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Lexikon der Ernährung: Krebsrisikofaktoren in der Ernährung: Toxikologische Beurteilung der Zusammenhänge am Beispiel der Colon-Carcinogenese

Krebsrisikofaktoren in der Ernährung: Toxikologische Beurteilung der Zusammenhänge am Beispiel der Colon-Carcinogenese

Beatrice L. Pool-Zobel, Jens Berlau, Michael Glei

Einleitung

Ernährung und Gesundheit stehen in sehr engem Zusammenhang. Alt bekannt ist z. B. die gesundheitliche Gefährdung durch Mangelernährung, die bei unzureichender Versorgung mit Vitaminen oder Spurenelementen vorliegt. Von grundlegendem Interesse und hoher Aktualität ist auch die Frage der Sicherheit von Lebensmitteln, deren Erforschung ein wichtiges Ziel der Toxikologie ist. So könnten Risiken von Lebensmitteln ausgehen, die in nennenswerten Mengen toxische Substanzen natürlichen Ursprungs enthalten oder mit Rückständen von Tierarzneimitteln, Schädlingsbekämpfungsmitteln und Umweltschadstoffen kontaminiert sind.

In unserer Überflussgesellschaft ist aber die so genannte Fehlernährung die zahlenmäßig wichtigste ernährungsabhängige Erkrankungsursache. Diese Fehlernährung zeichnet sich durch einseitige Ernährungsgewohnheiten aus und ist besonders durch eine zu hohe Energiezufuhr charakterisiert. Zu den gesundheitlichen Konsequenzen zählen ein größeres Risiko für die Entwicklung von ernährungsabhängigen Erkrankungen wie beispielsweise Arteriosklerose, Tumoren in verschiedenen epithelialen Geweben, Übergewicht (Fettsucht) und Diabetes.

Krebserkrankungen spielen bei dieser Auflistung eine herausragende Rolle, weil sie nicht nur für ein Viertel aller Todesfälle in Deutschland die Ursache sind (ca. 340.000 Neuerkrankungen pro Jahr), sondern auch, weil die Diagnose der Erkrankung oft mit dramatischen Konsequenzen für den Betroffenen und dessen Angehörige verbunden ist. Hinzu kommen hohe gesundheits- bzw. sozialpolitische Probleme für die Gemeinschaft (Kosten ernährungsabhängiger Krankheiten). Bemerkenswert ist, dass die meisten der in Deutschland auftretenden 10 häufigsten Tumorarten eng mit der Ernährung zusammenhängen. Dies gilt sowohl für Ernährungsgewohnheiten, die eher krebsförderlich wirken, als auch für gegensätzliche Gewohnheiten, die das Krebsrisiko reduzieren können und dadurch präventiv wirken sollten.

Die in der Inzidenz häufigste Tumorart ist der colorectale Krebs (Coloncarcinom) mit ca. 90.000 Neuerkrankungen im Jahre 1999. Er ist neben dem Magen- und Speiseröhrenkrebs die Tumorart, für die es die eindeutigsten Hinweise gibt, dass die Ernährung sowohl das Erkrankungsrisiko erhöhen als auch vermindern kann. Epidemiologische Befunde zeigen, dass der hohe Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch und Alkohol bei einer zu geringen Zufuhr an Gemüse und gleichzeitigem Bewegungsmangel diejenigen Faktoren sind, die das Risiko für die Entwicklung von colorectalen Tumoren erhöhen.

Molekulare Mechanismen der colorectalen Carcinogenese

Colorectale Tumoren sind vermutlich zu ca. 20 % durch Vererbung von genetischen Veränderungen bedingt. Hierzu gehören das Syndrom der Familiären Adenomatösen Poliposis (FAP), das hereditäre nicht-colorectale Carcinom (HNPCC) sowie eine Reihe weiterer Colonkrebsarten, die familiär bedingt sind. Hinzu kommen Tumoren, die mit Prädispositionsfaktoren von entzündlichen Darmerkrankungen im Zusammenhang stehen.

