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Lexikon der Chemie: Phenole

Phenole, organische Hydroxyverbindungen, in denen eine oder mehrere OH-Gruppen direkt an Benzolkerne bzw. Arenringe gebunden sind. Grundkörper dieser Stoffklasse ist Phenol. Nach Anzahl der Hydroxygruppen unterscheidet man einwertige P. wie Phenol, Cresole, Carvacrol, Thymol, Naphthole, zweiwertige P. wie Brenzcatechin, Resorcinol und Hydrochinon, dreiwertige P. wie z. B. Pyrogallol.

Nomenklatur. Die Bezeichnung der P. erfolgt überwiegend durch Trivialnamen. Bei der Bildung systematischer Namen wird die Hydroxygruppe als Substituent am Arenring angesehen, z. B. Hydrochinon 1,4-Dihydroxybenzol oder α-Naphthol 1-Hydroxynaphthalin.

Eigenschaften. Die P. sind feste, kristalline Verbindungen, von denen viele wie das Phenol selbst einen charakteristischen Geruch aufweisen. Ihre Löslichkeit in Wasser ist unterschiedlich und wie bei Alkoholen von der Anzahl der hydrophilen Hydroxygruppen abhängig. P. mit mehreren Hydroxygruppen sind im allg. in jedem Verhältnis mit Wasser mischbar. In Ethanol und Ether sind P. gut löslich. Viele P. haben desinfizierende und antiseptische Eigenschaften, im allgemeinen in größerer Verdünnung. In hoher Konzentration sind sie toxisch (Phenol). Im Gegensatz zu Alkoholen sind P. schwach sauer. Bei wasserunlöslichen P. dient das Auflösen der Substanz in Alkalihydroxidlösungen und Wiederausfällen mit Mineralsäure als Nachweis. Einleiten von CO2 führt ebenfalls zur Freisetzung von P. Viele bekannte P. geben mit wäßrigen Eisen(III)-chloridlösungen Farbreaktionen, die auf der Bildung von Eisenkomplexen beruhen (Phenol violett; Cresole blau; Brenzcatechin grün) und zum Nachweis geeignet sind.

Reaktionen. Man unterscheidet zwischen Umsetzungen an der phenolischen Hydroxygruppe (1) und solchen am Arenringsystem (2), das aufgrund des +M-Effektes der OH-Gruppe leicht elektrophile Substitutionsreaktionen eingeht. Zu 1) gehören außer der Salzbildung an der OH-Gruppe folgende Reaktionen:

- Acylierung. P. reagieren mit Säurechloriden unter Bildung von Phenolestern. Ebenso eignen sich Säureanhydride, nicht jedoch Carbonsäuren:



Phenolester sind deshalb interessant, weil sie durch Fries-Umlagerung in o- oder p-Hydroxyphenolketone umgewandelt werden können.

- Alkylierung. In stark alkalischem Milieu reagieren P. mit verschiedenen Alkylierungsreagenzien wie Methyliodid, Dimethyl- oder Diethylsulfat zu Phenolethern (Alkoxyarene) der allg. Formel R-O-R', bei denen R ein Arylrest und R' ein Alkylrest ist, z. B. C6H5-O- + CH3I → C6H5-OCH3 + I-. Auch mit Diazomethan lassen sich P. in Methylarylether umwandeln. Diese Verbindungen sind wasserunlöslich und gegen Baseeinwirkung beständig. Besonders wichtig sind Methoxy- und Ethoxyderivate als Riechstoffe.

- Halogensubstitution. Die Hydroxygruppe läßt sich mit Phosphor(V)-chlorid durch Chlor substituieren, jedoch entstehen zum Teil auch Phosphorsäureester. So wird z. B. aus Phenol nur wenig Chlorbenzol und Triphenylphosphat als Hauptprodukt gebildet: C6H5-OH + PCl5 → C6H5-Cl + (C6H5O)3PO. Aus Pikrinsäure erhält man dagegen ausschließlich Pikrylchlorid (2,4,6-Trinitrochlorbenzol).

Zu 2) sind zahlreiche, leicht ablaufende elektrophile Substitutionsreaktionen bekannt. Dabei dirigiert die OH-Gruppe die neu eintretenden Substituenten in o- und p-Position:

- Bromierung. Die Umsetzung von P. mit wäßriger Bromlösung führt meist zur mehrfachen Bromierung, z. B. entsteht aus Phenol 2,4,6-Tribromphenol (Nachweisreaktion).

