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Lexikon der Ernährung: Medien und Ernährungsverhalten

Medien und Ernährungsverhalten

Volker Pudel, Göttingen

Medien sind der bestimmende Faktor in der Informationsgesellschaft. Medien informieren auch über Gesundheit und Ernährung. Medien transportieren und festigen Normen, wie das Schlankheitsideal. Medien als Werkzeuge werden auch in der Ernährungsaufklärung und Ernährungsberatung eingesetzt. Welche Wirkung haben Medien auf das Ernährungsverhalten?
Unbestritten ist, dass das tatsächliche Ernährungsverhalten in allen westlichen Industrienationen nicht den Empfehlungen der Fachgesellschaften folgt. Daher stellt sich die Frage: Wird günstiges oder ungünstiges Ernährungsverhalten durch Medien gefördert? Der Tatbestand ist klar:

Menschen essen anders
als sie sich ernähren sollten

Sind daran auch die Medien beteiligt?

Lebensmittelskandale

Die Schlagzeile „Jetzt auch in deutschen Zitronen Ascorbinsäure festgestellt“ würde den Zitronenimporteuren erhebliche Umsatzverluste bescheren – auch wenn diese Zeitungsmeldung nur besagt, dass Zitronen Vitamin C enthalten. Offenbar bedarf es nur der gezielten Formulierung „Jetzt auch...“, um implizit darauf hinzuweisen, dass dieser Missstand schon lange befürchtet wurde. Der emotionale Eigenbezug wird durch das Adjektiv „deutsch“ hergestellt, und dann wirkt der chemische Fachbegriff „Ascorbinsäure“ für sich und rundet die Meldung zum Skandal ab.

Ohne Frage, die Medien, gleich ob Print-Medien oder TV, sie hatten und haben ihren Einfluss auf das Ernährungsverhalten der Bevölkerung. Die „Lebensmittelskandale“ der letzten Jahrzehnte lieferten dafür sehr anschauliche Beispiele. Interessant ist, dass aber nicht der objektive ernährungsphysiologische oder hygienische Tatbestand der entscheidende Faktor für die Verhaltenswirksamkeit ist, sondern eher die Art der medialen Aufmachung und ihre emotionale Wirkung.

Jeder wird sich an die Nematoden in Seefischen erinnern, die in der Sendung „Monitor“ von Klaus Bednarz hundertfach vergrößert ins Bild gesetzt wurden. Diese emotional beeindruckenden Bilder lösten heftigen Ekel aus, und der Fischabsatz brach in der Bundesrepublik nach dieser Sendung total zusammen. Dabei ist das gesundheitliche Risiko, ausgelöst durch den Verzehr von Nematoden, eher gering. Presseberichte über gepanschten italienischen Wein dagegen, der in Italien Todesopfer forderte, wurden von deutschen Verbrauchern kaum nachhaltig mit Konsumverzicht beantwortet, nachdem die Glycol-Story (Glycol) mit Weinen aus Österreich bereits „überstanden“ war.

Die Vergessenskurve wirkt

Aber selbst die totale Abstinenz bei Seefischen, in der sich die deutschen Verbraucher so einig waren und die zum Zusammenbruch vor allem kleinerer Fischverarbeitungsbetriebe an der Küste führte, wandelte sich innerhalb eines Jahres, nachdem die Medienberichte zum Thema Nematoden ausfielen. Die Vergessenskurve sorgte dafür, dass nach Jahresfrist mehr Fisch verzehrt wurde als vor dieser Monitor-Sendung. Wein, Nudeln, Fisch, Olivenöl, Fleisch, Brot und manch andere Lebensmittel gerieten in die Schlagzeilen der Presse und in die Tagesschau des Fernsehens. Manchmal veränderten diese negativen Botschaften das Ernährungsverhalten erheblich, manchmal hatten sie kaum eine Wirkung. Langfristig gesehen ist aber der mediale Einfluss solcher Schlagzeilen eher gering.