Der größte Anteil aller colorectaler Tumore entsteht allerdings sporadisch bzw. wird durch exogene Faktoren bedingt. Wahrscheinlich verursachen diese äußeren Einflussfaktoren aus der Ernährung typische genetische Veränderungen, deren Bedeutung zunehmend aufgeklärt wird. Mindestens 7 nacheinander auftretende Ereignisse sind für die Zellentartung notwendig. Die Ersten betreffen die Inaktivierung des APC-Gens (ein inaktiviertes APC-Gen ist auch Ursache der FAP) in beiden Chromosomen. Eine Mutation im Onkogen K-ras und je zwei weitere in den Tumorsupressorgenen SMAD4 und TP53 runden die Sequenz ab. Hier spielen aber neben Mutationen auch andere genetische Ereignisse eine Rolle, wie z. B. die Modulation der DNA-Methylierung in den CpG-Sequenzen der Promotorregion von Tumorsuppressor- und DNA-Reparaturgenen oder die DNA-Amplifikation als Mechanismus der Aktivierung von Onkogenen. Mit den genetischen Veränderungen geht die Entstehung von präneoplastischen Läsionen (aberrante Kryptfoci, Polypen, Adenomen) einher, die sich mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit zu Carcinomen weiterentwickeln können.

Bis zu 10 % aller sporadischen Krebsarten haben ein zusätzliches Muster der Entstehung. Dieses zeichnet sich durch die Entwicklung einer fehlerhaften DNA-Reparatur aus, die zu einer genetischen Instabilität und damit zu einer beschleunigten Mutationsentstehung führt. Diese Art Tumore weist häufig K-ras Mutationen auf.

Epidemiologie und Ursachenforschung

Neben diesen Befunden über die molekularen Mechanismen, die eine Zellentartung begleiten, nehmen unsere Kenntnisse über die ursächlichen Faktoren aus epidemiologischen Forschungsarbeiten kontinuierlich zu. So werden Ernährungsgewohnheiten, Lebensmittel und Stoffwechselprodukte identifiziert, die eng mit einem erhöhten Krebsrisiko im Zusammenhang stehen. Da zwischen den Nahrungsbestandteilen und der Darmschleimhaut eine direkte Interaktion besteht, sind die direkt wirksamen Komponenten der Ernährung eng mit der Genese dieser Krebslokalisation verknüpft, und sie werden durch die Aktivität der Darmflora stark geprägt. Beteiligt sind Veränderungen im pH-Wert des Darminhalts und die veränderte Bildung von Metaboliten wie kurzkettige Fettsäuren oder sekundäre Gallensäuren, die die Tumorentstehung entweder hemmen oder auch fördern können. So wird z. B. die Menge an Gallensäuren im Darm durch eine fett- und cholesterinreiche Ernährung erhöht. Andere, noch nicht abgesicherte Hypothesen betreffen die Beteiligung der Kohlenhydratzufuhr an der Krebsentstehung und an der Risikoreduktion. Einfache Zucker weisen in einigen epidemiologischen Studien risikoerhöhende Wirkungen auf und stehen u. U. im Zusammenhang mit der Beobachtung, dass der Insulin- und Glucosestoffwechsel die Konzentration von Wachstumsfaktoren steuert und damit das Coloncarcinomrisiko beeinflusst.

Gestützt wird diese Hypothese durch die Erkenntnis, dass auch weitere verwandte Faktoren wie Adipositas, körperliche Aktivität und der Körpermasseindex am colorectalen Krebsgeschehen beteiligt sind. Körperlich aktive Personen mit geringerem Körpermasseindex besitzen ein reduziertes Erkrankungsrisiko. Der Grund hierfür könnte die mechanische Stimulierung des Darms und eine damit verbundene schnellere Entleerung des Darminhalts sein, wodurch die Expositionszeiten gegenüber Abbauprodukten mit toxischem Potenzial verringert werden.

