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Kompaktlexikon der Biologie: Bionik

Bionik, von dem amerikan. Luftwaffenmajor J. E. Steele auf einem Kongress in Dayton (Ohio) im Jahr 1960 geprägter Begriff, der sinngemäß das Lernen aus der Natur für die Anwendung in der Technik meint. Als wissenschaftliche Disziplin befasst sich die Bionik mit der technischen Umsetzung und der Anwendung von Konstruktions-, Verfahrens und Entwicklungsprinzipien biologischer Systeme. Dies, indem sie bestimmte, im Rahmen der technischen Biologie entdeckte und erforschte Prinzipien oder Aspekte der Biologie der technischen Umsetzung zuführt. Das kann sich beziehen auf Konstruktionen der Natur (Konstruktionsbionik), Vorgehensweisen der Natur (Verfahrensbionik) sowie Informationsübertragungs-, Entwicklungs- und Evolutionsprinzipien (Informationsbionik).

Konkrete Ansatzmöglichkeiten für die B. sind z.B. biologische Materialien, die sehr unterschiedlich zusammengesetzt sowie immer außerordentlich fein auf die mechanischen Anforderungen abgestimmt sind und dabei eine bisher zumindest kaum erreichte Autoreparabilität und Rezyklierbarkeit besitzen (Materialbionik). So wurde die Tatsache, dass die Oberflächen unbenetzbarer, d.h. Wasser abstoßender Pflanzenblätter niemals verschmutzen (Lotus-Effekt genannt, nach der Lotusblume, Nelumbo nucifera, bei der dies besonders ausgeprägt ist), analysiert und in die Entwicklung Schmutz abweisender, selbstreinigender Lacke, Farben u.a. Oberflächenbeschichtungen umgesetzt ( vgl. Abb. ). Materialien können ihrerseits die Basis sein für neuartige Werkstoffe (Werkstoffbionik), aus denen wiederum Konstruktionen nach dem Vorbild biologischer Strukturelemente hergestellt werden können (Konstruktionsbionik). Zukunftsweisend im medizinischen Bereich ist u.a. die Anwendung der B. in der Entwicklung von Prothesen (bionische Prothetik), die eine direkte Integration von Mensch und Maschine (bzw. Prothese) durch geeignete Verbindung der Informationsleiter der Biologie (Neuronen) und derjenigen der Technik (Kabel) ermöglichen. Damit in engem Zusammenhang steht die bionische Robotik, deren Ziel z.B. die Nachahmung der Muskeltätigkeit ist, durch die die Extremitäten nicht ruckartig wie bislang bei Robotern, sondern durch dauerndes Nachsteuern fein abgestimmt bis zum Erreichen des Kontaktpunktes geführt werden.

Im Bereich Bauen eröffnen sich eine Reihe von Möglichkeiten durch die Anlayse z.B. von Tierbauten (Baubionik). Interessante Aspekte sind u.a. die Idealausrichtung zu Sonne und Wind, Dachformen, Einnischungen in die Erde, ideale Unterkellerung und Luftführung vom kühlen Erdreich in sommerwarme Räume, Luftumwälzung mit Gasaustausch unter Verwendung poröser Materialien. So nutzen manche Termiten die Sonnen- und Stoffwechselwärme zur Lüftung ihrer Bauten. Hierbei strömt die Luft, angetrieben durch das Wärmegefälle zwischen der warmen Bauoberseite und den kühlen unterirdischen Bereichen des Baus, in einem geschlossenen Röhrensystem durch den Bau nach oben und direkt unterhalb der Bauoberfläche wieder nach unten. Durch das poröse Material des Termitenbaues kann Kohlenstoffdioxid aus dem Bau herausdiffundieren, während Sauerstoff hineindiffundiert. Durch Übernahme solcher Prinzipien können bis zu 80 % der elektrischen Energie zur sommerlichen Kühlung und 40 – 60 % der Energie zur Winterheizung gespart werden. In diesen Bereich gehören aber auch die Rückbesinnung auf traditionelle Baumaterialen (z.B. Ton) und das Studium biologischer Leichtkonstruktionen (Knochen, pflanzliche Gewebe) auf ihre bautechnische Anwendbarkeit. – Mit Problemlösungen im Bereich Monitoring von physikalischen und chemischen Reizen sowie Ortung und Orientierung in der Umwelt, befasst sich die Sensorbionik, die natürliche Sensoren nach Übertragungsmöglichkeiten für die Technik untersucht. Bionische Kinematik und Dynamik wiederum untersucht Funktionsmechanismen von Bewegungsorganen im Tierreich auf ihren technischen Nutzen und ihre Umsetzbarkeit hin. So hat die Fortbewegung auf Beinen den Vorteil gegenüber derjenigen auf Rädern, dass auch unwegsames Gelände und extreme Steigungen problemlos überwunden werden können. Ein Beispiel für die Anwendung ist die Entwicklung laufender Roboter nach dem Vorbild der Stabheuschrecke (Carausius morosus) ( vgl. Abb. ). Einsatzmöglichkeiten solcher auf unwegsamem Gelände einsetzbarer Laufroboter sind neben der Land- und Forstwirtschaft vor allem Wartungsarbeiten in gefährlichem Terrain, in Kernkraftwerken, in Katastrophengebieten sowie die Erforschung von fremden Planeten.