Kognitive Dissonanz

Eine psychologische Deutung dieses Sachverhalts muss die Theorie der kognitiven Dissonanz berücksichtigen. Diese Theorie besagt, dass Menschen möglichst nur solche Informationen aufnehmen, die konsonant zu den bereits bestehenden Informationen und Einstellungen sind. Dissonante Botschaften erwecken dagegen Abwehrmechanismen, um die bestehenden Einstellungen bewahren zu können. Ein Raucher wird das Lungenkrebsrisiko negieren und argumentieren, „dass Ärzte selbst rauchen“, „die Statistik lügt“, „bald Medikamente erfunden werden“, „es mich selbst nicht trifft“, oder er wird mit dem Rauchen aufhören.

Die Nematoden im Fisch erzeugen Dissonanz, und um diese aufzulösen, kann man auf Fisch leicht verzichten (weil ohnehin kaum Fisch gegessen wird). Bei Brot ist die Verzicht-Lösung schwieriger, denn Brot ist ein bevorzugtes Lebensmittel in Deutschland. Bei negativen Brotmeldungen wird daher eher auf unseriöse Berichterstattung abgehoben oder der eigene Bäcker gelobt, um weiterhin Brot essen zu können. Zwei Möglichkeiten, um kognitive Dissonanz zu vermeiden.

So kann festgestellt werden, dass gerade die Ernährungsbotschaften über Schlagzeilen keinen nachhaltigen Eindruck im bundesdeutschen Ernährungsverhalten hinterlassen haben. Die einzige Ausnahme bildet die BSE-Problematik (Prionen-Krankheiten), die in bestimmten Zielgruppen (z. B. junge Frauen 15–30 Jahre) durchaus bei ca. 10 % zu einem Ernährungsverhalten ohne Fleisch motiviert hat. Die Gründe sind vielfältig, denn erstens wurde das Vergessen ständig durch neue Schlagzeilen behindert, zur Thematik BSE kamen als negativer Synergismus die emotionalen Themen Tierhaltung, -transporte und -schlachtung hinzu. Dennoch lag schon sechs Monate nach der Auslösung des BSE-Skandals am 24.11.2000 der Rindfleischkonsum in Deutschland wieder auf dem Niveau des Vorjahres.

Keine nachhaltige Änderung

Die Ernährungsberichte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die alle vier Jahre im Auftrag der Bundesregierung erarbeitet werden, lassen keine nachhaltigen Änderungen im Ernährungsverhalten der Bevölkerung durch mediale Berichte über Lebensmittelskandale erkennen. So scheint zunächst das Ernährungsverhalten relativ resistent gegenüber medialer Beeinflussung – jedenfalls aufgrund von Negativschlagzeilen.

Das Prinzip der Dissonanzvermeidung erscheint auch tragfähiger als die Annahme eines Gesundheitsmotivs, das Verbraucher in ihrem Ernährungsverhalten leitet. Wäre ein (tatsächlich) existierendes Gesundheitsmotiv die treibende Kraft des Fischverzichts gewesen, warum sollte dann das Vergessen nach zwölf Monaten einsetzen? Andere, immer wieder publizierte, erwiesene Gesundheitsrisiken, wie Rauchen, fettreiches Essen oder Alkohol, müssten sich dann nachhaltig in Verhaltensänderungen niederschlagen.

In repräsentativen Erhebungen wurde festgestellt, dass in der deutschen Sprache die Begriffe „Ernährung“ und „Essen“ keine Synonyme (mehr?) sind. „Ernährung“ wird assoziiert mit kognitiven Inhalten der Ernährungsaufklärung, wie Vitamine, Fett, Kalorien, Gewichtszunahme. „Essen“ dagegen mit emotionalem Kontext wie Geschmack, Gemütlichkeit, gedeckter Tisch, gut satt werden (Abb. 1).