Ernährungsfaktoren beeinflussen die Darmkrebsentstehung jedoch nicht nur durch direkte Substanzwirkungen, sondern auch indirekt durch Förderung der Lipidoxidation. So stehen Fleisch, Fette und Alkohol im Verdacht, mittels der Fenton-Reaktion die Radikalbildung im Darm zu begünstigen, wodurch sekundäre Metabolite mit toxischem Potenzial gebildet werden. Es handelt sich hierbei um Zerfallsprodukte einiger Fettsäuren, die sehr reaktiv sind. Radikale inkl. freie Sauerstoffradikale und Zerfallsprodukte aus der Lipidoxidation (z. B. 4-Hydroxyalkenale, Aldehyde) sind genotoxisch. Alkohol könnte aber auch durch Bildung des genotoxischen Stoffwechselproduktes Acetaldehyd das Tumorrisiko erhöhen. Auch könnte eine zu niedrige Folatversorgung bei hohem Alkoholverzehr ein Risiko darstellen. Folatmangel führt indirekt zu einer Störung der physiologischen DNA-Methylierung, die an der Genexpression beteiligt ist. Eine fehlerhafte Methylierung in Tumorsuppressorgenen (gene silencing) oder in Proto-Onkogenen (Genaktivierung) könnten die Folge sein.

Zu den möglichen Risikosubstanzen gehören aber auch N-Nitrosoverbindungen, die sich im Darm nach Aufnahme von Fleisch bilden können. Das Kochen, Braten und Grillen von Fleischprodukten führt zur Bildung von kontaminierenden mutagenen oder cancerogenen Substanzen (heterozyklische Amine u. a.). Leider ist unser Kenntnisstand über die spezifischen Substanzen, die für die entsprechenden molekularen Veränderungen der Zellentartung verantwortlich sind, noch lückenhaft, und eine adäquate toxikologische Bewertung der relevanten endogenen Risikofaktoren steht in den meisten Fällen noch aus.

Toxikologie der Risikosubstanzen

In der Ernährungstoxikologie steht das Erkennen der mannigfaltigen Stoffe, die für die gesundheitlichen Konsequenzen der Ernährung verantwortlich sind, im Mittelpunkt des Interesses. Die Bewertung der in Verdacht geratenen toxischen Stoffe ist komplex und je nach Stoffart können unterschiedliche Schwerpunkte im Vordergrund stehen. Deshalb gehört zu einer vollständigen toxikologischen Beurteilung von Risikofaktoren die Betrachtung mehrerer Teilbereiche der Toxikologie. Es werden verschiedene Expertisen aus der Versuchstierkunde und Biometrie, Kenntnisse in analytischen Nachweisverfahren (Probenaufbereitung, Trennverfahren und Umgang mit radioaktiven und toxischen Substanzen), Fachkunde in der pathologischen Anatomie und Histologie, der allgemeinen Toxikologie und Organtoxikologie, Erfahrung über die Bereiche des Fremdstoffmetabolismus und der Toxikokinetik benötigt.

Weiterhin sind Kenntnisse zur Bewertung von toxischen Effekten, die in unterschiedlichen Testsystemen aus den Bereichen der Zell- und Molekulartoxikologie, chemischen Mutagenese und Cancerogenese, der Reproduktionstoxikologie, Immuntoxikologie, klinischen Toxikologie, Epidemiologie, Ökotoxikologie und regulatorischen Toxikologie erhalten wurden, erforderlich. Toxikologische Bewertungen setzen damit einen umfangreichen und kompetenten Fachverstand voraus.