Weitere Forschungsbereiche sind die Neurobionik, insbesondere die Entwicklung neuronaler Netzwerke, die Evolutionsbionik, die versucht, die Verfahren der natürlichen Evolution der Technik nutzbar zu machen, z.B. durch den Einsatz der experimentellen Versuchs-Irrtums-Entwicklung, die bereits bei der Entwicklung u.a. von Schiffen, Flugzeugen, Verkehrsleitsystemen und im Maschinenbau angewendet wird.

Die Bedeutung der B. als eine der Leitwissenschaften des 21. Jh. liegt sicherlich darin, dass insbesondere im Rahmen der Vefahrensbionik von der Natur gelernt werdn kann, wie z.B. Abfälle durch totales Rezyklieren vermieden werden können, die Sonnenenergie genutzt werden kann oder wie komplexe Systeme erfolgreich und vorausschauend allen Anforderungen gerecht organisiert werden können und dadurch moderne Technik nicht wie bisher häufig durch Ressourcenentnahme und Abfallanhäufung letztendlich zur Selbstzerstörung führt.

Literatur: Gleich, A.v. (Hg): Bionik. Ökologische Technik nach dem Vorbild der Natur?, Stuttgart 1998; Nachtigall, W., Blüchel, K.G.: Das große Buch der Bionik, Stuttgart 2000; Nachtigall, W.: Bionik. Grundlagen und Beispiele für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Heidelberg 1999; Nachtigall, W.: Vorbild Natur. Bionik-Design für funktionelles Gestalten, Heidelberg 1997; Willis, Delta: Der Delphin im Schiffsbug. Wie Natur die Technik inspiriert, Basel 1997.



Bionik:Lotuseffekt. Die Abb. 1 zeigt die Lotusblume (Nelumbo nucifera,2 ein Blatt der Lotusblume auf dem das Wasser abperlt und 3 eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Oberseite eines Lotusblatts mit dem charakteristischen Noppenmuster. Auf dieser rauen Blattoberfläche haften Schmutzpartikel schlecht, werden daher durch abperlende Flüssigkeitstropfen aufgenommen und von der Blattoberfläche entfernt (4). Vergleichsuntersuchungen mit glatten unbeschichteten sowie nach dem patentierten Verfahren beschichteten Platten zeigen, dass sich die beschichteten Platten (6) durch einfaches Besprühen mit Wasser auch von hartnäckigen Verschmutzungen, wie Ruß, vermischt mit Farbe, reinigen lassen, während die auf Hochglanz polierte Platte (5) auch nach langem Spülen noch verschmutzt ist



Bionik:a Die Stabheuschrecke (Carausius morosus) dient als Vorbild für die Entwicklung dezentral gesteuerter Laufmaschinen; b LAURON II, die zweite Generation eines nach dem Vorbild der Stabheuschrecke konstruierten Laufroboters

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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