So kann auch die geringe Verhaltenswirkung der medialen Ernährungsinformation damit erklärt werden, dass diese Botschaften unter der Denkrubrik „Ernährung“ abgelegt werden – ohne einen wirksamen Bezug zum eigenen Essverhalten zu bilden.

Essen ist emotional geprägt

Eine bevölkerungsrepräsentative Erhebung stellte zudem fest, dass sich ca. 70 % der Verbraucherinnen und Verbraucher „für einen Genießer“ halten. „Gut essen zu Hause“ besetzt in einer Genusshierarchie mit 20 Positionen den vierten Rangplatz, überflügelt nur von Urlaub, Familienfesten und Sex (altersabhängig). Essen ist somit für die Menschen eine lustvolle Erlebenskomponente und wichtiges Element der Lebensqualität (Tab.).

Vielleicht deshalb sind Ernährung, insbesondere aber auch Essen (z. B. Rezepte, Restaurantkritik) ständige Themen in den Medien, auch wenn es keine Lebensmittelskandale zu vermelden gibt. Eine Fülle an Themen, vom Cholesterin über Selen bis zu sekundären Pflanzenstoffen, werden permanent in den Medien als Nachrichten oder in den Ratgeberrubriken behandelt. Die Informationsdichte ist hoch, doch das Urteil der Bevölkerung über die Informationsqualität ist überwiegend negativ.

Vor 20 Jahren wurde repräsentativ gefragt „Wie beurteilen Sie die Qualität der Ernährungsinformation?“. Die gleiche Erhebung wurde 10 Jahre später wiederholt. Abb. 2 zeigt, dass sich das Mehr an Information über Ernährung in allen Medien eher als Desinformation der Bevölkerung entpuppt hat. Die Kritik an der Ernährungsinformation hatte in 10 Jahren eindeutig zugenommen.

Die Interpretation dieses Befundes wird berücksichtigen müssen, dass Ernährung und Essen unterschiedliche Begriffe sind. Im kognitiven Bereich „Ernährung“ herrscht Verunsicherung, ausgelöst durch widersprüchliche, teils auch unverständliche Informationen. Seit Jahren schon werden Ernährungsrisiken von der Bevölkerung völlig anders gesehen als von Experten: In der öffentlichen Meinung rangieren Schadstoffe und Zusatzstoffe an erster Stelle, während Experten das Ernährungsverhalten und hygienische Probleme hoch ansetzen.

Medien brauchen Quote

Diese unterschiedliche Gewichtung reflektiert auch den medialen Einfluss, denn Medien stellen – im Hinblick auf Quote und Leser / Zuschauer-Bindung – eher kollektive Risiken heraus als über individuelle Risiken zu kommunizieren, die ihre Zielgruppen selbst zu verantworten haben. So ist die Schlagzeile „Salmonellen in Eiern“ aus Mediensicht geeigneter als die Formulierung „Ihr Kühlschrank: eine Salmonellen-Falle!“ Die unzutreffend hohe Einschätzung der kollektiven Risiken (Schadstoffe, Zusatzstoffe) durch die Bevölkerung und ihre geringe Bewertung individueller Risiken (Verhalten, Hygiene) belegt diese Medienwirkung.

Ein großes Problem medialer Kommunikation von Ernährungsbotschaften stellt die Gewichtung der speziellen Information dar. So muss z. B. ein Beitrag über Vitamin C den Eindruck erwecken, als handele es sich dabei um ein gewichtiges Ernährungsthema – was es aber bei durchschnittlich ausreichender Versorgung mit Vitamin C nicht ist.

Aktuelle Forschungsfragen der Wissenschaft, z. B. sekundäre Pflanzenwirkstoffe, werden dem Verbraucher dargestellt, obschon ihm hier kaum praxisverwertbare Maßnahmen genannt werden können. Wesentliche Ernährungsthemen dagegen, die auf gesicherter Basis große gesundheitliche Relevanz haben, sind kaum für Medien geeignet, da nicht spektakulär, wie z. B. der teilweise extrem hohe Fettverzehr in Deutschland.

So entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten eine intensive mediale Ernährungskommunikation, die eher kognitive Verunsicherung steigerte, das emotional gesteuerte Essverhalten aber weniger tangierte. Mit einer Ausnahme.

Die schlanke Attraktivität

Diese Ausnahme findet sich aber nicht in den medialen Beiträgen, die Ernährungsinformation im eigentlichen Sinn verbreiten. Sie ist eher im weiteren Umfeld von Mode, Schlankheit und Diäten zu finden. Das Schlankheitsideal in der Gesellschaft hat beträchtliche Auswirkungen auf das Essverhalten von Frauen und Männern. Dieses Ideal der mageren bis schlanken Figur wird in den verschiedenen Medien propagiert, auch wenn sie das Thema Ernährung überhaupt nicht ansprechen.

Mitte der 60er Jahre gelang dem magersüchtigen Model Twiggy der Sprung mit Fotos in die Schlagzeilen. Das war die Geburtsstunde der schlanken Figur, die sich fortan als attraktiv und begehrenswert in den Köpfen der Bevölkerung festsetzte. 30 Jahre lang – bis heute – lastet der soziale Druck auf Frauen (und immer mehr Männern), dieses Schlankheitsideal zu erfüllen. Denn in Filmen, Fernsehsendungen sowie Modezeitschriften ist Konfektionsgröße 38 das Limit für attraktive Darstellerinnen und Models. Frauenzeitschriften starten ihre Ausgabe mit attraktiver, schlanker Mode und bieten sich auf den nachfolgenden Seiten als Helfer an, publizieren zahllose Rezepte und immer neue Schlankheitsdiäten. Über 50 % der Frauen und über 25 % der Männer in Deutschland haben mindestens eine Diät „hinter sich“. Geholfen hat’s kaum jemandem, der Jo-Jo-Effekt ist längst zum Begriff der Umgangssprache geworden.

Doch solange das medizinisch definierte Normalgewicht im Bewusstsein der Bevölkerung als „schreckliches Übergewicht“ empfunden wird, ist jede neue Diät mit Garantieversprechen eine Garantie für Auflage oder Quote.

Schuld der Medien?

Interessant zu fragen, ob die mediale Propagierung der schlanken Models die Vorstellungen der Deutschen von der „idealen Figur“ geformt hat? Oder aber reflektieren die Medien lediglich den „Mainstream“ der Gesellschaft? Eine wichtige Frage, denn das Aufkommen von bulimischen Essstörungen (Essay: Essstörungen) ist nach Expertenmeinung sicher eine der sehr unerwünschten Nebenwirkungen des Diätzeitalters mit millionenfach vergeblichen Versuchen, über das Kalorienzählen eine „gute Figur zu machen“.

Eine begründbare Antwort ist sicher nicht zur Hand. Realistisch ist, dass es sich um eine Wechselwirkung handelt, d. h. die Medien reflektieren Bedürfnisse in der Bevölkerung, und die medialen Produkte wiederum dienen als Verstärker dieser Bedürfnisse. Natürlich sind die Medien in diesem Prozess der Motor, ohne den eine dauerhafte Thematisierung oder gar Steigerung des „Diäten-“ bzw. „Schlankheitswahns“ nicht etabliert werden könnte.

So könnte den Medien, die primär ihre Produkte absetzen wollen (und auch müssen), kein direkter Vorwurf gemacht werden, schließlich senden und drucken sie Inhalte, die der Nutzer freiwillig kauft bzw. einschaltet. Andererseits muss natürlich gefragt werden, ob die Publikation untauglicher Diäten, die Hoffnungen wecken, aber Misserfolg programmieren, ein Vorhaben ist, das nach Artikel 5 des Grundgesetzes unter die Pressefreiheit fällt?