In Verdacht stehende Substanzen sind sehr heterogen und unterliegen einer komplexen Verbreitung mit sehr variablen Expositionsprofilen. Zu den möglichen Krebsrisikostoffen gehören natürlich vorkommende mutagene Substanzen (Stoffwechselprodukte, natürliche Pestizide, Mycotoxine, Nährstoffe), Mutagene, die durch die Zubereitung oder Behandlung in die Lebensmittel geraten (Nitrosamine, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, heterozyklische [aromatische] Amine, Zusatzstoffe, Kontaminanten, Schwermetalle, Pestizide) sowie Stoffe aus diversen anderen Quellen. Einige dieser cancerogenen bzw. genotoxischen Substanzen und Oxidanzien können im Dickdarm gebildet werden. Sie gelangen aber auch mit dem Speisebrei direkt in den Dickdarm bzw. werden über den enterohepatischen Kreislauf nach Resorption durch den Magen und Metabolisierung durch die Enzyme in der Leber zu den Darmzellen transportiert. Im Darm können die Substanzen in Abhängigkeit von der Stuhl-Transitzeit verbleiben und auf die Epithelzellen einwirken. Aus diesem Grunde herrscht für die Colonzellen eine besondere Expositionssituation vor, da die Zeit der direkten Einwirkung sehr lang sein kann. Hinzu kommen die Besonderheiten der verschiedenen Expositionsquellen (Colonlumen, Blut), und die bereits erfolgte Voraktivierung der Substanzen. Vermutlich ist diese Mischung an Substanzen die Ursache für die Folgemutationen, die für die Entwicklung der Carcinome aus Adenomen entscheidend sind. Faeceswasser-Proben sind in bakteriellen Testsystemen mutagen und sie wirken auf Colonzellen toxisch, genotoxisch und aktivieren die Gentranscription.

Wirkungen von Risikosubstanzen im Dickdarm

Nach gegenwärtiger Vorstellung besteht die Wirkung der Risikofaktoren darin, dass sie in den Stammzellen die ersten Mutationen induzieren, die zur Initiation des cancerogenen Prozesses führen, insbesondere im APC-Gen. Promutagene Läsionen in Stammzellen bzw. Mutationen in den Tochterzellen könnten dann zum Verlust der Wachstumskontrolle führen, wonach die Zellen, die innerhalb der Krypten nach oben geschoben werden, zunächst Dysplasien, gefolgt von Mikroadenomen, bilden. Diese Mikroadenome ragen in das Darmlumen hinein und sind so besonders gegenüber den Inhaltsstoffen des Lumens exponiert. Eine konservative Abschätzung besagt, dass ca. 20 % der Personen zwischen 50–60 Jahren bereits Mikroadenome tragen, wobei die Inzidenz mit dem Alter ansteigt und ernährungsabhängig ist. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass im Colon eines gesunden Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit neben nicht transformierten Zellen auch Zellherde von Mikroadenomen auftreten, die bereits einige der Veränderungen der Krebsinitiation erfahren haben.

Am Beispiel der genomischen Instabilität sporadischer colorectaler Tumoren konnte auch gezeigt werden, dass in der Tumorprogression ca. 11.000 Mutationen im Genom auftreten müssen, bevor die Progression anhand anderer Parameter manifest wird. Selbst Colonpolypen zeigen schon eine große Zahl an Veränderungen. Dies eröffnet die Perspektive, die Tumorprogression von frühesten Präcancerosen, die phänotypisch unerkannt bleiben, durch entsprechende Ernährungsmaßnahmen zu verzögern.

Bewertung von Risikosubstanzen

Stellvertretend für die Bewertung der ernährungsabhängigen Risikofaktoren, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann, soll auf ein besonderes Beispiel aus der Gruppe der Kontaminanten eingegangen werden, und zwar die Gruppe der cancerogenen heterozyklischen (aromatischen) Amine. Diese kommen als Proteinpyrolyseprodukte in erhitztem Fleisch und Fisch vor. Sie werden u. a. in der Leber durch Monooxygenasen aktiviert, dann mit Glucuronsäure am Hydroxylrest oder an N2- bzw. N3-Position konjugiert, worauf sie über den enterohepatischen Kreislauf in das Darmlumen gelangen können. Alternativ hierzu besteht die Möglichkeit der Konjugation durch Acetylierung, wodurch reaktive Acetoxyderivate entstehen. Die N-Glucuronide werden z. T. ausgeschieden und stellen demnach Entgiftungsprodukte dar. In der Ratte werden die Hydroxyglucuronide durch bakterielle Glucuronidasen der Darmflora gespalten und mittels O-Acetyltransferasen oder O-Sulfatyltransferasen zu instabilen, hochgradig elektrophilen Estern umgewandelt, die promutagene DNA-Schäden, präneoplastische Läsionen und Adenocarcinome induzieren.

