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Lexikon der Ernährung: Hypothalamus

Hypothalamus, E hypothalamus, Teil des Zwischenhirns, ventral auf beiden Seiten des dritten Hirnventrikels unter dem Thalamus gelegen (Abb.), wichtigstes übergeordnetes Steuerungsorgan des vegetativen Nervensystems sowie neurohumorale Schnittstelle (E interface). Zusammen mit der Hypophyse spricht man auch vom Hypothalamus-Hypophysen-System.
Im H. kommt es zur Integration verschiedenster aus der Körperperipherie oder dem zentralen Nervensystem stammender Hunger- bzw. Sättigungssignale (Appetit-Regulation). Die traditionelle Auffassung (E dual centre model), wonach im H. ein eigentliches Hungerzentrum bzw. Sättigungszentrum (vgl. Durstzentrum) ausgebildet ist, ist aus heutiger Sicht zu sehr vereinfachend und nicht mehr haltbar. Vielmehr wird die Nahrungsaufnahme über ein komplexes Netzwerk zwischen dem H., der Medulla oblongata und anderen Hirnzentren reguliert.
Es bestehen zahlreiche afferente und efferente Verschaltungen zwischen dem H., der Hirnrinde, dem limbischen System und vor allem der Medulla oblongata (mit Nucleus dorsalis vagus, Area postrema und Nucleus tractus solitarii), der in neuerer Zeit wieder vermehrtes Interesse hinsichtlich ihrer Bedeutung bei der Regulation der Nahrungsaufnahme zuteil wird. Während afferente nerval vermittelte Sättigungs- bzw. Hungersignale aus dem Verdauungstrakt und der Leber vor allem über den Nucleus tractus solitarii höheren Hirnzentren weitervermittelt werden, stellt die Area postrema ein wichtiges Hirnareal für humorale Signale dar, da in ihr keine funktionelle Blut-Hirn-Schranke ausgebildet ist. In der Area postrema gelegene Rezeptoren für zirkulierende Hormone können deshalb leicht erreicht werden.
Diese weit caudal gelegenen Anteile des Hirnstamms sind vor allem über den lateralen Nucleus parabrachialis und die zentralen Amygdala-Kerngebiete mit dem H. verbunden. Innerhalb des H. sind einige Kerngebiete für die Regulation der Nahrungsaufnahme und des Körpergewichts von besonderer Bedeutung, und zwar neben dem lateralen Hypothalamus z. B. der Nucleus paraventricularis, der Nucleus arcuatus, der Nucleus ventromedialis sowie der Nucleus dorsomedialis. Neben der übergeordneten Steuerfunktion für nervale Regulationsvorgänge stellt der H. auch das wichtigste Integrationsorgan zwischen Nerven- und endokrinem System als sog. neuroendokrine Schnittstelle (endokrine Regulation) dar.
Innerhalb des H. sind eine Vielzahl von Neurotransmittern und -peptiden an der Regulation der Nahrungsaufnahme, der Energieabgabe und damit des Körpergewichts beteiligt, welche wiederum von z. T. aus der Körperperipherie stammenden Signalen entsprechend beeinflusst werden. Einige dieser Neurotransmitter bzw. -peptide wirken verzehrssteigernd, so z. B. das Neuropeptid Y (NPY), das vor allem in Neuronen des Nucleus arcuatus gebildet und im Nucleus paraventricularis sezerniert wird. Die Ausschüttung von NPY ist vor allem zu Beginn der Aktivitätsphase erhöht (bei Ratten also z. B. zu Beginn der Dunkelphase) und NPY scheint vor allem eine Erhöhung der Aufnahme von Kohlenhydraten zu vermitteln (Kohlenhydrathunger). Neben NPY wirkt z. B. auch Galanin verzehrssteigernd, das über den Nucleus paraventricularis eher die Fettaufnahme zu steigern scheint. Weitere und z. T. erst vor wenigen Jahren entdeckte orexigene (d. h. verzehrssteigernd wirkend) Neuropeptide sind die Orexine, die vor allem im lateralen Hypothalamus synthetisiert werden. Auch gewisse klassische Neurotransmitter wirken verzehrssteigernd, so z. B. das Noradrenalin, das über α2-Rezeptoren die entsprechenden Effekte verursacht. Auch Noradrenalin scheint vor allem zu Beginn der Aktivitätsphase ausgeschüttet zu werden, wobei eine Beeinflussung über den Blutzuckerspiegel gegeben ist. Interessant ist, dass die Wirkung von Noradrenalin durch Glucocorticoide verstärkt wird, was zumindest z. T. die Hyperphagie beim Cushing-Syndrom erklären kann (Catecholamine).
Unter anderem über die genannten Substanzen wird der sog. zentrale Nahrungstrieb aufrechterhalten, der unter der vielfältigen Kontrolle entsprechender Rückkopplungssignale steht. Innerhalb des H. zählen zahlreiche Neurotransmitter wie z. B. Histamin, Serotonin und Dopamin zu den an der Regulation der Nahrungsaufnahme beteiligten Substanzen. Über Serotonin scheint z. B. der Effekt des Sättigungshormons Cholecystokinin vermittelt zu werden, während Histamin an der Vermittlung der Wirkung anderer Sättigungshormone beteiligt ist (z. B. Bombesin, Amylin). Wirkstoffe, die in den Stoffwechsel von Serotonin eingreifen, sind auch Bestandteil verschiedener auf dem Markt befindlicher Anorektika.
Neben den genannten „klassischen“ Neurotransmittern beeinflussen im H. eine Vielzahl z. T. erst vor kurzem entdeckter Neuropeptide die Nahrungsaufnahme und den Energiehaushalt. Neben den erwähnten Peptiden NPY, Galanin und Orexinen und dem mit NPY zusammen sezernierten Agouti-related protein (AgRP) stehen dabei der corticotropin releasing factor (CRF), Proopiomelanocortin (α-Melanocyten-stimulierendes Hormon) und das cocaine and amphetamine regulated transcript (CART) an erster Stelle. Diese Neuropeptide sind entscheidend an der Wirkungsvermittlung des verzehrsreduzierenden Effekts der wichtigsten lipostatischen Rückkopplungs-Signale Leptin und Insulin (lipostatische Theorie, Hunger-Sättigungs-Theorien), die im H. primär im Nucleus arcuatus angreifen, beteiligt. Im H. werden die entsprechenden Körperreaktionen kontrolliert und koordiniert (z. B. übermäßige Nahrungsaufnahme → größere Fettspeicher im Depotfett → hoher Leptin- bzw. Insulin-Spiegel → Rückgang der Nahrungsaufnahme und Steigerung der Energieabgabe → Normalisierung des Körpergewichts).
Auch weitere im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme stehende Körperreaktionen werden letztlich über den H. koordiniert. So bewirkt Nahrungsaufnahme einen erhöhten Speichelfluss, eine Erhöhung der Darmmotilität und -durchblutung, eine Steigerung der Insulinsekretion, eine Erhöhung der Herzfrequenz sowie eine Verringerung der Muskeldurchblutung.
Über die im H. gebildeten und über die Hypophyse ausgeschütteten Hormone Oxytocin und adiuretisches Hormon (Vasopressin) ist dieser Hirnbereich auch direkt an der Regulation des Wasserhaushaltes beteiligt. Darüber hinaus steht der H. über eine Reihe von ihm gebildter inhibierender und freisetzender Hormone (E inhibiting / releasing factors) an der Spitze der Hierarchie zahlreicher Hormone.

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