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Metzler Lexikon jüdischer Philosophen: Gershom Scholem

(bis 1923: Gerhard)

Geb. 5.12.1897 in Berlin;

gest. 20.2.1982 in Jerusalem

Was S. als Erforscher der jüdischen mystischen Tradition, als kritischen und kreativen Denker des modernen Judentums überhaupt bekannt gemacht hat, gründet antithetisch auf einer radikalen Ablehnung all dessen, was das deutsch-jüdische Bürgertum des 19. Jahrhunderts als Errungenschaft verbuchte: Politik, Kultur und Wissenschaft der Assimilation. Damit stellte sich S. zunächst der kulturellen Disposition seiner Familie entgegen, die »den Weg von der traditionellen jüdisch-orthodoxen Lebensweise […] bis zur weitestgehenden Assimilation an die Lebensart der Umgebung zurücklegte« (Von Berlin nach Jerusalem, 1982). Darin sah S. nichts weniger als die »Tragik« der deutschen Juden überhaupt: ihre »Selbstaufgabe«, ihren »Selbstbetrug«. Die »deutsch-jüdische Symbiose«, wie sie etwa Hermann Cohen forderte, erkannte S. als eine »unglückliche Liebe«, schlimmer noch: als »einen wahren Schrei ins Leere« (Wider den Mythos des deutsch-jüdischen Gesprächs, 1964).

Dagegen richtete sich das von Anfang an weder Konflikt noch Aufwand scheuende Engagement von S.: »Es war mein Interesse für Geschichte, das den ersten Anstoß zu meiner jüdischen Besinnung gab«, so S. über sein »jüdisches Erwachen« als gerade Vierzehnjähriger. Sein erstes Lektüreerlebnis war Heinrich Graetz’ Geschichte der Juden, das er in seinen ideologischen Implikationen später allerdings zurückweisen sollte. Zunächst aber weckte es S.s Interesse an der jüdischen Geschichte und Religion und den »Wunsch, Hebräisch zu lernen«. Er kaufte sich Grammatiken, Übungsbücher, die hebräische Bibel, den Siddur, besuchte die orthodoxe Synagoge, später Bibel- und Talmudlektionen, dies unter dem Vorzeichen eines unvermeidlichen Konflikts mit seinem Vater, während er mit seiner Mutter zeit ihres Lebens verbunden blieb, wie der Briefwechsel mit ihr (1989) dokumentiert. Gleichzeitig mit dem größtenteils autodidaktischen Studium der hebräischen Sprache und der jüdischen Literatur wandte sich S. dem Zionismus zu. Er las die Schriften von Moses Hess, Leon Pinsker, Theodor Herzl, Max Nordau und Nathan Birnbaum und schloß sich von 1912 bis 1917 dem Kreis der zionistischen Gymnasiasten in Berlin an, der Jung Juda, vorübergehend auch der Agudat Israel. Sein Interesse galt jedoch nicht dem »rein politischen und völkerrechtlichen Aspekt der Bewegung«, sondern ihren kulturellen Implikationen, auf die v.a. Achad Haam und Martin Buber hingewiesen haben. Allerdings grenzte sich S. bald schon von Buber ab, zum einen wegen dessen ästhetisch-mystischem Erlebnisbegriff, zum anderen wegen dessen Rechtfertigung des Kriegs. Der von Buber geprägten Jugendbewegung hielt S. einen nüchternen Kulturzionismus entgegen: »Die jungen Juden sollten vor allem einmal Hebräisch lernen.« Man kann beim jungen S. deshalb geradezu von einer wissenschaftlich-philologischen Variante des Kulturzionismus sprechen, dessen Prioritäten er folgendermaßen beschrieb: »Viel größere Ansprüche an meine Freizeit als all dies [= zionistisch-politische Aktion, A.K.] stellten meine Studien des Hebräischen und der biblischen und nachbiblischen Urquellen, die sich, besonders von 1914 an bis zu meiner Auswanderung [1923] hinzogen.« S.s philologische Wendung des Kulturzionismus bedeutete zugleich eine Säkularisierung. Konsequenterweise wies er eine religiöse Begründung des Zionismus, exemplarisch in der Kritik an Isaak Breuers »heilloser« Vermischung von Mystik und Politik, scharf zurück. S. verstand den Zionismus geradezu als »Eintritt des Judentums in die Geschichte«, allerdings nicht ohne unterschwellige messianische Retheologisierungen.