Auf der Basis der Tierversuchsergebnisse, der Kenntnisse zur relativen Rate der metabolischen Umsetzung am Menschen, der Empfindlichkeit von Leber und Dickdarmzellen gegenüber den reaktiven Metaboliten, den abgeschätzten Expositionshöhen sowie den Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien können Risiken für den Menschen bedingt abgeschätzt werden. Neue Überlegungen zur Bewertung gesundheitlicher Konsequenzen schließen die große Heterogenität der genetischen und metabolischen Dispositionseigenschaften ein. Hierdurch wird auch für Substanzen, die in sehr niedrigen Konzentrationen und variablen Expositionsbedingungen auf den Menschen einwirken, deutlich, dass sie bei phänotypischen und genotypischen Dispositionseigenschaften zu einem deutlich erhöhten Krebsrisiko führen.

Diese Zusammenhänge werden vorwiegend auf der Ebene der Grundlagen- bzw. Risikoforschung erarbeitet, da die Risikofaktoren einer Fehlernährung nur in einigen wenigen spezialisierten Laboratorien toxikologisch charakterisiert werden. Sie unterliegen auch kaum der behördlichen Kontrolle. Dies steht im Gegensatz zu den toxikologischen Untersuchungen, die für Zusatzstoffe und mögliche Rückstände (Pestizide, Mycotoxine, Lebensmittelzusatzstoffe u. a.) vom Gesetzgeber gefordert werden und für die nach vorhandenen Daten (Richtwerte für zulässige Mengen, toxikologisches Potenzial), nicht erwartet wird, dass sie zum Krebsrisiko beitragen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es mit regulatorischen Maßnahmen nicht möglich ist, eine Risikoreduktion durch Vermeidung einzelner Inhaltstoffe zu erreichen, da die relevanten Krebsrisikofaktoren nicht zu denjenigen gehören, die kontrollierbar sind. Vielmehr stammen die krebsfördernden Verbindungen aus der Zubereitung von Lebensmitteln und aus dem eigenen Stoffwechsel, der diese nach einseitiger, energiereicher Ernährung vermehrt bildet. Deshalb kann nur jeder Einzelne durch Einhaltung einer gesunden und ausgewogenen Ernährung sein Risiko reduzieren. Diese Einsicht erfordert ein Umdenken in Fachkreisen, um die unterschiedlichen Gefahrenquellen entsprechend zu gewichten, sowie eine verbesserte Aufklärung der Öffentlichkeit. Bisher wenig erforscht ist die Bedeutung der Enzympolymorphismen, die bei besonderen Expositionssituationen mit unterschiedlichen Risiken verbunden sein können, wodurch u. U. auch spezifischere Ernährungsmaßnahmen definierbar sein sollten. Eines der herausragenden Arbeitsgebiete der Zukunft wird die Erforschung der Rolle von Variationsbreiten der Empfindlichkeit gegenüber Expositionsfaktoren aus der Ernährung sein.

Protektive Wirkungen durch Ernährungsfaktoren

Eine Möglichkeit der Gestaltung einer gesunden und ausgewogenen Ernährung ist es, den Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln in der täglichen Ernährung zu erhöhen, bzw. die ausreichende Zufuhr von 5 Portionen Gemüse und Obst und insgesamt ca. 30 g Ballaststoffen / Tag zu gewährleisten. Protektive Faktoren aus Gemüse und Ballaststoffen vermitteln neben rein physikalischen Effekten (höheres Stuhlvolumen, schnelle Stuhltransitzeit, Adsorption der Risikofaktoren an Fasern) auch die Freisetzung bestimmter günstiger Fermentationsprodukte durch die Darmflora und antioxidativ wirksamer sekundärer Pflanzenstoffe.