Essen & Trinken in den Medien

Einen völlig anderen Bereich decken die Medien mit „Essen & Trinken“ ab – mit Rezepten und deren Fotos, die bereits „das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen“. Koch- und Rezeptbücher sind die am meisten umgesetzte Buchgattung. Eine repräsentative Erhebung bei haushaltsführenden Personen in Deutschland zeigte jedoch, dass nur knapp 8 % dieser Personen „gelegentlich“ nach solchen Rezepten kocht. Offenbar erzeugen Rezepte in den Medien eine virtuelle Esswelt, die zur Betrachtung attraktiv einlädt, aber die in der eigenen Küche kaum realisiert wird.

Medien als Werkzeug

Die seriöse Ernährungsaufklärung und auch die individuelle Ernährungsberatung werden sich bestimmter Medien als Werkzeuge in der Kommunikation, aber auch der Massenmedien bedienen müssen, um überhaupt gehört zu werden.

Moderne Ernährungsberatung, die eigentlich eine „Beratung für Essen und Trinken“ sein sollte, hat seit wenigen Jahren entdeckt, dass eine rein rationale Argumentation wenig Aussicht hat, das emotional gesteuerte Essverhalten zu beeinflussen. So wird das Modell des sozialen Marketings genutzt, um Botschaften mit Verhaltensänderung medial aufzubereiten.

Das soziale Marketing basiert auf vier Mix-Faktoren: Produkt, Preis, Public Relations und Distribution. Im Gegensatz zum kommerziellen Marketing ist das Produkt im sozialen Marketing kein konkreter Gegenstand, der Preis zumeist kein Geldbetrag. Dennoch gilt, wie im Markt, dass ein Produkt angeboten werden muss, das die Zielpersonen gerne besitzen möchten. „Gesunde Ernährung“ ist offenbar ein wenig attraktives Produkt. Hingegen stoßen Angebote wie „Schlankheit“, „Wohlbefinden“ oder „Genuss“ auf bessere Resonanz. Der Preis, oft eine Änderung von Gewohnheiten, darf nicht zu hoch empfunden werden. Schließlich müssen PR und Distribution ebenfalls stimmen.

Fallbeispiel: Pfundskur in Baden-Württemberg

Ein Beispiel ist die „Pfundskur“, die nach dem Prinzip des sozialen Marketings bereits viermal in Baden-Württemberg als multimediale Aktion durchgeführt wurde. Das Produkt der Pfundskur nennt sich „Mehr Lust auf Leben“, wobei der Name Pfundskur signalisiert, dass es um die Figur geht. Der „Preis“ ist vom Geldwert minimal, man kann zu Hause oder in Gruppen mitmachen. Verboten wird nichts!

AOK und Südwest-Rundfunk (SWR) als die Aktionspartner übernahmen die Public Relations mit Anzeigen in Zeitungen und Großflächenplakaten sowie Funk- und TV-Spots und Einführungsveranstaltungen in 25 Stadthallen. Die Distribution erfolgte flächendeckend im gesamten Bundesland durch Rundfunk- und TV-Sendungen mehrfach in der Woche über drei Monate. Kantinen, Restaurants, aber auch Bäcker, Fleischer und Lebensmittelketten boten Pfundskur-Produkte und -Gerichte an. Über 50 Tageszeitungen berichteten zweimal wöchentlich. Der Buchhandel bot das Trainingsbuch sowie zwei Kochbücher zur Pfundskur an. In allen Regionen wurden von der AOK insgesamt über 1.200 Gruppen mit geschulten Moderatorinnen eingesetzt. Die Sportvereine organisierten Fahrrad- und Walkingtreffs.