Entscheidend für S.s intellektuelles Profil war auch seine Freundschaft mit Walter Benjamin seit Juli 1915. Insbesondere die Jahre seines Studiums der Mathematik und Philosophie in Berlin, Jena und Bern 1915 bis 1919 sind deutlich von dieser denkbar fruchtbaren Freundschaft geprägt, wie auch S.s Walter Benjamin – die Geschichte einer Freundschaft (1957) zeigt. Die große Bedeutung dieser Freundschaft für beide auch nach S.s Auswanderung 1923 bezeugt der Briefwechsel 1933–1940, den S. 1980 publizierte. Im übrigen zählte S. nach dem Krieg zu den wichtigsten Benjamin-Interpreten, wobei er stets geneigt war, seine Sprach- und Geschichtsphilosophie, die ihrerseits deutliche Spuren von S. aufweisen, im Licht des Judentums zu verstehen.

Wenn sich S. 1915 bis 1919 zunehmend dem Studium der jüdischen Literatur und Geschichte zuwandte, so tat er dies in einer radikalen Abgrenzung dagegen, was bis dahin als jüdische Historiographie galt. Das Judentum, dessen Geschichte zu schreiben S. sich vorgenommen hatte, war präzise dasjenige, das die »Wissenschaft des Judentums« als Inbegriff von Irrationalismus, Rückständigkeit und Selbstghettoisierung ausgeschlossen hatte: dasjenige der Kabbala. »Die großen jüdischen Gelehrten des vorigen Jahrhunderts, deren Auffassung der jüdischen Geschichte noch in unseren Tagen vorherrscht, Männer wie Graetz, Zunz, Geiger, Luzzatto und Steinschneider, hatten […] wenig Sympathie für die Kabbala. Fremd und abweisend in einem, schien sie doch all das in sich zusammenzufassen, was ihren eigenen Ideen und der Auffassung widersprach, die sie im modernen Judentum zur Herrschaft zu bringen hofften.« S.s eigentliches Vorhaben läßt sich deshalb geradezu als eine »Gegengeschichte« (D. Biale) zum bürgerlich-assimilierten Judentum verstehen. Diese Abgrenzung bedeutete auch einen methodischen Paradigmenwechsel. Unter den ideologischen Vorzeichen der Assimilation verstand die Wissenschaft des Judentums ihre Arbeit, so S. am prägnantesten in seinen Überlegungen zur Wissenschaft des Judentums (hebr. 1944), bestenfalls als ein »ehrenvolles Begräbnis«. Gegen diese zynische Selbstauflösung hielt S. sein Programm der Historiographie als einer in Benjamins Sinn »errettenden«, im kulturzionistischen Sinn »erneuernden« Aufgabe, die »verstreuten Trümmer der Vergangenheit« einzusammeln. S. formulierte das Programm dieser »neuen Wissenschaft des Judentums« (Schäfer) bereits in seinen ersten Rezensionen zur kabbalistischen Literatur um 1920. Hier sprach er der Philologie eine geradezu kabbalistische Funktion zu: als »Überlieferung« – im wörtlichen Sinn – ihres Gegenstandes: »Ich glaube schon, daß tiefe Philologie eine echte mystische Funktion haben kann, wenn sie die Verwandlung der Zeiten in ihrer Arbeit befördert, begleitet und beschwört, und daß die würdige Überlieferung des Gutes der Geschlechter [… ] vielleicht eine tiefere Beziehung zu einer Kabbala involviert, die nicht ganz ohne Grund ›Überlieferung‹ heißt.« S.s Philologie der Kabbala wird hier zu einer modernen Form der Kabbala selbst: Philologie als Kabbala.