Entgiftung als Marker der Chemoprotektion

Obwohl das Colonepithel durch eine Mucinschicht (Mucin) teilweise geschützt ist, die auch reaktive Substanzen scheinbar entgiften kann, sind die Zellen immer noch vergleichsweise empfindlich gegenüber exogenen Noxen. Beispielsweise exprimieren sie im Vergleich zur Leber nur relativ geringe Mengen Phase-II-Enzyme wie Glutathion-S-Transferasen, welche viele genotoxische Cancerogene inaktivieren. Andererseits sind diese protektiven Enzymsysteme durch Pflanzeninhaltsstoffe oder Fermentationsprodukte (z. B. Butyrat) induzierbar, die ebenfalls gleichzeitig im Darm vorliegen. Deshalb wäre es durchaus möglich, dass dieser Mechanismus der Chemoprävention im Darm durch eine gesundheitsfördernde Ernährung kontinuierlich auf einem optimalem Niveau gehalten werden kann.

Im Tierversuch konnte bisher nachgewiesen werden, dass Phytoprotektanten und Darmfermentationsprodukte die GST-π in nicht-transformierten Rattencolonzellen induzieren. Erwartet wird, dass diese Induktion einen erhöhten Schutz vor genotoxischen Cancerogenen bietet. Für die Leber konnten derartige Zusammenhänge experimentell nachgewiesen werden. Beispielsweise reduziert die Oltipraz-induzierte GST-α-Aktivierung in der Leber die Ausbeute an Aflatoxin-induzierten Lebercarcinomen in der Ratte. In Analogie hierzu zeigen erste Ergebnisse einer humanen prospektiven Chemopräventions-Studie mit diesem Pharmakon in China, dass die Aktivierung der GST-α in der Tat zu einem Schutz vor umweltbedingter Aflatoxin-Exposition führt. Eine weitere klinische Studie zeigt zudem, dass Oltipraz auch im Dickdarm GST und Analoga induzieren kann. Es wäre demnach verlockend, einen ähnlichen Nachweis für die Ernährung zu erbringen und zu zeigen, dass das Gleichgewicht von aktivierenden und inaktivierenden Enzymsystemen in den Zielzellen der Carcinogenese zugunsten einer erhöhten Entgiftung und damit einer erhöhten Chemotoleranz gegenüber relevanten Risikofaktoren hin verschoben werden könnte.

Gerade hinsichtlich der Frage einer ausgewogenen Ernährung ist es wichtig, diese Zusammenhänge besser kennen zu lernen, um die tolerierbaren Konzentrationen von (nicht vermeidbaren) Risikosubstanzen bzw. die notwendigen Mengen der chemoprotektiven Verbindungen abzuschätzen. Erwartet wird, dass sich die Konzentrationen der protektiven Stoffe und Risikofaktoren in ihrem Verhalten gegenseitig beeinflussen, und letztendlich werden die relativen Mengen der Stoffe zueinander über Jahre hinaus entscheidend für die relativen Krankheitsrisiken im Colon sein.

Primär- und Sekundärprävention

Eine große Anzahl an Faktoren ist für die Entwicklung von colorectalen Carcinomen sowie an der Prävention beteiligt. Zu diesen gehören 1) die Fähigkeit der biologisch aktiven Risikoverbindungen, in den Zielzellen der Carcinogenese promutagene Schäden und die Prozesse der Zellentartung (Proliferation, Entdifferenzierung) zu induzieren, und 2) die Fähigkeit von protektiven Verbindungen, die Darmzellen vor Risikoverbindungen zu schützen.