So gestaltete sich die Pfundskur 2000 (gestartet 1999) zur größten multimedialen Gesundheitsaktion in Deutschland. Eine breite landesweite Aktion, die ohne Medieneinsatz nicht gelingen konnte. Eine Aktion, die – wie die Evaluation durch I+G Gesundheitsforschung München bewies – einen außerordentlich großen Bekanntheitsgrad und gute Erfolge erzielte.

Medienmix konzertiert

Ein ausschlaggebender Faktor der Wirksamkeit der Kampagne besteht in der einheitlichen, abgestimmten Konzertierung der Informationsinhalte über die Zeitspanne von 10 Wochen. Die Widersprüchlichkeit der Medieninformation war nicht mehr gegeben, da die Pfundskur mit ihrer Thematik die Ernährungsinformation der Medien in Baden-Württemberg beherrschte. Die Botschaften waren verständlich und wurden in immer wieder neuer „Aufmachung“ angeboten (Redundanzprinzip).

Evaluation der Pfundskur

In einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe von über 2.000 Personen ab 14 Jahren in Baden-Württemberg, befragt ca. 10 Wochen nach Kampagnenende, hatten 78 % bereits von der Pfundskur gehört. 8 % haben sich aktiv daran beteiligt: das sind hochgerechnet über 330.000 Personen. Durch Zeitungen (42 %), AOK (31 %) und Radio (26 %) wurden die Teilnehmer aufmerksam. 1/3 der aktiven Teilnehmer waren Männer, (vergleichsweise viel für eine solche Aktion).

Die Erwartungen der Teilnehmer waren nicht allein auf eine rasche Gewichtsabnahme beschränkt. Über 90 % der Teilnehmer wollten jeweils „gesünder leben, ein paar Kilo abnehmen“ oder „ihr körperliches Wohlbefinden steigern“. 50 % der Teilnehmer leiden auch nicht unter tatsächlichem Übergewicht (BMI < 25). So stellt sich die Pfundskur 2000 in der Einschätzung ihrer Teilnehmer als breitenwirksame Prävention zur Verbesserung von Lebensgefühl und Gesundheit heraus. Die Ergebnisse nach den Angaben der Befragten: 30–40 % kaufen und essen bewusster und fettärmer, 80 % haben regelmäßige Bewegung (1. Radfahren, 2. Gymnastik, 3. Walking). 30 % fühlen sich körperlich, 20 % seelisch wohler. Insgesamt 70 % fanden die Aktion 2000 sehr gut bis zufriedenstellend.
Jenen Teilnehmern (80 % Frauen, 20 % Männer), die sich einer Pfundskur-Gruppe angeschlossen haben, ging es in 91 % um eine Gewichtsabnahme. Erreicht wurden im Schnitt minus 4 kg in 10 Wochen; fast 30 % haben zwischen 5 und 9 kg abgenommen. Die Zufriedenheit mit der Gewichtsabnahme war bei allen Männern sehr groß, bei über 90 % der Frauen ebenfalls.

IdR im ZDF

Bereits in den 70er Jahren startete Hans Mohl, Moderator des Gesundheitsmagazins Praxis, die halbjährige Kampagne IdR: Iss das Richtige. Ziel war damals, mit ausgewogener Ernährung und Verhaltenstipps die Zuschauer zur Gewichtsabnahme zu motivieren. Der Erfolg war grandios, denn bei damals nur zwei Fernsehanstalten (ARD, ZDF, keine Privaten) wurde IdR mit Einschaltquoten um 17 Mio. Zuschauern zu einer „nationalen Bewegung“, über die auch die Printmedien berichteten.

Ziele der Medien

Am Beispiel von IdR und Pfundskur wird deutlich, dass Medien in der Informationsgesellschaft eine nachhaltige Funktion besitzen. Alle Erfahrungen gemeinsam betrachtet belegen jedoch, dass es jeweils auf Art und Ziel der Nutzung ankommt, ob es durch Medien zu einer verhaltensrelevanten Wirkung kommt.

