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Lexikon der Chemie: Peptide

Peptide, aus zwei bis etwa hundert Aminosäuren aufgebaute organische Verbindungen, deren monomere Bausteine durch die Peptidbindung kovalent verknüpft sind. Nach der Anzahl der Aminosäurebausteine unterscheidet man zwischen Di-, Tri-, Tetra-, Pentapeptiden usw. Zur Vereinfachung der mit der griech. Numerierung verbundenen Kennzeichnung ist es auch üblich, bei längerkettigen P. die Zahl der Aminosäurebausteine in arabischen Zahlen vor das Wort Peptid zu setzen, z. B. 11-Peptid anstelle von Undecapeptid. Oligopeptide enthalten weniger als 10 Aminosäurebausteine, während früher die Grenze zwischen Polypeptiden und den Proteinen, die natürliche Membranen nicht mehr passieren, bei einer relativen Molekülmasse von etwa 10000 (etwa 100 Aminosäurebausteine) angegeben wurde.

Bezeichnung und Schreibweise der P. Zur systematischen chem. Bezeichnung betrachtet man P. formal als Acylaminosäuren, wobei der Aminosäure, deren Carboxygruppe an der Peptidbindung beteiligt ist, die Endung -yl zugeordnet wird. Nur der am Kettenende eine freie Carboxygruppe tragende Aminosäurerest behält den ursprünglichen Trivialnamen, z. B. Alanyl-seryl-phenylalanyl-asparagyl-tyrosin. Entsprechend der Kurzschreibweise für Aminosäuren vereinfacht sich die Bezeichnung dieses Pentapeptids zu Ala-Ser-Phe-Asp-Tyr. Die Aminosäure mit freier α-Aminogrupe wird in der horizontal angeordneten Peptidkette stets auf die linke Seite geschrieben und als N-terminale Aminosäure bezeichnet, die nach rechts geschriebene endständige Aminosäure mit freier Carboxygruppe wird C-terminale Aminosäure genannt (Abb. 1). Die Formel Ala-Ser-Phe-Asp-Tyr symbolisiert das Pentapeptid unabhängig vom Ionisationszustand. Die terminale Amino- und Carboxygruppe kann durch Anfügen eines zusätzlichen H bzw. OH gekennzeichnet werden (H-Ala-Ser-Phe-Asp-Tyr-OH), wodurch sich in einfacher Weise die ionisierten Formen formelmäßig darstellen lassen. Die Formelkurzschreibweise setzt voraus, daß auch trifunktionelle Aminosäuren mit zusätzlichen Amino- und Carboxyfunktionen (Lys, Orn, Glu, Asp) durch α-Peptidbindungen verknüpft sind. Für ω-Peptidbindungen ist in der Kurzformelschreibweise eine besondere Kennzeichnung erforderlich, die in Abb. 2 am Beispiel der γ-Peptidbindung des natürlich vorkommenden Tripeptids Glutathion erläutert wird.



Peptide. Abb. 1: Kurzschreibweise für Peptide.



Peptide. Abb. 2: Kurzschreibweise für Peptide mit einer ω-Peptidbindung.

Eine Peptidbindung zwischen der ε-Aminogruppe des Lysins und der seitenständigen Carboxygruppe der Glutaminsäure bzw. Asparaginsäure bezeichnet man als Isopeptidbindung.

Eine Seitenkettensubstitution in der verkürzten Formelschreibweise wird durch die Abkürzung des entsprechenden Substituenten oberhalb oder unterhalb des betreffenden Dreibuchstabensymbols bzw. in Klammern unmittelbar danach angezeigt. Die für Peptidsynthesen wichtigen Formelabkürzungen mit zusätzlicher Substitution der terminalen Funktionen werden am Beispiel des Pentapeptidderivats Nα-Benzyloxycarbonyl-L-alanyl-O-tert-butyl-L-seryl-L-phenylalanyl-L-asparagyl(β-benzylester)-O-benzyl-L-tyrosinmethylester demonstriert: Z-Ala-Ser(But)-Phe-Asp(OBzl)-Tyr(Bzl)-OMe.

