Lexikon der Biologie: Limnognathia
Limnognathia w [von *limno- , griech. gnathos = Kiefer], im Jahre 2000 von den dänischen Zoologen R. Kristensen und P. Funch in der Mikrofauna des Moosbewuchses eines kalten Quellsumpfes in Westgrönland entdeckte und erstmals beschriebene Tier-Gattung bisher nicht sicher geklärter systematischer Stellung, mit 1 Art: Limnognathia maerski. Die nur etwa 0,1 mm großen, bilateralsymmetrischen Tiere sind von gedrungener Gestalt, im Querschnitt etwa drehrund. Mit Hilfe einer dicht bewimperten Kriechsohle auf der ganzen Ventralseite vermögen die Tiere frei zu schwimmen oder gleitend zu kriechen, und mit Klebdrüsen am Hinterkörper können sie sich vorübergehend am Substrat festheften. Dort weiden sie den Algen- und Bakterienbewuchs ab. Der Körper ist äußerlich in 3 Abschnitte gegliedert: eine Kopfregion (mit Sinnesborsten, einem präoralen ventralen Wimpernfeld, jederseits mehreren kleinen ventrolateralen Cilienbüscheln und ventraler Mundöffnung), eine ziehharmonikaartig kontrahierbare Thorakalregion und ein etwas bauchiges Abdomen mit – nicht immer vorhandener – endständiger Aftermündung ( vgl. Abb. ). Limnognathia vereint in sich eine Reihe für verschiedene Tierklassen typischer Merkmale, läßt sich jedoch keiner von diesen eindeutig zuordnen: Die Körperbedeckung besteht wie bei Gnathostomulida aus einer teilweise bewimperten zellulären Epidermis, die an Rücken und Rumpfseiten zu einem Panzer aus einzelnen intrazellulären Platten verdichtet ist wie beiRädertieren und Acanthocephala; letztere Tiergruppen haben jedoch keine zelluläre, sondern eine syncytiale Epidermis. Die gesamte Ventralseite von Limnognathia ist ungepanzert und bis auf ein wimpernfreies Mundfeld mit dichten Längsreihen langer Cilien besetzt. Die ungewöhnlich großen Epithelzellen tragen aber, verglichen mit den Zellen anderer Flimmerepithelien, jeweils nur einen schütteren Besatz aus 4 Reihen von je etwa 20 Cilien. In ähnlicher Weise weicht auch das Cilienepithel der Gnathostomuliden vom üblichen Flimmerzell-Schema ab; ihre sehr kleinen Epidermiszellen haben jeweils nur ein einziges langes Cilium (monociliäres Geißelepithel). Wie bei Gnathostomuliden und Rädertieren ist der Darm von Limnognathia unbewimpert und bis auf den muskulösen und kieferbewehrten Pharynx kaum gegliedert, wie bei Gnathostomuliden eine Afteröffnung nur transitorisch ausgebildet. Das einfache Exkretions/Osmoregulationssystem (je ein thorakales und abdominales Protonephridienpaar) gleicht mit seinen monociliären Terminalzellen dem der Gnathostomuliden. Auffälligstes Merkmal von Limnognathia ist der hochkomplizierte Kieferapparat. Zwar besitzen auch Rädertiere einen kieferbewehrten Pharynx, aber in gleicher Komplexität tritt ein solcher ausschließlich bei Gnathostomuliden auf. Bisher wurden nur weibliche Tiere mit reifen Ovarien gefunden. Die Eier entwickeln sich – wie unter Rädertieren als fakultativer Entwicklungsweg verbreitet – bei Limnognathia anscheinend obligatorisch parthenogenetisch, eine Fortpflanzungsart, die hingegen bei Gnathostomuliden nie beobachtet wurde; aber wie bei Gnathostomuliden werden die reifen Eier durch die aufbrechende Epidermis abgegeben. – Aufgrund der als Synapomorphien gedeuteten Merkmalsgemeinsamkeiten dieser neuentdeckten Tierform ebenso mit Gnathostomuliden wie mit bisher den Nemathelminthes zugerechneten Rädertieren und Acanthocephalen halten die Autoren es für gerechtfertigt, Limnognathia keiner der bekannten Gruppen zuzuordnen, sondern als Vertreter einer neuen Tierklasse, der Micrognathozoa, anzusehen und diese mit Rotatorien und Acanthocephalen zu einem bereits von Ahlrichs (1995) geforderten monophyletischen Tierstamm, Gnathifera, zusammenzufassen.
P.E.
Lit.: Kristensen, R.M., Funch, P.: Micrognathozoa (2000): A New Class With Complicated Jaws Like Those of Rotifera and Gnathostomulida.J. Morphology 246, 1–49. Ahlrichs, W.H.: Ultrastruktur und Phylogenie von Seison nebaliae (Grube 1859) und Seison annulatus (Claus 1876). Göttingen 1995.
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