So besteht ein Ziel der Medien oft darin, Ernährungsthemen journalistisch so aufzubereiten, dass sich das Medium selbst dadurch besser verkauft. Diese Zieldefinition verlangt per se keine Wirkung auf das Essverhalten. In Kampagnen wird hingegen durch den medialen Einsatz direkt auf eine Veränderung des Essverhaltens abgehoben. Bei der medialen Lebensmittelwerbung wiederum soll der Absatz der beworbenen Produkte durch Veränderung des Einkaufsverhaltens gesteigert werden.

Die allen drei Zielsetzungen gemeinsame Methode besteht darin, die Zielpersonen aufmerksam zu machen, dann zu interessieren und zu motivieren, um sie zum entsprechenden Handeln zu veranlassen. Dieser Ablauf wird auch als AIDA beschrieben: A = awareness, I = interest, D = desire und A = action.

Fazit

Der Medien-Mix insgesamt also reflektiert und verfestigt Einstellungen und Bedürfnisse sowie Normen und Stereotype in der Gesellschaft. Die unterschiedlichen Ziele der Medienmacher jedoch lassen kaum ein einheitliches Bild entstehen, so dass die Wirkung auf den Verbraucher geringer ist als sie sein könnte. Widersprüchliche Meldungen und dissonante Botschaften aktivieren zudem Abwehrmechanismen der Zielpersonen und konservieren bisherige Einstellungen und gewohntes Verhalten. Eine Ausnahme bilden Diäten und Schlankheitsideal, die seit Jahrzehnten implizit und explizit multimedial propagiert wurden. Die Pfundskur in Baden-Würtemberg ist ein Beispiel für relativ hohe Medienwirksamkeit in kurzer Zeit, da hier die Informationen multimedial konzertiert und bedürfnisgerecht aufbereitet wurden.

Bisher kosten ernährungsabhängige Erkrankungen pro Jahr mehr als 100 Mrd. Mark. Eine positive Veränderung im bundesdeutschen Essverhalten ist aber nur denkbar durch eine multimediale, konzertierte Kampagne, die den verhaltenswirksamen und normbildenden Einfluss der Medien tatsächlich nutzt. Da jedoch diese Aufgabe heute nicht zum primären Ziel der Medien zählt, wird der mediale Einfluss auf das Ernährungsverhalten so bleiben, wie er fünf Jahrzehnte war: heterogen, eher verunsichernd und wenig verhaltensprägend.


Medien und Ernährungsverhalten: Abb. 1. Oben: Antworten auf die Frage: „Worauf legen Sie bei Ihrer Ernährung besonderen Wert?”. Unten: Antworten auf die Frage: „Worauf legen Sie bei Ihrem Essen besonderen Wert?”. Repräsentative Befragung in Deutschland. Medien und Ernährungsverhalten

Medien und Ernährungsverhalten: Tab. Genusshierarchie. Auswahl aus 20 möglichen Positionen. Befragung von 1990.

Rangplatz WestRangplatz Ost
1.   Urlaub1.   Urlaub
2.   Flirten / Sex / Liebe2.   Familie
3.   Familie3.   Feste mit Freunden
4.   zu Hause toll essen4.   zu Hause toll essen
5.   Feste mit Freunden5.   sich pflegen
6.   Faulenzen6.   Lesen
7.   Hobby7.   Flirten / Sex / Liebe
8.   sich pflegen8.   Hobby
9.   TV9.   TV
10. Lesen10. Arbeiten für Beruf
11. Rauchen11. Ausgehen, Disco
12. Spielen12. Faulenzen
13. Ausgehen, Disco13. Sporttreiben
14. Sporttreiben14. Spielen
15. Arbeiten für Beruf15. Kino
16. Kino16. Rauchen

Medien und Ernährungsverhalten: Kritikpunkte an der Ernährungsinformation in Deutschland. Medien und Ernährungsverhalten

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