Die Anzahl und Reihenfolge (Sequenz) der verknüpften Aminosäuren in einem Peptid wird als Primärstruktur bezeichnet. Bei bekannter Sequenz werden die Dreibuchstabensymbole für die Aminosäurereste nacheinander geschrieben und durch kurze Bindestriche (Divis) miteinander verbunden. Weiterhin unterscheidet man zwischen einem Peptid ohne Striche an den Symbolenden und der Sequenz mit zusätzlichen Strichen an den endständigen Symbolen. Ist ein Teilabschnitt eines Peptids noch nicht sequentiell aufgeklärt, so werden die betreffenden Dreibuchstabensymbole – durch Kommata getrennt – in Klammern gesetzt, z. B. Ala-Phe-Glu-Ser-(Asn,Phe,Gly,Tyr)-Glu-Arg-Val-Pro.

Neben der Peptidbindung findet man in den P. mit der Disulfidbindung eine zweite kovalente Verknüpfungsmöglichkeit. Hierbei unterscheidet man zwischen intramolekularen (intrachenaren) Disulfidbindungen innerhalb einer Peptidkette und intermolekularen (interchenaren) Disulfidbindungen zwischen verschiedenen Peptidketten. Ferner unterscheidet man zwischen homöomeren P., die ausschließlich aus Aminosäuren aufgebaut sind, und heteromeren P., die außer Aminosäuren noch proteinfremde Bausteine enthalten. Bezüglich der Bindungsart wird weiterhin differenziert zwischen homodeten P., die ausschließlich Peptidbindungen enthalten, und heterodeten P., bei denen neben Peptidbindungen auch Disulfid-, Ester- und Thioesterbindungen auftreten (Abb. 3). Die in der Abbildung durchgängig benutzte Kennzeichnung der Bindungsrichtung der Peptidbindung durch einen Pfeil, dessen Spitze auf den Stickstoff der Peptidbindung zeigt, ist allgemein nur bei zweizeiliger Schreibweise ringförmiger Peptide erforderlich. Zu den heteromeren P. gehören die Depsipeptide.



Peptide. Abb. 3: Schematischer Aufbau homöomerer Peptide. AS Aminosäuresymbol.

Unter Peptoiden verstand man früher zusammengesetzte P., in denen Heterobestandteile kovalent über Amino-, Carboxy- bzw. andere Seitenkettenfunktionen angeknüpft sind, z. B. Glyco-, Lipo-, Phospho- und Chromopeptide. Die Bezeichnung Peptoide wird heute dagegen für Oligomere mit peptidartig verknüpften Glycinresten verwendet. Von Bedeutung ist auch die Bezeichnung synthetischer Analoga natürlicher Peptide, die durch nachfolgend erläuterte IUPAC-IUB-Nomenklaturrichtlinien geregelt ist. Bei einem Austausch eines Aminosäurebausteines wird die neue Aminosäure mit ihrem vollen Namen und der Position des Austausches in eckige Klammern vor den Trivialnamen des betreffenden P. gesetzt, z. B. [4-Threonin]Oxytocin, Abk. [Thr4]Oxytocin. Bei mehrfacher Substitution wird analog verfahren. Bei Erweiterungen einer Peptidkette wird der zusätzliche Aminosäurerest an den terminalen Positionen in bekannter Weise angefügt, z. B. Glycyl-vasopressin, Abk. Gly-Vasopressin, am N-Terminus bzw. Vasopressyl-alanin, Abk. Vasopressyl-Ala, am C-terminalen Ende.

