetfeld ab. Die Energiedifferenz zwischen den α- und β-Niveaus ist demzufolge etwas niedriger als sie sein würde, wenn keine Elektronen vorhanden wären, so dass die Resonanzfrequenz ebenfalls niedriger ist. Da die Elektronenverteilung um chemisch unterschiedliche Kerne derselben Sorte in einem Molekül verschieden ist, erfahren diese Kerne leicht unterschiedliche externe Magnetfelder und werden deshalb bei leicht unterschiedlichen Radiofrequenzen in Resonanz versetzt. Dabei ist die benötigte Radiofrequenz um so niedriger, je größer der Abschirmungseffekt der Elektronen ist. Damit ist die Radiofrequenz, bei der Resonanz eintritt, charakteristisch für einen Kern in einer bestimmten chemischen Umgebung (z.B. 1H-Kerne in einer Methylgruppe, 13C in einem Benzolring).

Aufgrund der NMR-Spektrenanalyse einer großen Anzahl an bekannten Verbindungen konnten umfangreiche Tabellen für die δ-Werte von 1H-, 13C- und anderen Kernen in einer großen Vielzahl an strukturellen Umgebungen aufgestellt werden.

Für die Strukturbestimmung der untersuchten Verbindung sind zusätzlich zum δ-Wert eines bestimmten Peaks im NMR-Spektrum weitere Parameter wichtig: 1) die Fläche unter dem Peak, 2) die Spin-Spin-Kopplung (die magnetischen Momente benachbarter Kerne beeinflussen sich) und 3) der Kern-Overhauser-Effekt (Nuclear-Overhauser-Effekt, NOE).

Zweidimensionale NMR. Je größer die Moleküle sind, die mit Hilfe der NMR-Spektroskopie analysiert werden, desto komplexer wird das Spektrum, so dass die Wechselwirkungen, die über die Bindung (d.h. Spin-Spin-Kopplung) und über den Raum (d.h. NOE) zustandekommen, nur noch schwer zu erkennen sind. Dieses Problem wurde in den letzten Jahren durch die Entwicklung der zweidimensionalen NMR (2D-NMR) erheblich verringert. Eine gute Erläuterung der Theorie zur 2D-NMR findet man bei R.Benn und H.Gunter [Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 22 (1983), 350-380] und A.Bax und L.Lerner [Science 232 (1986) 960-967].

Die 2D-NMR-Daten werden unter Verwendung einer speziellen Pulssequenz mit einem FT-Gerät gesammelt. Die Werte für die chemische Verschiebung (δ) werden auf zwei unterschiedlichen Frequenzachsen (gewöhnlich F1 und F2 genannt) bestimmt und als 2D-Spektrum ausgedruckt.

Proteinstrukturbestimmung mit Hilfe von NMR. Die Protonen-NMR ist für diesen Zweck das geeignetste Hilfsmittel, da in Proteinen eine große Anzahl an Protonen vorhanden ist und das 1H-Isotop mit einer hohen natürlichen Häufigkeit vorkommt. Die Isotope 13C und 15N weisen für die NMR-Spektroskopie von Proteinen eine zu geringe natürliche Häufigkeit auf und sind nur zweckdienlich, wenn sie während der Proteinbiosynthese inkorporiert werden. Außer den Wasserstoffatomen von NH-, NH2-,OH- und SH-Gruppen, die rasch mit dem wässrigen Lösungsmittel austauschen, können mit Hilfe der PMR alle 1H-Kerne beobachtet werden. In einer leicht sauren Proteinlösung (pH 4-5) wird die Austauschgeschwindigkeit jedoch stark verringert, so dass auch die Protonen der o. g. rasch austauschenden Gruppen ein scharfes NMR-Signal ergeben. Theoretisch ist es möglich, für jeden 1H-Kern des Proteinmoleküls ein einzelnes Signal (d.h. chemische Verschiebung, δ) zu erhalten, sofern sie nicht chemisch äquivalent sind. Praktisch gibt es jedoch so viele 1H-Kerne in einem Protein, dass die vielen Signale im konventionellen eindimensionalen Spektrum überlappen. Diese Schwierigkeit konnte jedoch großenteils durch die Verwendung von zweidimensionalen PMR-Spektren, z.B. COSY, TOCSY, NOESY, überwunden werden.

NMR kann nicht dazu eingesetzt werden, die Aminosäuresequenz (Primärstruktur) eines Proteins zu bestimmen. Wenn jedoch die Aminosäuresequenz bekannt ist, können mit Hilfe der 2D-NMR-Spektroskopie die Sekundär- und Tertiärstruktur eines Proteins hergeleitet werden.

Die Verwendung von NMR zur Verfolgung von Stoffwechselvorgängen. Einige Stoffwechselvorgänge, die im Skelettmuskel, Herz und Gehirn ablaufen, können mit Hilfe der NMR nichtinvasiv untersucht werden. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Arbeit von G.K. Radda [Science 233 (1986) 640-645], in der er den Effekt der Erregung auf der Stufe von Kreatinphosphat (Kreatin), ATP (Adenosinphosphate) und Orthophosphat im menschlichen Vorderarmmuskel unter Verwendung von 31P-NMR zeigte. Diese Art der NMR-Untersuchung kann dazu eingesetzt werden, Stoffwechselanormalitäten aufzudecken, die auf eine zugrunde liegende Pathologie hinweisen.

Verwendung von NMR zum Körper-Scanning. 1H-NMR wird häufig eingesetzt, um verschiedene Gewebe im Körper sichtbar zu machen. Dies ist möglich, weil Wasserstoffatome und damit 1H-Kerne in den Hauptbestandteilen (z.B. Wasser, Lipide) des weichen Körpergewebes so zahlreich vertreten sind, dass sie ein intensives Signal ergeben, wodurch weiches Gewebe besser "gesehen" wird als Knochen. Außerdem erzeugen Unterschiede in der Umgebung von Wasserstoffatomen in verschiedenen Geweben unterschiedliche Signale, wodurch eine deutliche Differenzierung zwischen den weichen Geweben möglich ist. NMR-Bilder können von einem Gliedmaß, dem Kopf oder vom ganzen Körper in jeder Ebene angefertigt werden. Die damit gewonnenen Informationen ergänzen diejenigen, die durch Röntgen-Scanning des harten Gewebes erhalten werden.



NMR-Spektroskopie. Präzession der Achse des magnetischen Moments des 1H-Kerns parallel (a) und antiparallel (b) zum magnetischen Feld eines externen Magneten, dessen Pole mit N und S angegeben sind.

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