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Kompaktlexikon der Biologie: Wehrsekrete

Wehrsekrete, der zwischenartlichen Abwehr dienende Ausscheidungen vieler Tiere, die an den verschiedensten Körperstellen produziert werden und mannigfaltige chemische Zusammensetzung besitzen. I.w.S. können auch Alarmpheromone (Alarmstoffe) zu den W. gerechnet werden, da sie häufig neben ihrer Pheromon-typischen intraspezifischen Kommunikationsvermittlung der Abwehr von Feinden dienen. Ein Beispiel ist die Ausscheidung von Isoamylacetat mit dem Stich der Biene, die andere Bienen dazu veranlasst, ebenfalls die so markierte Stelle zu attackieren. Eine Reihe von sekundären Pflanzenstoffen, die der Abwehr von Einzellern, Pilzen oder Fraßfeinden dienen (Hexenal, Blausäure (Cyanide), Terpene, aber auch Ecdysteroide und viele andere Stoffe), können ebenfalls als W. aufgefasst werden; sie werden von manchen Insekten inkorporiert und dienen diesen als Wehrsekrete.

Die meisten chemischen Bestandteile der W. sind niedermolekular (relative Molekülmasse zwischen 30 und 200); häufig vertretene Stoffklassen sind Säuren, Aldehyde, Ketone, Ester, Kohlenwasserstoffe, Lactone, Phenole, p-Benzochinone, Monoterpene. Höhermolekulare W. findet man als klebrige Proteine (mechanische Abwehrfunktion) oder als Steroidhormone (z.B. bei Schwimmkäfern). Viele W. werden in lokal außerordentlich hohen Konzentrationen gebildet (ein Gelbrandkäfer enthält z.B. die gleiche Cortexon-Menge wie 1500 Rindernieren) und duften sehr stark. In einem W. können mehrere Komponenten enthalten sein (bei Wanzen bis zu 18 verschiedene Stoffe), ferner können bei einer Art verschiedene Wehrdrüsen mit unterschiedlichen W. vorkommen. Manche Wehrsekretkomponenten dienen als Lösungsmittel für die eigentlichen abschreckenden oder toxischen Verbindungen, z.B. Kohlenwasserstoffe als Lösungsmittel für Chinone bei Schwarzkäfern (Tenebrionidae) und Kurzflüglern. So werden in den Pygidialdrüsen der Schwimmkäfer W. gegen Mikroorganismen gebildet (Benzoesäure, PHB-Ester, Glykoproteide), wogegen spezifische prothorakale Abwehrdrüsen neben Alkaloiden die erwähnten Steroide enthalten, die auf Wirbeltiere (speziell Amphibien) narkotisierend wirken.

W. werden entweder in speziellen exokrinen Drüsen produziert, oder sie sind im Blut, im Verdauungssaft oder anderweitig im Körper enthalten, von wo sie entweder nach lokalen mechanischen Reizen (Reflexbluten, Exsudation; „Sollverwundungsstellen“ bei Ölkäfern u.a. Käfern) oder durch Regurgitation aus dem Verdauungstrakt (z.B. Schnabelfliegen, Mecoptera, und Geradflügler) hervorgebracht werden. Die giftigen Farbfrösche (Dendrobatidae) besitzen hochwirksame Alkaloide in ihrer Haut (Batrachotoxine).

Nach der Art der Abgabe der in Drüsen gebildeten W. können mehrere Drüsentypen unterschieden werden: Schmetterlingsraupen besitzen oft am Kopf ausstülpbare Drüsen (so genannte Osmeterien), die ein Gemisch aus Iso-Buttersäure und 2-Methylbuttersäure abgeben; entsprechende Vorrichtungen wurden bei Kurzflüglern am Abdomen gefunden. Bei anderen Drüsen fließen die W. aus (Tausendfüßer) und können mit den Extremitäten über den ganzen Körper verteilt werden; „nach Anwendung“ werden sie teilweise wieder in die Drüsen eingesogen (Larven der Blattkäfer, Chrysomelidae). Derartige W. enthalten i.Allg. Chinone, Salicylaldehyd u.a. Stoffe. Besonders ausgeprägt ist dieser Typ in den Prothorakaldrüsen. Pygidialdrüsen arbeiten als Spritzdrüsen und erlauben mit dem Versprühen der W. in eine bestimmte Richtung eine gezielte Abwehr; sie finden sich bei Laufkäfern (Carabidae), Schwarzkäfern, Wanzen (Heteroptera), Stummelfüßern (Onychophora) und vielen anderen. Die Inhaltsstoffe der Pygidialdrüsen sind chemisch sehr heterogen. Allein bei Laufkäfern kommen Ameisensäure, Alkane, Chinone, Kresol, aliphatische Ketone, Methacrylsäure, Salicylaldehyd, Salicylsäuremethylester, Isovalerian- und Isobuttersäure vor. Speziell bei den Laufkäfern erlauben die Ausgestaltung der Drüsen und die chemische Zusammensetzung der W. eine Diagnose ihrer phylogenetischen Entwicklung. In Reaktordrüsen, zu denen auch die Pygidialdrüsen der Bombardierkäfer gehören, werden die W. erst im Moment der Entladung gebildet; in den Drüsen selbst werden die Vorstufen der chemischen Reaktion gespeichert. Auf diese Weise erreichen die Eigentümer derartiger Wehrdrüsen Schutz vor ihren eigenen W. Schließlich kommen auch spezialisierte Teile des Tracheensystems (Tracheen) zusammen mit drüsigem Gewebe (so genannten Trachealdrüsen) als W. produzierende Strukturen vor, so werden z.B. bei Schaben (Blattariae) und Grashüpfern (Caelifera) die W. in diesen Fällen „ausgeatmet“ und bilden einen Schaum, der Sesquiterpene oder Histamine und Cardenolide enthält.

Ein völlig anderer Typ der Abwehr wird mit solchen W. erreicht, die nach ihrer Ausscheidung erstarren und sich in Form von wachsartigem Puder oder sonstigen leicht abstreifbaren Materialien oder Strukturen auf die Körperoberfläche legen. Indem sich das so geschützte Tier bei einem Angriff dieser Hülle wie einer Jacke entledigt, entgeht es dem Angreifer. Diese Art von W. finden sich u.a. bei Motten (Tineidae) und Köcherfliegen (Trichoptera). Derartige Bedeckungen können auch fremder Herkunft sein oder, wie bei der Larve eines Schildkäfers, ein bewegliches Schild aus getrockneten Fäkalien, das dem Angreifer gezielt entgegengehalten wird. Auch das so genannte Entspannungsschwimmen einiger Kurzflügler (Stenus) und der Wasserläufer der Gattung Velia beruht auf W. aus abdominalen oder Speicheldrüsen (Velia). Die W., die nur bei Gefahr abgegeben werden, setzen die Oberflächenspannung des Wassers unmittelbar vor oder hinter dem Tier herab und schieben oder ziehen es dadurch mit beachtlicher Geschwindigkeit (40 – 75 cm/s) aus dem Gefahrenbereich. (Schutzanpassungen)

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Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
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Dr. Daniel Dreesmann

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Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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