Die Einführung von zusätzlichen Aminosäurebausteinen wird durch das Präfix "endo" mit der entsprechenden Positionsangabe angezeigt, z. B. führt Valin zwischen der 6. und 7. Aminosäure des Bradykinins zu der Bezeichnung Endo-6a-valin-bradykinin, Abk. Endo-Val6a-bradykinin. Eine Auslassung von Aminosäurebausteinen läßt sich durch Angabe der Position und das Präfix "des" kennzeichnen, z. B. Des-4-glycin-bradykinin bzw. Des-Gly4-bradykinin. Seitenkettensubstitutionen an der Aminogruppe bzw. an der Carboxygruppe lassen sich durch Anwendung bekannter Nomenklaturrichtlinien kennzeichnen, z. B. Nε11-Alanyl-corticotropin, Abk. Nε11-Ala-corticotropin, bzw. Cγ3-Valyl-corticotropin bzw. Cγ3-Val-corticotropin. Teilsequenzen von P. mit bekannten Trivialnamen kennzeichnet man durch Angabe der Stellungen der ersten und letzten Aminosäure in Ziffern hinter den Trivialnamen sowie der griechischen Bezeichnung der Zahl der Aminosäurebausteine der Teilsequenz, z. B. Bradykinin-(5-9)-pentapeptid.

Vorkommen. Peptide kommen im gesamten Zellbereich vor, wobei das Spektrum der physiologischen Funktionen ungewöhnlich breit ist. Viele P. erfüllen als Hormone wichtige Funktionen in der Stoffwechselregulation. Sie werden im Hypothalamus (Oxytocin, Vasopressin, Hypothalamushormone mit hormonfreisetzender bzw. hormonausschüttungshemmender Wirkung), in der Hypophyse (Corticotropin, Melanotropin, Thyreotropin, Gonadotropine, Prolactin, Somatotropin), im Pankreas (Insulin, Glucagon), in der Schilddrüse (Calcitonin), in der Nebenschilddrüse (Parathormon), im Gastrointestinaltrakt (Gastrin, Sekretin, Motilin, Cholecystokinin), in Neuronen (Neurohormone) u. a. gebildet. Neben den Neurohormonen richtete sich das Interesse der Peptidforschung auf die Neuropeptide, die unter anderem als Neurotransmitter fungieren, Einfluß auf den Lernprozeß zeigen, physiologisch-analgetische Wirkungen aufweisen und das Verhalten beeinflussen können. Bedeutung besitzen ebenso P. aus Amphibien und Tintenfischen (Tachykinine, Bombesine, Caerulein), Peptidtoxine (Phallatoxine, Amatoxine, Peptidkomponenten des Bienengiftes, des Schlangengiftes u. a.) sowie Peptidantibiotika aus Mikroorganismen. Weiter zu erwähnen sind P. mit charakteristischem Geschmack, wie Süßpeptide (Aspartam), Bitterpeptide aus Fermentationsprodukten und solche mit nahrungsmittelspezifischen Geschmacksabstufungen. Bestimmte ringförmige P. wirken phytotoxisch, wie das Tentoxin, cyclo-(L-MeAla-lL-Leu-MePhe[Z)Δ]-Gly), oder besitzen wie das cyclische Tetrapeptid Chlamydocin cytostatische Wirkungen. Im Muskelgewebe findet man sehr einfache P., wie das Carnosin (β-Ala-His) oder das Anserin (β-Ala-MeHis). Das Tripeptid Glutathion kommt in allen Zellen der höheren Tiere vor.

Biosynthese der P. Sie erfolgt meist nach dem klassischen Proteinbiosynthesemechanismus, wobei in den überwiegenden Fällen zunächst Prä-Pro-Proteine gebildet werden, aus denen durch limitierte Proteolyse die bioaktiven P. freigesetzt werden. Daneben kennt man eine Vielzahl von kurzkettigen P., die sich schon strukturell von den aus Proteinvorstufen freigesetzten P. unterscheiden. Sie enthalten häufig nichtproteinogene Aminosäurebausteine (β-Alanin, γ-Aminobuttersäure, D-Aminosäuren, Nα-alkylierte Aminosäuren u. a.), ungewöhnliche Bindungen und oftmals cyclische oder cyclisch-verzweigte Strukturen. Sie werden nach dem Prinzip der S-Aminoacylaktivierung mit Vorordnung an Enzymmatrizen (Multienzymsysteme) unter Einbeziehung ATP-abhängiger Aktivierungsschritte aufgebaut. Solche Strukturvariationen schützen diese spezialisierten P. vor zu schnellem proteolytischem Abbau.