In dem Maß, wie S.s Historiographie die wissenschaftliche Funktion überschreitet, wird sie zu einem »historiosophischen« Unternehmen. Mit der Wiederentdeckung der Kabbala als Gegenstand der Geschichte geht deshalb ihre Rehabilitierung als Gegenstand der Philosophie einher. Konsequenterweise wandte sich S. auch gegen die rationale jüdische Philosophie, gegen die er programmatisch den »Wert« der Kabbala hielt: »Wenn man mich […] fragen sollte, worin ich den Wert der jüdischen Mystik sehe, so würde ich es wie folgt formulieren: die klassische jüdische Theologie des Mittelalters und der Neuzeit, wie sie in Saʽadja, Maimonides und Hermann Cohen ihren Ausdruck fand, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Antithesen gegen den Pantheismus und gegen den Mythos aufzustellen, ja sie zu widerlegen. […] Es kommt aber darauf an, ohne die Grundlage des Monotheismus zu verlassen, dennoch zu verstehen, daß irgend etwas an ihnen ist, und dieses Etwas exakter zu bestimmen. Das ist das Problem, das die Kabbalisten gesehen haben.« Insofern hat S. nicht nur an einer historischen, sondern auch an einer philosophischen Beschreibung der Kabbala gearbeitet. Bereits 1925 wußte er, so in einem Brief an Chajim Nachman Bialik, daß es ein »philosophisches Interesse ist, das mir auch während der historischphilologischen Forschung zur Seite stehen wird«. Nach einem Jahrzehnt philologischer Forschung konnte er diese philosophische Dimension seiner Arbeit bestätigen. Seine Wahrnehmung der Kabbala war in hohem Maß gebunden – wie er 1937 in einem Brief an Salman Schocken, überschrieben mit »ein offenes Wort über die wahren Absichten meines Kabbalastudiums«, bemerkte – an ein »Wesen« der Kabbala, das sich im Reflex der philologischen Kritik sichtbar machen ließe: »Gewiß, Geschichte mag im Grunde ein Schein sein, aber ein Schein, ohne den in der Zeit keine Einsicht in das Wesen möglich ist. Im wunderlichen Hohlspiegel der philologischen Kritik kann […] jene mystische Totalität des Systems gesichert werden, dessen Existenz doch gerade in der Projektion auf die historische Zeit verschwindet.« S.s »wahre Absicht« ist es folglich, »nicht die Historie, sondern die Metaphysik der Kabbala zu schreiben«. S.s Arbeiten zur Kabbala lassen stets beide Ansprüche erkennen: eine »exoterische« Philologie und eine »eigentlichere« Philosophie. Beide arbeiten auf je eigene Weise an einer Rettung der Kabbala für eine nicht mehr kabbalistische Moderne.

Als ersten Gegenstand wählte S. um 1918 die »Sprachtheorie der Kabbala«. Das entsprechende Buchprojekt lautete, die Kabbala noch von der Mathematik her denkend: »›Über die mathematische Theorie der Wahrheit‹ oder: ›Über die innere Form der hebräischen Sprache‹«. S. mußte dieses spekulative Vorhaben jedoch gegen ein »bescheideneres« eintauschen: die kritische Edition und Übersetzung des Buches Bahir, mit der er 1923 in München promoviert wurde. Das erste Projekt realisierte er erst fünfzig Jahre später in dem Aufsatz Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala (1970).

Im Herbst 1923 emigrierte S., sein zionistisches Programm in die Tat umsetzend, nach Jerusalem und hebraisierte seinen deutschen Vornamen Gerhard zu Gershom. Zunächst war er am Aufbau der hebräischen Nationalbibliothek beteiligt. Seine damaligen Arbeiten zur Kabbala, insbesondere seine Antrittsvorlesung als Dozent an der neugegründeten Hebräischen Universität in Jerusalem Hat Moses de Leon den Sohar verfaßt? (hebr. 1925), gingen teilweise noch von spekulativen Prämissen aus. Dennoch hatte S. sein Vorhaben schon klar vor Augen, wie er im selben Jahr an Bialik schrieb: »Für die wissenschaftliche Erforschung der Kabbala wurde bis heute nichts getan. Das erhoffte und erstrebenswerte Ziel solcher Forschung ist doch: die Kenntnis und Niederschrift der Entwicklungsgeschichte der Kabbala.« Die ersten Ergebnisse seiner zunächst eher deskriptiven Arbeit präsentierte S. in der Bibliographia Kabbalistica (1927), einem umfassenden Verzeichnis kabbalistischer Literatur. Das historiographische Projekt des seit 1933 zum Professor »für jüdische Mystik und Kabbala« ernannten S. gewann aber 1938 in einer Vortragsreihe am New Yorker Jewish Institute of Religion an Gestalt. Sie bildete die Grundlage von S.s Versuch, seine quellenkritischen Einzeluntersuchungen zu einem historischen Gesamtbild zu synthetisieren, den Major Trends in Jewish Mysticism (1941), das auf deutsch erst 1957 unter dem Titel Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen erschien. S. entwarf hier eine lineare Geschichte der jüdischen Mystik von den frühmittelalterlichen Anfängen in der von ihm als »jüdischen Zweig der Gnosis« verstandenen Merkavah-Mystik über die europäische mittelalterliche und die palästinensische Kabbala des 16. Jahrhunderts bis zum Shabbatianismus des 17. und zum Chassidismus des 18. und 19. Jahrhunderts. Daraufhin fokussierte S. seine Forschung auf die Anfänge der mittelalterlichen Kabbala. Das Resultat erschien 1948 unter dem Titel Reshit ha-Kabbalah und in der stark erweiterten deutschen Ausgabe Ursprung und Anfänge der Kabbala (1962). Gemäß S. entstand die Kabbala aus einem Zusammentreffen der jüdischen Gnosis und des Neuplatonismus mit den Parametern der jüdischen Religion. Die These der Kabbala als Ausdifferenzierung einer »jüdischen Gnosis« geht einher mit ihrem Verständnis als »jüdische Theosophie«: »Die jüdische Mystik«, so definiert S., »ist im Wesentlichen Theosophie, Versenkung in die Geheimnisse der Welt und der Gottheit und ihres Wirkens in ihrer Verbindung mit der Schöpfung«. Vor allem diese beiden Thesen der Kabbala als Gnosis und als Theosophie wurden in jüngster Zeit als spekulative Annahmen kritisiert, die letztlich dazu führten, einen wichtigen Typus der Kabbala, die »ekstatische Kabbala«, zu übergehen.

