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Lexikon der Biologie: Spracherwerb

Spracherwerb. Der Mensch besitzt bereits im frühen Kindesalter die Fähigkeit, die in der Umgebung verwendete Sprache zu erwerben (kindliche Entwicklung). Das Erlernen der Sprache verläuft in charakteristischen Schritten, wobei auch für den Erwerb der syntaktischen Struktur angeborene Grundlagen zu existieren scheinen. Sogar Kinder, die selbst noch nicht sprechen können, reagieren auf grammatikalisch falsche Wortsetzungen. Die Sprachentwicklung funktioniert auf der Basis komplizierter Interaktionen mit dem Kind, bei denen viele Details eine zentrale Rolle spielen. Kinder können beim Spracherwerb auf ein reichhaltiges, genetisch vorprogrammiertes Repertoire an lautlichen und syntaktischen Prinzipien zurückgreifen, die jedoch mit dem sprachlichen Input abgeglichen werden müssen. Kompetenzen, die dem Sprechen vorausgehen bzw. mit ihm verknüpft sind, sind die Fähigkeit der Lautdifferenzierung, d.h. zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Lauten zu unterscheiden, und ein Gedächtnis für Sprache. Wie ein Kind bis zum Ende des ersten Lebensjahres die Segmentationsleistung vollbringt, d.h. einzelne Elemente selegiert (auswählt) und als sprachliche Einheit, also als Wort, identifiziert, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Eltern helfen beim Spracherwerb durch besondere Betonung einzelner Elemente der angebotenen Sätze. Doch schon die Wahrnehmung von Gesprochenem im Mutterleib (Fetalentwicklung) wirkt sich auf den Spracherwerb aus. Wichtige Anteile schreibt man aber auch der Bereitschaft des Kindes zu sozialer Imitation (Nachahmung) und Interaktion zu, während der die Aufmerksamkeit auf Gesicht und Stimme des Interaktionspartners gerichtet wird, und der Bereitschaft, Kontakt aufzunehmen, zu halten und eine Kontaktaufnahme zu beantworten (Kontaktverhalten). Bei verschiedenen Tests zeigte sich, daß Säuglinge vor allem dann reagierten, wenn die Worte von einer Person gesprochen wurden, nicht jedoch mit Hilfe eines Tonbands oder über Videoaufnahmen angeboten wurden. Es verwundert nicht, daß der produktive Wortschatz gegen Ende des 2. Lebensjahrs um so größer ist, je häufiger Eltern mit ihren Kindern sprachlich kommunizieren und in eine interaktive Situation treten. Die Aufmerksamkeit zieht im Säuglingsalter vor allem der „baby-talk“ (Babysprache) auf sich, der den Fähigkeiten eines Säuglings entgegenkommt und sein Wahrnehmungsvermögen unterstützt. Bereits nach 2 Monaten reagiert ein Säugling im Dialog mit der Mutter durch Laute, die wahrscheinlich eigendynamisch und zunächst nicht abhängig von dem bisher Gehörten sind. Erst allmählich schränken sich die Lautfolgen auf die gehörte Sprache ein. Bereits das erste anscheinend zusammenhanglose „Brabbeln“ steht wahrscheinlich im Dienste des Spracherwerbs, da das Sprachzentrum dabei bereits aktiv ist, während bei anderen Lautbildungen keine Aktivitäten erkennbar sind. Üblicherweise ist der erste kindliche Vokal das a, der erste Konsonant ein Verschlußlaut zwischen p und b. Danach lernt ein Kind zumeist das m, anschließend t und d zu unterscheiden. Reibelaute wie f oder s erlernt es später und ersetzt sie anfänglich oft durch Verschlußlaute. Gegen Ende des 1. Lebensjahres ahmt es begeistert Laute nach und lallt verschiedene Silben (präverbale Vokalisationen), mit 1 Jahr werden teils die ersten Worte gesprochen. Mit 18 Monaten macht ein Kind in seinem Wortschatz einen gewaltigen Sprung nach vorn. Praktisch lernt es alle 2 Stunden ein neues Wort und beginnt Absichten und Gefühle mitzuteilen. Die Sprachentwicklung von den ersten Zweiwortsätzen zu den vollständigen Sätzen kann sich innerhalb weniger Monate vollziehen. – Man nimmt heute bestimmte Zeitfenster für den Erstspracherwerb an. Bekommt ein Mensch in dieser Zeitspanne keinen sprachlichen Input, so kann er Sprache nur noch rudimentär erwerben, da die Gehirnstrukturen (Gehirn) sich mangels adäquater Anregung in der sensiblen Zeit (sensible Phase) nicht optimal entwickeln konnten. Man nimmt hier ein Alter von 7 bis 10 Jahren an, vor allem die grammatikalischen Fähigkeiten scheinen bei fehlendem Angebot betroffen zu sein; die wichtigsten syntaktischen Eigenschaften der Sprache haben Kinder bereits bis zum 3. Lebensjahr erworben. Diese Altersspanne scheint auch für den Erwerb einer zweiten Sprache zu gelten – soll sie als zweite Muttersprache erworben werden –, da die Grundlagen für den hochautomatisierten Prozeß der syntaktischen Strukturierung anscheinend in den ersten 4 Jahren gelegt werden. – Das Erlernen eines Musikinstruments scheint sich positiv auf das Sprachgedächtnis auszuwirken: Bereiche in der linken Gehirnhälfte sind bei Musikern vergrößert, in denen sich auch das Sprachgedächtnis befindet. Begriffsbildung, Denken, prägungsähnliche Lernprozesse, Sprachentwicklungsstörung.

E.K.

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