Eigenschaften. P. sind Bindeglieder zwischen Aminosäuren und Proteinen. Ähnlich wie die Aminosäuren besitzen P. einen hohen Schmelzpunkt bzw. Zersetzungspunkt, da sie aus neutralen Lösungen in Form dipolarer Ionen in das Ionengitter eingebaut werden. Die Säure-Base-Eigenschaften und die Löslichkeit der linearen P. sind abhängig von der Aminosäuresequenz, da die Ampholytnatur auf der Anzahl und Verteilung der verfügbaren basischen und sauren Gruppen beruht und die Löslichkeit darüber hinaus durch hydrophobe Seitenkettengruppen beeinflußt wird. Sowohl die N-terminale Aminogruppe als auch die C-terminale Carboxygruppe eines P. unterscheidet sich hinsichtlich der chem. Reaktivität nicht von den entsprechenden funktionellen Gruppen freier Aminosäuren. Mit Ninhydrin entstehen blaue bzw. blauviolette Färbungen, die für den chromatographischen bzw. elektrophoretischen Nachweis freier P. benutzt werden. Eine analytische Abgrenzung zu den Aminosäuren bietet die Biuret-Reaktion. Durch Säuren, Alkalien oder proteolytische Enzyme werden P. hydrolytisch zu den entsprechenden Aminosäuren abgebaut. Mit Hilfe der Aminosäureanalyse ist eine quantitative Bestimmung der Bausteine möglich. Die Primärstruktur eines P. läßt sich mit den Standardmethoden der Sequenzanalyse (Proteine) aufklären, während die räumliche Anordnung eines Peptidmoleküls, die Peptidkonformation, vorrangig mittels physikalisch-chem. Methoden ermittelt wird. Zur Konformationsanalyse von P. in Lösung sind vor allem spektroskopische Methoden geeignet, während die Röntgenkristallstrukturanalyse in einigen Fällen (Gramicidin S, Insulin) erfolgreich zur Aufklärung der Raumstruktur eingesetzt werden konnte. Allgemein sind Konformationsstudien an ringförmigen P. erfolgversprechender als solche an linearen Peptiden mit der viel größeren Konformationsvielfalt. Die Erforschung der topochem. Eigenschaften von Peptidwirkstoffen ist eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis der Wirkstoff-Rezeptor-Wechselwirkungen.

Isolierung. Da die P. normalerweise nur in geringen Konzentrationen auftreten und oftmals noch vergesellschaftet mit Proteinen, Kohlenhydraten, Lipiden, Nucleinsäuren u. a. vorkommen, ist ihre Isolierung äußerst schwierig. Nach dem Aufschluß des biologischen Materials werden in der Regel unterschiedliche Anreicherungs- und Trenntechniken eingesetzt, z. B. Ultrafiltration, Säulenchromatographie, Ionenaustauschchromatographie, Elektrophorese, präparative Hochdruckflüssigkeitschromatographie, Gegenstromverteilung. Obgleich zwischen 1944 und 1954 die prinzipiellen Voraussetzungen für die Isolierung, Reinigung und Konstitutionsaufklärung von P. entwickelt wurden, fehlte später die entsprechende Analytik zur Bestimmung der oft im Nanogrammbereich und darunter vorkommenden P. Erst mit der Entwicklung des Radioimmunoassays (RIA) war es dann in den siebziger Jahren möglich, z. B. von einem Peptidhormon noch 1 Pikogramm (10-12 g) in einem Milliliter Blut genau zu bestimmen. Systematische Strukturabwandlungen des nativen Peptidwirkstoffs führten in vielen Fällen zur Aufklärung der Sequenzabschnitte, die für die biologische Wirkung (aktives Zentrum), für die Rezeptorbindung, für das immunologische Verhalten und den Transport verantwortlich sind. Aber auch eine Modifizierung nativer P. hinsichtlich einer verlängerten Wirkung bzw. einer vereinfachten Applikation besitzt großes praktisches Interesse. Hierfür muß eine Vielzahl von Analoga zur Verfügung stehen, die nur durch die Peptidsynthese bereitgestellt werden kann.

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