Lexikon der Biologie: Bioelektrizität
Bioelektrizität w [von *bio –, griech. ēlektron = Bernstein], umfaßt alle Phänomene elektromagnetischer Art (bioelektromagnetische Felder), die ursächlich mit der Lebenstätigkeit von Organismen gekoppelt sind. Die Funktionsgrundlage von Sinnes-, Nerven- und Muskelzellen beruht auf der Erzeugung, Weiterleitung und Verarbeitung von elektrischen Impulsen, die Information enthalten. Durch besondere Permeabilitäts- und Transporteigenschaften der Membranen wird eine ungleiche Ionenverteilung (Ionen) und damit Ladungsverteilung zwischen Zellinnerem und umgebenden Medien aufrechterhalten (Ionenpumpe, Ionentransport, Membrantransport), die zu einem Membranpotential (Ruhepotential) in Höhe von –60 bis –90 mV führt. Dieses Potential stellt ein elektrochemisches Gleichgewicht zwischen dem intra- und extrazellulären ionalen Konzentrations- und Ladungsunterschied dar. Zur Weiterleitung und Verarbeitung von Information über das "Nachrichtennetz" Nervensystem werden Potentiale, bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgend, entlang den Membranen ab- und aufgebaut (Aktionspotential). Diese elektrischen Felder können für jede Zelle einzeln registriert werden. Wenn eine große Anzahl von Zellen synchron reagiert (Erregungszentren; Erregung, Erregungsleitung), lassen sich von Geweben bzw. Organen auch Summenpotentiale (Rezeptorpotential) mit aufgelegten Flächenelektroden messen. Auf diese Art und Weise entsteht das EKG (Elektrokardiogramm, Ausbreitung der Erregung der Herzmuskelzellen; Herzautomatismus, Herzmuskulatur), das EMG (Elektromyogramm, Messung elektrischer Felder von Skelettmuskeln), das EEG (Elektroencephalogramm, Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns, insbesondere der Großhirnrinde) oder auch das ERG (Elektroretinogramm, Messung der elektrischen Aktivität der Netzhaut). Durch den Vergleich mit dem Normzustand lassen sich Rückschlüsse auf mögliche pathologische Veränderungen ziehen. Analog kann man auch biomagnetische Felder registrieren; allerdings erfordern sie wegen der geringen Feldstärken einen enormen apparativen Aufwand (Biomagnetismus). – Eine andere Form der Bioelektrizität stellen die in den elektrischen Organen einiger Süß- und Salzwasserfische auftretenden elektrischen Erscheinungen dar. Diese können Spannungen von wenigen mV bis ca. 800 V bei Stromstärken von wenigen bis 50 Ampere erzeugen. Die mehr oder weniger regelmäßigen gleichzeitigen Entladungen werden nervös gesteuert und stehen bei den schwach elektrischen Fischen (Echte Rochen, Nilhechte, Messerfische) im Dienste der Orientierung (elektrische Organe). Bei den stark elektrischen Fischen (Zitterrochen, Zitterwelse, Zitter- oder Messeraale) dienen sie darüber hinaus der Feindabwehr und dem Beutefang. – Bioelektrische Erscheinungen sind auch von Pflanzen bekannt, bei denen Ruhepotentiale in ähnlicher Größe wie bei tierischen Zellen meßbar sind. Diese Potentiale werden über Ionenkanäle aktiv aufrechterhalten und können sich in Antwort auf Signale verändern. Beispielsweise ist das Öffnen der Schließzellen (Spaltöffnungen) in den Blättern (Blatt) mit einer Hyperpolarisation der Membran verbunden – erzeugt durch eine Protonenpumpe –, während des Schließens sinkt dagegen, verursacht durch die Öffnung eines Kaliumkanals, das Ruhepotential. Vergleichbare Änderungen des Membranpotentials treten auch in einer Vielzahl von anderen Fällen, im Zusammenhang mit verschiedensten Signalen, auf, z. B. während des Gravitropismus oder nach Aktivierung des Blaulichtrezeptors. Diese bioelektrischen Erscheinungen wurden – in Entsprechung zum Nervensystem – wiederholt als Ausdruck einer pflanzlichen Informationsverarbeitung diskutiert. Vermutlich handelt es sich jedoch in den meisten Fällen um Beiprodukte von Signalantworten, die im Gegensatz zu den Nervenzellen gewöhnlich nicht zur Informationsverarbeitung genutzt werden. Eine Nutzung von Potentialänderungen zur Signalverarbeitung erfolgt jedoch in Antwort auf Berührungsreize, die in manchen Fällen (bekanntestes Beispiel ist die Mimose) sogar in der Bildung von Aktionspotentialen münden kann (Seismonastie). Biochips, elektrische Reizung, Ionenkanäle, Muskelkontraktion, Muskelzuckung, Nervenzelle, patch-clamp-Methode; Nervenzelle I–II.
H.W./P.N.
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