Als S. 1957 seine umfangreichste Untersuchung vorlegte, die Monographie über den »mystischen Messias« Shabbetaj Zwi (hebr.), bedeutete dies einen fundamentalen Perspektivenwechsel nicht nur von den Anfängen zu den Spätformen der Kabbala, sondern auch von Theosophie und Symbolik zu Geschichtstheologie und Messianismus. S. machte diesen Bruch an der Katastrophe von 1492 fest, die in der lurianischen Kabbala zur Ausformulierung eines »kosmologischen Dramas« führte, das sich in den Metaphern des zimzum (Rückzug Gottes) und der shevirat ha-kelim (Bruch der Gefäße) manifestiert, aber auch in der potentiell messianischen Kategorie des tiqqun, der »Wiederherstellung« der Weltordnung und der Rückkehr aus dem Exil. Mit dem Shabbatianismus hat sich S. einem Gegenstand zugewandt, dem orthodoxes wie liberales Judentum mit größten Berührungsängsten begegneten. Beiden galt er als Chiffre für das schlimmste »messianische Fiasko« des Judentums, hervorgegangen aus der Kabbala. S. hingegen verfolgte diese »Häresie« bis zu dem dialektischen Punkt, wo ihr »anarchischer« und »nihilistischer Charakter« als »innere Vorbereitung der Aufklärung und der Reform im Judentum des 19. Jahrhunderts« erkennbar wurde. Nicht das Abgleiten in Irrationalismus, sondern die Transgression zur Moderne war es, die S. im Shabbatianismus und seinen Ausläufern in der Freimaurerei erkannte.

Die Dialektik von Mystik und Moderne bestimmt auch die zahlreichen Vorträge, die S. seit 1949 vor dem Eranos-Kreis um C.G. Jung und M. Eliade in Ascona hielt. Es waren dies grundlegende Studien zu systematischen Aspekten der Kabbala, die u.a. in den Bänden Zur Kabbala und ihrer Symbolik (1960), Von der mystischen Gestalt der Gottheit (1962) und Über einige Grundbegriffe des Judentums (1970) gesammelt vorliegen. So wichtig das Eranos-Forum als Ort des religionswissenschaftlichen Austauschs für S. war, so sehr blieb seine Methodik von derjenigen Jungs oder Eliades unterschieden. Zwar öffnete er sich einem phänomenologischen Zugang zur Kabbala, doch verwahrte er sich gegen jeden unhistorischen Essentialismus. Wenn S. von »Symbolen« der Kabbala sprach, so meinte er nicht überzeitliche und universale Archetypen, sondern vielmehr historische, partikulare und kulturell spezifisch jüdisch semantisierte Interpretationskategorien. Schon in seinem ersten Eranos-Vortrag über Kabbala und Mythos machte er dies unmißverständlich klar: »Der kabbalistische Mythos hatte ›Sinn‹, weil er aus einer voll realisierten Beziehung zu einer Wirklichkeit entsprang […]. Die Symbole der Kabbalisten sind nicht mehr ohne beträchtliche Anstrengung, wenn überhaupt, für uns realisierbar. Ihre Stunde war und ging dahin.« Das war eine klare Absage an die spekulative Archetypenlehre der vergleichenden Religionswissenschaft vor dem Horizont einer historisch-philologischen Hermeneutik. Psychologisierende Universalisierungen der Kabbala waren S. nicht zuletzt auch angesichts der christlichen und hermetischen Kabbala suspekt, deren willkürlicher Umgang mit den »Symbolen« der Kabbala er bestenfalls als »produktives Mißverständnis«, im Grunde aber als »Pseudo-Kabbala« taxierte, so etwa in dem Eranos-Vortrag Alchemie und Kabbala (1977).