- Nitrierung. In Abhängigkeit von den Konzentrationen wäßriger Salpetersäurelösungen entstehen Gemische von Mono- und Dinitroprodukten, z. B. o- und p-Nitrophenol bzw. 2,4-Dinitrophenol.

- Sulfonierung. Umsetzungen mit konz. Schwefelsäure sind temperaturabhängig. Die gebildeten Phenolsulfonsäuren sind wesentlich stärkere Säuren als die P. selbst, vermitteln eine sehr gute Wasserlöslichkeit, z. B. bei Naphtholsulfonsäuren, und können weiterhin substituiert werden, da die SO3H-Gruppe bzw. ihr Alkalisalz eine gute Abgangsgruppe ist. So kann man z. B. mit Salpetersäure einen Austausch mit einer Nitrogruppe bewirken oder mit der Alkalischmelze weitere OH-Gruppen einführen.

- Weitere SE-Reaktionen sind die Friedel-Crafts-Alkylierung und -Acylierung, die Azokupplung mit Diazoniumsalzen zu Azofarbstoffen, besonders ausgehend von Naphtholen und Naphtholsulfonsäuren, die Lederer-Manasse-R. mit Formaldehyd, besonders zu Phenol-Formaldehyd-Harzen, die Reimer-Tiemann-R., die Kolbe-Schmidt-R. zur Synthese von Salicylsäure u. a.

- Weitere Reaktionen sind die Hydrierung der Arenkerne zu cyclischen Alkoholen und mögliche Oxidationsreaktionen, z. B. der zweiwertigen P. zu Chinonen.

Analytisches. Vorproben sind der Nachweis der sauren Eigenschaften, die Eisen(III)-chloridreaktion und der Nachweis der reduzierenden Eigenschaften bei mehrwertigen P. mit Tollens Reagens. Die Identifizierung erfolgt als Benzoesäure-, 4-Nitrobenzoesäure- oder 3,5-Dinitrobenzoesäureester über die Umsetzung mit den entsprechenden Säurechloriden. In den IR-Spektren finden sich Banden im Bereich von 1050 bis 1300 cm-1 (C-O-Valenzschwingung) sowie von 3200 bis 3700 cm-1 (O-H-Valenzschwingung). Die Lage der O-H-Valenzschwingung ist dabei stark vom Assoziationsverhalten der Hydroxygruppen abhängig. Bei Vorliegen intramolekularer Wasserstoffbrückenbindungen finden sich Wellenzahlen von 3420 bis 3590 cm-1, bei intermolekularer Assoziation von 3200 bis 3550 cm-1 und bei freien Hydroxygruppen von 3590 bis 3650 cm-1. Im UV-Bereich absorbieren P. in Abhängigkeit von den Substituenten zwischen 210 und 230 nm sowie zwischen 270 und 280 nm. In den Massenspektren haben P. in der Regel einen starken Molpeak. Ein typisches Fragment von Alkylphenolen ist das Hydroxytropylium-Ion (Mr = 107).

Vorkommen und Gewinnung. P. kommen im Steinkohlenteer und im Braunkohlenschwefelteer vor und werden daraus im technischen Maßstab abgetrennt. Aufgrund des großen Bedarfs werden jedoch zusätzlich synthetische Verfahren angewendet.

Phenolische Hydroxygruppen kommen in vielen Naturstoffen vor, z. B. in der Gallussäure, im Cannabidiol und Cannabinol, psychoaktive Inhaltsstoffe des Harzes der Pflanze Canabis sativa, in den gelben, roten und blauen Blütenfarbstoffen vom Typ der Flavone und Anthocyane sowie in Gerbstoffen. Dabei liegen diese Verbindungen in den Pflanzenzellen meist als Glycoside vor, d. h., die phenolischen Hydroxygruppen sind acetalartig mit Zuckermolekülen verknüpft.

Verwendung. P. sind wegen ihrer großen Reaktionsfreudigkeit wichtige Ausgangs- und Zwischenprodukte in der organischen Synthese und für großtechnische Verfahren. So führt z. B. ein Weg über die Hydrierung von Phenol zu Cyclohexanol, Cyclohexanon, Cyclohexanonoxim und ε-Caprolactam zu vollsynthetischen Fasern vom Polyamidtyp. Verschiedenen zweiwertige P. dienen zur Erzeugung von Phenol-Formaldehyd-Kunstharzen. Phenol und Naphthol sind bekannte Farbkuppler für Azofarbstoffe, Azomethinfarbstoffe und Indophenolfarbstoffe. Phenol, Cresole und Thymol werden vielseitig als Desinfektionsmittel und Antiseptika eingesetzt und schließlich dienen P. zur Synthese von Arzneimitteln.

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