Zu den postulierten Schutzmechanismen gehören z. B. die Induktion von Phase II-Enzymen und anderen Proteinen (Primärprävention), oder die Entfernung von bereits entarteten Zellen aus dem Gewebe durch Apoptose, die Hemmung ihrer Proliferation oder die Förderung der Differenzierung (Sekundärprävention). Hier ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die humanen Zellmodelle, die für die Klärung solcher Zusammenhänge verwendet werden, bereits Tumorzellen darstellen und daher ganz andere Empfindlichkeiten aufweisen als primäre Zellen. Sie eignen sich deshalb durchaus für die Erforschung von Maßnahmen zur Chemotherapie von bereits vorhandenen Tumoren. Für die korrekte Vorhersage der Effekte einer möglichen Chemoprävention bei gesunden, d. h. nicht-transformierten Darmzellen, sind sie aber weniger nützlich.

Es ist bisher aber kaum möglich gewesen, die nicht-transformierten und eigentlichen Zielzellen der Carcinogenese, die Stammzellen (die sich im unteren Drittel der Colonkrypten befinden) zu isolieren, um sie als Indikatorzellen für in vitro-toxikologische Untersuchungen einzusetzen. Allerdings zeigten einige wenige Untersuchungen unter Verwendung isolierter, intakter Colonkrypten, dass Zellen aus dem unteren Kryptenbereich viel empfindlicher gegenüber ROS (reaktive Sauerstoffspezies) reagieren als die luminalen Zellen der Colonkrypten. Andere Risikofaktoren wurden bisher an Krypten nicht untersucht, und sehr wenig ist über die Expression oder Induzierbarkeit der chemopräventiven Enzymsysteme bekannt. Da aber genau diese Vorgänge die zentrale Rolle für die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Krebs und Krebsprävention spielen, sind solche Untersuchungen unerlässlich.

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der reichliche Verzehr von bestimmten Lebensmitteln wie Alkohol und Fleisch vermutlich zu einer erhöhten Belastung mit Risikosubstanzen führt, die ein genotoxisches und toxisches Potenzial aufweisen und somit für die Auslösung der kritischen molekularen Mechanismen der Krebsentstehung verantwortlich sein können. Da unser Kenntnisstand über die spezifischen Substanzen, die für die Zellentartung verantwortlich sind, noch lückenhaft ist, steht eine adäquate toxikologische Bewertung der Risikofaktoren in den meisten Fällen noch aus. Die Risiken werden nicht unbedingt durch Vermeidung einzelner Inhaltsstoffe, sondern durch eine gesunde und ausgewogene Ernährung reduziert. Enzympolymorphismen, die in Abhängigkeit von der Exposition entscheidend für erhöhte Empfindlichkeiten sind, werden in Zukunft eines der herausragenden Arbeitsgebiete der Ernährungstoxikologie darstellen. Diese werden es ermöglichen, gezielter Risiken zu erkennen und dadurch spezifischere Ernährungsempfehlungen zu erarbeiten, die auch die Wirkungsstärken der protektiven Stoffe einbeziehen. Durch die Ernährung ist es über Jahre hinweg möglich, eine effektive Krebsrisikoreduktion zu erzielen, wodurch die wichtigsten Kriterien der primären Krebsprävention erfüllbar sind. Nach neuesten Schätzungen ließen sich von den ca. 340.000 in Deutschland neu auftretenden Krebsfällen pro Jahr über 115.000 Fälle durch Verzicht auf Tabak und weitere 133.000 durch eine geeignete Ernährung vermeiden. Das Erkennen der toxikologischen Hintergründe für Ernährungsempfehlungen, die eine adäquate Identifizierung der Risikosubstanzen, vertiefte Kenntnisse zu den Wirkmechanismen protektiver Ernährungsfaktoren und die besondere Bedeutung bei individueller Disposition einbeziehen, wäre für die Erreichung dieses Ziels eine weitere wichtige Voraussetzung.

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