Als S. 1982 kurz nach seinem Aufenthalt als einer der ersten Fellows des Berliner Wissenschaftskollegs starb, hinterließ er ein immenses Erbe an Wissen. Die Bedeutung von S., die sich auch daran erkennen läßt, daß er mittlerweile geradezu als »Klassiker« (J. Dan) des modernen jüdischen Denkens gelesen wird, geht jedoch weit über die Kabbalaforschung hinaus. Für viele jüdische wie nichtjüdische Intellektuelle und Schriftsteller »beschwor S. das willkommene Bild eines nicht-nur-halachischen, kreativen und dennoch durch-und-durch-authentischen Judentums. Er lud […] zu einer abenteuerlichen Entdeckungsreise, zu einer kreativen Rekonstruktion einer mythopoetischen Symbolwelt«, die zudem in keiner Weise regressiv war, sondern die Prämissen eines modernen Judentums, eines modernen Denkens überhaupt, dadurch garantierte, daß S. den »Gegensatz zwischen Tradition und Säkularisierung dialektisch und nicht bloß antithetisch aufgefaßt« hat (A. Funkenstein). S.s Kabbala erweist sich als ein Judentum, das sich wie kein anderes der Moderne öffnet, indem es gerade ihre Brüche in den zugleich theologischen, existentiellen und ästhetischen Dispositiven des Exils, des Traditionsverlustes, ja selbst des Nihilismus mitdenken ließ. S. erkannte dies als die »ironische« Disposition der Kabbala bei ihrer Funktion als Überlieferung einer »verborgenen Wahrheit«: »Echte Tradition bleibt verborgen«, so S. im ersten seiner Zehn unhistorischen Sätze über Kabbala (1958), »erst die verfallende Tradition verfällt auf einen Gegenstand und wird im Verfall erst in ihrer Größe sichtbar«. In der Dialektik »einer ins Häretische umgeschlagenen Kabbala, eines nihilistischen Messianismus, der die Sprache der Aufklärung zu sprechen suchte«, öffnet sich die Kabbala der Moderne, wie S. insbesondere an Kafka zeigte. Stellvertretend für die Moderne erscheint hier Kabbala, ansonsten Inbegriff einer religiösen Tradition, im Status des »Nichts der Offenbarung«.

Werke:

  • Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt a.M. 1982.
  • Ursprung und Anfänge der Kabbala, Berlin 1962.
  • Kabbalah, Jerusalem 1974 (engl.).
  • Sabbatai Zwi, Frankfurt a.M. 1992.
  • Von Berlin nach Jerusalem, Frankfurt a.M. 1994.
  • Judaica 1–6, Frankfurt a.M. 1963–1997.
  • Tagebücher, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1995–2000.
  • »Es gibt ein Geheimnis in der Welt«. Tradition und Säkularisation. Ein Vortrag und ein Gespräch, hg. I. Shedletzky, Frankfurt a.M. 2002 –

Literatur:

  • D. Biale, G.S. Kabbalah and Counter-History, Cambridge 1982.
  • J. Dan, G.S. and the Mystical Dimension in Jewish History, New York 1987.
  • G.S.: The Man and his Work, hg. P. Mendes-Flohr, New York 1994.
  • G.S. Zwischen den Disziplinen, hg. P. Schäfer u.a., Frankfurt a.M. 1995.
  • E. Hamacher, G.S. und die allgemeine Religionsgeschichte, Berlin 1999.

Andreas Kilcher

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Die Herausgeber

Otfried Fraisse, promovierte an der FU Berlin zu mittelalterlicher jüdisch-arabischer Philosophie; freier Mitarbeiter des Simon-Dubnow-Instituts an der Universität Leipzig.

Andreas B. Kilcher, Hochschuldozent am Institut für Deutsche Philologie II (neuere deutsche Literatur) in Münster. Bei Metzler ist erschienen: »Die Sprachtheorie der Kabbala als ästhetisches Paradigma« (1998) und »Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur« (Hg., 2000).

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